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12.11.08
10:50 Uhr
B 90/Grüne

Monika Heinold zur Regierungserklärung zur Finanzmarktkrise

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob TOP 2, 17 und 22 – Regierungserklärung zur Landeshaus Finanzmarktkrise Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Telefon: 0431 / 988 - 1503 Dazu sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin Fax: 0431 / 988 - 1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172 / 541 83 53 Monika Heinold: presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 389.08 / 12.11.2008

Finanzmärkte reformieren, nachhaltig investieren, Verbraucherschutz garantieren
Die Politik hat ein Glaubwürdigkeitsproblem: Täglich hören die BürgerInnen, dass ge- spart werden muss, dass für mehr Personal in Schulen und Kindertagesstätten kein Geld vorhanden ist und dass Nahverkehrspreise und Krankenkassenbeiträge steigen müssen, um die Systeme weiter finanzieren zu können.
Lohnforderungen der Gewerkschaften werden als utopisch diffamiert, der Mindestlohn als Vernichter unserer Wirtschaft hoch stilisiert und die Erhöhung des Regelsatzes für Hartz IV EmpfängerInnnen um vier Euro pro Monat wird als große Wohltat verkauft.
Wie sollen die BürgerInnen das akzeptieren und einordnen, wenn andererseits, quasi über Nacht, 500 Milliarden Euro Steuergeld zur Rettung der Banken vorhanden sind!
Was ist es für ein Signal, wenn Vereine und Verbände um 10.000 Euro Fördergelder bangen müssen, und auf der anderen Seite plötzlich Milliarden bereitgestellt werden, um - ohne mit der Wimper zu zucken - große renommierte Banken zu retten?
In der Bevölkerung ist der Eindruck entstanden, dass für die Zocker im Finanzsystem Kohle ohne Ende da ist, während für soziale Gerechtigkeit das Geld fehlt!
Wir werden die Menschen nur von der Notwendigkeit eines Rettungspakets überzeu- gen können, wenn wir gleichzeitig ernsthaft und glaubwürdig das enthemmte Treiben auf den Finanzmärkten ein für allemal beenden.
Lange haben sich CDU und SPD geweigert, einen strikten rechtlichen Rahmen für die globalisierten Märkte zu setzen. Um in der aktuellen Krise davon abzulenken, hat die Bundesregierung unter dem Deckmäntelchen der kollektiven Managerbeschimpfung Seite 1 von 6 versucht, ihre Verantwortung für die unzureichenden Regulierungen des Finanzmarktes weit von sich zu weisen.
Ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver!
Der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus hat in einem Interview erklärt, der heutige Kapitalismus sei zu einem Spielcasino verkommen. Recht hat er!
Der Finanzmarkt war getrieben von Gier, von der Maximierung der Gewinne, von kurz- fristigen Erfolgen zu Lasten des Allgemeinwohls. Es entstand ein virtuelles globales Fi- nanzglücksspiel, das nur noch dem kurzfristigen Erzielen möglichst hoher Renditen ver- pflichtet war.
Doch jeder Kettenbrief endet irgendwann!
Jetzt haben die ungebremsten Spekulationen und die Abkopplung der Finanzmärkte von den realen wirtschaftlichen Aktivitäten zu einer Finanzmarktkrise geführt, die eine Bankenkrise von globalem Ausmaß zur Folge hat und Land für Land in die Rezession treibt.
In dieser Situation war es richtig, dass die Bundesregierung schnell gehandelt hat, um den Mechanismus der sich selbst verstärkenden Krise zu unterbrechen und damit noch größere Schäden für die Wirtschaft zu vermeiden.
Dennoch haben wir Grüne im Bundestag gegen das Finanzmarktstabilisierungsgesetz gestimmt. Es ging uns nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“. So war für uns Grüne nicht akzeptabel, dass CDU, SPD und FDP dem Bundesfinanzminister mit diesem Ge- setz eine Blankovollmacht über 500 Mrd. Euro erteilt haben.
Wenn der Steuerzahler mit Milliarden einspringen soll, erwartet er völlig zu Recht Mit- sprache der Politik und maximale Gegenleistung. Aber genau diese Gegenleistungen und Sicherheitsleistungen der Banken sind nicht gesetzlich fixiert worden, sondern un- terliegen allein dem Gutdünken der Bundesregierung.
Das Gesetz spiegelt den Lobbyismus der an der Erarbeitung beteiligten Bank- und Fi- nanzvorstände wider. Das hohe Lied auf die Liberalisierung der Märkte ist verstummt. So fordert ausgerechnet der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Dr. Hermann Otto Solms eine - man höre und staune - Teilverstaatlichung aller Banken und spricht sich gegen das Freiwilligenprinzip bei der Inanspruchnahme des Rettungs- paketes aus. Recht hat der Mann!
Durch die Freiwilligkeit des Rettungsschirms wurde kostbare Zeit verplempert, weil jede Bank Angst hatte, die Erste zu sein, die darauf zurückgreifen muss. Dies macht deut- lich, wie wenig Mut zu durchgreifenden Reformen bei CDU und SPD tatsächlich vor- handen ist.
Ein Hoffnungsschimmer sind die Ergebnisse des Sondergipfels der Europäischen Uni- on, auf dem sich die Regierungschefs auf strenge Regeln, mehr Transparenz, einheitli- che Standards und eine strikte Aufsicht über alle Finanzinstitute verständigt haben. Die- se Forderungen sollen nun gemeinsam auf dem Weltfinanzgipfel in Washington ver- treten werden und ich hoffe, dass die Europäer mit ihren Vorschlägen Erfolg haben!
Auch die Vorschläge des französischen Präsidenten Sarkozy zu einem Aus- und Um-
2 bau des Internationalen Währungsfonds gehen in die richtige Richtung.
Zurück nach Schleswig-Holstein! Auch die Landesregierung hat dem Rettungsschirm für die Banken im Bundesrat zuge- stimmt. Dabei waren sich im Vorfeld alle Fraktionen einig, dass es systemwidrig ist, wenn die Länder zusätzlich zu ihrer finanziellen Verantwortung für die Landesbanken auch noch die Risiken für die Privatbanken mittragen müssen. Mit ihrer Zustimmung hat die Landesregierung die Katze im Sack gekauft.
Sie hatte keinen Einfluss auf die Ausgestaltung des Rettungsfonds und damit auch kei- nen Einfluss auf die Vergabe und die Gestaltung der Hilfen. Wieder einmal hat sich die Landesregierung in Berlin nicht durchsetzen können, wieder einmal sind Finanzminister Wiegard und Ministerpräsident Carstensen mit großen Ankündigungen losgefahren um mit einem leeren Körbchen zurück gekommen.
Wenn Finanzminister Steinbrück bei der Endabrechnung 2011 die Rechnung schickt, kann das Land nur noch zahlen. Das Parlament muss später mit den Folgen des Han- delns der Landesregierung umgehen, aber beraten hat der Finanzausschuss kein ein- ziges Mal einmal darüber!
Auch die finanziellen Verluste der HSH Nordbank werden das Parlament noch lange beschäftigen. Die hohen Verluste der Bank werden sich auch auf den Landeshaushalt auswirken.
Die Landesregierung hat die Situation der Bank komplett falsch eingeschätzt.
Herr Finanzminister, warum haben Sie letzte Woche im Finanzausschuss die zweifel- haften Bilanzen der Bank noch schön geredet, als der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust die Reißleine bereits gezogen hatte und den Vorstand öffentlich aufforderte, sofort ein Worst Case Szenario vorzulegen?
Wie kann es sein, dass Sie dem Finanzausschuss noch Friede, Freude, Eierkuchen vorgespielt haben, und nahezu zeitgleich externe Gutachter zur Überprüfung der Bilan- zen der HSH-Nordbank eingeschaltet wurden?
Herr Finanzminster, wann hat der Aufsichtsrat beschlossen, dass es die Einschaltung externer Wirtschaftsprüfer geben soll? Wussten Sie dieses bereits in der Finanzaus- schusssitzung am letzten Donnerstag und wenn ja, warum haben Sie uns das ver- schwiegen? Seit wann war für den Aufsichtsrat erkennbar, dass es zu einer derartigen Wertberichtigung der Bank kommen würde?
Ich habe den Finanzausschussvorsitzenden gestern darum gebeten, dass dem Beteili- gungsausschuss das Protokoll der letzten Aufsichtsratssitzung zur Verfügung gestellt wird. Meine Fraktion wird danach prüfen, ob wir einen Parlamentarischen Untersu- chungsausschuss beantragen werden!
Wie kann es sein, dass das Risikocontrolling und Risikomanagement erst jetzt zur o- bersten Priorität erklärt wurde?
Niemand weiß, was in den Bilanzen noch schlummert. Und heute erfahre ich aus der Zeitung, und nicht von Ihnen, Herr Minister, dass der Vorstand trotz anhaltender Krise weitere hoch riskante Kreditgeschäfte eingegangen ist.

3 Herr Wiegard, mein Eindruck ist, dass Ihnen die Aufsicht komplett aus dem Ruder ge- laufen ist und der Vorstandsvorsitzende uns keinen reinen Wein eingeschenkt hat!
Noch vor zwei Monaten, als ich Zweifel an der Geschäftspolitik der Bank hatte und eine Aussprache dazu auf die Tagesordnung des Landtages setzte, wurde mir hier im Saal Populismus vorgeworfen.
Heute stellen Sie sich hier hin und sagen - immer noch ohne Fakten zu nennen - Ihr Vertrauen in der Vorstandsvorsitzenden sei gestört.

Herr Finanzminister, die Finanzkrise schwelt seit über einem Jahr. Wenn der Aufsichts- rat dieses Controlling bisher nicht als oberste Priorität eingestuft hat, dann hat er kom- plett versagt!
Herr Ministerpräsident, in Hamburg hat Ole von Beust die HSH Nordbank zur Chefsa- che erklärt. Sie schicken ihren Finanzminister vor.
Gestern hat die Landesregierung die regionalisierte Steuerschätzung vorgelegt. Noch hat die Finanzmarktkrise kaum Auswirkungen auf die Zahlen. Das ist angesichts der drohenden weltweiten Rezession erstaunlich. Erst die nächsten Monate werden zeigen, wie belastbar die prognostizierten Einnahmen wirklich sind.
Das missglückte zusammengeschusterte Konjunkturprogramm der Bundesregierung - man könnte es auch Automobil-Branchen-Beglückungsprogramm nennen - wird mit Si- cherheit nicht zu einer Stabilisierung der Wirtschaft beitragen. In jedem Fall ist es öko- logischer Murks.
Es ist doch eine Schande, dass wir Kinder aus armen Familien in die Suppenküche schicken, während dem Käufer eines Audi Q 7 mit 500 PS, der pro km 300 g CO2 aus- stößt, ein Steuergeschenk von 1.800 Euro gemacht werden soll!
Herr Ministerpräsidenten, ich fordere Sie auf, verhindern Sie diesen Unsinn im Bundes- rat!
Auch auf Landesebene soll die Wirtschaft unterstützt werden. Die Entscheidung der Landesregierung, 42 Millionen Euro in den Schulbau zu investieren, begrüßen wir – sie war überfällig!
Die Wachstumsprognosen für das nächste Jahr zeigen, in welch stürmischen Zeiten wir uns befinden. Vorausschauende Planungen der Landesregierung: Fehlanzeige!
Herr Ministerpräsident, Sie haben sich nicht einmal auf einen kleinen Sturm vorbereitet, wie wollen Sie einen Taifun überstehen?
In den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung, haben Sie leichtfertig die große Chance verspielt, notwendige strukturelle Sparmaßnahmen einzuleiten. Die Verwaltungs- und Strukturreform fiel erst dem Koalitionsgezänk und dann den CDU Kommunalpolitikern zum Opfer.
Und den tatsächlich erzielten Personalabbau von einer Stelle pro Jahr mit dem Tempo einer Schnecke zu vergleichen, wäre eine Beleidigung für die Schnecke.

4 Kommen wir von der Kriechspur wieder zurück zur Überholspur. Stabile Finanzmärkte spielen eine wichtige Rolle für eine funktionierende soziale und ökologische Marktwirt- schaft. Das gilt für die Finanzierung von Unternehmen ebenso wie für den Aufbau einer Altersvorsorge bei Privatpersonen. Deshalb ist es erforderlich, die Finanz- markt(un)ordnung schnell zu reformieren.
Bestehende Einlagensicherungssysteme und Haftungsverbünde der Finanzwirtschaft müssen quantitativ und qualitativ ausgeweitet werden. Die verpflichtende Eigenkapital- hinterlegung muss verstärkt werden. Die bilanzielle Risikoauslagerung in Zweckgesell- schaften gehört verboten. Hedgefonds, Private Equity und andere unregulierte Finanz- marktakteure müssen zukünftig in einen regulierten und kontrollierten Finanzmarkt ein- bezogen werden. Bei einer Weitergabe verbriefter Kredite muss zukünftig ein wesentli- cher Teil dieser Risiken in den eigenen Büchern bleiben.
Auch müssen die Rahmenbedingungen der Bank-Manager für eine nachhaltige Ge- schäftsentwicklung gestärkt werden, durch eine gesetzlich festgelegte Haftungsauswei- tung in den privaten Vermögensbestand, durch eine Begrenzung und Transparenz bei den Managergehältern und durch eine Bemessung der erfolgsabhängigen Gehaltszah- lungen an langfristigen und nachhaltigen Unternehmenszielen statt an kurzfristigen Ge- winnen.
Außerdem muss eine verbesserte Aufsicht und Kontrolle über die neu regulierten Märk- te sichergestellt werden, durch die Ausweitung der Kompetenzen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auf sämtliche Bankgeschäfte, durch internationale Zu- sammenarbeit und die Austrocknung von Steueroasen, durch die Schaffung einer un- abhängigen öffentlich-rechtlichen Europäischen Rating-Agentur, durch die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen „Finanz-TÜVs“ zur Prüfung, Zertifizierung und Zulassung der Finanzprodukte und durch ein dauerhaftes Verbot von so genannten Leerverkäu-fen.
Wir Grüne fordern schon seit Jahren eine Finanzumsatzsteuer, die so genannte Tobin- Steuer. Sie würde einen Beitrag des Finanzsektors zum Gemeinwesen sichern und Spekulationsanreize dämpfen.
Es gibt also eine Menge zu tun!
Dabei dürfen wir notwendige Verbesserungen des Verbraucherschutzes nicht verges- sen. Immer mehr Menschen müssen umfassende und langfristige Anlageentscheidun- gen z. B. über ihre privat finanzierte Altersvorsorge treffen. Dazu muss es unabhängige Beratungsangebote bei den Verbraucherschutzeinrichtungen geben, die von der Fi- nanzbranche finanziert werden, und es muss Informationsstandards über Funktion und Risiken von Finanzanlagen geben, die eine Vergleichbarkeit mit anderen Finanzproduk- ten erleichtern.
Außerdem brauchen wir eine Umkehr der Beweislast, so dass der Finanzdienstleister zukünftig beweisen muss, dass er seine Kunden umfassend über Kosten, Risiken und die Eigenschaften des Produktes beraten hat.
Die Krise auf den Finanzmärkten ist einem kurzfristigen Schmalspurdenken geschuldet. Der schnelle Profit Einzelner zu Lasten der Allgemeinheit hat die Wirtschaft kurz vor den Abgrund geführt.
Aus der Krise lernen heißt, Konsequenzen ziehen: Wir müssen Schluss machen mit dem Kasinokapitalismus und stattdessen globalisierungsfeste Finanzsysteme und staat-
5 liche Kontrollmechanismen aufbauen. Und wir brauchen nachhaltige Konjunkturpro- gramme, die die großen Aufgaben Klimaschutz und Bildung zukunftsfest zumachen.

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