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25.04.08
09:37 Uhr
SPD

Ralf Stegner zu TOP 17: Wir wollen Wettbewerb über Qualität und Leistung, nicht Lohndumping

Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion

Kiel, 25.04.2008 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell
TOP 17, Große Anfrage Versorgung mit Postdienstleistungen in Schleswig-Holstein (Drucksache 16/1848)



Ralf Stegner:

Wir wollen Wettbewerb über Qualität und Leistung, nicht Lohndumping

In seiner Rede weist der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Dr. Ralf Stegner, auf die generell starke Arbeitsverdichtung und den hohen Arbeitsplatzabbau bei der Post hin. Vor allem im Bereich der Zustellung wurde Wettbewerb nicht über Qualität, son- dern über den Preis geführt: Bei den privaten Postdienstleistern sind 84 % des Perso- nals geringfügig beschäftigt. Wenn sie keine zusätzlichen Arbeitsplätze haben, sind sie also auf ergänzende staatliche Leistungen angewiesen Mit der Aufnahme in das Ent- sendegesetz wurde die Branche der Briefdienstleistungen vor einem Dumpingwettbe- werb geschützt. Der Mindestlohn und sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäfti- gung ist die Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit. Marktöffnung muss und darf nicht mit Sozial- und Lohndumping einhergehen, so Stegner. Die Post ist gesetzlich verpflichtet, eine Mindestversorgung zu garantieren, auch wenn es sich teilweise be- triebswirtschaftlich nicht rechnet. Hierfür wurden kreative Ideen umgesetzt. Wenn Wettbewerb nicht reguliert wird, geht er zu Lasten der Mehrheit der Menschen.



Die Rede im Wortlaut:



Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-



Zunächst einmal möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten in den Ministerien danken. Ich weiß, wie viel Arbeit die Beantwortung gerade Großer Anfragen macht, möchte aber hinzufügen, dass dies gut investierte Zeit war.

Ich glaube, dass man beispielhaft an der Post sehen kann, was freier Wettbewerb bewirken kann und welche positiven Auswirkungen strikte Rahmenbedingungen haben können. Wir wollten wissen: Wie hat sich der verstärkte Wettbewerb auf die Beschäf- tigten ausgewirkt und welche Auswirkungen gab es für die Bevölkerung? Lassen Sie mich zunächst auf den ersten Punkt eingehen:

Gute Übergangsregelungen und eine starke gewerkschaftliche Interessenvertretung bei der Post haben in der Regel mit dazu beigetragen, dass eine hohe Arbeitsplatzsi- cherheit und eine angemessenen Bezahlung erhalten werden konnten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es natürlich auch hier generell zu einer starken Arbeitsverdichtung und einem hohen Arbeitsplatzabbau gekommen ist – der aller- dings sozialverträglich abgewickelt wurde. Dies sollten wir zumindest weiter beobach- ten. Ich halte es für einen gesellschaftlichen Wahnsinn, immer weniger mit immer mehr Arbeit zu belasten und auf der anderen Seite viele von der Arbeit auszuschließen.

Der Wettbewerb im Bereich der Zustellung hat zu den bekannten und hier noch einmal ausführlich dargelegten schwierigen Folgen für die dort Beschäftigten geführt: Der Wettbewerb wurde weniger über Qualität, sondern über den Preis geführt. Bei den Mitbewerbern wurden überwiegend Löhne bezahlt, von denen man nicht leben kann. In den neuen Bundesländern lagen bzw. liegen die durchschnittlichen Stundenlöhne bei weniger als sechs Euro.

Die ersten Ergebnisse der Erhebungen für 2007 zeigen, dass die 27 privaten Postdienstleister in Schleswig-Holstein 140 Personen sozialversicherungspflichtig in -3-



Vollzeit und 200 Personen sozialversicherungspflichtig in Teilzeit beschäftigen. 84 Prozent, immerhin über 1.800 Betroffene sind geringfügig beschäftigt. Diese Menschen sind, wenn sie keine zusätzlichen Arbeitsplätze haben, auf ergän- zende staatliche Leistungen angewiesen.

Die bisher niedrigen Löhne bei den Wettbewerbern (mit einem Stundenlohn von et- was über 7 Euro in Schleswig-Holstein) verschärfen die Situation noch. Wenn man sich ansieht, dass allein in Schleswig-Holstein im Januar 2007 über 30.000 Bedarfs- gemeinschaften ihre Erwerbseinkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken mussten, ist dies durchaus Grund zur Besorgnis (bundesweit sind 738.000 sozialversicherungs- pflichtig Beschäftigte auf ergänzende staatliche Unterstützung durch das Arbeitslosen- geld II angewiesen).

Mit der Aufnahme in das Entsendegesetz Ende letzten Jahres wurde die Branche der Briefdienstleistungen in letzter Minute vor einem Dumpingwettbewerb geschützt. Auch die Wettbewerber der Deutschen Post müssen nun menschenwürdige Löhne zahlen.

Wir wollen Wettbewerb über Qualität und Leistung, nicht über Lohndumping! Der Min- destlohn ist ein Teil der Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit, die sozialversi- cherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung ist ein anderer wichtiger Teil. Zu recht wurde daher dieser Bereich in das Entsendegesetz aufgenommen: Löhne generell so zu kal- kulieren, dass der Staat etwas dazuzahlen muss, hat nichts mit Marktwirtschaft zu tun, das ist Misswirtschaft, meine Damen und Herren. Marktöffnung muss und darf nicht mit Sozial- und Lohndumping einhergehen, deshalb war die Mindestlohnregelung für Postdienste richtig und notwendig. Nun müssen wir darauf achten, dass der verein- barte Mindestlohn nicht unterlaufen wird – wofür es leider bereits Hinweise gibt. Die Gründung und Finanzierung von Scheingewerkschaften ist kriminell. -4-



Bernd Schröder hat bereits in der Debatte zum Tariftreuegesetz richtig gesagt: „An ei- nem gesetzlichen Mindestlohn und an der Allgemeinverbindlichkeitserklärung weiterer Tarifverträge führt kein Weg vorbei, wenn wir Beschäftigte und die einheimische Wirt- schaft weiterhin gegen Lohndumping schützen wollen.“ Dafür setzt sich die SPD ein und auch ich appelliere ausdrücklich an die CDU, hier die gleiche Einsicht wie beim Tariftreuegesetz zu zeigen. 20 von 27 europäischen Ländern haben einen Mindest- lohn, diejenigen, die ihn nicht haben, haben andere Wege gefunden, um zu einem fak- tischen Mindestlohn zu kommen: (z. B. generelle Allgemeinverbindlichkeitserklärungen oder ein hoher Organisationsgrad aufgrund der Bindung von Arbeitslosenversicherung an die Gewerkschaftsmitgliedschaft) – nur Deutschland nicht.

Das Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg hat den Niedrig- lohnsektor ausführlich untersucht. Insgesamt haben über 70% der Niedriglohnverdie- ner eine abgeschlossenen Berufsausbildung, für über 45% sind es Vollzeitstellen und 3/4 befinden sich in einem Alter zwischen 25 und 54: Es geht nicht um Zuverdienste, es geht nicht um Übergangsjobs wie zum Beispiel in Dänemark oder in den Niederlan- den, sondern es geht um eine ganz normale Arbeit – dafür sollte es auch Löhne ge- ben, die Existenz sichernd sind, die ein eigenständige Leben ermöglichen ohne auf zusätzliche staatliche Leistungen angewiesen zu sein.

Hungerlöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse sind für uns niemals akzeptabel. Men- schen haben ein Recht auf einen Lohn, von dem man leben kann! Und, ich möchte zu bedenken geben: Die Hungerlöhne von heute sind die Hungerrenten von morgen. In beiden Fällen geht dies im Übrigen auch zu Lasten der kommunalen Kassen.

Lassen Sie mich nun zum zweiten Teil unserer großen Anfrage kommen: Welche Auswirkungen gab es für die Bevölkerung? Ich sehe da ein paar Parallelen zum Bereich öffentliche Banken und Sparkassen. Wer staatliche Privilegien genießt, -5-



wie es die Post als Post-Universaldienstleister nach wie vor tut, muss sich auch anders verhalten, als es die reine betriebswirtschaftliche Berechnung gebieten würde.

Ich möchte zur Illustration aus einer dpa-Meldung vom 16.1. dieses Jahres zitieren: „Nach dem Wegfall des Briefmonopols Anfang dieses Jahres soll nach den Vorstellun- gen Steinbrücks die Umsatzsteuerbefreiung nicht nur für die Post in vollem Umgang weiter gelten. Von dem Privileg sollen auch Post-Konkurrenten profitieren. Für die Um- satzsteuerbefreiung müssen sie jedoch flächendeckend alle Post-Universaldienste an- bieten.“

Die Post muss, so wurde es auch gesetzlich festgehalten, eine Mindestversorgung garantieren, sie muss in der Fläche präsent sein, ortsnahe Dienstleistungen anbieten. Auch wenn es sich teilweise betriebswirtschaftlich nicht rechnet. Wir können dem Be- richt entnehmen, dass die meisten Sorgen unberechtigt waren, aber auch, weil es har- te Vorschriften gab, auch, weil es zudem eine Flexibilität, einen Ideenreichtum gab, wie die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden kann: Die Zusammenarbeit mit Markttreffs oder die Möglichkeit, bei der Briefträgerin oder dem Briefträger direkt auch andere Postdienstleistungen zu bekommen, seien nur beispielhaft erwähnt und besonders für den ländlichen Raum und die ältere Bevölkerung essentiell.

Wolfgang Thierse hat auf der Veranstaltung der SPD zur Erinnerung an die Rede von Otto Wels gegen das Ermächtigungsgesetz folgendes gesagt: Demokratie ist kostbar, wir müssen aber zumindest Mindesterwartungen erfüllen.

Es tut unserem Land nicht gut, wenn wir Menschen oder Regionen ausgrenzen, ab- schreiben, oder ihnen erzählen, dass sie nicht gebraucht werden und uns dann wun- dern, welche Folgen das hat! Wettbewerb kann unzweifelhaft enorme Potentiale heben – wenn wir ihn aber nicht regulieren, geht es zu Lasten der Mehrheit der Menschen. -6-



Wir haben die Mittel, etwas dagegen zu tun, und sollten uns nicht von falsch verstan- denen ökonomischen Theorien davon abhalten lassen.