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07.05.09
10:20 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zum Antrag auf Neuwahlen

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Es gilt das gesprochene Wort! Pressesprecherin Claudia Jacob TOP 16 – Vorzeitige Beendigung der 16. Wahlperiode Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Dazu sagt der Fraktionsvorsitzende Telefon: 0431 / 988 - 1503 von Bündnis 90/Die Grünen, Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53 Karl-Martin Hentschel: presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 195.09 / 07.05.2009


Das Klinsmann-Phänomen
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Herr Carstensen, ich finde Sie persönlich sympathisch. Ich fordere hier nicht Neuwahlen, um Sie zu ärgern. Ich tue das, weil eine Fortsetzung Ihrer Regierung dem Land nicht zuzu- muten ist.
Ein kurzer Überblick über die Presse der letzten Tage macht das deutlich: Landeszeitung: „Die große Koalition ist tatsächlich am Ende. Sie hat große Projekte wie die Kreisreform und die Haushaltskonsolidierung in den Sand gesetzt ….Da wären Neuwahlen für das Land gar nicht schlecht.“ Hamburger Abendblatt: „Schleswig-Holstein braucht Neuwahlen. Die Große Koalition ist po- litisch am Ende.“ Süddeutsche: „Schlimm ist es, wenn einer wie Ministerpräsident Carstensen permanent ü- berfordert wirkt.“ Die Zeit: „Die Große Koalition an der Förde ist verfeindet und ausgelaugt.“ Nur die Lübecker Nachrichten vermutet sarkastisch hinter der Neuwahldiskussion eine ge- heime so genannte „Pippi-Langstrumpf-Strategie“ von Carstensen – immer nach dem Motto „zwei mal drei macht vier, widewidewitt – ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. Armes Schleswig-Holstein.“
Meine Damen und Herren, die Regierung hatte sich Großes vorgenommen: Personalabbau, Finanzen, Verwaltungsre- form, Kreisreform. Nichts davon hat sie hinbekommen.
„Schlie ist in den Ministerien und Behörden gegen Blockadewände gelaufen und nicht wie- der aufgestanden.“ berichtet die Landeszeitung. Lange Zeit habe ich dafür Staatssekretär Schlie die Schuld gegeben. Seite 1 von 4 Heute muss ich mich korrigieren: Wenn das gesamte Kabinett herum läuft wie eine Maurer- kolonne, die sich einbetoniert, damit bloß nichts verändert wird, dann ist das nicht die Schuld von Herrn Schlie – das ist die Verantwortung des Ministerpräsidenten persönlich.
Und so ging es mit allem: Kreisreform – Herr Carstensen kapituliert vor dem Aufstand sei- ner Lokalfürsten. Schulreform: Anstatt sich zu einigen macht sich jeder seine eigene Schul- form und die Lehrerbildung wird einbetoniert.
Finanzen: Die Häuser lachen sich eins, wenn der Finanzminister von Sparen redet. Und ausgerechnet im Kernressort der CDU, dem Wirtschaftsministerium – haben wir schon den dritten Minister – nun aber zur Sicherheit einen Parteilosen.
Im Grunde, Herr Carstensen, geht es Ihnen wie Klinsmann: Sie sind super-sympathisch. Aber immer Grinsen reicht nicht, wenn die Mannschaft sich ständig selbst in die Hacken tritt und keiner mehr Tore schießt.
Meine Damen und Herren, es gibt noch einen zweiten Grund für das Scheitern dieser Koalition. Schon Friedrich Schil- ler formulierte im Wilhelm Tell: „Verrat und Argwohn lauscht in allen Ecken.“ Das könnte gut auf den Kommunikationsstil dieser Koalition bezogen sein.
Hier ein paar Beispiele: Originalton Stegner: „Die Flaggschiff-Themen der Union wie Haushaltskonsolidierung, Stel- lenabbau oder die Entbürokratisierung von Herrn Schlie sind – freundlich ausgedrückt – e- her bei den Noten „ausreichend“ oder „mangelhaft“ anzusiedeln.“ So redet ein Fraktionsvor- sitzender über die Arbeit seiner eigenen Regierung. Dem Ministerpräsidenten wirft er „er- kennbares Unvermögen“, „Dilettantismus“ und „Großbauernart“ vor. Und an anderer Stelle sagt er: In letzter Zeit habe die CDU es ja eher mit dem „Sangesbruder Roberto Blanco“ gehalten: „Heute so, morgen so“.
Kein Wunder, dass Herr Carstensen immer öfter in Weißglut gerät: „Wer in Krisenzeiten „Twitter-Spiele“ veranstaltet, beweist, dass er nicht weiß, wie man das Wort Verantwortung buchstabiert.“ Dabei bezieht er sich auf einen Twitter-Link von Ralf Stegner auf folgendes Zitat: „Politisch Interessierte kann es nur verdrießen, wie Mitleid erregend bescheiden die taktischen Fähigkeiten des Kieler Regierungschefs sind.“
Da fragt sich die staunende Nation: Was ist das für eine Koalition? Die Antwort gibt Schles- wig-Holstein am Sonntag: „Was da geboten wurde, war der Versuch, im Pepitamuster Schach zu spielen.“ „Das ist Landespolitik, die noch in der Kreisliga abstiegsgefährdet wä- re.“
In der CDU-Fraktion erlebt man derweil eine Mischung aus Galgenhumor und Verzweiflung. Dazu kommen dann die guten Ratschläge des Fraktionsvorsitzenden der CDU an den eige- nen Ministerpräsidenten. Es ist sicher frustrierend für den Ministerpräsidenten, wenn er in der Zeitung liest, dass er kein Profil hat. Aber es ist geradezu demütigend, wenn selbst sei- ne eigene Fraktion ihm das attestiert.
Meine Damen und Herren, dass bei einem solchen Rosenkrieg nichts mehr entschieden wird, wundert niemanden. Was ich aber schlimmer finde: Schleswig-Holstein macht sich lächerlich und nimmt massiv Schaden.

2 Die katastrophalen Ergebnisse der Föderalismuskommission, die Schleswig-Holstein in eine schier aussichtslose finanzielle Situation manövriert haben, sind Folge davon. Wenn das viel kleinere Saarland bei gleicher Pro-Kopf-Verschuldung mehr als dreimal so viel Aus- gleich bekommt, wie Schleswig-Holstein, dann haben die verhandelnden Akteure gnadenlos versagt und die Interessen Schleswig-Holsteins an die Wand gefahren.
Und was die HSH Nordbank betrifft. Wir werfen der Landesregierung nicht vor, dass Sie die Finanzkrise verursacht hat. Wenn aber der Vorstand der HSH Nordbank mit der Landesre- gierung Ping-Pong spielte und dafür sorgte, dass die SoFFin möglichst weit außen vor gehalten wurde und das Land 6,5 Mrd. Euro bereitstellen musste, dann hat der Ministerprä- sident endgültig bewiesen, dass er ein unkalkulierbares Risiko für unser Land darstellt.
Und dass gestern das Rating der HSH Nordbank um zwei Stufen herabgesetzt wurde, und der Finanzminister dies im Parlament nicht mit einem Wort erwähnte und auch nicht den Ansatz einer Strategie vorlegen konnte, das ist nur noch erschütternd. Diese Regierung ist nicht nur die schlechteste, dies ist die teuerste Regierung, die Schleswig-Holstein jemals gehabt hat.
Meine Damen und Herren, SPD und CDU sagten letzte Woche uni sono, sie wollen bis Mai 2010 weiterregieren und das Koalitionsprogramm abarbeiten. Welches denn?
Bei den dringendsten Problemen - der Lehrerausbildung, den Kitas, den Finanzen, der Verwaltungsreform, der Kreisreform, dem Personalabbau usw. ist doch heute schon klar, dass nichts mehr passieren wird.
Gemeinsame Projekte hat dieses Bündnis nicht mehr. Nur noch offene Streitfragen. Sie klammern sich nur noch zusammen, weil jeder Angst vor den Wählern hat und um den op- timalen Wahltermin pokert.
Meine Damen und Herren, sowohl die SPD wie auch die CDU haben eine Verantwortung, hier und heute die Blockade zu beenden. Aber wenn die SPD sich weigert, dann liegt es an Ihnen, Herr Carstensen: Denn Sie können jederzeit Neuwahlen haben. Sie brauchen auch keine fingierte Vertrau- ensfrage stellen. Es gibt hier eine klare Mehrheit im Parlament, die ihre jetzige Politik ab- lehnt. Sie können hier – anders als Schröder im Jahre 2005 – eine echte Vertrauensfrage stellen.
Und ich sage Ihnen für meine Fraktion verbindlich zu: Die Grünen werden nicht „just for show“ für 70 Tage einen anderen Ministerpräsidenten wählen.
Ich befürchte nur, Sie haben wieder einmal nicht die Kraft, etwas zu entscheiden. Schon vor zwei Jahren schrieben die Lübecker Nachrichten resigniert: „Entweder er entscheidet end- lich. Oder er macht sich lächerlich. Dann wird aus einem präsidialen Politiker sehr schnell ein provinzieller Suppenkaspar.“
Meine Damen und Herren, das Land braucht eine Regierung, die handeln kann. Wir brauchen Visionen für die Arbeits- plätze der Zukunft – für grüne Industrien und Techniken. Visionen für ein gerechtes und gu- tes Bildungssystem. Für eine nachhaltige Umwelt- und Finanzpolitik.
Herr Carstensen, so geht es nicht weiter. Wenn das Parlament heute nicht ihrem Elend ein Ende macht, dann kann ich Ihnen nur empfehlen. Machen Sie Schluss und treten Sie zu-
3 rück! Aus Verantwortung gegenüber den Menschen im Land! Aus Verantwortung gegen- über Ihrer Partei!
Und, ich denke, Sie würden sich damit auch selbst einen Gefallen tun. Das Land braucht einen Neuanfang! Dafür stehen wir bereit.

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