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12.11.08
15:36 Uhr
B 90/Grüne

Detlef Matthiessen zur Stilllegung des AKW Brunsbüttel

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Es gilt das gesprochene Wort! Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Telefon: 0431 / 988 - 1503 TOP 24 – Stilllegung AKW Brunsbüttel Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de Dazu sagt der energiepolitische Sprecher www.sh.gruene-fraktion.de der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Nr. 392.08 / 12.11.2008 Detlef Matthiessen:



Das AKW Brunsbüttel muss stillgelegt werden
Wer im Jahre 2000 vor Gericht die Genehmigung einer kerntechnischen Anlage beklagt hätte, z.B. als NachbarIn, und folgendes Szenario benannt hätte: Eine größere Gruppe von Terroristen mit Pilotenausbildung kapern gleichzeitig fünf voll besetzte Verkehrs- flugzeuge und lenken diese in einer selbstmörderischen Aktion auf verschiedene Ziele u.a. auf ein oder mehrere Atomkraftwerke… Die Klägerin verlangt Schutz vor terroristischen Angriffen gegen das in Nachbarschaft liegende Atomkraftwerk.
Das Gericht hätte erklärt: Wir beschäftigen nicht mit jeder Idee eines Science-Fiction- Autors. Dies gehört nicht in den Bereich der praktischen Vernunft, es ist ein Restrisiko, über das man philosophieren kann, das aber nicht Grundlage der Auslegung einer kern- technischen Anlage werden kann.
Nach den terroristischen Flugzeugangriffen auf das World Trade Center am 11. Sep- tember 2001 ist klar geworden, dass selbst schwer vorstellbare Bedrohungsszenarien Realität werden können. Nach diesen Ereignissen ist der atomrechtliche Begriff „jen- seits der praktischen Vernunft“ und damit die Einstufung als Restrisiko weggefallen.
Der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter ist gemäß Paragraf 7,Abs. 2 Nr. 5 des Atomgesetzes zu gewährleisten und die Auslegung kerntechnischer Anlagen der Sicherungskategorie I müssen solchen Szenarien stand- halten. Das ist atomrechtlich völlig unstrittig.
Tatsache ist jedoch, dass die deutschen Atomkraftwerke gegen Terrorattacken nackt Seite 1 von 3 dastehen. Sämtliche technische und politische Konzepte haben sich als nicht belastbar erwiesen. Das Atomkraftwerk Brunsbüttel ist dabei in besonderem Maße gefährdet.
Man wollte Stahlbetonsäulen bauen, um den Schräganflug zu hindern. Das so genannte Stelenkonzept wurde aufgegeben.
Man wollte die Atomanlagen vernebeln. Bei Windstärke vier oder fünf Beaufort fliegen Flugzeuge noch, aber auch der Nebel, er fliegt nämlich davon.
Das muss man sich so vorstellen: die Terroristen fliegen eine gekaperte Verkehrsma- schine Richtung Atomkraftwerk. Durch eine plötzliche Vernebelung verlieren die Piloten die Orientierung und fliegen so lange planlos im Nebel rum, bis sie von der Luftwaffe abgeschossen werden.
Diese Vernebelungstechnik wurde ursprünglich zum Schutz von beweglichen militäri- schen Zielen, wie Panzer oder Fregatten, entwickelt. Ein Atomkraftwerk kann sich aber weder zurückziehen noch verstecken. Und wer glaubt ernsthaft, dass sich ein Terrorpi- lot, der gezielt und entsprechend vorbereitet ein AKW anfliegt, von Nebelschwaden ab- lenken lässt. Die Navigationsgeräte zum Blindflug sind mehrfach redundant ausgelegt und nicht einfach zu stören. Hinzu kommt, dass mit der Entscheidung des Bundesver- fassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz klargestellt wurde, dass der Abschuss ei- nes Verkehrsflugzeugs durch die Bundeswehr verfassungswidrig ist.
Es mangelt nicht an Aktivitäten gegen Terrorgefahren. Der Bundesinnenminister ist da ganz eifrig bis übereifrig. Er schießt regelmäßig über die Verfassungsgrenzen hinaus. Das zeigt nicht nur das erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Luft- sicherheitsgesetz vom 15.2.2006, auch Onlinedurchsuchung wurde kassiert im Februar 2008, das Urteil gegen automatisierte Erfassung von KFZ-Kennzeichen, der Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung.
Diesem Übereifer der schwarz-roten Bundesregierung steht eine merkwürdige Trägheit in Sachen der atomaren Sicherheit gegenüber.
Das mag seine Ursachen haben. Vielleicht die Absicht, auch den ältesten AKW, den Spitzenreitern in der Pannenstatistik die Restlaufzeiten zu verlängern?
Bei der Sicherung potenzieller Angriffsziele wird vergleichsweise wenig unternommen. Atomkraftwerke sind mit einem radioaktiven Inventar, das Atombomben um ein Vielfa- ches übersteigt, Anlagen mit gigantischem Risikopotential. Gefahr besteht immer aus dem Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit und Größe des Risikos.
Die zuständigen Behörden haben das anerkannt, nicht umsonst sind Gutachten in Auf- trag gegeben worden, wurden Abwehrkonzepten entwickelt, die sich allerdings als un- tauglich erwiesen haben.
Daraus folgt: Atomkraftwerke in Deutschland sind nicht gegen gezielte Flugzeugabstür- ze gesichert als eines von mehreren denkbaren Gefährdungsmodellen. Das gilt im Be- sondern für die älteren Atomkraftwerke der Baulinie 69. Das sind die drei Siedewasser- reaktoren Brunsbüttel, Philippsburg 1 und Isar 1, sowie die Druckwasserreaktoren des Typs 2 Biblis A und B, Neckarwestheim 1 und Unterweser.
Wir fordern die Landesregierung und ihre Atomaufsichtsbehörde auf, die Betriebsge- nehmigung für das AKW Brunsbüttel wegen des fehlenden Schutzes gegen Terroratta-
2 cken zu widerrufen.
Rechtlich redet man vom Voraussetzungsfortfall. Im Atomgesetz Paragraf 17 steht dazu schlicht (2) Genehmigungen und allgemeine Zulassungen können zurückgenommen werden, wenn eine ihrer Voraussetzungen bei der Erteilung nicht vorgelegen hat. Oder in Absatz (3) Genehmigungen und allgemeine Zulassungen können widerrufen werden, wenn ei- ne ihrer Voraussetzungen später weggefallen ist und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen wird Ohne Zweifel ist die Bedrohung durch den Terrorismus heute neu zu bewerten. Das muss atomrechtlich Konsequenzen haben.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. April 2008 unterstützt diese Forde- rung zusätzlich. Dort ist einer Anwohnerin das Recht auf Schutz vor Strahlungen des Atomkraftwerkes Brunsbüttel zugesprochen worden. Das Gericht stellte fest, dass An- wohnerInnen von Atomkraftwerken überprüfen lassen können, ob die erforderliche Schadensvorsorge gegen Terroranschläge tatsächlich gewährleistet ist, das ist der so genannte Drittschutz. Der Siedewasserreaktor Brunsbüttel weist so geringe Wandstär- ken des Reaktorgebäudes auf, dass sie nicht nur nicht gegen den gezielten Flugzeug- absturz mit Passagiermaschinen gesichert sind, sondern noch nicht einmal gegen den Absturz von Militärmaschinen vom Typ Phantom ausgelegt sind.
Ein aktuelles Rechtsgutachten von Dr. Cornelia Ziehm vom Oktober 2008 im Auftrag von EUROSOLAR zieht Konsequenzen aus dem oben genannten Urteil und sieht drin- genden Handlungsbedarf beim Bund und bei den Ländern. Dazu gehört auch der Wi- derruf der Betriebsgenehmigungen nach Paragraf 17, Abs. 3 Nr. 2 Atomgesetz wegen Wegfalls einer Genehmigungsvoraussetzung durch die Atomaufsichtsbehörde. Genau das beantragen wir heute.
Der CDU-Landesparteitag hat am 2.November dieses Jahres erneut beschlossen, die Restlaufzeiten von Atomkraftwerken z. b. Brunsbüttel, zu verlängern. Ich sage es klar und deutlich, diese Atompolitik der CDU ist im hohen Maße unverantwortlich.
Das ist das genaue Gegenteil ihrer Grundsatzposition von der Bewahrung der Schöp- fung. Sie nehmen die Risiken der Atomenergie einfach nicht zur Kenntnis und lassen es zu, dass notwendige Sicherheitsmaßnahmen nicht ergriffen werden. Beim Thema A- tomstrom ist es vorbei mit „law and order“, reine Ideologie vernebelt den Verstand.
Wir müssen uns mit der neuen Gefahr des Terrorismus beschäftigen. Ich beantrage Überweisung in den Sozialausschuss, der ja für die Reaktoraufsicht zuständig ist.

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