Lars Harms zu TOP32 - Beitragsfreies Kindertagesstättenjahr
PresseinformationKiel, den 9. Oktober 2008 Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 32 Umsetzung eines beitragsfreien Kindertagesstättenjahres Schleswig- in Schleswig-Holstein Drs. 16/2028Aus unterschiedlichen Berichten der Landesregierung wissen wir, dass die weit überwiegendeZahl der Eltern das Angebot einer Kindertagesstätte nutzt. In Zeiten steigenderLebenshaltungskosten und stagnierender Löhne überlegen sich allerdings immer mehr Eltern, obsie sich nicht den Kindergarten im wahrsten Sinne des Wortes sparen. Eben nicht die sozialschwachen Eltern, die Anspruch auf Unterstützung haben und für die nur eine vergleichsweisegeringe Summe anfällt, sondern die nach außen gut situierten Mittelstandsfamilien spitzen denRechenstift und melden ihr Kind im Zweifelsfall nicht in der Kita an.Diese Kinder können wir auf jeden Fall durch ein beitragsfreies Kindergartenjahr erreichen.Eltern, die vor der Wahl stehen, 100 oder mehr Euro im Monat an den Kindergarten zuüberweisen oder das Kind selbst zu betreuen, würden so wirklich die Hilfestellung bekommen,die sie benötigen, wenn das letzte Jahr beitragfrei werden würde. Für die Kinder ist diequalifizierte Bildung im Kindergarten auf jeden Fall ein Gewinn.Auch die Träger stehen der Idee eines beitragsfreien Jahres aufgeschlossen gegenüber, bemerkensie doch genau das, was ich eben beschrieben habe. Die familienfreundlichen Kampagnen 2einiger Kommunen wie Handewitt, die das letzte Jahr im Kindergarten vor Schuleintritt ausihrem Haushalt finanzieren, ist für manche Familie ein gewichtiges Argument bei der Wahl desWohnortes.Es bestehen also überhaupt keine Zweifel, dass ein beitragsfreies Jahr einen positiven Effekthaben wird und eben nicht nur einen Mitnahmeeffekt bei Eltern, die ihr Kind auf jeden Fall imKindergarten anmelden, zur Folge haben wird.14 Mio. Euro im ersten Jahr und 35 Mio. Euro im zweiten Jahr hat die Große Koalition berechnet,bei einem durchschnittlichen Elternbeitrag von 120 Euro im Monat für 5 Kita-Stunden.Wir haben hier aber zwei grundsätzliche Szenarien, die zeigen, dass die Umsetzung nicht soeinfach ist, wie wir es uns wünschen. Wenn das Geld pauschal pro Kind ausgezahlt, wird erhaltenwir folgendes Szenario: Es wird Kindergärten mit geringeren Elternbeiträgen geben, die dannsozusagen einen Gewinn machen und andere, die dann einen Verlust machen werden, weil ihrBeitrag höher ist. Wer soll nun für diesen Verlust aufkommen? Die Kommune oder der Träger?Wir wissen es nicht, aber wir wissen manchmal schon, wie teuer dies einem Träger zu stehenkommen kann; schließlich soll ja die Beitragsfreiheit gesetzlich verankert werden.Die Kalkulation mit 120 Euro führt rechnerisch zu einem Verlust bei den Kindergärten desDänischen Schulvereins. Aufgrund des Auftrages der Sprach- und Kulturvermittlung sind dieÖffnungszeiten der dänischen Kindergärten länger als bei den meisten deutschen Einrichtungen;der Elternbetrag ist dementsprechend höher. Mit 120 Euro Ausgleichszahlung im Monat gerieteder Schulverein im Handumdrehen in die roten Zahlen. Erste Überschlagsrechnungen gehen vonAusfällen in Höhe von 170.000 Euro aus, sollte die Summe nicht erhöht werdenBereits dieses Beispiel zeigt, dass die Koalitionäre nacharbeiten müssen. Dringend. Nicht nur hierzeigen sich die Fallstricke einer unübersichtlichen Finanzstruktur, die sicherlich kein einzigerExperte wirklich völlig aufzulösen weiß. Im schleswig-holsteinischen Kita-System gibt esunterschiedliche Einrichtungs-, Träger- und Finanzierungstypen. Es muss vermieden werden,dass sich Kommunen oder Träger an den neuen Zuschüssen bereichern oder an Unterschüssenzugrunde gehen. Darum bedarf es einer gründlichen Diskussion und eines ordentlichenVerfahrens. 3Sehen wir uns aber jetzt das Szenario 2 an. Würde man nun die Summe von 120 Euro nur alsRechengröße ansehen und davon ausgehen, dass jeder Elternbeitrag in seiner tatsächlichenHöhe abgerechnet wird, so würde eine Kindertagesstätte mit niedrigen Beiträgenvergleichsweise wenig Erstattung erhalten und eine mit derzeit hohen Beiträgen würde einehohe Erstattung erhalten. Das heißt zweierlei: Erstens würden die Kitas mit geringen Beiträgennatürlich ihre Finanzierungsstruktur dahingehend ändern wollen, dass die Eltern-Gebühren unddamit die Erstattungen durch das Land steigen. Und zweitens würden auch alle anderen keinenAnreiz mehr haben, die Gebühren zu senken. Wir hätten eine Preisspirale nach oben.Dies waren erst einmal nur grobe Darstellungen dessen, wie verworren hier dieInteressenbeziehungen sind. Wenn wir dann noch die Sozialstaffeln der Kreise und kreisfreienStädte einbeziehen und uns vor Augen halten, dass die Gemeinden – sofern sie nicht schonselber Träger der Einrichtungen sind – die finanziellen Defizite der Kindergärten mit abdecken,wird es erst richtig kompliziert. Die Verbandsvertreter der Kreise, Städte und Gemeinden habenschon deutlich gemacht, dass sie nicht gewillt sind, hier die Lasten zu schultern. Dabei geht esnicht so sehr um die Finanzierung des letzten Kindergartenjahrs. Vielmehr stellt sich diekommunale Ebene die Frage, wer die anderen Kindergartenjahre in Zukunft bezahlen soll. DieEinführung des beitragsfreien Kindergartenjahrs soll ja erst der Einstieg in eine vollständigeBeitragsfreiheit sein. Wie das finanziert werden soll, weiß derzeit niemand. Und da bauen diekommunalen Vertreter schon einmal vor. Sie wollen die Zeche nicht zahlen, zumal sie schon miterheblichen Mitteln an der derzeitigen Kindergartenfinanzierung beteiligt sind. Das kann manauch verstehen.Die Kopplung von erwarteten Einsparungen durch die Verwaltungszusammenarbeit undbeitragsfreiem Kindergarten ist nach unserer Auffassung nicht zulässig. Wir wissen nicht, obüberhaupt Einsparungen erzielt werden können. Erfahrungen aus Dänemark zeigen, dasszumindest in den ersten Jahren eher höhere Kosten als Einsparungen zu erwarten sind. In denersten Jahren werden wir somit mit Ähnlichem bei uns rechnen müssen. Aber selbst, wenn wirtatsächlich nennenswerte Einsparungen haben werden, wie sollen diese dann in die Berechnung 4einfließen? Ich nenne hier einmal ein Beispiel: Wenn Flensburg mit dem Kreis Schleswig-Flensburg kooperiert und dabei nennenswerte Einsparungen erzielt, aber Neumünster zumBeispiel nicht mit dem Kreis Segeberg kooperiert; soll dann im Norden der Kindergarten umsonstsein und in der Mitte des Landes nicht? Das kann wohl so nicht gewollt sein. Ich kann mir auchnicht vorstellen, dass die Kreise und kreisfreien Städte, die Einsparungen erzielen, diese zurFinanzierung aller Kindergartenplätze im Land zur Verfügung stellen.Ähnlich verhält es sich im Übrigen mit der Sozialstaffel, die ja in Zukunft eingespart werden soll.Die Belastung aufgrund der Sozialstaffel ist in den kreisfreien Städten relativ größer als in denKreisen. Sollen diese Mittel nun auf alle verteilt werden? Da würden sich die Städte sicherlichkräftig zu Wort melden. Wir können also auch hier feststellen, dass viele Fragen noch offen sind.Betrachten wir aber noch einmal die Berechnungsgrundlage, die bisher zugrunde gelegt werdensoll. Es ist ein Satz von zirka 120 Euro ermittelt worden auf Basis einer 5-stündigen Betreuung imKindergarten. Was aber ist, wenn der Kindergarten länger geöffnet ist? Wer zahlt dann denübersteigenden Betrag. Wahrscheinlich die Eltern. So wie es derzeit geplant ist, will man vonSeiten der Landesregierung nur eine 5-stündige Grundbetreuung finanzieren. Ist eine längereBetreuung gewünscht oder von Nöten, so muss wieder eine andere Finanzierung her. Das heißt –grob gesprochen - die Grundbetreuung wird vom Staat bezahlt, aber wenn jemand seinen Berufweiterhin ausüben will oder jemand wieder in den Beruf einsteigen will, muss er oder sieweiterhin zahlen. Das politische Ziel „Vereinbarkeit von Kindern und Beruf“ wird so immer nochverfehlt. Es wäre eigentlich besser, hier auch die längeren Betreuungszeiten zu finanzieren,damit möglichst bei allen Kindergärten der Anreiz gesetzt wird, länger auf zu machen. Das Zielmuss es doch sein, möglichst viele Kitas zu haben, die so lange geöffnet sind, dass Berufstätigeeffektiv entlastet werden. Hier sollten wir wirklich noch einmal über die Anreize nachdenken. Eswäre Schade, wenn wir hier nur einen halben Schritt voran kommen.Ein Projekt wie das beitragsfreie Kindergartenjahr ist eben nur bedingt geeignet füröffentlichkeitswirksame Koalitionsrunden. Wir benötigen ein ordentliches 5Gesetzgebungsverfahren, um die unterschiedlichen Gruppen anzuhören und deren Einwändeberücksichtigen zu können.Trotzdem muss man aber sagen, dass der Schritt hin zu einer völligen Beitragsfreiheit natürlichrichtig ist. Die Kindergärten sind der Beginn der professionellen Integration von Kindern mitMigrationshintergrund und sie sind die erste dauerhafte Anlaufstelle, um mögliche Defizite beiden Kindern feststellen zu können. Außerdem lernen die Kinder Sozialverhalten und es machtihnen einfach nur Spaß im Kindergarten zu spielen und neue Freunde zu gewinnen. Wer alsoeinen Kindergarten besucht, hat einen besseren Start ins Leben und dieser Start darf nicht vomEinkommen der Eltern abhängig sein. Deshalb haben wir als SSW immer wieder dieBeitragsfreiheit gefordert und freuen uns, dass wir diesem Ziel offensichtlich einen Schritt nähergekommen sind. Aber der entscheidende Grundsatz muss bleiben: Wer bestellt, der muss auchbezahlen. Es kann nicht sein, dass die Kommunen, die Träger oder gar doch wieder die Elterndraufzahlen müssen. Dann wäre das Ganze eigentlich nur eine Mogelpackung auf Kostenanderer.