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17.07.09
10:40 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zur Auflösung des Parlamentes

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort Schleswig-Holstein Pressesprecherin TOP – Auflösung des Parlamentes Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Dazu sagt der Vorsitzende der Fraktion Telefon: 0431 / 988 - 1503 Bündnis 90/Die Grünen, Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53 Karl-Martin Hentschel: presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 315.09 / 17.07.2009



Schluss mit dem Beziehungsdrama Wir brauchen Visionen für die Zukunft des Landes
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Schleswig-Holstein steht vor gravierenden Problemen:
Wir befinden uns mitten in einer internationalen Finanzkrise, die gerade beginnt, die Wirtschaft in ein tiefes Tal zu reißen.
Wir stehen vor einem Einbruch der Einnahmen des Landes, der vermutlich ohne glei- chen ist in der Geschichte des Landes und der die Einbrüche von 2002 und 2005 – als wir über vie Prozent Einnahmenrückgang hatten – noch deutlich übertreffen dürfte.
Wir stehen vor radikalen Weichenstellungen in der Klimapolitik, wenn wir nicht wollen, dass Ende des Jahrhunderts ein Drittel des Landes unter Wasser steht.
Und wir stehen vor einer sozialen Krise: Denn angesichts der Wirtschaftsentwicklung klafft die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auf und immer mehr Menschen fragen sich, ob es noch gerecht zu geht in diesem Land? Oder ob die reichen Nonnen- machers nicht immer mehr absahnen während wachsende Arbeitslosenzahlen Men- schen in Armut und Verzweiflung treiben.
Angesichts dieser Lage ist der Rosenkrieg, den die regierende Koalition in den vergan- genen Monaten aufgeführt hat, unverständlich, unwürdig und unverzeihlich!


Seite 1 von 6 Meine Damen und Herren, ich hätte es sehr gut verstanden, wenn Sie sich in den letzten Monaten um inhaltliche Konzepte gestritten hätten. Das hätte ich verteidigt. Denn Demokratie braucht den Aus- tausch von Argumenten, der oft als Streit denunziert wird. Aber darum ging es nicht.
Sie haben hier am Mittwoch – vorgestern – noch einmütig einen Nachtragshaushalt und ein Positionspapier verabschiedet, das Sie beide mit großen Tönen als zukunftsweisend gelobt haben. Es gab offensichtlich keine wesentlichen inhaltlichen Differenzen über den Kurs!
Dabei war an Ihren Papieren gar nichts zukunftsweisend. Sie haben einen Haushalt verabschiedet, in dem nichts aber auch gar nichts davon erkennbar war, dass Sie die Weichen in der Politik des Landes neu stellen wollen.
Und sie haben ein Papier verabschiedet, dem man kaum etwas anderes als Realitäts- verlust bescheinigen kann.
Aber hat denn einer von Ihnen beiden irgendeine Kritik an diesem Papier geübt? Hat einer von Ihnen weitergehende Sparentscheidungen gefordert? Hat einer von Ihnen weitergehende Weichenstellungen in eine andere Politik gefordert? Hat einer von Ihnen öffentlich ein Positionspapier vorgelegt, wie Sie die Probleme des Landes lösen wollen?
Ich muss feststellen: In allen Punkten Fehlanzeige! Anstelle einer Auseinandersetzung um inhaltliche Konzepte gab es nur permanente Versuche, den Partner zu diskreditie- ren.
Da streut der Finanzminister Gerüchte, die SPD sei nicht vorbereitet gewesen – was die SPD anschließend postwendend dementiert. Da schreibt die SPD Briefe, die CDU hätte bei der Polizei operativ sparen wollen, was die CDU ebenso entschlossen postwendend dementiert.
Da führt die CDU die SPD als verlogen vor, weil sie sich von den Beschlüssen der HSH Nordbank distanziert, obwohl Ihre Vertreter im Aufsichtsrat gesessen haben. Da wirft die SPD Carstensen Lüge vor, weil er fälschlicherweise geschrieben hat, die Faktions- spitzen hätten der Entscheidung zugestimmt.
An all diesen Vorwürfen ist sicher so manches zutreffend. Aber entscheidend ist doch: Diese Art der Auseinandersetzung hat nichts, aber auch gar nichts mit unterschiedli- chen Positionen zu tun. Hier geht es nicht im Geringsten um einen Streit in der Sache.
Sie verhalten sich original wie ein verbittertes Ehepaar in einer zerrütteten Ehe: Jeder sucht nur noch gezielt nach Stichworten, mit denen er den andern maximal reizen und zur Wut bringen kann.
Ich halte deshalb fest: Der Grund für das Scheitern dieser Koalition liegt nicht daran, dass SPD und CDU inhaltlich nicht mehr zusammengefunden haben. Er liegt in der Un- fähigkeit der Regierung, Regierungshandeln ordentlich zu organisieren, in der man- gelnden sozialen Kompetenz der Akteure und in dem Mangel an politischen Visionen.
Meine Herren Carstensen, Stegner, Wiegard und Wadephul, hören Sie auf, sich gegen- seitig die Schuld zu geben! Niemand will das noch hören!
Und das sage ich ganz besonders auch in Hinblick auf den bevorstehenden Wahl-
2 kampf! Seien Sie ehrlich! Suchen sie die Schuld auch einmal bei sich selbst. Das kommt viel besser an!
Natürlich hat die Staatskanzlei mit ihrem organisierten Chaos ganz erheblich zu der Kri- se beigetragen. Unklare Entscheidungsstrukturen führen genau zu den Missverständ- nissen, aus denen dann in gereizter Atmosphäre erneut Misstrauen und Wut beim Part- ner produziert wird.
Herr Carstensen, es wäre sehr gut wenn sie einsehen: Eine Staatskanzlei ist kein Kum- pelladen, wo man seine Buddies unterbringt, gute Laune pflegt und sich über den Koali- tionspartner amüsiert.
Aber – Herr Stegner – natürlich hat auch Ihr Ansatz, Politik als theatralische Veranstal- tung zu verstehen, erheblich zu der Situation beigetragen. Ja – man kann damit die Bühne beherrschen – und das ist ihnen ja auch gelungen. Aber irgendwann laufen Sie dann Gefahr, dass die BürgerInnen das Stück nicht mehr sehen wollen. Dann wenden diese sich mit Grausen ab, weil sie ganz schlicht und einfach nur ordentlich regiert wer- den wollen.
Und Herr Wiegard, auch Ihnen hätte ein bisschen mehr Demut angesichts der Vergan- genheit Ihrer Fraktion in der letzten Legislaturperiode gut angestanden. Wenn aber ein Minister keine transparente Informationspolitik mehr über öffentliche Gremien und Pres- sekonferenzen mehr macht, sondern nur noch mit Hintergrundgesprächen operiert, ü- ber die dann anschließend Sticheleien und Gerüchte über den Koalitionspartner verbrei- tet werden, dann trägt das nicht gerade zu einer Vertrauenskultur bei.
Angesichts dieser Art von Politik der Misstrauenskultur hatten wir als Opposition ja manchmal das Gefühl, dass wir überflüssig sind – weil die Regierung die Opposition gegen sich selbst gleich mitliefert und sich selbst zertrümmert.
Den Schaden davon hat aber das Parlament als Ganzes. So zerstört man das Vertrau- en der Menschen!
Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident stellte vorgestern fest, dass er in dieser Regierung nicht mehr wei- termachen kann und fordert Neuwahlen. Deswegen haben wir hier gemeinsam mit CDU, FDP und SSW einen Antrag auf Neuwahlen gestellt. Denn so geht es nicht wei- ter.
Ich sage an dieser Stelle aber auch ganz deutlich: Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Abgeordneten der CDU, dass der Bruch der Koalition vorgestern kein Zufall ist. Dieser Bruch ist seit langem geplant, um die Landtagswahl gemeinsam mit der Bundestags- wahl durchführen zu können.
Die CDU hofft auf diese Weise sich im Schatten der Bundestagswahl durchschummeln zu können und zu einer schwarz-gelben Mehrheit mit der FDP zu kommen. Die CDU hatte die Befürchtung, dass bei einem Wahltermin im nächsten Mai der Höhenflug der FDP wieder vorbei ist und sie hier schlechte Karten haben.
Die CDU flüchtet sich schnell in die Wahlen, bevor der Untersuchungsausschuss noch weitere Vorgänge über die Katastrophe der HSH Nordbank und die Politik ihres Fi- nanzministers aufdeckt.

3 Sie hoffen so durchzukommen, ohne dass es zu einer politischen Auseinandersetzung über die gescheiterte Politik dieser Koalition in Schleswig-Holstein kommt.
Aber ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wir werden – trotzdem wir das wissen – das E- lend Ihrer Regierung nicht künstlich verlängern. Wir stimmen für den Antrag auf Auflö- sung des Parlamentes, weil wir dieses Elend nicht weiter mit ansehen können.
Aber wir werden Ihnen Ihre Taktik auch nicht einfach durchgehen lassen!
Wir fordern Sie heraus, um die inhaltlichen Konzepte in diesem Lande zu streiten. Wir fordern Sie auf zu einem kreativen Wettstreit um Visionen!
Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD – ich erinnere mich sehr gut an den Alt- bundeskanzler Schmidt, der einmal sagte: „Wer Visionen hat, sollte lieber gleich zum Arzt gehen.“ Das war in meinen Augen der Anfang vom historischen Niedergang der Sozialdemokratie!
Denn ich bin überzeugt: Wir brauchen Visionen, wenn wir die Welt zum Besseren ver- ändern wollen. Denn wie sonst wollen wir die Menschen dafür begeistern, dass ein Ruck durch diese Republik geht und wir uns der Zukunft zuwenden.
Worum geht es in diesem Wahlkampf – meine Damen und Herren? Es geht in diesem Wahlkampf darum, wesentliche Fragen über die Zukunft dieses Landes zu klären. Und da sind wir alle gefordert!
Und das möchte ich Ihnen an Fünf zentralen Punkten erläutern:
Erstens: Es geht um die Frage, wie wir zehn Prozent der Ausgaben dieses Landes einsparen können, ohne das Land tot zu sparen! Denn das ist die Vorgabe der Schuldenbremse, an die wir gebunden sind.
Die beiden zerstrittenen Regierungsfraktionen haben uns hier vorgestern ein Konzept vorgelegt, bei dem die Hauptlast der Einsparungen im Bildungsbereich liegt, weil sie glauben, dort den demografischen Faktor nutzen zu können.
Wir haben Ihnen einen Gegenentwurf vorgelegt, der von Ihnen endlich den Mut zu einer radikalen Verwaltungsreform fordert. Wir brauchen eine radikale Reform der Kommu- nalverwaltungen, wie bei unseren Nachbarn in Niedersachsen oder in Dänemark längst durchgeführt wurde.
Wir brauchen eine radikale Reform der Verwaltungen des Landes von den Katasteräm- tern bis hin zu den Straßenbaubehörden – und dazu gehört auch eine tabulose Diskus- sion über die Chancen eines gemeinsamen Nordstaates Nordelbien. Wir müssen dar- über diskutieren, wie die Polizei und die Justiz, die bereits heute bis an die Grenzen des Zumutbaren belastet sind, strukturell entlastet werden können.
Zweitens: Einige von Ihnen vertreten immer noch die Theorie, wir müssten erst die Wirtschaft zum Laufen bringen, den Haushalt sanieren und dann könnten wir uns den ökologischen und sozialen Problemen zuwenden.
Ich halte genau das für einen gravierenden Fehler! Wenn wir schon Milliarden investie-
4 ren, um die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen, dann bitte doch nicht so, dass wir versuchen mit Abwrackprämien und Straßenbau die alten Strukturen zu erhalten und zu zementieren.
Nein – wir sollten vielmehr mit intelligenten Programmen Anreize für den rapiden Aus- bau von Windenergie und Solarenergie geben, wo die Arbeitsplätze der Zukunft zu Tausenden entstehen.
Wir sollten die Rahmenbedingungen schaffen für den Ausbau von neuen Höchstspan- nungsleitungen um die Wasserkraftwerke in Norwegen und in den Alpen, die Wind- kraftwerke in Norddeutschland, und die Solarkraftwerke in Südeuropa und Nordafrika zu einem Verbund zusammenzuführen.
Lassen Sie uns mit allen Kräften jetzt die Vorraussetzungen schaffen, um ohne neue Kohlekraftwerke die Atomkraftwerke in 15 Jahren abzuschalten. Lassen Sie uns alles tun, um die störanfälligen Reaktoren in Krümmel, Brunsbüttel und anderswo schnellst- möglich stillzulegen.
Lassen sie uns mit intelligenten Programmen die Wärmesanierung unserer Wohnhäu- ser vorantreiben und so Tausende Arbeitsplätze für das Handwerk allein in Schleswig- Holstein neu schaffen.
Genau darum nämlich geht es: Wir müssen Finanzprobleme, Klimaprobleme, Umwelt- probleme und soziale Probleme im Zusammenhang begreifen und abgestimmten Lö- sungskonzepte entwickeln.
Drittens: Wir müssen in den kommenden Jahren die Weichen für eine Bildungspolitik stellen, die endlich mit der Chancengleichheit ernst macht. Wir brauchen einen flächendeckenden Einstieg in die Kinderbetreuung unter drei, damit alle Kinder die gleiche Chance von An- fang an haben.
Wir brauchen ein Ende des Sortierens von Kindern nach sozialem Hintergrund und wir müssen bei der Berufsausbildung und dem Studium dafür sorgen, dass alle Jugendli- chen eine qualifizierte Berufsausbildung bekommen und alle Begabungsreserven für ein Studium ausgeschöpft werden.
Viertens: Angesichts der älter werdenden Menschen stellen sich zwei große soziale Aufgaben in den kommenden Jahren: Und das sind der Ausbau des Gesundheitssystems und die Betreuung alter Menschen.
Wir müssen endlich verstehen, diese Herausforderungen als eine Chance zu begreifen. Es geht um die Mobilisierung von Ressourcen, es geht aber eben auch um einen Sek- tor, in dem in den kommenden Jahren in Deutschland hunderttausende neuer Arbeits- plätze entstehen werden und entstehen müssen.
Fünftens: Gerade wir hier in Schleswig-Holstein mit unseren dominierenden landwirtschaftlichen Flächen müssen endlich begreifen, dass Naturschutz und Landwirtschaft kein Gegen- satz sein müssen.
Es ist ein großer Unsinn, dass wir hunderte von Millionen Euro in eine Landwirtschaft
5 stecken, deren Folgen fast die Hälfte der Arten in Schleswig-Holstein mit dem Ausster- ben bedroht. Und zugleich stecken wir dreistellige Millionenbeträge in Naturschutzpro- gramme, um die Schäden zumindest zu begrenzen.
Dieser Unsinn – in den wir seit vielen Jahren von der Agrarlobby getrieben worden sind – muss endlich aufhören. Wir müssen endlich die Agrarsubventionen strikt an Natur- schutzauflagen binden. So können wir viele Millionen sparen und der einen radikalen Wandel im Verhältnis von Naturschutz und Landwirtschaft einleiten.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen fünf Punkte genannt, über die es sich wirklich lohnt, hier im Parlament zu streiten. Ich habe sie ausgewählt, weil es sich um zentrale Zukunftsfragen handelt, die wir in den kommenden Jahren alle gemeinsam lösen müssen, egal welche Regie- rung hier regiert.
Ich fordere Sie deshalb auf, hören wir auf, uns gegenseitig zu beschädigen. Seien wir selbstkritisch.
Auch wir Grüne haben während der Regierungsjahre Fehler gemacht. Auch wir haben zu wenig Anstrengungen gemacht, um für die kommenden Generationen zu sparen.
Es war ein Fehler, dass wir unter Rot-Grün den Spitzensteuersatz mehr gesenkt haben, als in anderen europäischen Ländern. Es war ein Fehler, Arbeitslosengeld und Sozial- hilfe zusammenzulegen, ohne zugleich flankierend den Mindestlohn und eine Entlas- tung der Niedrigverdiener durchgesetzt zu haben.
Meine Damen und Herren, es hilft uns allen nichts, so zu tun, als seien nur die anderen die Blödmänner. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam daraus lernen. Lassen Sie uns für die Zukunft dieses Lan- des streiten.
Und ich habe die feste Überzeugung, wenn wir so einen Wahlkampf hinkriegen, dann können wir auch eine Regierung bilden, die konstruktiv die Aufgaben der Zukunft in An- griff nimmt.
Dafür werden wir streiten. Und deswegen werden wir dem vorliegenden Antrag zustim- men.

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