Anke Spoorendonk zu TOP 44 - Europabericht 2009
PresseinformationKiel, den 6. Mai 2009 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 44 Schleswig- Schleswig-Holstein in Europa: Europapolitische Schwerpunkte der Landesregierung - Europabericht 2009 Drs. 16/2616Auch, wenn der Europabericht sozusagen zu den Pflichtaufgaben der Landesregierung gehört,ist dies dem vorliegenden Bericht nicht anzumerken. Er ist mehr als nur eine Aufzählung vonFakten, weil er – in gewohnter Weise übrigens – auch eine Auswertung vornimmt und politischePerspektiven aufzeigt. Dafür danke ich im Namen des SSW den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern des Europaministeriums.Dass die EU 2009 vor einer Vielzahl von neuen Herausforderungen steht, wirkt vor demHintergrund des gescheiterten Ratifizierungsprozesses des Lissabonner Vertrages, derFinanzmarktkrise und den anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament fast wie ein„Understatement“. Für den SSW steht fest, dass wir es dabei mit mehr als einem Berg vonkonkreten Problemen zu tun haben: Seit dem Scheitern des EU-Vertragswerkes nach denVolksabstimmungen in den Niederlanden und Frankreich befindet sich die Europäische Union ineiner Sinnkrise, die seitdem nur noch zu genommen hat. 2Die Zusage der irischen Regierung, dass Irland noch in diesem Jahr, vor Auslauf der Amtszeit derjetzigen EU-Kommission, dem Vertrag von Lissabon nach einer neuen Volksabstimmungzustimmen wird, wurde mit Zusagen erkauft, die den Iren in einer Reihe von politischen Fragenentgegenkommen. So zum Beispiel in der Steuer- und Abtreibungspolitik - zwei Themen, die ja ineinem europäischen Zusammenhang nicht unumstritten sind. Hinzu kommt, wie der Berichtanmerkt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es auch noch Forderungen andererMitgliedsstaaten geben wird.Es wäre aber dennoch ein Trugschluss zu sagen, die Menschen in den Ländern der EuropäischenUnion können die Komplexität solcher Verträge nicht überblicken und schon aus dem Grundsollte man von Volksabstimmungen absehen. Der SSW tritt weiterhin dafür ein, dass zuwichtigen Änderungen der EU-Verträge die Bürgerinnen und Bürger der europäischen Länder zubefragen sind. Denn schlimmer noch als eine Volksabstimmung zu verlieren, ist es doch für eineRegierung, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass wichtige EU-Entscheidungen über die Köpfeder Wählerinnen und Wähler hinweg beschlossen werden. Das höhlt die Akzeptanz der EU vorOrt noch viel mehr aus. – Soll heißen: Die Entscheidungsträger sowohl in Brüssel wie auch in deneuropäischen Hauptstädten müssen endlich versuchen, den Dialog mit ihren Bürgerinnen undBürgern ernst zu nehmen, wenn die europäische Zusammenarbeit aus ihrer Dauerkriseherauskommen soll.Leider hat sich die tschechische EU-Ratspräsidentschaft bisher mehr mit sich selbst als mit denProblemen der Europäischen Union beschäftigt. Ob die Einführung einer Triopräsidentschaft –gemeint sind konkret Frankreich, Tschechien und Schweden, weil ab Juli die EU-Präsidentschaftauf Schweden übergeht – die Arbeit der EU-Ratspräsidentschaft qualitativ verbessert hat, musssich auch noch zeigen. Vorerst deutet vieles darauf hin, dass das Europäische Parlament besserals die Kommission das dadurch entstandene Vakuum hat füllen können. Fest steht meinesErachtens allerdings auch, dass wir mit der Reform der europäischen Institutionen keinen Schrittweiter gekommen sind. Unsere Position ist vor diesem Hintergrund noch stets, dass es beidiesem notwendigen Reformprozess nicht in erster Linie um die Lösung technokratischer Fragen 3gehen darf. Das entscheidende Manko der bisherigen EU-Politik, die mangelnde Bürgernähe,bliebe dann nämlich bestehen. Wir wünschen uns mit anderen Worten, dass dasSubsidiaritätsprinzip konsequent umgesetzt wird und noch mehr Entscheidungen so nah wiemöglich am Bürger dezentral verankert werden. Denn nur vor Ort können die Bürgerinnen undBürger von der Notwendigkeit europäischer Zusammenarbeit überzeugt werden. Umsobedauerlicher ist es aus Sicht des SSW, dass der Lissabonner Vertrag nur wenig mehr Klarheit inder Frage brachte, wofür in Zukunft die EU verantwortlich ist und wofür die nationalenParlamente oder die regionale Ebene die Verantwortung tragen.Der SSW teilt die Auffassung der Landesregierung, dass sich das Spannungsverhältnis zwischenden nationalen Interessen der Mitgliedstaaten und den gemeinschaftlichen Interessen derEuropäischen Union durch die Finanzmarktkrise zugespitzt hat. Das beim EU-Gipfel imDezember letzten Jahres beschlossene Konjunkturpaket stellt somit eher den geringstengemeinsamen Nenner da, als dass wir es mit konjunkturpolitischen Maßnahmen aus einem Gusszu tun haben: „Unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Lage, können die Mitgliedstaatenwählen unter einer Bandbreite von gezielten öffentlichen Ausgaben und Steuermaßnahmen, umeinen kurzfristigen Stimulus zu liefern“, erklärten die Finanzminister der EU bei derVerabschiedung des Pakets.Für die Verkünder der reinen EU-Lehre hätte EU-Kommissionschef Barroso in dieser Situationalles daran setzen müssen, den europäischen Laden zusammenzuhalten und auf Einhaltung desgemeinsamen Regelwerkes zu pochen. Er hätte daran erinnern müssen, dass Stabilitätspakt undWettbewerbsrecht den wirtschaftlichen Erfolg Europas jahrzehntelang gesichert haben undnamentlich benennen, welche Staaten sich Konjunkturprogramme leisten können und welchenicht. – Dass sich traditionelle Haushaltssünder wie zum Beispiel Italien und Griechenlandzurückzuhalten haben.Wer so argumentiert, vergisst aus Sicht des SSW, dass die Europäische Union von ihrer Akzeptanzbei den Menschen vor Ort lebt. Daher ist es mehr als ein ärgerlicher Webfehler in derKonstruktion der EU, dass sie als Wirtschaftsunion gedacht ist. Wir brauchen die Stärkung der 4sozialen Dimension in der europäischen Zusammenarbeit, um die EU zukunftsfähig gestalten zukönnen. Daher ist es gut, dass wir am Freitag mit der Großen Anfrage der SPD zum Thema„soziales Europa“ die Gelegenheit haben, genau diesen Punkt zu vertiefen. Dabei gilt es auchklarzustellen, dass es nicht darauf ankommt, der Europäischen Union einen sozialen Touch zugeben. Die EU muss von ihrem Selbstverständnis her sozial sein, nur so werden wir erreichen,dass sich auch die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes ändert. Oder um es ganzdeutlich zu sagen: Wenn der EuGH im Namen des freien Binnenmarktes das niedersächsischeTariftreuegesetz kippt oder das Aktionsrecht schwedischer Gewerkschaften einschränkt, dannschafft das vor Ort kein Vertrauen in die Brüsseler Politik – ein Vertrauen, das die EU angesichtsder Wirtschaftskrise mehr als alles andere nötig hat. Es ist vor diesem Hintergrund daher auchbesonders bedauerlich, das der von der tschechischen Rats-Präsidentschaft für Anfang Maigeplante Sozial-Gipfel abgesagt worden ist – ohne, dass man sich bisher auf eineErsatzveranstaltung hat einigen können.Daher begrüßt der SSW, dass sich die Landesregierung kritisch mit dem Ansatz der EU-Kommission auseinandersetzt, die „Methode der offenen Koordinierung“ voranzutreiben. Denngemeint ist damit eine „Vergemeinschaftung“ weiterer Politikbereiche, die bisher ausschließlichin der Kompetenz der Mitgliedstaaten lagen, zum Beispiel die Bildungs- und Kulturpolitik. Auch,wenn es viele gute Argumente für eine bessere Abstimmung zwischen den EU-Staaten für dieBereiche des Lebenslangen Lernens und der beruflichen Bildung gibt, so sind hier in erster Liniedie Mitgliedstaaten gefragt. Der SSW will eben keine schleichende Harmonisierung weitererGesellschaftsbereiche.Es ist daher nur folgerichtig, wenn im vorliegenden Bericht mehrfach zum Ausdruck gebrachtwird, dass sich Maßnahmen und Planungen der EU-Kommission verstärkt auf mehrerePolitikbereiche beziehen und daher eine ressortübergreifende Zusammenarbeit innerhalb derLandesregierung voraussetzt. Wir erwarten, dass genau dies geschieht, denn anders wird es nichtmöglich sein, frühzeitig auf den EU-Entscheidungsprozess einwirken zu können. Wir begrüßen 5mit anderen Worten, dass sich das Europaministerium in Fragen der Subsidiaritätskontrolle auchals Dienstleister für den Landtag sieht. Das haben die bisherigen Testläufe gezeigt, und das istgenau der richtige Weg.Zu den landespolitischen Schwerpunkten in der Europapolitik der nächsten Jahre gehörtweiterhin die integrierte europäische Meerespolitik und die Profilierung Schleswig-Holsteins alsmaritime Modellregion. Dass Europaminister Döring in diesem Zusammenhang eine wichtigeRolle spielt, geht eindeutig aus dem Bericht hervor. Darüber freuen wir uns – alles andere werdenwir in gewohnter Weise im Europaausschuss vertiefen können. Mit der anstehendenschwedischen EU-Ratspräsidentschaft werden wir in Sachen Ostsee-Aktionsplan einenentscheidenden Schritt weiter kommen, davon bin ich überzeugt. Dennoch bleibt der SSW beiseiner Forderung, dass wir als Landesparlament weder die regionale Zusammenarbeit imOstseeraum noch im Nordseeraum allein der Landesregierung überlassen dürfen. Denn siegehört zu unseren politischen Kernaufgaben und muss – mit mehr Kraft als in den letztenJahren - von uns vorangebracht werden.