Jutta Schümann zu TOP 6: Regelungen für eine fortschrittliche, emanzipatorische Lebenswirklichkeit
Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Kiel, 18.06.2009 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 6, Pflegegesetzbuch Schleswig-Holstein – Zweites Buch – (PGB II) – Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung (Drucksache 16/2290, 16/2704)Jutta Schümann:Regelungen für eine fortschrittliche, emanzipatorische LebenswirklichkeitMit Inkrafttreten der Föderalismusreform 2006 ist die Gesetzgebungskompetenz für das Heimrecht auf die Länder übertragen worden. Das Heimgesetz des Bundes war in erster Linie ordnungsrechtlich ausgerichtet auf die besondere Schutzbedürftigkeit älte- rer und behinderter Menschen in stationären Einrichtungen der Alten- und Behinder- tenhilfe und der Pflege. Diese traditionelle Ausrichtung entspricht bereits seit Jahren weder dem Selbstverständnis älterer und behinderter Menschen, noch wird sie den heutigen fachpolitischen Ansprüchen gerecht.Bereits seit Jahren fordern sowohl älter werdende, als auch behinderte Menschen mehr Eigenverantwortung, Recht auf Selbstbestimmung, Teilhabe und Normali- tät, bei gleichzeitiger Wahrung der jeweiligen Schutzbelange für sie selbst. Den heuti- gen Anforderungen an die Transparenz der Leistungsangebote von Pflege und Betreuung und der Stärkung von Kundensouveränität, wie es der Verbraucherschutz voraussetzt, genügt das bisherige Heimgesetz nicht.Die Entscheidung der Föderalismusreform hat zwar den Nachteil, dass wir jetzt bun- desweit unterschiedliche landesrechtliche Regelungen vorfinden, und damit auch un- terschiedliche Standards in den Ländern, wie man es z.B. in Bayern oder im SaarlandHerausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-sieht, die lediglich das alte Heimrecht fortgeschrieben haben. Nach der Föderalismus- reform besteht die Chance, landesrechtlich eigene politische Akzente zu setzen und dieses ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter Lesung verabschieden und auf den Weg bringen, auch erfolgt.Bereits in der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein haben wir dem Schutz der Rechte und Interessen pflegebedürftiger Menschen und der Förderung einer men- schenwürdigen Versorgung einen besonderen Rang eingeräumt. Diesen Verfassungs- anspruch werden wir mit dem vorliegenden Gesetz zur Stärkung von Selbstbestim- mung und Schutz von Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung gerecht.Folgende Grundsätze werden verfolgt: 1. Grundsatz: Schutz gewährleisten und Selbstbestimmung stärken. Der Schutz von Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung ist seit langem ei- ne sozial-staatliche Aufgabe und sie muss es auch bleiben. Dennoch darf dieser Schutz nicht Abhängigkeit, Einschränkung und möglicherweise Bevormundung bedeu- ten. Auch Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderung haben ein Anrecht darauf, möglichst selbstbestimmt und unabhängig leben zu können. Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn als erstes Ziel des Gesetzes Vorschriften zur Stärkung von Belangen des Verbraucherschutzes festgeschrieben werden. Wenn z.B. vorgeschrieben wird, dass über notwendige Pflege- und Betreuungsangebote In- formationen und Beratungsangebote zur Verfügung gestellt werden müssen. Dass An- laufstellen für Krisensituationen vorzuhalten sind und dass die Stärkung von Kompe- tenz, Souveränität und Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe sowie die Einbezie- hung von Angehörigen und von bürgerschaftlich engagierten Personen systematisch mit berücksichtigt wird.2. Grundsatz: Schutz in verschiedenen Wohn-, Pflege- und Betreuungsformen gewährleisten. -3-Wir regeln die Geltungsbereiche für stationäre Einrichtungen und andere Wohn-, Pfle- ge- und Betreuungsformen neu. Dabei wird zukünftig der Begriff „Heim“, mit dem wir Fürsorge, Abhängigkeit und manchmal auch Bevormundung assoziieren, ersetzt durch den Begriff „stationäre Einrichtung“. Zukünftig wird es zusätzlich, gesetzlich geregelt, Einrichtungen des betreuten Wohnens und selbstverantwortlich geführte Wohn- und Hausgemeinschaften geben z.B. als Angebot für Menschen mit demenziellen Erkran- kungen.3. Grundsatz: Sicherstellung der Rechte und des Schutzes von Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder mit Behinderung, unabhängige Wohn-, Pflege- und Betreuungsformen. Neben den vorgesehenen Schutz- und Fördermaßnahmen gehören ebenfalls Auskunfts- und Beratungsansprüche, die Gewährleistung der Beratung und Hilfe in akuten Fällen sowie die Beratung bei Beschwerden dazu. Dabei besteht die Absicht, dass Einrichtungen des Verbraucherschutzes und andere geeignete Institutionen ein- bezogen werden können und es ist selbstverständlich, dass der Beratungsauftrag sich auch auf den Bereich der neuen, bzw. alternativen Wohnformen erstreckt.4. Grundsatz: Förderung der Teilhabe und Stärkung persönlicher Kompetenz, Mitverantwortung von an der Pflege und Betreuung beteiligten Personen. Auch hier wird in Abkehr von der traditionellen Sichtweise des Heimgesetzes die För- derung der Teilhabe und die Stärkung der persönlichen Kompetenz in den Mittelpunkt gestellt. Das Gesetz fördert ganz gezielt die Vernetzung unterschiedlicher Kontroll- ebenen, z. B. der Heimaufsicht und des medizinischen Dienstes, mit den Möglichkei- ten der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit, z. B. durch bürgerschaftlichen Einsatz. Konkret heißt das, dass Anbieter von Dienstleistungen der Pflege und Betreuung sich für die Begleitung durch Angehörige und bürgerschaftlich Engagierte öffnen sollen und mehr Mitwirkung zu ermöglichen haben. -4-5. Grundsatz: Situations- und bedarfsbestimmte Wahrnehmung von Schutzbe- langen der Betroffenen in den verschiedenen Wohn-, Pflege- und Betreuungs- formen. Das Gesetz regelt im § 8 ein neues Angebot, das ganz gezielt Selbstständigkeit und Autonomie von Menschen mit Pflegebedarf oder Menschen mit Behinderung unter- stützen soll. Eingreifen durch Behörden hat in besonderen Wohn-, Pflege- und Betreu- ungsformen, in denen zum Beispiel eine Versorgung nur vorübergehend erfolgt, erst dann stattzufinden, wenn die betroffenen Personen es wünschen oder wenn es eine Anzeige an die Behörde gibt, dass der Gesetzeszweck gefährdet oder verletzt wird.6. Grundsatz Qualitätssicherung und Transparenz der Qualität. Die Träger stationärer Einrichtungen sind künftig gesetzlich verpflichtet, allen Interes- sierten Informationsmaterial in verständlicher Sprache über Art, Umfang und Preise der angebotenen Leistung sowie Information über Beratungsstellen, Krisentelefone und die zuständigen Behörden zur Verfügung zu stellen. Zukünftig sind Ergebnisse von Regelprüfungen der Aufsichtsbehörden zu veröffentlichen und diese Ergebnisse sind zu ergänzen durch eine Stellungnahme der Einrichtung, gegebenenfalls auch des Beirats, der an der Prüfung jeweils beteiligt werden muss. Inhalte, Gliederung und die Darstellungsweise der Berichte werden durch den Landespflegeausschuss festgelegt und das bedeutet, dass wir zukünftig einheitliche Standards haben, die dann auch je- weils Vergleiche zwischen den Einrichtungen ermöglichen.7. Grundsatz: Wirksame und abgestimmte behördliche Prüftätigkeit und Entbüro- kratisierung. Wir werden zukünftig den bürokratischen Aufwand reduzieren können. Zum Beispiel durch besser aufeinander abgestimmte Tätigkeiten der Prüfinstanzen und insbesonde- re durch die Vermeidung von Doppelprüfung sowie die Verpflichtung zu mehr Zusam- menarbeit der beteiligten Behörden und Stellen. -5-Ich möchte mich bedanken für die sehr kompetente Erarbeitung des Entwurfes durch das Ministerium. Ich möchte mich auch bedanken für die kritischen, fachlich fundierten Stellungnahmen durch die beteiligten Verbände und die faire Diskussion in der Anhö- rung. Ich danke auch den Kolleginnen und Kollegen für die Diskussion, die nicht immer einvernehmlich, aber dennoch fair verlaufen ist.Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch im bundesweiten Vergleich mit diesem Ge- setz vorbildliche Regelungen geschaffen haben, die einer fortschrittlichen, emanzipato- rischen Lebenswirklichkeit von Menschen mit Pflegebedarf und Menschen mit Behin- derung entsprechen.