Lars Harms zu TOP 25 - Transparenter und gerechter Zugang zu Organspenden
Presseinformation Kiel, den 21.11.2007 Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 25 Transparenter und gerechter Zugang zu Organspenden Drs. 16/1696Der Flensburger Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg hat auf ein beklemmendesGerechtigkeitsproblem in unserem Gesundheitssystem hingewiesen: laut einer Studie desBundesgesundheitsministeriums bekommen Privatversicherte 60 Prozent mehr Nieren-, 101Prozent mehr Lungen- und 127 Prozent mehr Herztransplantationen als ihnen zahlenmäßigzustehen würde. Ich denke, dass ich nicht zu hoch greife, wenn ich die Befunde für so grundlegendhalte, wie vor einigen Jahren die Ergebnisse der PISA-Studie im Schulwesen. Ich will auch erklären,warum: Jahrelang hatte man sich in Deutschland in der falschen Sicherheit gewogen, dass dieschulischen Chancen unabhängig von sozialer Herkunft, Wohnort und finanzieller Möglichkeitender Eltern seien. PISA hat gezeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. In kaum einem anderenIndustrieland entscheidet der soziale Status stärker über das schulische Abschneiden als inDeutschland.Jetzt kommt sozusagen der PISA-Schock fürs Gesundheitswesen, wo sich Patienten undBeitragszahler darauf verlassen, dass angesichts hoher finanzieller Belastungen von Beschäftigtenund Arbeitgebern zumindest ein gerechter Zugang zu Gesundheitsleistungen garantiert ist. Und 2nun zeigt sich allerdings, dass im Gesundheitswesen offenbar nicht nach der Schwere des Fallesund seiner Dringlichkeit entschieden wird. Nicht der Kranke erhält die beste Versorgung, der amkränksten ist, sondern derjenige, dessen Privatversicherung die höchsten Honorare zahlt. Es stehtzu befürchten, genaue Analysen stehen allerdings noch aus, dass trotz eines strengenRegelwerkes bei der Zuteilung der äußerst knappen Organe nicht ausschließlich nachmedizinischen Kriterien, sondern auch nach dem Geldbeutel verteilt wird. Das muss vor allemdiejenigen verunsichern, die im guten Glauben der Organentnahme bei zugestimmt haben, dassdieses Organ eben nicht verschachert wird. Dies ist kaum wieder gut zu machen, wenn sich dieBevorzugung von Privatpatienten bei der Zuteilung erhärten sollte.Das Bundesgesundheitsministerium, das die Statistik nach den Kieler Vorfällen herausgegebenhat, dementiert in diesem Punkt nachdrücklich. Es ginge überhaupt nicht um den Geldbeutel desPatienten, schließlich fänden sich unter den Privatversicherten ja auch Beamte und Soldaten.Diese Personengruppe würde bekanntermaßen nicht über die höchsten Einkommen verfügen.Man will uns glauben machen, dass man sich mehr Gesundheit nicht kaufen könne. Richtig ist andieser ministeriellen Faktenhuberei lediglich, dass es nicht auf den Geldbeutel des Patienten,wohl aber auf seinen Versichertenstatus ankommt.Es geht nicht um die Frage, ob es sich um einen Beamten oder um einen Großverdiener handelt,sondern um die jahrelang geduldete Privilegierung bestimmter Patientengruppen durch dieZweiteilung des Gesundheitswesens. Eine Privatversicherungsgesellschaft bezahlt dem Arzt oderdem Krankenhaus für die gleiche Leistung mehr als eine gesetzliche Kasse. Da ist es kaum eineÜberraschung, dass die durchschnittlich weit gesünderen Privatpatienten an teuren Verfahrenüberdurchschnittlich partizipieren. Diese Privilegierung wird anhalten, solange dieGesundheitspolitik unterschiedliche Honorarhöhen für ein und dieselbe Leistung toleriert, undsogar, das hat man beim Pflegekompromiss der Berliner Regierung erst vor wenigen Monatengesehen, weiterhin massiv stützt. Unterschiedliche Honorarhöhen müssen weg! Sie sind der Kerndes Übels. 3Es liegt einfach in der menschlichen Natur, Leistungen zu bevorzugen, für die man mehr Geldbekommt. Wenn also der Kassenpatient für eine Blutdruckmessung oder eben für eineTransplantation weniger Geld bringt, dann wird er gegenüber dem Privatpatienten dasNachsehen haben. Alles das, über das in den letzten Jahren Konsens bestand, nämlichDiagnosegruppen, Fallpauschalen, Budgets zur Kostenbegrenzung, wird durch dieunterschiedlichen Honorarsätze hinterrücks torpediert.Es ist durchaus zu befürchten, dass die überdurchschnittliche Partizipation an Transplantationennur eines von mehreren ungleichen Zugängen innerhalb des deutschen Gesundheitswesens ist.Das Gerechtigkeitsproblem gilt wahrscheinlich auch für Krebstherapien, Präventionsprogrammeund Neugeborenenversorgung, um nur einige zu nennen. Darum müssen dieHonorarunterschiede endlich beendet und ein einheitliches Gesundheitssystem etabliert werden.