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24.04.08
15:23 Uhr
B 90/Grüne

Detlef Matthiessen zum Abschied vom Kohlestrom

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort. Claudia Jacob Landeshaus TOP 38 und 53 – Abschied vom Kohlestrom Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Dazu sagt der umwelt- und energiepolitische Sprecher Telefon: 0431 / 988-1503 Fax: 0431 / 988-1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172 / 541 83 53 Detlef Matthiessen: E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de


Nr. 157.08 / 24.4.2008 Abschied vom Kohlestrom
Mit dem Neubau von großen Kohlekraftwerken erhöhen wir die Treibhausgasemissionen statt sie zu senken. Klimaschutz: NEIN DANKE! Das ist das Motto der Landesregierung.
Die von der Bundesregierung beschlossene Reduzierung der CO2-Emissionen um 40 Prozent bis 2020 und 80 Prozent bis 2050 kann nur erreicht werden, wenn keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden.
Am 21.12.06 unterzeichnete Wirtschaftsminister Austermann einen Optionsvertrag mit der SüdWestStrom GmbH. Der Landtag stimmte der Veräußerung des landeseigenen Grundstückes mit Mehrheit zu. Inzwischen wird diese Entscheidung immer deutlicher als Fehler erkannt. Diese Erkenntnis fand daher auch ihren Niederschlag in Parteitagsbe- schlüssen der SPD, die hier in Landtag und Regierung die Kohlestrategie ungebrochen mit trägt.
Brauchen wir Kohlestrom? Ist die schnell daher geredete Formel, ein Ausstieg aus Kohle und Atom sei nicht möglich, richtig?
Brauchen wir zentrale große Kondensationskraftwerke mit schlechtem Wirkungsgrad? Mehr als die Hälfte des eingesetzten Brennstoffes geht verloren.
Schleswig-Holstein ist schon heute ein Stromexporteur. Diese Position würde durch den Bau von Offshore-Windkraftanlagen ausgebaut.
Sollen wir von Kohle reden? Wir leben in einem Land, in dem nur 12 Prozent Strom in Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt wird. In Dänemark sind es 65 Prozent. Das liegt nicht an der Physik, das liegt an den energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen!
Die durch die Stromerzeugung bedingten CO2-Emissionen in Schleswig-Holstein würden sich von heute 6,7 Mio. t auf 24,7 Mio. t mehr als verdreifachen.

1/3 Es werden nur vergleichsweise wenige Dauer-Arbeitsplätze entstehen. Die SWS hat in- zwischen erreicht, dass sich die Schleswiger Stadtwerke an dem geplanten Kohlekraft- werk in Brunsbüttel mit einer Kraftwerksscheibe von 3 MW beteiligen. Das hatte die Ratsversammlung am 14.4.08 beschlossen. Mir ist nicht bekannt, ob es weitere Partner aus dem norddeutschen Raum gibt. Die große Masse des erzeugten Stroms wäre wei- terhin für Süddeutschland bestimmt.
Die Bevölkerung befürchtet erhebliche Gesundheitsgefahren und eine Schadstoffbelas- tung der landwirtschaftlich genutzten Böden, u. a. weil nicht die best verfügbare Filter- technik vorgesehen ist.
Eine CO2-Abscheidung (CCS) in großtechnischem Maßstab ist nicht in Sicht. Saubere Kohle ist eine dreckige Lüge, ein Märchen zur Legitimation des Kohleprogramms. Mehr als die Hälfte der erzeugten Energie soll als Abwärme die Elbe aufheizen.
Werden, wie geplant, mehr als 20 GW Windstrom angelandet, wird das Netz für den Kohlestrom nicht ausreichen: Die Kohlekraftwerke werden dann nicht die erhofften Lauf- zeiten erreichen können und – wenn CO2-Zertifikate erworben werden müssen - keinen preiswerten Strom produzieren.
Deutschland wird seine Verpflichtungen zum Schutz des Klimas nicht erfüllen können, wenn derart massiv Kohlekraftwerke errichtet werden. Eine Klima verträglichere Variante wäre ein wesentlich kleineres GuD-Kraftwerk auf Gasbasis, das bei gutem Windangebot Gas in einen Salzspeicher einlagert, so dass die vorhandene Gasleitung ausreichend dimensioniert ist.
Die grundsätzliche Frage bleibt, warum wird mit allen Mitteln versucht, in neue Kohle- kraftwerke zu investieren, obwohl jeder Mensch weiß, dass damit die Klimaschutzziele zwingend verfehlt werden. Es geht um das Erzeugungsmonopol beim Strom. Diese grundlegende Macht wollen die Konzerne auf keinen Fall aufgeben. Sie wollen eine Er- zeugungsstruktur festschreiben, die auf zentrale große Einheiten setzt und den atomaren und fossilen harten Energieweg fortführt. Der Feind der großen Stromkonzerne ist klar, das sind dezentrale Strukturen mit Kraftwärmekopplung und die erneuerbaren Energien.
Jede Kilowattstunde aus den erneuerbaren ist eine vermiedene Kilowattstunde schmut- zigen Stroms.
Ich zweifele massiv die Wirtschaftlichkeit neuer Steinkohlekraftwerke an. Kein neues Kohlekraftwerk wird die prognostizierten Volllaststunden von 6.500 im Jahr erreichen. Wegen des gesetzlich vorgeschrieben Vorrangs des Stroms aus erneuerbaren Energien müssen fossile Kraftwerke runtergefahren werden. So werden Volllaststunden unter 5.000 erreicht. Damit ist ein Steinkohlekraftwerk aber unwirtschaftlich. Das wird in dem Gutachten für die Kieler Stadtwerke auch deutlich ausgeführt.
Für die Bereitstellung von Regelstrom sind Gaskraftwerke sehr viel besser geeignet als Kohlekraftwerksblöcke. Gaskraftwerke sind sehr viel flexibler in der Leistungssteuerung.
Ab 2013 sieht die EU vor, dass alle CO2-Zertifikate ersteigert werden müssen, es gibt dann keine kostenlosen Geschenke mehr an die Kraftwerksbetreiber. Die Zeiten sind dann vorbei, in denen die kostenlos zugeteilten CO2-Zertifikate in die Strompreise mit ih- ren Marktwert eingerechnet werden konnten. Das gab einen schönen Extraprofit von zir- ka 5 Mrd. Euro pro Jahr. Der zukünftige Preis der CO2-Zertifikate kann leicht 70 Euro pro Tonne erreichen. Damit würde sich der Preis des Einsatzstoffes Steinkohle quasi vervier- fachen. Noch mal zum Mitschreiben: Die Verbrennung einer Tonne Steinkohle ergibt 3 Tonnen CO2. Die Tonne Kohle kostet 110 Dollar, also zirka 70 Euro, liegt der Zertifikats- preis von CO2 auch in dieser Höhe, fallen Gesamtkosten pro Tonne Kohle in Höhe von 280 Euro an. Unwirtschaftlich.
Das gleiche wird mit der CO2-Abscheidung mit der noch nicht vorhandenen CCS- Technologie (Carbon-capture and storage) passieren.
Die Hoffnung auf ein funktionierendes CCS-System der Abscheidung, des Transports und der sicheren tausendjährigen Lagerung von CO2 ist ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Heutige Aussagen über Kosten und Risiken sind noch Stochern im Nebel. Des- halb sind die Wirtschaftlichkeitsberechnungen neuer Kohlekraftwerke mit Vorsicht zu ge- nießen.
Eine Nachrüstung der CO2-Abscheidung kann nach Aussagen der Kieler Gutachter bis zu 400 Mio. Euro kosten. Hinzu kommen die Betriebskosten für die CO2-Abscheidung, das ist sehr energieintensiv und senkt den Wirkungsgrad des Kraftwerks um zirka 10 Prozent, sowie Kosten für den Transport mit Schiff oder Pipeline sowie für die sichere Lagerung für Tausende von Jahren. Das Wuppertal-Institut hat errechnet, dass allein die Abscheidung des CO2 im Kraftwerk Kosten in Höhe von 40 bis 70 Euro pro Tonne CO2 verursacht. Bei 5 Mio. t CO2 jährlich bei einem 800 MW-Kohlekraftwerk wären das bis zu 350 Mio. Euro zusätzliche Kosten. Das sind alles nur grobe Schätzungen, weil es keine realen Erfahrungen gibt. Trotzdem:
Wird der Strompreis aus einem solchen Kohlekraftwerk deutlich ansteigen auf 6 ct pro kWh. Da ist der Windstrom konkurrenzfähig.
Schleswig-Holstein hat alle Voraussetzungen, das Vorzeigeland des erneuerbaren Stroms zu werden. Es muss in die Zukunft investiert werden und nicht in veraltete fossile Technik.
Der letzte Hilfsanker ist die angebliche Stromlücke, die uns schon ab 2012 drohen soll. Alle von den Stromkonzernen unabhängigen Fachleute weisen diese Unterstellung zu- rück. Obwohl 5 AKWs zurzeit stillgelegt sind, exportiert Deutschland Strom in einer jährli- chen Menge von 20 TWh. Mich erinnern diese Angstmacherparolen an den ehemaligen Ministerpräsidenten von BaWü Filbinger, der ungestraft behaupten konnte, ohne Atom- strom gingen die Lichter aus und wir würden in der Steinzeit landen. Was für ein Unfug darf ein Politiker erzählen, nur um Extraprofite für die Stromerzeuger zu garantieren.
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