Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
06.05.09
17:11 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zum Europabericht

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort Schleswig-Holstein Pressesprecherin TOP 44 – Europabericht 2009 Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 Dazu sagt der Vorsitzende der Fraktion 24105 Kiel Bündnis 90/Die Grünen, Telefon: 0431 / 988 - 1503 Karl-Martin Hentschel: Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Europa als Chance Nr. 192.09 / 06.05.2009

Ich befürchte, wir werden – trotz allem Engagement vieler von Europa überzeugter Wahl- kämpferInnen – bei der Europawahl wieder deutlich unter 50 Prozent Wahlbeteiligung blei- ben.
Und daran wird der vorliegende umfangreiche Europabericht nichts ändern. Wahrscheinlich wird er sowieso nur von wenigen Leuten gelesen werden. Diese wenigen werden dann viel Material und Informationen darin finden. Dafür vielen Dank an die Autoren. Aber das löst mit Sicherheit keine Europabegeisterung aus.
Aber das liegt nicht daran, dass man Menschen nicht von Europa überzeugen kann. Ich stelle immer wieder bei Diskussionen in Schulen fest, dass man junge Menschen durchaus für Europa begeistern kann. Die aktivsten EuropawahlkämpferInnen in meiner Partei sind mit Abstand die Grüne Jugend. Und in unserer Landesarbeitsgemeinschaft Europa treffen sich regelmäßig überwiegend junge europabegeisterte StudentInnen.
Warum in aller Welt dümpelt dann die Europawahl so lahm vor sich hin? Ich denke, es liegt vor allem daran, dass nicht klar ist, was denn da zu entscheiden ist. Deswegen will ich auf ein paar Punkte aus dem Bericht eingehen, die mir bedeutsam erscheinen, wenn es um die Zukunft Europas geht. Und ich denke, es geht dabei auch darum, unsere Landesregierung zu inspirieren, in dieser Richtung Impulse nach Brüssel weiterzugeben.
Da ist erstmal die Verfassungsfrage. Wir müssen vorankommen, und da ist der Lissabon- vertrag ein wichtiger Schritt. Aber wir müssen weiter. Eine breite Beteiligung an den Euro- pawahlen wird es erst dann geben, wenn es bei der Wahl darum geht, eine europäische Regierung zu wählen.
Viele Menschen könnten sich für die Vereinigten Staaten von Europa begeistern. Viele Ju- gendliche fühlen sich heute schon als Europäer und genießen die Kontakte mit Jugendli- chen aus anderen Ländern. Es sind oft eher die nationalen PolitikerInnen, die ihre Sphären verteidigen und immer, wenn es Probleme gibt, gerne Europa die Schuld geben und sich dagegen wehren, Europa Kompetenzen zu geben.
Seite 1 von 3 Ich finde deshalb die Idee spannend, eine Urabstimmung in ganz Europa über eine Verfas- sung für die Vereinigten Staaten von Europa durchzuführen. Sie muss dann aber so erfol- gen, dass die Staaten, in denen die Verfassung angenommen wird, Mitglied werden und die, die sie ablehnen, nicht.
Ich bin überzeugt: Wenn man die Menschen vor die Alternative stellt, mitzumachen oder auszuscheiden, dann würden in fast allen Staaten Mehrheiten zustande kommen. Denn dann würde tatsächlich über Europa abgestimmt – und nicht die Europawahl missbraucht, um nationale Regierungen abzustrafen.
Natürlich ist Europa in aller erster Linie ein Friedensgarant. 1000 Jahre lang haben sich die Völker Europas gegenseitig mit Krieg überzogen und die Menschen massakriert. Die euro- päische Union hat Frieden gebracht. Erzfeinde wie die Franzosen sind zu unseren Freun- den geworden. Grenzstreitigkeiten und separatistische Bewegungen wie in Nordirland, in Südtirol oder im Elsaß haben an Bedeutung verloren. Nord- und Südschleswig sind dafür ein vorbildliches Beispiel.
Natürlich wird Europa auch immer mehr eine internationale Macht, je mehr es zusammen- wächst. Aber was ist das Problem? Wir erobern keine anderen Länder. Im Gegenteil! Zahl- reiche Länder stehen Schlange und bewerben sich und wollen Mitglied werden. Weil Euro- pa ihnen Frieden und Wohlstand verspricht.
In keiner Region der Welt ist es in den letzten 50 Jahren so sehr gelungen, dass die armen Völker aufgeholt haben. Irland, Portugal, Griechenland etc. – ehemals bitter arme Länder haben mittlerweile entweder Anschluss gefunden oder sind sogar zu Wohlstand gekommen.
Und ich bin sicher, dass dies den Bulgaren und den Esten ebenfalls gelingen wird. Die Po- len und Slowenen sind bereits auf dem Weg.
Europa muss aber noch mehr leisten – und die Forderungen der Menschen werfen neue Fragen für die Politik auf: Und eine dieser Fragen, der wir nicht mehr ausweichen dürfen, ist der Ruf nach der Sozialunion. Gerade jetzt in der Krise erwarten die Menschen, dass Euro- pa sich auch der sozialen Fragen stärker annimmt.
Natürlich treffen wir da auf Ängste in den Staaten, die hohe soziale Standards haben – wie bei uns, aber besonders bei unseren nördlichen Nachbarn Dänemark und Schweden, wo viele Menschen Angst haben, dass eine gemeinsame Sozialpolitik ihre Standards ver- schlechtert. Natürlich ist jedes neue Politikfeld auch eine neue Herausforderung. Aber mit Sicherheit ist es kein Grund, vor weiteren Schritten zurückzuschrecken.
Im Gegensatz zur Sozialpolitik ist die Agrarpolitik eines der ältesten Felder der Europapoli- tik. Hier muss Europa deutlich nachlassen. Es ist anachronistisch, wenn heute immer noch über die Hälfte des Haushaltes der EU in die Landwirtschaft fließt.
Eine große Bewährungsprobe hat Europa schon bestanden bei der Naturschutzgesetzge- bung. Viele neue Naturschutzgebiete in Schleswig-Holstein sind erst möglich geworden, weil sich die Völker in Brüssel darauf geeinigt haben und das dann in den Regionen umge- setzt werden muss – auch wenn es manchmal nicht jedem passt.
Nun steht der Umweltschutz aber vor noch viel größeren Herausforderungen – insbesonde- re dem Klimaproblem. Wir brauchen jetzt eine gemeinsame Klima- und Energiepolitik. Und auch hier sind die ersten Schritte gemacht.

2 Leider hat sich Deutschland da mit seinem Widerstand gegen die Entflechtung der Energie- konzerne nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Und die Reduzierung der Ziele für die CO2- Einsparung auf 20 Prozent war enttäuschend.
Was wir jetzt brauchen ist der Bau eines europäischen Supergrids – eines Höchstspan- nungsgleichstromnetzes, damit die erneuerbaren Energien aus Wind, Sonne und Wasser kostengünstig quer durch Europa dorthin transportiert werden können, wo sie gebraucht werden.
Und auch das ist eine Aufgabe, die nur Europa bewältigen kann. Die Gründung von ERENE, der europäischen Gemeinschaft für Erneuerbare Energien, war dafür sicher ein bedeutsamer Schritt.
Ein Punkt, der für Schleswig-Holstein eine besondere Bedeutung hat, ist die Meerespolitik. Schleswig-Holstein war ja schon seit langem im Rahmen der Ostseekonferenzen in diesem Bereich aktiv. In den letzten Jahren ist nun die Ostsee immer mehr zu einem EU- Binnenmeer geworden. Zugleich haben sich die OstseeparlamentarierInnen bewusst dafür entschieden, sich auch als regionale Pressure-Group in die Diskussion um eine neue Mee- respolitik der EU einzumischen. Und dazu hat Schleswig-Holstein mit der Resolution von Reykjavik 2006 auch wieder einen wichtigen Beitrag geleistet.
Als letzten Politikbereich möchte ich an dieser Stelle die Außenpolitik nennen. Wenn es ü- berhaupt einen Bereich gibt, wo Europa dringend mit einer Stimme sprechen muss, dann ist es dieser Bereich. Und zwar nicht nur, um unsere Interessen besser zu vertreten. Sondern auch, weil die Völker in den anderen Kontinenten auf uns schauen und erwarten, dass Eu- ropa sich auf sie zu bewegt.
Und da geht es mit Sicherheit nicht vorrangig darum, Truppen in die Welt zu schicken. Der Irak und auch Afghanistan haben wieder einmal gezeigt, dass mit Gewalt und SoldatInnen allein Frieden und Demokratie nicht herstellbar ist.
Wir Deutsche haben da gute Erfahrungen. Es waren die ökonomischen Erfolge in den 50-er Jahren, die für die Menschen in Deutschland die Demokratie attraktiv gemacht haben und die Grundlage für dafür gelegt haben, dass wir heute in Deutschland eine stabile Demokra- tie haben.
Nur wenn wir denen, die Probleme haben, sei es Afghanistan, der Irak oder auch Somalia, eine Chance geben, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen, dann werden sie auch Frieden bekommen.
Europa ist eine Herausforderung! Europa ist aber auch eine Chance. Es ist unsere Chance. Und es ist vor allem die Chance für die friedliche Zukunft für unsere Kinder und Enkel. Und dafür lohnt es sich zu kämpfen. Ich danke fürs Zuhören.
***



3