Lars Harms zu TOP 10 - Gesetz zur innerkommunalen Funktionalreform
PresseinformationKiel, den 6. Mai 2009 Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 10 innerkommunalen Gesetz zur innerkommunale n Funktionalreform Drs. 16/2632Demokratische Legitimation droht auf der kommunalen Ebene zu einem Luxusartikel zu werden:immer mehr Entscheidungen fällen Verwaltungsangestellte oder Beamte. Die Bürgerinnen undBürger werden aus den kommunalen Entscheidungsprozessen heraus gedrängt. Das ist der Fluchder kleinteiligen Gemeindestruktur mit über 1.000 Gemeinden. Vereinfacht gesagt: dieGemeinden sind weit überwiegend zu klein, um professionelle Verwaltungsstrukturen aufbauenzu können. Das überlassen sie mehr und mehr den Ämtern, deren Entscheider allerdings nichtdirekt gewählt werden.Das alles ist sattsam bekannt und hat uns veranlasst, das Verfassungsgericht anzurufen.Die Landesregierung hat diese Problematik von Fall zu Fall entweder verdrängt, verdreht oderignoriert. Sie konnte und wollte keine transparente Aufgabenneuverteilung umsetzen.Stattdessen trieb sie eine Kreisgebietsreform voran, die letztlich am erheblichen Widerstand derBasis scheiterte, der sich an massiven, sachlichen Fehlern der Kieler Planer entzündete. Ich 2befürchte, dass dieser Crash die bereits bestehenden Vorbehalte der Ministerialbeamtengegenüber der lebendigen, selbstbewussten und selbständigen Kommunalpolitik unseres Landesweiter geschürt hat. Denn der vorliegende Vorschlag, der den Namen „Reform“ völlig zu Unrechtträgt, ist durchzogen von Misstrauen und Kontroll-Konstrukten. Der Vergleich mit einem Erlassvon Oben liegt nahe.Das ist nicht nur dem SSW aufgefallen. Auch der Gemeindetag hat die „restriktiven Vorgaben“des Entwurfes kritisiert. Das Land traue den Kommunen nicht zu, dass sie ohne staatlicheEingriffe in die Kooperationsfreiheit zu Rande kämen.Andererseits verweigert sich das zuständige Ministerium seiner Aufgabe, nämlich eine neue,tragfähige Aufgabenverteilung zu entwerfen, die einerseits den geänderten Aufgabenprofilengerecht wird und anderseits die Bürgerinnen und Bürger einbindet. Der Minister macht nichteinmal den Versuch einer Neusystematisierung, sondern schiebt Aufgabenpäckchen willkürlichhin und her. Das ist Flickwerk – und keine Reform.Zu einzelnen Punkten:Erstens: Prof. Hesse hat in seinem Gutachten die Option der so genannten punktuellenAnpassung der Kommunalstruktur entworfen, bei der im Prinzip - bis auf kleinste Änderungen -alles beim Alten bleibt. Nicht zufällig geht es lediglich um die Einkreisung bislang kreisfreierStädte, um zumindest einigen der erkennbaren demographischen, entwicklungspolitischen undhaushalterischen Probleme Herr zu werden. Mehr wird man mit einer Hochzeitsprämiekeinesfalls erreichen. Dass diese bereits bei den Ämtern zu unerwünschten heterogenenStrukturen geführt hat, wie der Minister im Entwurf selbst einräumt, scheint imInnenministerium niemanden zu interessieren.Zweitens: die Grenze von 20.000 Einwohnern bei der Übertragung von Aufgaben deröffentlichen Verwaltung ist willkürlich und in der Gesetzesbegründung nicht nachvollziehbar. 3Das Verwaltungsgesetz schreibt bereits die Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Ortsnähe alsKriterien vor. Damit ist das meiste geregelt. Im Übrigen hat diese Einwohnergrenze bei derAmtsreform überhaupt keine Rolle gespielt. Da kann man sehen, dass je nachdem, was mandurchsetzen will, zweierlei Argumentationsstränge genutzt werden, die sich widersprechen.Wenn hier von 20.000 Einwohnern als Mindestgrenze geredet wird, dann sind die meistenÄmter und erst recht die meisten Gemeinden viel zu Klein.Drittens: die übertragbaren Aufgaben sind völlig beliebig. Es ist nicht zu verstehen, nach welchenKriterien die Aufgaben in den Entwurf hineingeraten sind: Umwelt ja, Jugend aber nicht. Warumkönnen die Ämter beispielsweise die KfZ-Papiere nicht nach einem Umzug ändern, aber demBürger in Sachen Baumschutz Vorschriften machen? Es fehlen einerseits klare und fürs gesamteLand geltende Regelungen; andererseits blickt doch kein einziger Bürger mehr durch, wer,warum für welche Genehmigung, Registrierung oder Ausnahme zuständig ist. Wenn jemandnoch eines Beispiels bedurfte, wie Bürokratie entsteht: hier ist es! Die Landesregierung arbeitetnicht an der Lösung der Entbürokratisierung, sie ist ein wesentlicher Teil des Problems derzunehmenden Bürokratisierung.Viertens: die Regierung traut ihrer Reform selbst nicht. Wie sonst könnte man erklären, dass derEntwurf eine „Zurück auf Start“-Option enthält, falls sich die Erledigung der Aufgaben aufkommunaler Ebene als unwirtschaftlich erweist. Man kann das im besten Fall als pragmatischenRealismus der Landesregierung ansehen; tatsächlich ist es wohl eher so, dass dieLandesregierung von ihren Vorschlägen nicht überzeugt ist.Zum Schluss möchte ich auf ein zentrales Anliegen des SSW zurückkommen: die Behebung derdemokratischen Defizite der Amtsreform. Die avisierte Aufgabenübertragung im vorliegendenEntwurf findet wieder unter Ausschluss der kommunalen Selbstverwaltung statt, sprich: keineder aufgeführten Aufgaben soll als Selbstverwaltungsaufgabe an die Gemeinden übertragenwerden. Es müssen sogar ausdrücklich Weisungsaufgaben bleiben, da die Verwaltungen vor Ort 4nicht durchgängig demokratisch legitimiert sind. Dies ist und bleibt der kardinale Webfehler allerStrukturänderungen der kommunaler Ebene dieser großen Koalition.Ich bin allerdings völlig entspannt, was das Schicksal dieses Entwurfes angeht. Er wird sang- undklanglos im Ausschuss verschwinden. Denn es glaubt doch wohl niemand, dass sich dieMehrheitsfraktionen noch vor dem Wahlkampf auf irgendwelche Strukturänderungen einigenwerden. Und selbst, wenn dies geschieht, wird es aufgrund der Klage der grünen und des SSWvor dem Landesverfassungsgericht sowieso wieder zu gravierenden Änderungen kommen, diedieses Gesetz wieder hinfällig machen.