Karl-Martin Hentschel und Angelika Birk zum grünen Antrag für eine Reform der Berufsausbildung
Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Stellv. Pressesprecher Dr. Jörg Nickel Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0178/28 49 591 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 048.07 / 06.02.2008 Berufsausbildung neu buchstabieren Grüne Eckpunkte für eine Reform der BerufsausbildungDie Landtagfraktion Bündnis 90/Die Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag legt Eck- punkte für eine Reform der Berufsausbildung vor. Dazu erklären der Fraktionsvorsitzende, Karl-Martin Hentschel und die bildungspolitische Sprecherin, Angelika Birk:Wir bringen in den Landtag einen Antrag ein, in dem wir die Landesregierung auffordern, auf- grund der vorgelegten Eckpunkte ein Gesamtsystem für die Berufsauszubildung vorzulegen, das sicherstellt, dass alle Jugendlichen eine Berufsausbildung bekommen. Berufsausbildung muss wie die allgemeine Schulpflicht ein selbstverständlicher Teil der Ausbildung von Jugend- lichen sein.Dafür soll die Landesregierung in Abstimmung mit den Akteuren der Berufsbildung ein in sich geschlossenes, einfaches und transparentes Ausbildungssystem erarbeiten. Das duale Sys- tem hat sich bewährt und soll weiterhin wichtigster Bestandteil dieses Systems sein. Seine Stärken liegen in der praxisnahen Ausbildung und in der guten Integration der Jugendlichen in den Arbeitmarkt. Deswegen wollen wir daran festhalten und begrüßen das Engagement aller Be- teiligten, das zu einer erheblichen Zunahme der bereitgestellten Ausbildungsplätze geführt hat.Die Grüne Landtagsfraktion begrüßt auch das Handlungskonzept „Schule und Arbeitswelt“ der Landesregierung, um den Übergang der Jugendlichen von der Schule in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu verbessern.Die Problemlage Trotz der großen Vorteile des dualen Systems ist die Situation unbefriedigend. Es gibt große Probleme, denen die Politik sich stellen muss: -> Ein großer Teil der Hauptschülerinnen, der SchülerInnen ohne Hauptschulabschluss, aber auch viele RealschülerInnen bekommen nach der 9., bzw. 10. Klasse keine Lehrstelle. -> Wichtige Berufe werden nicht ausreichend ausgebildet, in anderen werden viel mehr Ju- gendliche ausgebildet, als gebraucht werden (z. B. FriseurInnen). -> 15 Prozent der Jugendlichen bekommt keine Ausbildung, bei den Jugendlichen mit Migrati- onshintergrund macht nur noch ein Viertel eine Berufsausbildung. 1/3 -> Immer neue Sonderprogramme der Länder, des Bundes und der EU lösen nicht das Prob- lem. Häufig führen sie nur zu erheblichen Mitnahmeeffekten. -> Nach Schätzungen befinden sich ca. 500 000 Jugendliche in diesem teuren Übergangssys- tem, das von 40 Prozent der Jungen und 25 Prozent der Mädchen durchlaufen wird. Die Effi- zienzverluste werden auf über 3,4 Milliarden Euro jährlich geschätzt. -> Das Durchschnittsalter bei Beginn einer dualen Ausbildung liegt mittlerweile bei 20 Jahren. Wenn ganze Schulklassen die Erfahrung machen, dass sie trotz zahlreicher Bewerbungen keine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben, und sich z. T. jahrelang im Übergangssys- tem aufhalten, dann führt dies zu einer Demotivation, die von den BerufsschullehrerInnen, So- zialarbeiterInnen und BetreuerInnen nur sehr schwer aufzufangen ist.Eckpunkte für eine Reform Wir brauchen deshalb ein Gesamtsystem, das sicherstellt, dass alle Jugendlichen eine Beruf- ausbildung bekommen. Dafür sollen folgende Eckpunkte gelten: -> Alle Jugendlichen machen entweder Abitur oder eine Berufsausbildung. -> Durch eine Schülerdatei wird sichergestellt, dass alle Jugendlichen nach der 10. Klasse ei- ne Berufsausbildung durchlaufen. -> Die Entscheidung über die Wahl der Schule oder Ausbildung in der Sekundarstufe 2 erfolgt einheitlich nach dem 10. Schuljahr. Ausnahme bilden die SchülerInnen, die schon nach dem 9. Schuljahr die Berechtigung für den Übergang in die Sek II erwerben (G8-System der Gym- nasien). -> Ausbildung und Schule werden modularisiert. Die praktischen, theoretischen und allge- meinbildenden Module werden gesondert testiert und bei einem Wechsel der Ausbildung oder der Schule angerechnet.Es gibt folgende Formen der Sekundarstufe II: -> Betriebliche Ausbildung im dualen System oder eine staatlich anerkannte Ausbildung an privaten oder staatlichen Einrichtungen (z. B. Krankenpflegeausbildung, Verwaltungsdienst, ErzieherInnenausbildung) -> Ausbildung an einer Berufs- oder Produktionsschule mit vergleichbaren Praxisanteilen in Betrieben und den überbetrieblichen Ausbildungszentren der Kammern -> Gymnasiale Oberstufe an einem Gymnasium, Fachgymnasium oder einer Gemeinschafts- schule mit dem Abschluss Abitur oder Fachhochschulreife -> Polyvalente 4-jährige Oberstufe mit dualer Berufsausbildung, die sowohl zum Abitur wie zu einem Berufsabschluss führt. -> Für die Finanzierung des Systems können die zahlreichen Warteschleifenprogramme ge- gengerechnet werden. Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft können sogar erhebliche Gelder eingespart werden. Es sollte aber geprüft werden, ob nach dem Mo- dell der Bauwirtschaft Betriebe in den Branchen, in denen unter Bedarf ausgebildet wird, durch eine Abgabe herangezogen werden, wenn sie selbst nicht ausbilden. Polyvalente Gymnasiale Oberstufe Produk- Duale/ Oberstufe (4 Jahre) tionsschule betriebliche (3 Jahre) Abitur + (3 Jahre) Ausbildung Abitur Beruf Beruf (3 Jahre) Beruf Gemeinschaftsschule Gymnasium Regionalschule (5 Jahre) (6 Jahre) Grundschule (4 Jahre)Erläuterungen -> Die Schülerdatei ist wichtig, da heute nicht wirklich kontrolliert wird, ob die Jugendlichen überhaupt ihrer Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr nachkommen. -> Die Vorstellung, dass HauptschülerInnen schon nach 9 Schuljahren eine Berufsausbildung beginnen können, ist nicht mehr realistisch. Sie konkurrieren dann mit RealschülerInnen, die ein Jahr älter und reifer und dazu schulisch weiter sind. NRW und Berlin haben bereits das 10. Pflichtschuljahr für HauptschülerInnen, die meisten anderen Bundesländer bieten es optional an. Das 9. und 10. Schuljahr sollte dann aber auch intensiver als heute auf die Berufsausbil- dung vorbereiten. -> Eine Modularisierung der dualen Berufsausbildung sowie der Ausbildung in einer Produkti- onsschule/Berufsschule führt zu zertifizierten Teilqualifikationen, auf denen aufgebaut werden kann und die bei einer Neuorientierung der Auszubildenden angerechnet werden. Die Modul- arisierung wird sowieso durch die Ausrichtung unserer Ausbildungscurricula am EQR (europä- ischer Qualitätsrahmen) erforderlich. -> Das Modell der Produktionsschule soll sich an den Modellen in anderen Bundesländern, in Österreich und dem erfolgreichen prämierten System in Dänemark orientieren. Die Grundlage dafür wurde 2005 durch die Änderung des Paragraf 43 des BBiG (Berufsbildungsgesetz) ge- schaffen. Danach können die Länder entsprechende Bildungsgänge einrichten, wenn die aus- reichende praktische Ausbildung sichergestellt ist. -> Schon heute finden erhebliche Teile der praktischen Ausbildung in vielen Handwerksberu- fen nicht mehr in den Betrieben, sondern in den überbetrieblichen Ausbildungszentren statt. Diese werden zwar von den Kammern getragen, die Investitionen erfolgen aber mit erhebli- chen Zuschüssen des Landes. -> Außerdem gibt es auch heute schon zahlreiche Ausbildungsberufe, die in betrieblichen oder staatlichen Schulen außerhalb des dualen Systems erfolgen. Dazu gehören fast alle Gesund- heitsberufe. Schon 1998 machte dieser Bereich in Schleswig-Holstein über 20 Prozent aus. -> Es sollte die Möglichkeit bestehen, zwischen dualer Ausbildung und Produktionsschule zu wechseln. -> Die Polyvalente Oberstufe richtet sich an die Jugendlichen, die vor ihrem Studium eine Be- rufsausbildung machen möchten und vermeidet den heutigen Zeit- und Ressourcenverlust, der entsteht, wenn Abiturienten erst eine Ausbildung machen und dann studieren.