Lars Harms zu TOP 28 - Praxisausführung des Gesundheitsdienstgesetzes
PresseinformationKiel, den 9.10.2008 Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 28 Praxisausführung des Gesundheitsdienstgesetzes (Drs. 16/2227)Es ist ein ambitioniertes Gesetz, dass der Landtag am 14. Dezember 2001 beschlossen hat. Deröffentliche Gesundheitsdienst in Schleswig-Holstein sollte zu einem modernen Bestandteil derGesundheitspolitik mit einem eigenständigen Aufgabenprofil umgestaltet werden. Dieoriginären, eher „gesundheitspolizeilichen“ Aufgaben der Gesundheitsämter sollten zu einerkommunalen Gesundheitspolitik weiterentwickelt werden, die nicht nur Angebote koordiniertund vorbeugend die Gesundheit der Menschen fördert, sondern die langfristig auch dieRessourcenprobleme im traditionellen, kurativen Gesundheitswesen abmildern könnte.Das Ergebnis - jetzt knapp acht Jahre später - ist im vorliegenden Bericht abzulesen. Dabeierscheint die Berichtslage noch außerordentlich dünn und uneinheitlich. Die teilweise fehlendeVergleichbarkeit ist insofern nachvollziehbar, als gerade gewünscht wird, dass Fachverwaltungund Politik vor Ort sich mit kommunalen Besonderheiten und Bedürfnissen auseinander setzen.Die vergleichsweise dünne Datenlage lässt sich aber auch damit erklären, dass zu wenig passiertist. Denn von einer „regelmäßigen Berichterstattung über die gesundheitliche Lage derBevölkerung, über Gesundheitsrisiken, Versorgungsziele, Ressourceneinsatz, Leistungen und 2Ergebnisse des Gesundheitswesens“ – das ist die explizite Definition in diesem Bericht – sind wirnoch Welten entfernt.Bei den kommunalen Gesundheitsberichten geht es zuerst einmal darum, die epidemiologischenund sozialstrukturellen Fakten zusammenzustellen. Allein dies stellt vielerorts schon eineHerkulesaufgabe dar, weil die Daten zwar vielfach schon in der Verwaltung vorhanden abernicht immer problemlos für einen Bericht greifbar sind. Generell gilt, dass für die bestehendenBerichte zumeist Daten verwandt wurden, die standardmäßig durch die traditionelle Tätigkeitdes Gesundheitsamtes und anderer Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitsbereichs anfallen,wie Schuleingangsuntersuchungen, schulzahnärztliche Befunde, Sterbedaten oder die Daten dessozialpsychiatrischen Dienstes und der Drogenhilfe. Außerdem wurden die regionalisiertenDaten des landesweiten Sterblichkeitsberichts genutzt. Positiv hervorzuheben sind Ausnahmenwie Flensburg, wo auch Reihenuntersuchungen in den Kindergärten durchgeführt wurden oderLübeck, wo man die Senioren besonders in den Blick nahm. Heraus sticht auch die Basis-berichterstattung, die trotz ihres Namens bei weitem nicht überall zugrunde gelegt wird. Nurvier Kreise und die Stadt Lübeck haben damit nicht nur die epidemiologischen Daten sondernauch soziodemographische und sozioökonomische Lebensverhältnisse sowie die Ressourcen imregionalen Gesundheitswesen im Blick. Damit ermöglichen sie erst den Abgleich von Bedarf undAngebot. Gerade die Berücksichtigung sozialstruktureller und sozialraumbezogener Daten isteine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Kommunen eigene Strategien entwickelnkönnen. Der im Bericht ausführlich zitierte Lübecker Seniorenbericht mag hier als heraus-ragendes - und ziemlich allein stehendes - Beispiel dienen.Trotzdem ist die Bilanz ernüchternd: Über eine grundlegende Berichterstattung sind nur wenigeRegionen hinausgekommen. Einige Kreise haben mit ihrer Arbeit bisher kaum etwas auf dieBeine gestellt, das das Prädikat Gesundheitsberichterstattung verdient hat. Schlusslicht ist leiderder Kreis Schleswig-Flensburg, der bislang nur über die Trink- und Badewasserqualität sowie 3über die Hygiene der Lippingau berichtet hat. Dies sind Aufgaben, die schon vorher bestandenund nichts mit dem GDG zu tun haben.Die im Bericht der Landesregierung angesprochene kommunale Gesundheitsplanung anhandder Berichterstattung und die Erstellung von Gesundheitsprofilen z. B. für einzelne Sozialräumefinden so gut wie gar nicht statt. Offensichtlich gibt es in vielen Kreisen und kreisfreien Städtendas Problem, dass die medizinischen Gesundheitsdienste auf eine andere, traditionelle Art desÖGD ausgerichtet sind, die nicht unbedingt mit den neuen Vorstellungen von einer aktiven,sozialwissenschaftlich geprägten kommunalen Gesundheitspolitik kompatibel sind. Gesund-heitsberichterstattung stellt aber natürlich nur einen Wert an sich da, wenn der Erkenntnis-gewinn sich dann auch in entsprechende Politik, Planung und Handlung ausmünzt.Die Landesregierung kommt im Bericht zum Schluss, dass es sich um einen „dynamischenProzess“ handelt. Ich möchte es eher als großen Nachholbedarf charakterisieren. Dabei wäre eszu leicht, dies nur den Kommunen in die Schuhe zu schieben. Natürlich können die Politiker undVerwaltungen vor Ort entsprechende Prioritäten setzen, wie es Flensburg z. B. auf Initiative desSSW getan hat. Aber die kommunale Ebene stößt dabei leicht an ihre Grenzen. Der SSW hat be-reits 2001 gewarnt: Wenn die Kommunen nicht die entsprechenden Ressourcen bekommen, wirdder Effekt des GDG begrenzt sein. Dann hängt es vom persönlichen Engagement Einzelner ab. Alsdas Gesetz beschlossen wurde, hat die damalige rot-grüne Regierung aber eine verbindliche Re-gelung vermieden, weil dann finanzielle Forderungen der Kreise und kreisfreien Städte mit Beru-fung auf das Konnexitätsprinzip zu erwarten gewesen wären. Hieran krankt das GDG bis heute.Die Sozialministerin will nun die Nachzügler dadurch motivieren, dass sie ihnen die Drucksache16/2227 zuschickt. Das ist eine Lachnummer. Die Landesregierung muss konkrete Anreize dafürsetzen, dass die Kreise und kreisfreien Städte die grundlegende Berichterstattung auf die Beinestellen. Und sie muss Ressourcen bereitstellen, damit aus Berichten Pläne und aus Plänenkommunale Projekte werden können. Ansonsten bleibt das GDG eines der ambitioniertestenVorhaben dieses Jahrzehnts, das aber nie in die Praxis umgesetzt werden konnte.