Ralf Stegner zu TOP 24: Der gefundene Kompromiss ist ein Verarmungsprogramm für unser Land
Presseinformation der SPD-LandtagsfraktionTop 24, Keine Schuldenbremse ohne Entschuldungskonzept (Drucksachen 16/2487 und 16/2510)Ralf Stegner:Der gefundene Kompromiss ist ein Verarmungsprogramm für unser LandDie SPD-Landtagsfraktion hält die Entscheidung der Föderalismuskommission, eine Null- Komma-Null-Schuldenbremse für die Länder ab dem Jahr 2020 einzuführen, für unverantwort- lich. Verfassungsrechtliche Bedenken, volkswirtschaftliche Gründe und ganz besonders die Sorge um die Zukunft Schleswig-Holsteins sprechen dagegen, führt der Vorsitzende der SPD- Landtagsfraktion, Dr. Ralf Stegner, aus. Diese Regelung würde unsere Strukturen so kaputt- machen, dass wir den Anschluss an andere Länder verlieren. Wir haben ein strukturelles Defi- zit von ca. 500 Mio €, das aus geringerer Steuerkraft und den hohen Schuldzinsen für die drin- gend nötige Aufbauarbeit der letzten 20 Jahre besteht. Wir müssen qualifizierte Arbeitsplätze nach Schleswig-Holstein holen, indem wir die Bedingungen dafür verbessern: gute Bildung, gute Betreuung, gute Infrastruktur, ein gutes Kulturangebot usw. schaffen. Wir müssen die Einnahmen des Staates stärken und das Geld bei denen holen, die für die jetzigen Ausgaben verantwortlich sind. Ohne eine substanzielle Altschuldenhilfe geht es nicht, weil wir sonst dau- erhaft weniger Geld für Investitionen, Lehrer und Polizisten zur Verfügung haben als andere Länder. Der 4 Länder-Vorschlag war eine Schuldengrenze von 0,75% mit Hilfen von jährlich ca. 260 Mio. Euro für Schleswig-Holstein. Schulden abbauen kann man nur mit einer mutigen Politik, die auf Bildung und Zukunftschancen und -märkte setzt und diese nicht zugunsten von verkrusteten Verwaltungsstrukturen und Lobbyinteressen kaputt spart.Die Rede im Wortlaut: Mit dem Konjunkturpaket II, das uns in dieser Tagung auch noch beschäftigen wird, haben wir etwas geschafft, das ich aus zweierlei Gründen bemerkenswert finde. Erstens: Es zeigt, dass der Staat, der die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht verursacht, sondern die Folgen davon zuHerausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-beseitigen hat, Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land hat und sie auch wahrnimmt. Zweitens: Es zeigt, dass Bund, Länder und Kommunen in der Lage sind zu- sammenzuarbeiten. Nebenbei hat sich dann im Übrigen auch erwiesen, dass das absolute Verbot für den Bund, Bildungsinvestitionen zu tätigen, das in der ersten Föderalismusreform beschlossen wurde, falsch war und nun geändert werden soll.Wie Sie sich sicher erinnern werden, hatte sich die SPD Landtagsfraktion bereits damals ge- gen solche weitgreifenden Änderungen ausgesprochen, die in der Theorie schön klangen, in der praktischen Politik aber unnötige Probleme schaffen. Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein haben damals nicht zugestimmt und sie hatten Recht. Bei der Föderalis- muskonferenz II besteht die Gefahr wieder, aber diesmal mit ungleich größeren Folgen.Die Föderalismuskommission hat auf Drängen der CSU und einiger CDU-geführten Bundes- länder eine Null-Komma-Null-Schuldenbremse für die Länder ab dem Jahr 2020 beschlossen. Die SPD-Landtagsfraktion hält diese Entscheidung für unverantwortlich. Zu den Gründen dafür gehören verfassungsrechtliche Bedenken, volkswirtschaftliche Gründe und ganz beson- ders die Sorge um die Zukunft unseres schönen Landes Schleswig-Holstein.Lassen Sie mich mit dem ersten Punkt anfangen. Mit einer Grundgesetzentscheidung werden Bundestag und Bundesrat massiv in das Bud- getrecht der Länderparlamente eingreifen, ja sie schaffen es de facto ab. Der Bund will mit Zweidrittelmehrheit eine Schuldengrenze für die einzelnen Länder beschließen und der Vorsit- zende, Ministerpräsident Oettinger, begründet diesen Weg ausdrücklich verfassungspolitisch, d. h. verfassungsändernde Mehrheiten nicht in allen Ländern erhalten zu können. Seine Schlussfolgerung „also frage ich diese erst gar nicht“ gehört aber in eine Zeit des zentralisti- schen Absolutismus. Darf ich daran erinnern, dass die Bundesrepublik ein Zusammenschluss von Ländern ist und nicht ein Zentralstaat, der huldvoll Rechte zuteilt. Der Föderalismus wird doch zur Farce, wenn der Bund derart in eines der wichtigsten Rechte der Parlamente ein- greift, das sog. „Königsrecht“, das konstitutives Element der Staatlichkeit ist. -3-Ich freue mich, dass diese Position von allen Fraktionen dieses Landtages getragen wird und wir einen Weg finden werden, diese Vorgehensweise verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen.Herrscht insoweit noch Einigkeit, scheiden sich dann bei der Frage, ob ein absolutes Schul- denverbot richtig ist, die Geister. Ich glaube dass hier wieder einem theoretischen Konstrukt aufgesessen wird, nach dem es in den Ohren der Bürger natürlich schön klingt, nie mehr Schulden zu machen. Praktisch wäre es schon, wenn wir Autos bar bezahlen oder Häuser oh- ne Schulden bauen könnten. Aber wer arbeitet schon in einem Unternehmen, das ohne Kredi- te auskommt! Genauso und erst recht absurd ist das für einen Staat, der für Bildung und inne- re Sicherheit, für Kinderbetreuung und Verkehrsinfrastruktur verantwortlich ist. Sinnvoll ist eher eine Orientierung daran, ob ich die Zinsen zahlen kann, eine Orientierung an dem Verhältnis von Verschuldung zum Bruttoinlandsprodukt.Wann, wenn nicht in der aktuellen Situation, der größten Finanz- und Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik, müssen wir doch außerdem einsehen, dass wir flexible Re- geln brauchen, die ein antizyklisches Verhalten des Staates erlauben. Mit einem absolu- ten Schuldenverbot, gäbe es kein Konjunkturpaket und keine HSH Nordbank-Rettung. Mit der prozyklischen Politik des Bundes vorangegangener Jahre wurde durch Sparversuche nicht nur die Konjunktur weiter abgewürgt und Arbeitsplätze gefährdet, sondern außerdem noch durch die damit verursachten Steuerausfälle die Lage eher verschlimmert.Der Schuldenstand in Deutschland ist zwar enorm, liegt aber mit 65 Prozent rund 15 Prozent unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. In Anbetracht der Sonderlasten durch die Deut- sche Einheit ist die Staatsverschuldung in Deutschland im internationalen Vergleich durchaus vertretbar. Im europäischen Vergleich zahlen wir mit die geringsten Zinsen - eben weil Deutschland ohne Frage kreditwürdig ist.Die prekäre Lage entstand im letzten Jahrzehnt im Übrigen insbesondere durch Steuersen- kungen, die das Staatsdefizit in die Höhe trieben, und mir wird schwindelig, wenn ich jetzt die Steuersenkungsphantasien von Union und FDP höre – ich dachte eigentlich, dass Ihnen einmal Kirchhof gereicht hätte. Haushaltskonsolidierung mit Schuldenbremse, Bekämpfung der -4-Finanz- und Wirtschaftskrise plus Steuersenkungen versprechen, das ist ein Konzept für das politische Nirwana. Schauen Sie mal, was der neue US-Präsident Barack Obama gerade vor- schlägt: Massive Investitionen über Kredite und Refinanzierung durch Solidarbeiträge derer mit den größten Einkommen und Vermögen.Ich möchte hier keinen falschen Eindruck erwecken, und keinesfalls ein Verhalten propagieren nach dem Motto „was kostet die Welt“ und „nach mir die Sintflut“. Der Weg, die Schulden des Staates zu reduzieren und für unsere Kinder und Enkel die Zinslast zu verringern, um so mehr politischen Gestaltungsspielraum zurück zu gewinnen, ist richtig. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass sorgsam und weitsichtig mit ihren Steuergeldern umgegangen wird. Darauf komme ich nachher noch einmal zurück. Aber die vorgeschlagenen Konzepte lin- dern nicht die Krankheit, sondern bringen den Patienten um die Ecke.Ich sage Ihnen, die jetzige Regelung ist für Schleswig-Holstein in keiner Weise tragbar – das können wir nicht schaffen ohne unsere Strukturen so kaputtzumachen, dass wir den An- schluss an andere Länder verlieren und in einer Teuerfelsspirale nach unten weiter an Steuerkraft und Einnahmen verlieren werden. Wir haben ein strukturelles Defizit von ca. 500 Mio €, das aus geringerer Steuerkraft und den hohen Schuldzinsen für die dringend nötige Aufbauarbeit der letzten 20 Jahre besteht.Sicher könnte es uns gelingen, z. B. mit einer mutigen und konsequenten Verwaltungs- strukturreform, die eine Neuordnung der Kreise einschließt, an die 100 Millionen zu spa- ren – aber dann sehe ich das Ende der Fahnenstange schon erreicht.Was wir also brauchen, ist eine Politik, die wie Uwe Döring und der Arbeitskreis Wirtschaft der SPD Landtagsfraktion diskutiert hatten, qualifizierte Arbeitsplätze nach Schleswig-Holstein holt, indem wir die Bedingungen dafür verbessern. Diese Bedingungen heißen doch aber: gute Bildung, gute Betreuung, gute Infrastruktur, ein gutes Kulturangebot usw.Das schaffen wir nicht wenn wir jetzt unter Kuratell des Bundes gestellt werden, der uns sagt: weniger Polizei, weniger Kultur, keine kostenfreie Kita , keine einmännigen Stationen, keine kleinen Schulen, keine Universität in Flensburg, Heide usw. Wir können doch nicht ernsthaft -5-Milliarden für Banken und ihre Manager garantieren und zur Verfügung stellen und dort kür- zen, wo die berechtigten Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes beginnen. Das wäre ein Konjunkturprogramm für extreme Parteien.Was wir brauchen, ist eine Politik, die die Einnahmen des Staates stärkt und sich das Geld bei denen holt, die für die jetzigen Ausgaben verantwortlich sind bzw. die es mit ihren starken Schultern tragen können. Es ist doch aberwitzig, dass in der Föderalismuskommission für den Bund, der Steuern in einem nennenswerten Umfang erhöhen oder senken kann, die Verschul- dungsgrenzen lockerer sind als für die Länder, die diese Möglichkeit nicht haben.Und was wir brauchen, ist eine Föderalismusreform, mit der den finanzschwachen Län- dern wirklich geholfen wird. Und niemand soll wohlfeil argumentieren, wir seien es, die nicht sparen wollen. Wir Sozialdemokraten haben zum einen mit der Kreisgebietsreform einen Vor- schlag gemacht, der Einsparungen erlaubt hätte, ohne die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein zu verschlechtern. Eine konsequente Funktional- und Verwal- tungsstrukturreform, die uns dies bereits in dieser Legislaturperiode ermöglicht hätte, ist von strukturkonservativen Kräften verhindert worden. Wir bedauern nach wie vor, dass unser Part- ner nicht die Kraft aufbringen konnte, sich zum Wohle des Landes gegen Partikularinteressen durchzusetzen.Wir Sozialdemokraten haben Vorschläge gemacht, die Konjunkturprogramme gegenzufinan- zieren, indem wir die belasten, die mehr schultern können. Das wurde von der Union abge- lehnt.Wir haben in der Diskussion um die Föderalismuskommission gesagt, dass es ohne eine sub- stanzielle Altschuldenhilfe nicht geht, dass wir einen Schuldentilgungsfonds oder Zinshilfen in ausreichender Höhe brauchen, weil wir sonst immer weniger Geld für Investitionen, Lehrer und Polizisten zur Verfügung haben als andere Länder. Hier sahen wir uns bisher im Konsens mit dem Ministerpräsidenten und Herrn Wadephul. Wenn jetzt eins und eins auf einmal drei ergeben soll, mag das dem Druck aus dem Kanzleramt geschuldet sein. -6-Mit den in der Kommission vereinbarten Hilfen wird das Land nicht in die Lage versetzt, die Kraftanstrengung der Nullverschuldung zu leisten, ohne dabei massive Einsparungen im Bereich der Bildung, des Sozialen, der Inneren Sicherheit und der Infrastruktur durchzudrü- cken, zumal keineswegs Zeit bleibt bis 2020. Die viel zu geringen Hilfen bekommt Schleswig- Holstein nämlich nur, wenn es sich zugleich den Vorgaben des Bundes beugt. Das könnte dann dazu führen, dass z.B. das beitragsfreie Kita-Jahr wieder gestrichen werden müsste.Der Beschluss der Föderalismuskommission II zur Nullverschuldung ab dem Jahr 2020 hätte bereits heute reale Auswirkungen auf die politische Handlungsfähigkeit des Landes. So zu tun, als sei dies eine Entscheidung für Veränderungen in ferner Zukunft, ist Augenwischerei.Nun sagen einige, dass die 80 Millionen Euro, die Schleswig-Holstein angeboten werden, doch schon ganz ordentlich wären, schließlich seien am Anfang der Beratungen Hilfen für Schles- wig-Holstein vollständig abgelehnt worden. Ich habe sogar gehört, dass dies das bestmögliche Ergebnis gewesen sein soll. Ich möchte aber daran erinnern, dass unsere Forderung war, bei einer Schuldengrenze von 0,75% und Hilfen von jährlich ca. 260 Mio. Euro zustimmen zu können. Das hier ist kein Basar, das war kein lockereres Angebot, sondern dieser 4-Länder- Vorschlag von Saarland, Bremen, Berlin und Schleswig-Holstein war die absolute Schmerz- grenze. Haben eigentlich die Befürworter der 80-Mio-Lösung schon die Kommunen informiert, dass diese Grenze eben auch für sie gelten wird und dass der Umsatzsteueranteil von Schleswig- Holstein noch abgezogen wird?Ich weiß, dass Verschuldung Spielräume einengt, aber wer gibt dieser Generation von Poli- tikern eigentlich das Recht, den Abgeordneten von 2020 verfassungsrechtlich zu untersagen, was diese Generation keineswegs akzeptiert hätte. Wer weitere Steuersenkungen fordert, sich einer konsequenten Verwaltungsstrukturreform verweigert, aber gleichzeitig nach Konsolidie- rung ruft und die Verantwortung dafür perspektivisch von der Politik auf die Gerichte verlagert, ist nicht nur unglaubwürdig, sondern handelt auch unverantwortlich.Ich weiß, es ist wie bei der ersten Föderalismusreform. Wir stehen fast alleine. Den Bund kümmert es nicht, Bremen und das Saarland wurden teuere Zustimmungsangebote gemacht -7-und manch neues Land vergisst, dass 2019 nur 10 Jahre entfernt ist. Mögen wir auch alleine sein, hier geht es um die Frage, ob wir das Landesinteresse an erste Stelle setzen oder nicht. Der Abgeordnete Ole Schröder aus Pinneberg hat gestern dem Land Schleswig-Holstein gleich konsequenterweise das Existenzrecht abgesprochen.Bei den Vereinbarungen der Föderalismusreform geht es um Weichenstellungen, die die Zukunft unseres Landes existentiell betreffen. Der gefundene Kompromiss schadet unse- rem Land. Er ist ein Verarmungsprogramm, denn wir begeben uns auf eine Reise, an deren Ende die vom Grundgesetz geforderten gleichwertigen Lebensverhältnisse in den Bundeslän- dern nicht mehr erreicht werden können. „In der Politik ist es manchmal wie in der Grammatik: Ein Fehler, den alle begehen, wird schließlich als Regel anerkannt.“Nein, hier kann und darf sich niemand der Meinung enthalten. Wer Verantwortung für Schles- wig-Holstein beweisen will, muss in dieser Lage konsequent und entschlossen handeln. Schulden abbauen kann man nur mit einer mutigen Politik, die auf Bildung und Zukunfts- chancen und -märkte setzt und diese nicht zugunsten von verkrusteten Verwaltungsstruktu- ren und Lobbyinteressen kaputt spart. Die SPD ist dazu bereit!