Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
30.01.08
15:50 Uhr
SPD

Rolf Fischer zu TOP 13: Erfolg des Lissabon-Vertrages: Wir haben mehr Bürgerrechte

Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion

Kiel, 30.01.2008 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell
TOP 13: Der Vertrag von Lissabon (Drucksache 16/1801)


Rolf Fischer:

Erfolg des Lissabon-Vertrages: Wir haben mehr Bürgerrechte

Mehr Demokratie in Europa, Stärkung des Europäische Parlaments, Stärkung der Bürgerrechte durch ein europäisches Bürgerbegehren, mehr Rechte für die nationalen Parlamente bei europäischen Fragen – das alles, resümiert der euro- papolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Rolf Fischer, ist der Erfolg des Lissabon-Vertrages. Das Ziel einer europäischen Wertegemeinschaft ist erreicht. Fischer fordert Regierung und Parlament zu intensiver Kommunikation mit den Bürgern auf, um die Errungenschaften des Vertrages deutlich zu machen. Schleswig-Holstein kann als aktiver Partner in der Ostsee- und in der Nordsee- kooperation den Dialog im Bereich der neuen Außenpolitik verstärken und neu beleben. Fischer plädiert für eine starke regionale und gleichzeitig europäische Identität und fordert, gleiche Standards zu schaffen, damit es nicht zu sozialen Verwerfungen in Europa kommt.



Die Rede im Wortlaut: „Frohgemut ins europäische Dickicht“ titelte eine große deutsche Wochenzeit- schrift zur Unterzeichung des europäischen Reformvertrages - so ganz falsch ist dies nicht: Der vorliegende Text ist zwar kürzer als der ehedem abgelehnte, aber



Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-



nicht nur der europäische Laie wird weiterhin seine großen Orientierungsproble- me mit Umfang, Lesbarkeit und Verständlichkeit haben.

Und doch ist dieser Europäische Reformvertrag ein wichtiger Schritt aus der Krise Europas, die es nach den negativen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden zu überwinden galt. Er bietet eine deutlich verbesserte Grundlage für das Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger im erweiterten Europa. Und zwar deshalb, • weil wir mehr Demokratie in Europa haben, • weil das Europäische Parlament gestärkt wurde, • weil die Bürgerrechte durch ein europäisches Bürgerbegehren gestärkt sind, • weil die nationalen Parlamente mehr Reche bekommen haben, bei euro- päischen Fragen mitzuwirken.

Kurz gesagt: Wir haben jetzt mehr Bürgerrechte; das ist für mich der wahre Er- folg dieses Vertrages!

Die Grundrechtecharta, die jetzt rechtsverbindlich ist, stellt faktisch eine euro- päische Verfassung dar – auch wenn der Text leider nicht im Vertrag enthalten ist und es in Großbritannien und Polen nicht nachvollziehbare Einschränkungen gibt.

Wir haben immer gesagt, auch in diesem Parlament, dass wir nicht nur eine Wirtschafts- sondern vor allem eine europäische Wertgemeinschaft wollen. Das war unser Ziel, weil nur die gemeinsamen Werte ein friedliches und demo- kratisches Miteinander in Europa garantieren. Das Ziel ist erreicht und das ist ei- ne große politische Leistung! -3-



Jetzt beginnt die Ratifizierungsphase und ich appelliere an die Regierung, aber auch an die Fraktionen hier im Landtag: Die Ratifizierungsphase ist kein Selbst- gänger und wir dürfen den Kardinalfehler der ersten Runde nicht wiederholen, d.h. wir müssen das öffentliche Gespräch noch stärker forcieren! Wir brauchen jetzt eine intensive und klare Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bür- gern!

Die Reformen sind zweifellos ein Erfolg; aber sie sind auch nur eine neue Me- chanik. Wir müssen deshalb für diesen Reformvertrag werben, ihn lesbar und verständlich machen, damit die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich den Wert er- kennen, der mit diesem Reformvertrag geschaffen wurde. Das ist auch deshalb wichtig, weil Europa ein lernendes System ist und sich auch weiter verändern wird.

Die Bürgerinnen und Bürger und wir, ihre Vertreter in den Parlamenten, müssen über die Zukunft der Union, über die gemeinsamen Werte und die damit verbun- dene europäische Identität sprechen. So wichtig ein Europa der Nützlichkeit ist, so wenig kann es ohne die grundsätzlichen Überzeugungen auf Dauer überle- ben. Weil die EU kein gewachsener Staat ist, muss sie, müssen wir immer wie- der die Grundfrage der Bürgerinnen und Bürger beantworten: Was macht die Identität Europas aus und wohin führt der Weg?

Viele Menschen brauchen Zeit, um sich mit dem neuen Gesicht Europas anzu- freunden und Vertrauen zu fassen. Es gilt, auch die Kritiker ernst zu nehmen, die Sorgen vor zuviel Europa haben, die den Europäischen Superstaat ablehnen, der keinen Platz für regionale Interessen gibt.

Das ist eine große Chance für Schleswig-Holstein: Nicht nur, dass wir die Ver- fassung begrüßen und uns mit einigen Initiativen an diesem Prozess beteiligt -4-



haben, wir können aus unserer Situation als aktiver Partner in der Ostsee- und in der Nordseekooperation den Dialog im Bereich der neuen Außenpolitik ver- stärken und auch neu beleben.

Eine europäische Außen- und Nachbarschaftspolitik, die durch den neuen, leider nicht so zu nennenden europäischen Außenminister formuliert wird, muss auch die Regionen Europas einbeziehen, wenn sie die neuen Strukturen umsetzen und mit Leben erfüllen will. Ohne Regionen geht es nicht!

Ich plädiere ganz entschieden für eine europäische Landespolitik, die wir im- mer wieder neu bestimmen und diskutieren müssen; eine Landespolitik, in der sich Regionen, wie z.B. Norddeutschland, noch stärker als bisher abstimmen und gemeinsame Aktivitäten entwickeln. Eine Landespolitik, die der Brüsseler Anonymität eine starke regionale und gleichzeitig europäische Identität an die Seite setzt.

Schleswig-Holstein hat hier auf dem Hintergrund der nun reformierten europapo- litischen Praxis neue und viel versprechende Möglichkeiten erhalten. Insbeson- dere die Kontakte zu Polen und Russland sind als regionales Engagement nicht zu unterschätzen: Hier konnten wir viel Vertrauen aufbauen, das nun in dieser Dialogphase gefordert ist. Diese sollten wir nutzen; als Regierung, aber auch als Parlament. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, sich in dieser histori- schen Situation zurückzuziehen und anderen Länderparlamenten und dem Bun- destag das Spielfeld zu überlassen.

Zu kritisieren bleibt aber, dass in der europäischen Außen- und Sicherheitspoli- tik weiterhin das Prinzip der Einstimmigkeit gilt. Hier fehlt offenbar in der EU noch Vertrauen. Gleiches gilt für`s „Flagge zeigen“, d.h. für die Verwendung eu- ropäischer Symbole. Auch hier spielten offensichtlich nationale Eigen-Interessen -5-



immer noch eine größere Rolle als die europäische Einigkeit und Verbundenheit. Das ist schade, weil doch beides, die Darstellung nationaler Symbolik wie Flagge oder Hymne und europäische Symbolik vielfach längst nebeneinander existieren.

Zurück zum Positiven: Durch unsere deutsche Föderalismusreform I und durch den Reformvertrag von Lissabon hat der Bereich der Subsidiaritätskontrolle an Bedeutung gewonnen. Zumindest sind neue Rechte und Verfahren auf den Weg gebracht, die uns auch in diesem Parlament betreffen. Wir haben ja bereits meh- rere Probeläufe durchgestanden, die sich allerdings als sehr kompliziert erwie- sen haben.

Ich danke aber dem Landtagspräsidenten ganz ausdrücklich, dass er dafür ge- sorgt hat, dass wir an diesen zwei Probeläufen zur Subsidiaritätskontrolle teil- nehmen und damit Erfahrungen sammeln konnten. Hier geht es nämlich ein Stück politischer Macht, um die Möglichkeit der Einflussnahme auf die euro- päische Beschlussfassung. Wer diese Regeln beherrscht, kann mitmachen – wir sind, denke ich, gut aufgestellt.

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen: Wir werden zukünftig noch mehr Wert auf die soziale Dimension Europas legen müssen. Es ist klar, dass die damali- ge Ablehnung des Verfassungsvertrages auch mit den Ängsten von Menschen zu tun hat - Angst vor Arbeitsplatzverlust, vor Dumping-Löhnen und europäischer Konkurrenz am Arbeitsplatz. Selbst wenn diese Ängste zum großen Teil unbe- gründet sind, sind sie doch vorhanden und ernst zunehmen.

Die soziale Dimension dieses Reformvertrages ist wichtig: Demonstrationsrecht, Recht auf Arbeitnehmervertretungen, freie Gewerkschaften, Streikrecht – für uns Selbstverständlichkeiten, für viele neue EU-Bürger durchaus nicht! Hier gilt es, gleiche Standards zu schaffen, damit es nicht zu sozialen Verwerfungen in -6-



diesem neuen Europa kommt. Die Chance dafür ist durch den Reformvertrag größer geworden!

Ein gutes europäisches Jahr liegt hinter uns; ein gutes europäisches Jahr liegt hoffentlich vor uns, denn in einem Jahr soll der Reformvertrag überall ratifiziert sein und am 1. Januar 2009 in Kraft treten. Tun wir unseren Teil dazu!