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23.07.09
11:04 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zur Vertrauensfrage des Ministerpräsidenten Carstensen

Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion
Kiel, 23.07.2009 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell TOP Vorzeitige Beendigung der Wahlperiode durch den Ministerpräsidenten (Art. 36 Abs. 1 LV)

Dr. Ralf Stegner

Zur Vertrauensfrage des Ministerpräsidenten Carstensen

Am 20. Februar 2005 haben die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner einen Landtag gewählt, dessen Mehrheitsverhältnisse nicht einfach waren. Da die größte inhaltliche Schnittmenge zwischen Grünen, SSW und SPD bestand, haben wir versucht, mit diesen drei Parteien eine Regierung zu bilden. Diese ist leider an einer individuellen Charakterlosigkeit gescheitert. Es war eine beschämende parlamentari- sche Stunde, die am Anfang dieser großen Koalition stand.

Aber, die Wählerinnen und Wähler hatten gewählt. Schon 2005 war ich der Meinung: Wir können nicht solange wählen lassen, bis uns die Ergebnisse gefallen. Dieser Mei- nung bin ich auch weiterhin, das gilt auch noch heute.

Deswegen haben wir in Verantwortung für unser Land gehandelt und sind in eine gro- ße Koalition gegangen. Deswegen wollten wir Sozialdemokraten auch als einzige Fraktion in diesem Landtag stets am in der Verfassung vorgegebenen Wahltermin festhalten und deshalb gilt auch für die kommende Wahl: Parteien werben für ihre In- halte und Ziele, Wählerinnen und Wähler entscheiden, nicht Demoskopen, Redakteure oder Lobbyisten. Und nach der Wahl müssen alle demokratischen Parteien im Prin- zip miteinander koalitionsfähig sein. Dies gilt gerade auch in Schleswig-Holstein, wo die großen Volksparteien eine jahrzehntelange Tradition der Feindschaft miteinan- der haben.



Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-



Gemeinsames Regieren ist keine Frage von persönlicher Sympathie – auch wenn die- se sicher hilfreich sein kann. Es gibt auch keinen politischen Zwang zu behaupten, po- litisch notwendige Kompromisse seien mehr als Kompromisse – nämlich das, was man schon immer gewollt habe. Dieses Ritual jener Koalitionsmehrheit, alles zu kritisieren, was man noch bis vor kurzem richtig fand, und das zu beklatschen, was man stets be- kämpft hat, dies trägt nicht zur Glaubwürdigkeit und Besserung der demokratischen Akzeptanz bei.

Das haben dementsprechend auch beide Koalitionspartner in diesem Hause nicht ge- tan – und so gibt es wohl kaum einen CDU-Landtagsabgeordneten, der im Landtag oder in entsprechenden Veranstaltungen Gutes über Gemeinschaftsschulen sagte. Herr Austermann, wenn Sie sich noch erinnern, der Vorvorgänger von Herrn Biel, hat stets offensiv für eine Aufkündigung des Atomkonsenses und für mehr Atom- energie geworben.

Wir Sozialdemokraten haben dagegen immer deutlich gemacht, dass wir uns Tarif- treue und Mindestlöhne wünschen, dass wir die Bürgerbeauftragte nicht mehr als ein Jahr auf ihre Wahl hätten warten lassen müssen. Wir haben aber auch gesagt, dass solche Wünsche in Koalitionen manchmal nicht zur realisieren sind, weil der Partner nicht mitzieht. All dies geschah regelmäßig unter beißender Kritik der Oppositionsfrak- tionen, entweder mit dem Argument, wir seien opportunistisch und mutlos, den eige- nen Überzeugungen zu folgen oder aber – wenn wir unseren Dissens haben erkennen lassen – besonders heftig mit dem Gegenargument, das Erscheinungsbild der Koaliti- on sei furchtbar.

Nein, die große Koalition war wirklich nicht unsere Wunschkonstellation und ich bleibe bei dem, was ich 2005 gesagt habe, nämlich dass die SPD in dieser Koalition, in der die Union den Ministerpräsidenten gestellt hat, Partner und Gegengewicht zum -3-



konservativen Teil der Regierungskoalition sein muss. Selbst hier waren aber gele- gentlich Korrekturen möglich – über den Weg des Koalitionsausschusses. Wir haben so auf Wunsch der SPD die unsoziale Mehrbelastung der Eltern mit höheren Schüler- beförderungskosten wieder eingesammelt, wofür ich auch persönlich die Verantwor- tung übernommen habe. Auf der anderen Seite mussten wir leider aufgrund des CDU- internen Widerstands eine umfassende und viel Geld sparende Verwaltungsre- form aufgeben, nachdem die Union in dieser Frage mehrmals die Richtung gewech- selt hat.

Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger auch bei Koalitionsregierungen ein An- recht darauf haben, zu erfahren, was die eigentlichen Positionen auch der Koalitions- partner sind und was notwendige Kompromisse sind. Die auch in der Politik notwen- digen Kompromisse muss man doch erklären – der eigenen Fraktion und Partei und erst recht den Bürgerinnen und Bürgern. Diese Koalition hat ein neues Schulgesetz beschlossen, ein bundesweit vorbildliches Kinderschutzgesetz, eine Reform der Amts- verwaltung, das beitragsfreie Kita-Jahr und vieles mehr, was die Situation der Men- schen in Schleswig-Holstein verbessert hat.

Andere Entscheidungen sind uns schwer gefallen: Das gilt sicher auch für Einsparungen und Umstrukturierungen, die aus finanziellen Gründen erfolgen müssen. Da muss ich doch nicht behaupten, es sei überhaupt kein Problem und 150 Stellen bei der Polizei waren schon immer überflüssig – ich stehe aber dazu, und so finden Sie das auch nirgendwo anders: die Einsparung dieser 150 Stellen sind vertretbar, schwierig, aber vertretbar. Was ich nicht vertretbar finde, war das gezielt von Unionsabgeordneten bei der GdP verbreitete Gerücht, die SPD hätte diese Kürzungen überhaupt erst ins Spiel gebracht. Fakt ist, dass wir die Vor- schläge, die der CDU Finanzminister ins Kabinett eingebracht hat und die uns am Sonntag des Koalitionsausschusses nach intensiver Diskussion noch einmal unverän- dert überreicht wurden, sorgfältig geprüft haben und sie deutlich reduziert haben – -4-



eben auf ein vertretbares Maß, damit eben nicht der Polizeivollzug, der Justizvollzug oder die Unterrichtsqualität davon tangiert würden, was nur wir Sozialdemokraten fak- tisch – also nicht nur in öffentlichen Reden – ausschließen wollten. Jene Vorschläge, auf die Sie so stolz waren, mussten auf das verantwortbare Maß korrigiert werden. Ihre ständig kolportierten Behauptungen, Herr Ministerpräsident, wie z. B. heute im Tages- spiegel, die SPD sei nicht vorbereitet gewesen und habe keine Vorschläge gemacht, sind falsch, sind absurd und das wissen Sie selbst, was soll also dieses kleine partei- politische Karo?

Die SPD-Fraktion, die SPD und auch ich stehen zu den ausgehandelten Einspar- vorschlägen, die dringend nötig sind, die aber auch hart an der Grenze des Mögli- chen liegen. Ich hätte mir gewünscht – dass die Regierung Zeit gehabt hätte, die not- wendigen Umstrukturierungen einzuleiten sowie mit Augenmaß und mit Kenntnis ihrer Ministerien voranzutreiben.

Wir werden in der nächsten Legislaturperiode allerdings den ein oder anderen Akzent sicher anders setzen – dies gilt vor allem für den Bildungsbereich, für die Kinderbetreuung, für eine konsequente Verwaltungsstrukturreform und wir wollen wei- terhin für mehr Steuereinnahmen durch ein gerechteres Steuersystem sorgen. Ich glaube, Herr Ministerpräsident und meine Damen und Herren von der Union, dass Ihre Koalitionsbruch- und Neuwahlpläne auch die Flucht vor der Umsetzung dieser Spar- vorgaben sind; wissen Sie doch nur zu gut, dass nach den Stellenkürzungen in den personalintensiven Ressorts Sie nun bei den millionenschweren Förderprogrammen im Landwirtschafts- und Wirtschaftsressort hätten Farbe bekennen müssen.

Ich möchte aber auch an den von Uwe Döring und der SPD vorgeschlagenen Beschäf- tigungspakt erinnern, da wir in der Sicherung und Schaffung von Beschäftigung die aktuell dringendste Aufgabe der Regierung sehen – hier hätten wir uns die vol- le Handlungsfähigkeit einer Regierung gewünscht, statt dieser monatelangen Dauer- -5-



beschäftigung mit dem Austüfteln parteitaktisch günstig erscheinender Wahltermine. Es hätte Ihnen mehr um die Arbeitsplätze der Menschen in Schleswig-Holstein und weniger um Ihren eigenen Arbeitsplatz gehen dürfen, Herr Ministerpräsident.

Die Bürgerinnen und Bürger hätten es wirklich verdient, dass wir uns um die Be- schäftigten und Unternehmen hier in Schleswig-Holstein kümmern, die Beschäf- tigten hier im Land hätten es verdient, dass der geplante, notwendige und einzigartige Personalabbau so vernünftig geplant wird, dass er nicht zu ihren Lasten geht. Das wä- re Verantwortung zum Wohle unseres Landes, auf die ein Ministerpräsident und die Regierung verpflichtet, ja sogar vereidigt sind.

Die Bürgerinnen und Bürger wissen zudem, dass es die Sozialdemokraten waren, die im Koalitionskompromiss dafür gesorgt haben, dass Mitbestimmung, Gleichstel- lung, Kita-Standards und der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen Be- stand haben. Dies ist nun alles in Gefahr und ich sage den Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern: Nur bei einer sozialdemokratisch geführten Landesregie- rung wird es bei diesen Zusagen bleiben.

Herr Wadephul hat mich am letzten Freitag in seiner Rede vor diesem hohen Haus un- ter Verweis auf den Roman von Max Frisch als Brandstifter bezeichnet. Damit wollte er wohl dem amtierenden Ministerpräsidenten die Rolle des Biedermannes zuweisen. Dazu erlaube ich mir ein Zitat aus der wohl am weitesten verbreiteten Interpretation dieses Stücks: „Herr Biedermann ist ein ehrgeiziger Geschäftsmann, der nach mehr Ansehen und Beliebtheit strebt, und dabei über Leichen geht. Er denkt bei allen Ka- tastrophen zuerst daran, wie er sich selbst damit einen Vorteil verschaffen könnte, später will er nichts mehr damit zu tun haben. Er ist im Angesicht unliebsamer und schmerzlicher Erkenntnisse ein Meister der Verdrängung und des Vergessens.“ So weit die gängige Lesart des Stückes von Max Frisch, Herr Kollege Wadephul, die Sie als belesener Mensch sicherlich im Kopf gehabt haben werden. Das spricht doch für sich. -6-



Die Debatten der letzen zwei Wochen waren geprägt von dem beschriebenen Schein und Sein wie bei Max Frischs Biedermann. Und Georg Kreißler hat einmal gesagt: „Zerstören Sie einem Menschen seinen Schein und Sie werden sehen, wie schnell auch das Sein zu Ende ist.“

Vieles war in den letzten Tagen in Kiel mehr Schein als Sein, lassen Sie mich das an 7 Punkten deutlich machen:
1. Herr Ministerpräsident Carstensen, Sie haben gesagt, die SPD habe Sie zu dieser Vertrauensfrage gezwungen. Schließlich hätte ich Ihnen in der Rede vom Freitag, dem 17.., das Vertrauen entzogen. Das ist der Schein. Wahr ist aber doch, dass die Abge- ordneten Carstensen, Wadephul und Fraktion mit ihrem Antrag auf Auflösung des Landtages die Koalition bereits am 15. Juli aufgekündigt hatten. Und wahr ist, dass sie dies seit Monaten vorbereitet und immer wieder auch haben durchblicken lassen, zuletzt bei der frei erfundenen Behauptung vor 3 Monaten, die SPD selbst wolle Neu- wahlen, und mit ständig wiederholten schwarz-gelben Verlobungsfeierlichkeiten auf Schloss Gottorf und anderswo.

2. Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, haben mit dem Kollegen Dr. Wadephul die- sen Antrag damit begründet, dass die SPD nicht mehr zu den Konsolidierungsbe- schlüssen der Koalition stehen würde und daher unzuverlässig sei. Das ist der Schein. Wahr ist aber doch, dass wir noch am gleichen Morgen des 15. Juli die gemeinsamen Vereinbarungen eins zu eins in einem gemeinsamen Antrag hier im Landtag be- schlossen haben, die ich im übrigen in meiner Rede ohne Wenn und Aber unterstützt habe.

3. Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, haben unverdrossen und im Chor mit den Kollegen Wadephul und Kubicki behauptet, die SPD habe die Neuwahlentscheidung bis in die Ferienwoche hinein verzögert, weil wir auch nach Ihrem Koalitionsbruch im- -7-



mer noch gegen Neuwahlen seien und an einer gemeinsamen Regierung mit Koaliti- onsbrechern festhalten wollten – von Zwangsehe war da die Rede. Dies ist der Schein. Wahr ist aber doch, dass der von Ihnen so lang geplante Antrag für die Auflösung des Landtages verfassungswidrig gewesen wäre und sie erst nach Hilfestellung durch den klugen Verfassungsminister Lothar Hay Ihre Abstimmung auf den ersten Ferientag verschieben mussten. Wahr ist auch, dass Sie diese Vertrauensfrage bereits letzte Woche hätten stellen kön- nen und wahr ist auch, dass ein Rücktritt ebenfalls in der letzten Woche möglich ge- wesen wäre – nur eben die Ihnen angenehmste Lösung nicht. Und wahr ist eben auch, dass ich für die SPD-Fraktion am Freitag erklärt habe, dass wir sehr wohl zu schel- len Neuwahlen bereit sind, nachdem Sie diese Koalition gebrochen haben. Aber ich habe für die SPD-Fraktion hinzugefügt: Einem ehrlosen Antrag, der die Auflö- sungsentscheidung mit der angeblich mangelnden Zuverlässigkeit der SPD begründet, können und werden wir niemals zustimmen. Sie mögen einen machtpolitischen Sieg erringen, aber Sie werden diese sozialdemokratische Fraktion nicht dazu bringen, für Ministersessel unseren Stolz zu opfern. Und wahr ist schließlich, dass ich Ihnen prog- nostiziert habe, dass wir geschlossen abstimmen werden, was Sie immer bezweifelt haben, was aber genau so gekommen ist.

4. Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, werden nicht müde zu behaupten, dass die SPD-Fraktionsspitze und der SPD-Teil der Landesregierung der skandalösen Millio- nenzahlung an den HSH-Chef Nonnenmacher zugestimmt habe. Das ist der Schein. Wahr ist, dass Ihnen spätesten bei der deutlichen Kritik von Frau Erdsiek-Rave und mir in der Koalitionsrunde am 30.6. glasklar gewesen sein musste, dass wir diese Ent- scheidung nicht gutheißen, geschweige denn ihr unsere Zustimmung geben. Das hat Sie nicht daran gehindert, in einem Brief am 10.7. gegenüber dem Landtag die Unwahrheit zu behaupten, an der Sie dann noch eine Woche lang festgehalten haben. -8-



5. Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, haben am Montag behauptet, Sie hätten nach unserem Misstrauensantrag keine andere Wahl gehabt, als die Ministerinnen und Minister der SPD zu entlassen. Das ist der Schein. Wahr ist aber doch, dass Sie die Koalition aufgekündigt und diese fingierte Vertrauensfrage gestellt haben und dass Sie das, was Sie kurz zuvor noch öffentlich und gegenüber Frau Erdsiek-Rave explizit ausgeschlossen hatten – in voller Kenntnis über das Abstimmungsverhalten der SPD-Fraktion – eiskalt vollzogen haben.

6. Es wird immer wieder behauptet und medial kolportiert, hier gehe es um das per- sönliche Verhältnis zweier Männer. Das ist der Schein. Wahr ist, dass das Verhältnis für Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, nicht zufällig gerade dann nicht mehr trag- bar schien, als der nach den Umfragen günstigste Wahltermin per Koalitions- bruch zu erreichen war. Im übrigen finde ich es auch mehr als merkwürdig, ange- sichts der Aufgaben und der Verantwortung, die wir in diesem Land haben, solche al- bernen Fragen in den Vordergrund zu stellen. Die Menschen wenden sich von solchen Inszenierungen ab und ich bedauere den Anteil, den ich selbst dazu beigetragen habe. Schließlich geht es hier um etwas ganz anderes.

7. Heute handelt es sich scheinbar um eine ehrliche Vertrauensfrage, da Sie, Herr Ministerpräsident Herr Carstensen, in den letzten Tagen auch wirklich alles dafür ge- tan haben, den letzten Rest von Vertrauen in Sie und Ihre Rumpfregierung vollständig zu zerstören. Wahr ist aber dennoch, dass es eine fingierte, unehrliche Vertrauensfra- ge bleibt, da sie mit der Absicht gestellt wird, sie nicht zu gewinnen, also das Gegenteil zu bewirken, was Sie in Ihrem Antrag formulieren. Aber was bedeuten schon die Ab- sichten der Verfassungsgeber, wenn die Aussicht besteht, angesichts günstig erschei- nender Umfrageergebnisse die Macht zu sichern. Sie Herr MP Carstensen, hatten eine solche unehrliche Vertrauensfrage für sich bisher stets als Trickserei bezeichnet und ausgeschlossen. Das ist sie übrigens auch, weil unsere Verfassung eine fingierte Ver- trauensfrage nicht vorsieht – erst recht seit es das Selbstauflösungsrecht des Landta- -9-



ges gibt. Dieses allerdings dient eben nicht dem Zweck, parteitaktisch günstige Wahl- termine zu ermöglichen, was ich noch einmal ausdrücklich an Ihre Adresse, Herr Kubi- cki und Herr Wadephul, sage. Vieles spricht also dafür, dass diese Vertrauensfrage nicht verfassungsgemäß ist.

Ihr Rücktritt, Herr Ministerpräsident Carstensen, wäre der wirklich ehrliche Weg, wenn Sie eine Koalitionsregierung nicht mehr führen können oder wollen. Selbst die Zeitung „Die Welt“, nicht eben ein sozialdemokratisch gesonnenes Blatt, spricht vom schlüpfrigen Weg einer getürkten Vertrauensabstimmung.

Nein, Herr Ministerpräsident, ich bin der festen Überzeugung, dass Ihre Angst, den 27.9. nicht zu erreichen, so groß war, dass Sie nicht die leiseste Chance offenlassen durften, dass die SPD sich der Vertrauensfrage womöglich noch hätte verweigern können, obwohl das schon eine abenteuerliche Vorstellung ist. Deshalb haben Sie die Leistungsträger dieses Kabinetts entlassen. Was für ein jämmerlicher Grund für einen jämmerlichen Akt!

Der Tenor, mit dem Herr Carstensen die unehrliche Vertrauensfrage, den stillosen Rausschmiss der SPD-Ministerinnen und -Minister bedauert, erinnert mich an ei- nen anderen Klassiker. An die Leonore in Goethes Torquato Tasso. Sie sagt dort: Wie jammert mich das edle, schöne Herz! Welch traurig Los, das ihrer Hoheit fällt! Ach sie verliert - und denkst du zu gewinnen? Ist's denn so nötig, dass er sich entfernt? Machst du es nötig, um allein für dich Das Herz und die Talente zu besitzen, Die du bisher mit einer andern teilst Und ungleich teilst? Ist's redlich so zu handeln? Bist du nicht reich genug? Was fehlt dir noch?“ - 10 -



Solche Spiele sind eines Ministerpräsidenten nicht würdig und das wissen Sie auch. Wir stecken mitten in der größten Wirtschafts- und Finanzkrise unseres Landes und dies ohne den kompetenten, anerkannten Arbeitsminister Uwe Döring. Das nenne ich verantwortungslos.

Der Landtag hat der HSH Nordbank Mittel und Bürgschaften in einem nie gekannten Umfang gegeben, ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss hat gerade seine Arbeit aufgenommen. Und was passiert? Der Landtag wird aufgelöst. Das nenne ich verantwortungslos.

Es gab Anfang dieses Monats einen erneuten Störfall in Krümmel und es bedarf mehr denn je einer funktionierenden Atomaufsicht und einer kompetenten politischen Vertretung - die zuständige erfahrene Ministerin Gitta Trauernicht wird entlassen, der Nachfolger ist, wie er gestern selbst bei Facebook hat wissen lassen, alles andere als begeistert. Das nenne ich verantwortungslos.

Im Bildungsbereich sind nicht nur umfangreiche Investitionen zu koordinieren, son- dern auch die neuen Schulformen, die geänderte ersten Grundschuljahre, der Ausbau der Kinderbetreuung, der Ausbau der Ganztagsschulen zu begleiten - ohne die Minis- terin Ute Erdsiek-Rave, die mit Kompetenz und Verantwortung die Vorstellungen bei- der Koalitionspartner konsequent umgesetzt hat. Das nenne ich verantwortungslos.

Die Kommunen werden einen massiven Einbruch ihrer Steuereinnahmen haben und doch schwerpunktmäßig für das entscheidende Konjunkturprogramm zuständig sein - ohne den kompetenten, sachorientierten Kommunalminister Lothar Hay. Das nenne ich verantwortungslos. Und mit der angekündigten Entlassung der sozialdemokratischen Staatssekretäre fehlt auch in der 2. Reihe die 1. Klasse. - 11 -



Ihrer Rest-Regierung, Herr Ministerpräsident, fehlt die Kompetenz und der Anstand. Sie sind vollständig gescheitert. Der gerade Weg wäre Ihr Rücktritt gewesen – aber dazu, Herr Ministerpräsident, hat Ihnen leider das Format gefehlt. Einen solchen Minis- terpräsidenten, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann sich unser schönes Land Schleswig-Holstein nicht leisten.

Herr Carstensen sagte noch an diesem Montag, die SPD wolle sich aus der Regie- rungsverantwortung stehlen und wenige Stunden später entlässt dieser Ministerpräsi- dent die SPD-Minister. Wer so verbissen wahltaktisch vorgezogene Neuwahlen be- treibt, wie Sie, Herr Ministerpräsident, der stiehlt sich aus der Verantwortung.

In dieser Wirtschafts- und Finanzkrise müssen wir bis zum Wahltag unsere Verantwor- tung als Parlamentarierinnen und Parlamentarier wahrnehmen. Wir werden deswegen die Regierungserklärung zu Krümmel sorgfältig diskutieren, für uns wird die Kollegin Trauernicht sprechen und wir werden hoffentlich einen Antrag beschließen, der die Rumpfregierung zu wirksamen Maßnahmen für die Stilllegung zwingt.

Wir werden im September in den Ausschüssen arbeiten und wie im Finanzausschuss die tatsächlichen Vorstandvergütungen ebenso prüfen wie die tatsächliche wirt- schaftliche Situation der HSH Nordbank, über die immer abenteuerlichere Nachrich- ten an die Öffentlichkeit gelangen.

Wir nehmen Verantworten für unser Land wahr und werden in der Landtagssitzung im September versuchen, aufgeschobenen Entscheidungen und in den Ausschüssen schmorende Gesetze und Anträge zu beschließen, wir können den Datenschutzbeauf- tragten, Herrn Weichert, im Amt bestätigen, die Kreisordnung verabschieden, die un- terirdische CO2-Deponierung in Schleswig-Holstein endgültig beerdigen und z. B. eine faire Bleiberechtsregelung für Flüchtlinge einfordern. - 12 -



Wir hatten die Beschlüsse, die Kompetenz und von Seiten der SPD auch den Willen, die Konsolidierung des Landeshaushaltes endlich einzuleiten, und uns effektiv um die Unternehmen und Beschäftigten dieses Landes zu kümmern – die CDU- Landtagsfraktion hat all das aus wahltaktischem Kalkül beiseite geschoben und, Herr Ministerpräsident, es wird doch immer offenkundiger, dass das besorgniserregende Missmanagement bei der HSH Nordbank, das Ihnen schon vor Monaten Ihr eigener Wirtschaftsminister Marnette vorgeworfen hat, Sie jetzt dazu bringt, durch eine vor- gezogene Neuwahl davon ablenken zu wollen: Verantwortung sieht anders aus.

Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, sagen so oft: „Erst kommt das Land, dann die Koalition und dann die Partei.“ Ihr Handeln dokumentiert genau das Gegenteil. Sie ziehen den mit der FDP verabredeten Koalitionsbruch eiskalt durch. Erst Ihre Par- tei, dann die schwarz-gelbe Traumpartnerschaft und ganz zuletzt unser Land Schles- wig-Holstein. Mögen Sie diesen kurzzeitigen Machtwechsel auch als Tagessieg emp- finden, ihm fehlt jede Legitimation und Moral und das, Herr Ministerpräsident, werden Ihnen die Menschen in Schleswig-Holstein nicht durchgehen lassen.

Ein Ministerpräsident, der das Vertrauen des Landtages verdient hat, sagt im Landtag die Wahrheit. Ich verweise hier auf den Kollegen Günter Neugebauer, der auf die An- fänge seiner parlamentarischen Tätigkeit hier in diesem Hause hingewiesen hat. Sie Herr Ministerpräsident Carstensen, haben die Menschen in Schleswig-Holstein und dieses Parlament belogen. Mit einem offenkundig falschen Schreiben. Die Vorstel- lung, Sie hätte entweder diesen 1 ½ Seiten langen Brief nicht gelesen oder nicht ver- standen – das will ich Ihnen bei einer solch wichtigen Angelegenheit wirklich nicht un- terstellen und das wäre im übrigen schon schlimm genug. Viel wahrscheinlicher ist: Sie haben vorsätzlich die Unwahrheit gesagt, Ihr Brief stammt von 10. Juli und spätes- tens seit dem 30. Juni konnten Sie keine Zweifel mehr an unserer Kritik haben. - 13 -



Eine Woche lang habe ich die angebliche und von Ihnen behauptete Zustimmung der SPD-Landtagsfraktion zurückgewiesen und wurde in großen Zeitungsüberschriften da- für der Lüge verdächtigt, fünf Tage lang hat es Ihr eigener Fraktionsvorsitzender, der Kollege Wadephul, bestätigt. Nachdem in den Zeitungen hoch und runter spekuliert wurde, was denn nun stimme, fällt Ihnen am Sonntag ein, dass sie „vielleicht etwas flott darüber hinweggegangen seien“: Nein, Herr Ministerpräsident, an einen angeblichen Flüchtigkeitsfehler könnte man glauben, wenn Sie ihn zumindest dann eingeräumt hätten, als ihr Fraktionsvorsitzender dem widersprach. Aber nein – Sie haben eine Wo- che lang darauf gesetzt, dass man Ihrem Wort mehr vertrauen würde als meinem, und kolportiert, dass ich zumindest ja nicht nein gesagt hätte und das doch vielleicht doch so verstanden werden könne - das war schäbig und ich bin froh, dass Sie damit nicht durchgekommen sind.

Ganz anders übrigens die honorige Erklärung des Kollegen Lothar Hay, der von seiner Information am 23. Juni berichtet hat und von seiner Plausibilitätseinschätzung nach telefonischer Schilderung durch Herrn Wiegard, dass der gewählte Weg das Land Schleswig-Holstein weniger koste. Aber – und das lassen Sie immer weg: Weder Herr Hay noch sonst jemand von der SPD wusste von den Details der November- Entscheidung des Präsidialausschusses, niemand wusste von der Sitzung dieses Ausschusses am 26. Juni, niemand wusste, dass Herr Nonnenmacher bereits im Mai gekündigt hatte und niemand wusste von weiteren Zahlungen an das entlassene Vor- standmitglied Roth.

Sie sollten aufhören, Herrn Hay dafür in Anspruch zu nehmen, es habe angeblich doch die Zustimmung der SPD im Kabinett, im Aufsichtsrat oder bei den Fraktionsspitzen gegeben. Sie haben das zu verantworten und das ganz alleine. Es wäre auch glaub- würdiger, wenn nicht Ihr Finanzminister in derselben Woche noch die finanzpolitischen Spitzen der Landtagsfraktionen über die Zahlung an Herrn Nonnenmacher ebenfalls - 14 -



falsch informiert hätte – Nein: Sie wollten die Verantwortung für die Entscheidung unter den Teppich kehren. Aus dieser Verantwortung entlassen wir Sie nicht.

Ein Ministerpräsident, der das Vertrauen des Landtages verdient hat, der versieht sein Amt mit Stil und Würde. Sie Herr Ministerpräsident Carstensen, werfen die Ministerin- nen und Minister beim ersten Anlauf sogar binnen Stundenfrist raus und haben nicht einmal den Mumm, es ihnen selbst zu sagen, sondern lassen es über Ihren Staatssek- retär ausrichten. Das ist stillos, das ist würdelos, das tut man nicht!

Die sozialdemokratische Fraktion in diesem Hause bedankt sich für die ausgezeichne- te Arbeit von Ute Erdsiek-Rave, Gitta Trauernicht, Uwe Döring und Lothar Hay und Wolfgang Meyer-Hesemann, Hellmut Körner, Ulrich Lorenz und Eberhard Schmidt- Elsaeßer. Ein solch unwürdiger Stil kann ihre Leistung nicht schmälern und sie nicht treffen. Wir werden auf ihre Erfahrung und Kompetenz bauen.

in dieser großen Wirtschaftskrise braucht Schleswig-Holstein einen Ministerpräsiden- ten, der sich für die Probleme des Landes wirklich interessiert, der für Bildungsgerech- tigkeit ohne strukturelle und finanzielle Barrieren eintritt, der für gute und fair bezahlte Arbeit ist, der für eine Politik für Familien und Kinder und für den ökologischen Umbau, die Energiewende wirklich eintritt.

Die Schleswig-Holsteiner haben keinen Ministerpräsidenten verdient, der seine politi- schen Vorstellungen über Bord wirft und anderen nach dem Mund redet: Wer bei der Polizei in Eutin Unterstützung verspricht und dann fast 300 Polizeistellen einsparen will, wer kurz vor den Wahlen angeblich von den stets begeistert geforderten Studien- gebühren Abstand nimmt, aber nicht sagt, wie er die Universitäten finanzieren will, – bei den Steuersenkungsplänen seiner Partei -, der ist nicht glaubwürdig. - 15 -



Die Menschen in Schleswig-Holstein haben einen Ministerpräsidenten verdient, der führt und Orientierung bietet und nicht jedes Mal, wenn der Wind von vorne weht, um- knickt. Ich stehe zu einer konsequenten Verwaltungsstrukturreform und zu einer Rei- chensteuer, die einen Teil der dringenden Bildungsausgaben finanzieren kann. Und die SPD Schleswig-Holstein wird auch nach der Wahl die Deponierung von CO2 in Schleswig-Holstein verhindern. Wir werden gemeinsam mit den Grünen und dem SSW einen Antrag einbringen, der Maßnahmen einfordert, die es wirklich und auch rechtlich einwandfrei und nicht per ordre de mufti ermöglichen, Krümmel endgültig vom Netz zu nehmen und nicht nur in unzähligen Interviews dazu zu reden, Herr Ministerprä- sident.

In dieser Krise braucht das Land einen Ministerpräsidenten mit Kompetenz, Gradlinig- keit und Durchsetzungsvermögen und einen, der solche grundsätzlichen Probleme wie bei der HSH oder dem Atommeiler Krümmel nicht versucht wegzuschieben oder zu vertuschen und den Kopf in den Sand steckt, wie Ihr ehemaliger Wirtschaftsminister, Herr Marnette, Ihnen gerade erst wieder öffentlich bescheinigt hat.

Nicht nur in dieser Krise braucht das Land einen Ministerpräsidenten, dessen Wort länger gilt als nur für einen Tag – ich denken da nur an Ihre Aussagen gegenüber Frau Erdsiek-Rave - und wenn Sie jetzt sagen, Herr Ministerpräsident, Sie wollten das gar nicht, aber Ihre Fraktion habe Sie dazu gezwungen, so macht das die Sache nicht et- wa besser sondern schlimmer.

Lassen Sie mich zum Schluss auf Goethes schon zitierte Rede Leonores zurückkom- men: Und dann, ich will mit meinem Freunde nicht Von ihr und diesem Hofe mich verbannen; Ich komme wieder, und ich bring' ihn wieder. - 16 -



Ein Ministerpräsident, der das Vertrauen des Landtages verdient hat, stellt das Wohl des Landes, auf das er vereidigt ist, über das der Partei – das haben Sie nicht getan. Deswegen wird ihnen dieser Landtag zu Recht nicht das Vertrauen aussprechen. Sie bekommen, was Sie sich wahltaktisch wünschen. Jetzt haben die Bürgerinnen und Bürger das Wort. Sie werden merken, dass die Ent- scheidung über die zukünftige Regierung Schleswig-Holstein nicht in Ihren schwarzgel- ben Vorverhandlungen oder in Umfragen fällt, sondern am Wahltag.

Herr Ministerpräsident, Sie mögen heute kurzfristig mehr Macht gewonnen haben – das Vertrauen haben Sie nicht nur in diesem Hause verloren. Das ist kein guter Tag für Schleswig-Holstein.

Die Sozialdemokraten werden für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger auch mit unseren Zukunftskonzepten werben und um jede einzelne Stimme kämpfen.