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09.11.09
12:42 Uhr
Landtag

Gemeinsame Festveranstaltung zum Mauerfall: Rede von Landtagspräsident Torsten Geerdts

153/2009 Kiel, 9. November 2009 Sperrfrist: Redebeginn Es gilt das gesprochene Wort
Gemeinsame Festveranstaltung zum Mauerfall: Rede von Land- tagspräsident Torsten Geerdts

Kiel (SHL) - Im Folgenden wird das Grußwort dokumentiert, das Landtagspräsident Torsten Geerdts heute um 16:30 Uhr bei der gemeinsamen Festveranstaltung der Landtage von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern halten wird.
Es gibt seltene Momente im Leben, die wir nie vergessen. Unvorhersehbare Ereignisse brin- gen eine Lawine ins Rollen, Reaktionen überschlagen sich, brandneue Informationen veral- ten in Minuten. Weltgeschichte wird plötzlich mit den Händen greifbar: Und wir alle spüren dies unbewusst. Noch Jahrzehnte später erinnern wir uns genau daran, wo wir uns in diesem Augenblick befanden, was wir gedacht, gesagt oder getan haben.

1. Der Mauerfall: Persönliches Erleben und Tage der Freude

Der Abend des 9. November 1989 war ein solches Ereignis – ein Moment, mit dem eine Epoche endete. Als die Mauer in Berlin aufbrach und die Menschen überglücklich durch die Öffnungen in den Westteil Berlins strömten, starrte ich in der Teeküche der Landesaufnah- mestelle des Roten Kreuzes für DDR-Übersiedler in Neumünster mit einigen Kolleginnen und Kollegen entgeistert auf die flimmernden Fernsehbilder. „Wahnsinn - die Grenze geht auf, die liegt ja gleich hinter Lübeck bei Schlutup. In einer Stunde sind die alle hier. Oh Gott, wo sol- len wir die bloß alle unterbringen.“ Das waren meine ersten Worte. Sie sind mir gegenwärtig, als ob es gestern gewesen sei.

Nun, die Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern, aus den damaligen DDR-Bezirken Ros- tock und Schwerin, kamen nicht sofort , sondern einen Tag später. Sie wissen ja: Der Meck- lenburger ist ebenso wie der Pommer, der Schleswiger und der Holsteiner ein freundlicher, bedächtiger Menschenschlag: Sie brauchen immer ein wenig mehr Zeit, dann aber kommen
Schleswig-Holsteinischer Landtag, Postfach 7121, 24171 Kiel ▪ V.i.S.d.P.: Annette Wiese-Krukowska, awk@landtag.ltsh.de, Tel. 0431 988 - 1116 oder 0160 - 96345209; Fax 0431 988-1119 ▪ www.sh-landtag.de → Presseticker 2

sie gewaltig zueinander. Als Rot-Kreuz-Mitarbeiter habe ich das Zueinanderkommen in die- sen Wochen vor und nach dem 9. November als positiven Dauerstress-Test erlebt. Ich habe in den Folgewochen tausende Menschen mitbetreut. Die Hilfsbereitschaft und Solidarität zwischen Besuchern und Besuchten in Schleswig-Holstein war enorm.

Ein solches Gemeinschaftsgefühl, von Wärme und herzlicher Freundlichkeit, habe ich vorher und nachher nie wieder erlebt. Ich bin von Haus aus Sozialpolitiker und glaube, dass ich eine Antenne für so eine Stimmung besitze. Persönlich habe ich im November 1989 Freundschaf- ten geschlossen, die heute noch bestehen.

Für viele Familien in Schleswig-Holstein und deren Angehörige in Mecklenburg-Vorpommern aber waren diese Novemberwochen Tage der persönlichen Wiedervereinigung, Tage mit vielen Freudentränen. Ich meine, wir verdrängen und vergessen heute bei allen Folgeent- wicklungen, die nach Erreichen unserer Einheit eintraten und beileibe nicht alle gut zu hei- ßen waren, manchmal zu schnell die wunderschönen, menschlichen Aspekte dieses Weges zur Einheit in Freiheit. Es begegneten sich nicht zuerst zwei politische Systeme. Es fielen sich Menschen in die Arme, Menschen mit all ihren Stärken und ihren sympathischen kleinen Schwächen: Männer und Frauen, Brüder und Schwestern, Väter und Mütter, Großeltern und Enkel.

Der Tag des Falls der Mauer und als Auslöser der wiedererlangten Einheit Deutschlands, war und ist für uns alle ein Tag der Dankbarkeit und Freude. Aber die Erinnerung an das Geschehen heute vor 20 Jahren birgt auch ein Moment der Nachdenklichkeit. Denn wie heißt es so schön: Verstehen lässt sich das Leben nur rückwärts. Und vieles von dem, was damals passierte, haben wir – als Deutsche in Ost und West – doch erst im Rückblick ver- standen.

2. Perspektivenwechsel: Die friedliche Revolution hat auch Schleswig-Holstein „be- freit“

Als Schleswig-Holsteiner will ich darum dieses Datum auch ein wenig aus unserer Perspekti- ve beleuchten: Denn mit dem Fall der Mauer und der innerdeutschen Grenzzäune wurde in gewisser Hinsicht auch Schleswig-Holstein befreit – aus seiner Randlage. Vom Priwall an der Ostsee bis zur Elbe bei Lauenburg verband und trennte uns eine Grenze zu Mecklen- burg.

Die Menschen in der DDR und im künftigen Land Mecklenburg-Vorpommern hatten im No- vember 1989 ihre Freiheit wieder gewonnen. Das südliche Schleswig-Holstein und speziell Hamburg gewannen auch etwas zurück: Ihr natürliches Umland. Hamburg wurde zu einem der großen Gewinner der Einheit. In Schleswig-Holstein hat insbesondere die altehrwürdige Hansestadt Lübeck von der Wiedervereinigung ungemein profitiert. 3


Im Westen übersehen wir ohnehin gelegentlich, dass der Weg zur Einheit unseres Landes keine Einbahnstraße war und ist. Und wir gehen zu leicht darüber hinweg, dass es die Men- schen in Ostdeutschland und in Mecklenburg-Vorpommern selbst waren, die sich auf friedli- chem Wege die Freiheit erkämpft haben. Wer sich beherzt für Bürgerrechte und Freiheit ge- gen Staatsgewalt einsetzt, muss Zivilcourage besitzen. Es braucht sehr viel Mut, für seine Überzeugungen einzutreten. Die Bürgerrechtler und die Menschen in der DDR haben diesen Mut, dieses Nichteinknicken trotz massiven Gegendrucks eines repressiven Staatsapparates im Übermaß gezeigt. Zivilcourage bedeutet: „Hinschauen - nicht weggucken. Handeln - nicht wegducken.“ Die Bürgerrechtler und viele Bürgerinnen und Bürger in der DDR haben beides getan. Und dafür kann man ihnen immer wieder nur dankbar sein. Seien wir ehrlich: In Schleswig-Holstein haben wir zwar die Veränderungen im Grenzgebiet zur DDR genau wahrgenommen, ansonsten aber die politische Entwicklung im Fernsehen mitverfolgt. Nur wenige Schleswig-Holsteiner haben diesen Mut zum Aufbruch und zur ge- sellschaftlich-politischen Neugestaltung vor und nach der Öffnung des Eisernen Zaunes be- wusst erlebt. Vielleicht zum ersten Male, als die Schweriner Bürgerrechtlerin und spätere Bildungsministerin Mecklenburg-Vorpommerns Regine Marquardt am 30. Dezember 1989 mit einer Mappe Texten und Manuskripten in der Druckerei des Flensburger Tageblattes erschien. Aus ihren Notizen wurde über Nacht eine Zeitung für Mecklenburg produziert: 80.000 Exemplare umfasste die erste Ausgabe des „Mecklenburger Aufbruch“. Zuverlässige Telefonverbindungen, E-Mail oder moderne PC-Technik und Software gab es ja damals nicht. All das behinderte, aber verhinderte das Blatt nicht. Es war Lebenshilfe, Ratgeber und Heimat zugleich.

Persönliche Energieleistungen wie die von Frau Marquardt und ihrer Freunde aus der Bür- gerrechtsbewegung waren es, die in ihrer Gesamtheit den politischen Umbruch angestoßen und vorangetrieben haben.

Für alle sich aus der friedlichen Revolution entwickelnden politischen und administrativen Herkulesaufgaben, denen sich die deutsche Politik in der Welt, in Europa und in unserem Land selbst stellen musste, aber gab es keine Blaupausen. Kein Plan B lag in einer Schub- lade dazu bereit, wie man eine Vereinigung zweier Staaten mit unterschiedlichen Gesell- schaftssystemen voranbringt oder Bundesländer neu gründet. Die Politik lebte damals vom Handeln aus dem Stegreif. Das galt auch für die Verwaltung.

Auch das Land Schleswig-Holstein hat im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten beim Neuaufbau im Lande Mecklenburg-Vorpommern geholfen. Landtag und Landesregierung haben Personal abgestellt, Schulungen auf vielen Feldern der Verwaltung durchgeführt, Ma- terial beschafft und auch die konstituierende Sitzung des Landtages von Mecklenburg- Vorpommern unterstützt. 4

3. Deutsche Einheit – eine wohlstandspolitische Erfolgsgeschichte

Ich will an dieser Stelle nun nicht die zurückliegenden 20 Jahre darstellen. Auch möchte ich keine umfassende Gesamtbilanz der Einheit ziehen. Eingehen möchte ich aber doch ein wenig auf eine Frage, die für unsere weitere gute Zukunft wichtig ist: Wie steht es um die Einheit heute?

Ich meine, die großen Anstrengungen zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West haben auf vielen Gebieten zum Erfolg geführt.

Bei Wohlstand, Lebensqualität, Infrastruktur oder Bildung sind die Fortschritte heute vergli- chen mit 1989 gewaltig. In „geradezu atemberaubender Geschwindigkeit“ haben sich die Anpassungsprozesse zwischen Ost und West vollzogen. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Studien des Ifo-Instituts und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die im August vorge- stellt wurden.

Ich will es deshalb bekräftigen: Ja, es ist – trotz unbestritten vieler Probleme auf dem Ar- beitsmarkt, beim wirtschaftlichen Strukturwandel oder in der Entvölkerung der ländlichen Fläche – eine Erfolgsgeschichte geworden. – Aber es ist in der Wahrnehmung mancher Menschen im Osten wie im Westen auch eine „ungeliebte Erfolgsgeschichte“ daraus ent- standen, wie die Zeitung „Die Welt“ es nannte.

4. Die innere Einheit – eine psychologische Aufgabe

Viel mehr entscheidend ist daher nach meiner persönlichen Ansicht, wie sich neben der wirt- schaftlichen die innere Einheit entwickelt. Befinden wir uns als Deutsche aus Ost und West bei unserem Miteinander eigentlich auf (gleicher) Augenhöhe? Wenn man Umfragen glauben darf, dann ist das nicht der Fall. 64 Prozent der Ostdeutschen verneinen dies. Sie empfinden sich in Deutschland als Bürger zweiter Klasse. Dieses Gefühl der Benachteiligung gilt es meines Erachtens auszuräumen.

Denn einige Begrifflichkeiten tun das ihrige dazu. Offen gesagt: Mich stört beispielsweise im Begriff „Aufbau Ost“ der darin versteckte Vorhalt, der Osten sei ein Entwicklungsland. Die freie Marktwirtschaft hat hier sicher manche Hoffnungen tief enttäuscht. 20 Jahre nach der friedlichen Revolution müssen wir stärker denn je daran erinnern, dass wir die Herausforde- rungen der Zukunft nur in einer sozialen Marktwirtschaft bewältigen können, die die Bewah- rung der natürlichen Lebensgrundlagen nicht vernachlässigt.

Die Auswirkungen mancher Enttäuschungen sind vielleicht auch in einer gewissen DDR- Nostalgie zu beobachten, der wir im Westen einigermaßen ratlos gegenüberstehen. Obwohl 85 Prozent der Ostdeutschen heilfroh über die Wende sind, fühlen sich dennoch „viele per- 5

sönlich angegriffen, wenn die DDR kritisiert wird“. Hinzu kommt, die Geschichte wird verklärt und im Rückblick werden der massive Unterdrückungsapparat der Stasi oder die verzweifelte wirtschaftliche Lage der DDR viel milder gezeichnet, als sie es waren. Die kontroversen Dis- kussionen zum Beispiel um die Arbeit der Birthler-Behörde oder um die Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat sind meines Erachtens Symptome dafür.

Auf der anderen Seite steht für mich persönlich auch fest: Die Mauer, die die Ostdeutschen im November 1989 eingerissen haben, und deren Öffnung uns anfangs alle euphorisiert hat, ist in den Köpfen vieler nie wirklich geöffnet worden.

Denn im Kern geht es um die schlichte Anerkennung und Würdigung von persönlichen Le- bensleistungen und erbrachten Opfern. Beides, Leistungen und Opfer, haben die Ostdeut- schen in erheblichem Umfang für die Einheit erbracht. Es stünde uns Westdeutschen gut zu Gesicht, wenn wir dies bewusster wahrnehmen würden.

Die Umbruchgeschichte der 90er Jahre birgt deshalb auch Hunderttausende gebrochener Lebensläufe, Karriereknicks, persönliche Verletzungen und Niederlagen, viel familiäres Leid und Schmerz.

5. Warum der Westen / Schleswig-Holstein vom Osten / Mecklenburg-Vorpommern lernen kann

Natürlich ist das kein Bild einheitlicher Harmonie, das ich hier vor Ihnen zeichne. Doch ich glaube, es hilft, ein besseres gegenseitiges Verständnis zu fördern. Ich bin fest davon über- zeugt, dass die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise diesen Prozess sogar voranbringen wird. Das bei uns im Westen lange Zeit verankerte Selbstwertgefühl des widerstrebenden Gebers und Gönners ist durch die wirtschaftliche Entwicklung arg ramponiert worden. Die globale Krise betrifft Ost und West. Und die Verschuldung auf Länder- und kommunaler Ebene, zwingt viele politisch und administrativ Verantwortliche im Westen neue Wege zu gehen und unkonventionelle Lösungen zu suchen. Da können wir im Westen vom Osten Deutschlands vieles lernen – und manches auch übernehmen. Ich betone es gern: Die Ver- einigung ist hier längst keine Einbahnstraße mehr.

Gefragt sind jetzt Ideen und das Begreifen von Problemen als Herausforderung – als Chan- ce. Hier gibt der Osten unserem Land viel. Diese Flexibilität, die sehr vielen Menschen auch in Mecklenburg-Vorpommern in den vergangenen beiden Jahrzehnten permanent abverlangt worden ist, lässt sie offenbar rascher auf die derzeitige Krise reagieren. Bauvorhaben wer- den unbürokratischer auf den Weg gebracht, Wirtschaftsförderung pragmatischer angepackt, Reformen konsequenter umgesetzt wie beispielsweise in der Bildungspolitik bei Ihnen in Mecklenburg-Vorpommern. 6

Was wir als Gesamtdeutsche gewinnen können, wenn wir voneinander lernen, will ich nur am Bereich Bildung deutlich machen: Schon zum dritten Mal in Folge lag der Freistaat Sach- sen auch 2009 beim Bildungsvergleich der deutschen Länder auf dem ersten Platz. Der vom Institut der Deutschen Wirtschaft durchgeführte Bildungsmonitor analysiert, wie gut Bil- dungssysteme zum wirtschaftlichen Wachstum beitragen. In keinem anderen Bundesland erreichen mehr Schüler aus sogenannten bildungsfernen Schichten einen Abschluss. Der Überraschungssieger aber hieß Mecklenburg-Vorpommern. Ihr Land arbeitete sich vom letz- ten Platz auf Rang 10 vor, Thüringen wiederum überholte Bayern und Baden-Württemberg und liegt nun auf Platz zwei. Ihre Erfolge beweisen: „Geld macht nicht schlau“, wie die Fi- nancial Times titelte. Gute Bildung hängt nicht allein von der Wirtschaftskraft eines Bundes- landes ab.

Was also muss für eine gute deutsch-deutsche, für eine gute mecklenburgisch- vorpommersche und zugleich schleswig-holsteinische Zukunft getan werden? Zu allererst, das ist meine Erfahrung, müssen wir Reste von ideologischem Ballast abwerfen. Ewiggestri- ge gibt es auf beiden Seiten. Ihre Denkweisen hindern uns alle.

Und ich glaube, wir müssen uns viel mehr zuhören und dabei Respekt für den jeweils ande- ren und seiner jeweiligen Biographie haben. Denn Vertrauen ist die Basis allen Fortschritts. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal gefordert, dass sich die West- und Ostdeutschen in ihren kleinen, gemeinsamen Welten einmal zusammensetzen und sich ihre Lebensgeschichten erzählen müssten, damit sie einander besser verstehen. Darum geht es: Die unsichtbare Mauer in manchen Köpfen einzureißen, die Vita des anderen zu akzeptie- ren, damit wir einander verstehen. Die Bezeichnungen „Wessi“ und „Ossi“ können durchaus freundlich gemeint und verstanden werden, wenn wir uns auf gleicher Augenhöhe begegnen.

6. Der Norden ist nur zusammen stark

Wir haben kürzlich einen neuen Landtag in Schleswig-Holstein gewählt. Es ist das erste Mal, dass in den Fraktionen im Schleswig-Holsteinischen Landtag Mitglieder einer Generation vertreten sind, die den Mauerfall jedenfalls bewusst nicht miterlebt haben. Sie waren damals drei, fünf oder acht Jahre alt. Das Erleben der Einheit dieser jungen Generation ist ein Blick auf die Geschichte. Sie sehen dadurch viele Dinge im Verhältnis zwischen Ost und West unbefangener als wir Älteren.

Die jüngeren Generationen werden in absehbarer Zeit wesentlich stärker als bisher die Ge- schicke unseres Landes verantwortlich mit gestalten. Und sie, die Jüngeren, werden gerade mit Blick auf die Themen Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit von Politik Fragen stellen und Interessen formulieren. Und sie werden auch den innerdeutschen Ausgleich mit einer größeren Selbstverständlichkeit und Normalität vorantreiben. Die deutsche Einheit stellt sich für sie als normales Faktum unter vielen anderen politischen Themen dar. 7


Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern verbindet manches: Die Menschen unse- rer beiden Küstenländer gelten im übrigen Bundesgebiet als sturköpfig, wortkarg bis schweigsam und geprägt von gut versteckter Freundlichkeit. Diese rauh-herbe nordische Mentalität ist uns eigen.

Eigen ist uns aber auch ein gemeinsames kulturelles Erbe: Die Niederdeutsche Sprache. Die Dichter und Schriftsteller Fritz Reuter bei Ihnen in Mecklenburg-Vorpommern und Klaus Groth in Schleswig-Holstein waren im 19. Jh. ebensolche dickschädeligen Sturköpfe.

Und irgendwie scheint mir das ein Vermächtnis: Lassen Sie uns auch ruhig einmal streiten – nicht gerade wie die Kesselflicker, aber gern auch etwas heftiger. Unsere Dickköpfe können das vertragen. Aber lassen Sie uns dabei gemeinsam unsere Heimatregionen voranbringen. Das wäre mein Wunsch für unsere politische Zusammenarbeit. Denn der Norden braucht eine starke und einheitliche Stimme, will er in Deutschland – speziell im Süden – Gehör fin- den. Der Ost-West Gegensatz ist passé.

Die friedliche Revolution, die Maueröffnung und die Wiedervereinigung waren ein histori- scher Glücksfall und ein – im tieferen und guten Sinne des Wortes – unbezahlbares Ge- schenk an uns Deutsche. Ich bin fest davon überzeugt, dass die deutsche Einheit eine Er- folgsgeschichte ist.

Der Tag des Mauerfalls ist der Sieg der Freiheit. In Deutschland und Europa.