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23.07.09
14:14 Uhr
SPD

Dr. Gitta Trauernicht: Schleswig-Holstein muss das Land der Energiewende werden!

Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion
Kiel, 23.07.2009 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell TOP 1 A und 31, Regierungserklärung zu den Vorkommnissen im Kernkraftwerk Krümmel sowie Antrag zur Wiederinbetriebnahme (Drucksachen 16/2752 und 16/2789neu)

Dr. Gitta Trauernicht:

Schleswig-Holstein muss das Land der Energiewende werden!

Am 01. Juli 2009 kam es im Kernkraftwerk Krümmel zu einer Turbinenschnellabschal- tung und am 04. Juli 2009 zu einer Reaktorschnellabschaltung. Die Öffentlichkeit rea- gierte irritiert, in Teilen wütend und empört, es gab wieder Kritik an der Informationspo- litik des Betreibers Vattenfall. Ein selbstkritisches, umsichtig agierendes Unternehmen hätte diese Störfälle zum Anlass nehmen können, inne zu halten und weitergehende Prüfungen vorzunehmen. Nicht so Vattenfall!

Am 04. Juli 2009 um 12.02 Uhr kam es - wie wir alle wissen - zu einer Reaktor- schnellabschaltung. Ursache war nach derzeitigen Erkenntnissen ein Kurzschluss und Ölaustritt im Maschinentransformator AT 02, einem mit dem Transformator AT 01 baugleichen Typ. Eben dem Transformatortyp, bei dem es im Jahre 2007 zu einem Brand kam. Auch bei und nach dieser Schnellabschaltung kam es zu weiteren nicht bestimmungsgemäßen Verläufen.

Ungeklärt sind unter anderem das Ausmaß von inzwischen bekannt gegebenen Brennelementschäden, Ursachen für das Einbringen metallischer Fremdkörper in den Reaktordruckbehälter, Lichtbogenspuren am zweiten Transformator, fehlendes Cont- rolling für Auflagen und Vereinbarungen, z.B. der notwendigen Installation für Teilent- ladungsmessungen, der unbeabsichtigten Öffnung des Stromwandlersekundärkreises mit Unfallfolge für einen Mitarbeiter, unsachgemäße Spülungen nach Armaturensanie-



Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-



rung, erhöhte Radioaktivität im Reaktorwasser usw. Und die Liste der von der Atom- aufsicht zu untersuchenden Themen wird täglich länger. Und viele fragen sich in- zwischen zu Recht, ob Vattenfall denn gar nichts aus dem Störfall vom 28. Juni 2007 gelernt hat. Damit ist nicht nur die Kommunikation gemeint, sondern das gesamte Ma- nagement. Es gibt Kernkraftbetreiber, die können es einfach besser.

Diese Frage war am letzten Freitag unter Beteiligung von Vattenfall Thema der Sozial- ausschusssitzung. Und nach all diesen Störfällen und der Diskussion der Ursachen stellt sich im Kern die Schlüsselfrage: Kann Vattenfall verlässlich das Kernkraft- werk Krümmel betreiben? Mit der Entlassung des verantwortlichen Kraftwerksleiters ist es nicht getan. Offensichtlich gibt es kein funktionierendes Controlling - und das in einem Kernkraftwerk, das zwei Jahre stillgestanden und bundesweit für Furore gesorgt hat. Neben Fehlern durch die Faktoren Mensch und Technik sehe ich strukturelle Mängel in der Qualitätssicherung des Betriebs.

Dabei hatte Vattenfall 2007 eine neue Informations- und Sicherheitskultur angekündigt. Davon war am 04.07.2009 nichts zu sehen! Symptomatisch für die Haltung von Vat- tenfall ist übrigens der hinhaltende Widerstand gegen die Auflage der Atomaufsicht zur Audioüberwachung auf der Reaktorwarte. Gegen diese Auflage der Atomaufsicht klagt Vattenfall. Die Abgeordneten aller Fraktionen haben im Sozialausschuss ihre Missbilligung zum Ausdruck gebracht, dass die vor zwei Jahren zugesagte Audio- Überwachung nicht installiert ist. Kaum fassbar, dass Ursachen für die nicht durchge- führten Teilentladungsmessungen bislang von Vattenfall nicht aufgeklärt werden konn- ten oder sollten. Offensive Sicherheitskultur sieht anders aus. Meine politische Bewertung ist klar: Im Kernkraftwerk Krümmel bestehen grundlegen- de Mängel und Schwächen des Betriebspersonals und der Betriebsorganisation und daher ein erhöhtes Risiko weiterer Störfälle. Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit dieses Betreibers ist zerstört. Krümmel muss vom Netz. Die Chancen, nun endlich zu -3-



einem Entzug der Betriebserlaubnis zu kommen, sind aufgrund wiederholten Missma- nagements, technischer Pannen und menschlicher Fehler größer geworden. Hinzu kommt, dass die Atomaufsicht nun höhere Anforderungen nach dem Neuen Techni- schen Regelwerk setzen kann. Sollten die nach dem Atomgesetz gegebenen rechtli- chen Möglichkeiten der neuerlichen Zuverlässigkeitsprüfung für eine Stilllegung nicht reichen, ist eine Bundesratsinitiative zur Verschärfung des Atomgesetzes erfor- derlich.

Gemeinwohlinteresse muss vor Unternehmerinteresse gehen. Das gilt für Betreiber von Kernkraftwerken in ganz besonderem Maße. Nur so kann Sicherheit vor Profit durchgesetzt werden. Ein Kernkraftwerk der sog. ersten Generation wie Krümmel oder auch Brunsbüttel wird niemals das Sicherheitsniveau neuer Kraftwerkstypen erreichen. Deshalb macht es Sinn, ältere Kernkraftwerke früher vom Netz zu nehmen. Und dies gilt allemal für Kernkraftwerke des Konzerns Vattenfall.

Die Störanfälligkeit von Kernkraftwerken nimmt mit zunehmendem Alter zu. Ne- ben den Alterungsprozessen ist es aber vor allem auch der steigende Anteil von menschlichen Fehlern in allen Kernkraftwerken, der beunruhigen muss. Deshalb ein klares Wort an dieser Stelle: Wir sind gegen die Atomenergie, wir stehen zum Atom- konsens und wollen so schnell wie möglich möglichst viele Atomkraftwerke abschalten.

Die SPD Schleswig-Holstein ist seit den 80ern für den Ausstieg aus der Atomenergie. Wer das will, muss Alternativen aufbauen. Deswegen befördert die SPD die erneuer- baren Energien vehement, mit großem Erfolg und, wenn ich an die Einsparvergütung für erneuerbare Energien erinnere, gegen den Widerstand von FDP und CDU. Die SPD-Landtagsfraktion und die SPD insgesamt sieht in der Atomenergie keine Über- gangstechnologie, sondern will den schnellstmöglichen Ausstieg. Dies hat vor allem einen Grund: Die Nutzung der Atomenergie ist gefährlich, sie ist nicht beherrsch- -4-



bar, schon gar nicht mit Menschen, denn diese machen Fehler – viel mehr und viel öf- ter als wir es uns vorstellen mögen.

Ältere Kernkraftwerke o weisen in der Regel geringere Sicherheitsreserven auf, o haben tendenziell eine höhere Anzahl von meldepflichtigen Ereignissen, o haben einen schlechteren Schutz gegen Flugzeugabstürze sowie terroristi- sche Angriffe z. B. mit einem großen Verkehrsflugzeug.

Falsche Dübel, Risse, defekte Brennstäbe, Kurzschlüsse und immer wieder Nicht- oder Fehlinformation. Und Asse zeigt uns überdeutlich, dass noch nicht einmal die Endlagerung schwachradioaktiver Abfälle gelöst ist und wie wenig sorgfältig der Betreiber damit umgegangen ist.

Es gibt aus gutem Grund keine Renaissance der Atomenergie! Unsere Anti-Atom- Position haben wir schon die ganze Zeit thematisiert und werden es auch weiterhin tun. Wir freuen uns nicht über die Störfälle. Wir sind in Sorge und diese Sorge teilen wir mit den Anwohnerinnen und Anwohnern rund um Krümmel, um Brunsbüttel und Brokdorf. Wir teilen sie mit fast zwei Dritteln der Bevölkerung! Niemand kann aus- schließen, dass noch schlimmere Ereignisse eintreten.

Krümmel hat seit Inbetriebnahme 1984 313 meldepflichtige Ereignisse verzeichnet und liegt damit deutlich über dem Durchschnitt. Krümmel hat Stillstandszeiten von über 25%. Zum Vergleich: Die anderen nach 1980 gebauten Atomkraftwerke haben Still- standszeiten von 13% und weniger. Die Störfälle bestätigen nur überdeutlich unsere Forderung: Wir müssen raus aus der Atomenergie! Nehmen wir den vereinbarten und unumkehrbaren Atomausstieg ernst und den Pannenreaktor Krümmel – und am bes- ten auch gleich Brunsbüttel – sofort und endgültig vom Netz. Ob durch Entzug der Be- triebsgenehmigung, als Verhandlungsergebnis oder durch politischen Druck. -5-



Der Ausstieg aus der Kernenergie kommt nicht plötzlich und unerwartet - Politik und Industrie haben lange Zeit gehabt, sich auf Alternativen einzustellen. Das haben die Konzerne auch solange gemacht, bis sie die Hoffnung schöpften, dass der Kon- sens aufgekündigt wird und sie durch die abgeschriebenen Atomkraftwerke viel einfa- cher weiter Profite machen können. Union und FDP sind Urheber dieser Hoffnung mit der von ihnen vertretenen Forderung nach einer Verlängerung der Laufzeiten. Wel- chen Sinn macht es dann noch für die Energiekonzerne, in Offshore-Windparks zu in- vestieren?

Wie viele Menschen in den Häfen müssen wegen des geplanten Ausstiegs aus dem Ausstieg um ihre Jobaussichten bangen? E.ON fordert, dass der Anteil der erneuerba- ren Energien in Großbritannien nicht über als 33% steigen darf, sonst würden sich ihre Atomkraftwerke nicht rechnen. Auch deswegen ist ein klares Bekenntnis zum verein- barten Ausstieg nötig.

Die Atomkraftwerke, die angeblich für unsere Versorgungssicherheit notwendig sind, sind es nicht. 2007 standen zeitweise 6 große AKW (Krümmel, Brunsbüttel, Phi- lippsburg 1, Biblis A, Biblis B, Unterweser) gleichzeitig wegen Pannen oder War- tung still. Es fehlten somit zeitweise über 6.000 MW – ohne irgendwelche Auswirkun- gen. Atomenergie ist der falsche Weg. Die sieben ältesten Atomkraftwerke und Krüm- mel haben eine Leistung von etwa 8.000 MW. Bis 2012 werden alleine Anlagen der erneuerbaren Energien mit etwa 12.000 MW errichtet. Es geht doch, wenn man nur will!

Der Steuerzahler subventioniert seit Jahrzehnten den Betrieb von Atomkraftwerken. Rechnet man die Kosten für die Forschung, die Entsorgung und Endlagerung des atomaren Mülls für Jahrtausende und den hohen öffentlichen Sicherheitsaufwand hin- zu, so ergibt sich ein ganz anderer Preis für jede Kilowattstunde aus dieser Risiko- -6-



technologie. Die Wahrheit ist: Bei der Atomkraft werden Risiken vergesellschaftet und die Gewinne fließen nur wenigen zu. Atomkraft ist in einer ehrlichen Kostenkal- kulation auch die teuerste Form der Energiegewinnung.

Kämpfen Sie mit uns für eine angemessene Einspeisevergütung, für einen gezielten Ausbau der Windenergie, für Netze, die diesen Strom dann auch aufnehmen, für einen leistungsfähigen öffentlichen Personen- und Güternah- und Fernverkehr, für eine Stadtplanung, die weite Wege unnötig macht und einen Wohnungsbau, der auf Ener- gieeinsparung setzt. Lenken Sie mit uns die Forschungsgelder in diese Richtung, in die Richtung der Speicherung der so gewonnenen Energie und und und.

Nutzen wir doch lieber die Chance, die Gewinne nicht den großen Konzernen zu las- sen, sondern den Stadtwerken, den Bürgerwindparks und letztlich vor allem den Bür- gerinnen und Bürgern gerade in Schleswig-Holstein.

Und – auch darauf sollte man in der heutigen Zeit einmal hinweisen: Gerade die Wind- energie sorgt hier bei uns für viele, viele Arbeitsplätze, gerade an der Westküste. Die Wirtschaftsberatungsunternehmen Roland Berger und McKinsey sagen: Umwelt- technologien, erneuerbare Energien und Effizienztechnologien sind Leitmärkte der Zu- kunft. Hier werden zukünftig Jobs geschaffen.

Wenn Deutschland den Atomausstieg rückgängig macht, werden Investitionen in diese Technologien behindert – und wir haben weniger Wachstum. Wer auf Atomkraftwer- ke setzt, gefährdet Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Denn eine Ver- längerung der Restlaufzeiten führt zu einem Investitions- und Innovationsstopp. Aus alledem fordern wir die Regierung auf: Tun Sie alles, damit Schleswig-Holstein das Land der Energiewende wird! Krümmel und Brunsbüttel brauchen und wollen wir nicht. -7-



Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, Verhandlungen mit Vattenfall zu führen, um ein endgültiges Abschalten dieser Kernkraftwerke zu erreichen.