Karl-Martin Hentschel zur Selbstauflösung des Parlamentes und Neuwahlen
Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 21 – Antrag auf Selbstauflösung des Parlamen- Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel tes und Neuwahlen Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Dazu sagt der Vorsitzende Mobil: 0172/541 83 53 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Karl-Martin Hentschel: Nr. 416.07 / 10.10.2007Schleswig-Holstein hat etwas Besseres verdient!Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,jede Regierungserklärung findet in diesem Hause morgens um 10.00 Uhr statt. Aber wenn die versammelte Opposition die Auflösung des Landtags beantragt, dann glauben Sie, sie könnten die Debatte am Nachmittag verstecken. Das ist Vogel-Strauß-Verhalten, das ist geradezu kindisch.Sie denken vielleicht, wenn die Oppositionsparteien Neuwahlen fordern, dann ist das das übliche Geschäft der Opposition.Immer getreu dem Motto „Was kümmert es eine deutsche Eiche, wenn ein Schwein sich dran schubbert“.Aber: die Situation ist eine andere. Die Forderung nach Neuwahlen ist keine Laune der Opposition. Sie ist objektiv notwendig.Große Koalitionen sollten – so lehrt uns die Geschichte – Ausnahme-Regierungen sein, um in Notlagen Lösungen zu organisieren, die auf einem breiten gesellschaftlichen Kon- sens ruhen.Ob das Land Schleswig-Holstein in einer derartigen Notlage war, sei mal dahingestellt. Aber die Frage, die sich doch aufdrängt, ist doch: Ist diese Regierung eine Regierung, die Lösungen anbietet? Oder ist diese Regierung nicht eher eine, die Lösungen verhin- dert und selbst Teil des Problems ist?1/6 Erinnern wir uns: Der Ministerpräsident war angetreten, die Bürokratie abzubauen, 5000 Stellen zu streichen und den Haushalt zu sanieren.Alles sprach für den Erfolg: Eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament, die Wirtschaft hat die Koalition begrüßt, der Konjunkturmotor sprang an und die Steuereinnahmen spru- deln.Und tatsächlich: Sein Finanzminister startete mutig: er brach alle Wahlversprechen sei- ner Partei, strich den BeamtInnen das Weihnachtsgeld, den Kommunen 120 Millionen und den Eltern Geld für Schülerbeförderung.Als es dann aber an die eigene Klientel ging, ging den beiden die Luft aus. Seine Minis- terkollegen ließen Herrn Wiegard kalt auflaufen. Während Rot-Grün noch Jahr für Jahr die Stellen im Land reduzierte hatte, hat diese Regierung die Bürokratie sogar noch aus- geweitet.Die Sparrunden in den Ministerien gerieten zur Lachnummer, den Spezialsekretär Schlie machten sie mit leeren Seiten als Sparvorschläge zum Gespött.Die Minister laufen mit der Spendierhose im Lande herum, der Schleswig-Holstein-Fonds macht’s möglich.Und die Funktionalreform leidet nach zweieinhalb Jahren ohne konkretes Konzept an Gutachteritis, während der zuständige Minister geschasst wird.Meine Damen und Herren, mittlerweile weisen fast alle Bundesländer verfassungskonforme Haushalte vor, einige schreiben sogar schwarze Zahlen.Ich mache Ihnen nicht zum Vorwurf, dass Schleswig-Holstein noch nicht so weit ist. Aber dass sie stattdessen den Haushalt wieder ausweiten, das ist ein Skandal.In der Wirtschaftspolitik das gleiche. Wohltönende Versprechen – aber je länger diese Regierung regiert, desto mehr fällt Schleswig-Holstein in den Umfragen und Analysen zu- rück.Die Rückkehr zur einzelbetrieblichen Förderung ist nichts weiter als die Rückkehr zu Klientelpolitik. Der Wirtschaftsminister fördert nicht mehr High-Tech, sondern Bierfla- schenverschlüsse als Innovationen.Unsere Ideenschmieden, die Hochschulen, gängelt und chaotisiert er mit Reformen, die niemand braucht und niemand will.Statt fairer Ausschreibungen für das Bahnnetz erleben wir Mauschelei mit dem Duz- Freund Mehdorn.Die heimische Windkraftbranche lässt der Minister im Stich. Er kümmert sich nicht um den Netzausbau und kungelt lieber mit EON und Vattenfall für Atom und Kohle – zum Schaden der mittelständischen Wirtschaft, die die hohen Strompreise zahlen muss. In der Umweltpolitik macht sich Minister von Boetticher zum Lobbyisten von Klientelinte- ressen.Während der Ökomarkt boomt, wird bei uns die Förderung gekürzt und den Vorteil haben andere. So wird das Ministerium zur Filiale des konventionellen Bauernverbandes degra- diert.Der Innenminister spielt klassisch Sozialdemokratie. In Berlin blinkt er unentwegt nach links, in Schleswig-Holstein aber biegt er konsequent rechts um die Ecke – siehe Polizei- gesetz – und erzählt in der TAZ, er wolle das Erbe von Otto Schily antreten.Die Sozialministerin schreibt regelmäßig Initiativen der Opposition ab, die die Regie- rungsfraktionen abgelehnt haben.Und die Bildungsministerin trocknet die Kitas und freien Schulen aus. Und die einzige wirkliche Reform dieser Regierung – die Gemeinschaftsschule – wird von der CDU nach Kräften boykottiert.Es ist kaum zu glauben: aber das Land bildet lustig weiter Lehrerinnen und Lehrer für Schularten aus, die gerade abgeschafft werden. Die LehrerInnen bekommen an der glei- chen Schule für die gleiche Arbeit unterschiedliches Gehalt.Die Schulen vergeben Schulartenempfehlungen für Schularten, die es nicht mehr gibt und jedes Komma in diesen verquarzten Erlassen muss von den vereinigten Bildungspo- litikern der Fraktionsarbeitskreise doppelt genehmigt werden.Ich glaube, darin liegt denn auch der eigentliche Grund dieses gescheiterten Projektes: Was sie hier bieten, das ist keine handlungsfähige Partnerschaft. Das ist eine Ansamm- lung von sich misstrauisch belauernden Gartenzwergen.Meine Damen und Herren, das von Ihnen aufgeführte Theaterstück entbehrt nicht eines gewissen Unterhaltungs- wertes:Der Innenminister ist gegen Online-Durchsuchungen. Der CDU-Sprecher Lehnert erklärt darauf, dem Innenminister mangele es an Kardinaltugenden.Der Ministerpräsident will die Kulturbeauftragte hauptamtlich machen, die SPD verhindert die Zustimmung im Finanzausschuss.Der CDU-Umweltminister wirft dem SPD-Innenminister vor: „Für Bilanzverfälschung und Insolvenzverschleppung kommen andere in den Knast.“ Der SPD-Landesgeschäftsführer Christian Krönung wirft dem Wirtschaftsminister „Mau- scheleien“ bei der Ausschreibung des Bahnnetzes Ost vor.Die CDU-Abgeordnete Herold kritisiert das von ihr mit verabschiedete Schulgesetz: „Die Gemeinschaftsschule ist ein fauler Kompromiss.“ Der SPD-Abgeordnete Weber wirft ihr darauf hin vor, sie sei ein „schlechte Verliererin“.Der CDU-Fraktionsvorsitzende Wadephul vergleicht Stegner mit Gysi und sagt: „Das seh’ ich mir nicht lange an.“ Der stellvertretende SPD-landesvorsitzende Breitner antwortet: Die Ausfälle von Wadephul seien „überflüssig und kindisch“ und er fordert seinen Rück- tritt.Meine Damen und Herren, das Niveau Ihrer gegenseitigen Beschimpfungen steigert sich von Woche zu Woche. Po- litische Debatten – wie die zur Schülerbeförderung - werden hier zu psychologischen Dramen.Ihnen fehlt das Mindestmaß an Vertrauen, das man für eine konstruktive Zusammenar- beit braucht.Und der Ministerpräsident? Der schaut hilflos zu oder feiert lieber mal wieder. Schon längst ist er nicht mehr in der Lage, etwas zu koordinieren. Er bekommt nicht mal die Kul- turarbeit, die er zur Chefsache erklärt hat, in seiner eigenen Staatskanzlei geregelt.Dann spricht er ein Machtwort und schmeißt den Innenminister raus, weil eine Zusam- menarbeit nicht mehr möglich ist – aber – erst in drei Monaten. Heißt das, dass die Re- gierung jetzt erst mal drei Monate Pause macht?Da schreibt der Journalist Uli Exner zu Recht im Kommentar: So „wird aus einem präsi- dialen Politiker sehr schnell ein provinzieller Suppenkasper.“Meine Damen und Herren, wenn die Regierung handlungsunfähig ist und das Klima sich der Eiszeit nähert, dann fragt man sich doch, warum machen die weiter?Die offizielle Version ist: Stegner ist nicht mehr Innenminister und alles wird gut.Wer soll das glauben? Als Innenminister hat Herr Stegner doch stets buchstabentreu an den Koalitionsvertrag gehalten. Den Ärger gab es jedes Mal, wenn der Parteivorsitzende etwas sagte.Und das wird sich ja nicht ändern. Immerhin hat Ralf Stegner bereits angedroht, dass er das Land ab Januar mit einem permanenten Wahlkampf beglücken wird.Und als Fraktionsvorsitzender sitzt Stegner dann einem Wadephul gegenüber, der ja auch nicht immer durch besonders feinfühlige Äußerungen aufgefallen ist. Glaubt denn wirklich jemand, dass zwischen den beiden nun plötzlich die Kuschelromantik im ge- meinsamen Fraktionsvorstand beginnt? Ehrlich gesagt, das übersteigt mein Vorstel- lungsvermögen. Nein, Meine Damen und Herren, die CDU fährt eine simple Doppelstrategie: Wadephul, Wiegard und Co. schüren den Streit, um die Partei zu begeistern. Aber der Ministerpräsident hält an der Koalition fest, weil seine eigene Partei sonst alle notwendigen Reformen ablehnen würde.Wie will denn die CDU auch Wahlkampf führen?Ich sehe das schon vor meinem geistigen Auge – da kämpfen die schwarzen Legionen – Seite an Seite mit der FDP - gegen die Einheitsschule, gegen die Verwaltungsreform, für Abbau von 5000 Stellen, gegen das Vogelschutzgebiet Eiderstedt trotz EU-Klage?Die gesamte Öffentlichkeit würde sich über ein solches Programm nur noch tot lachen. Zwei Jahre haben gereicht, um aus diesen Wahlkampfschlagern von 2005 Lachnummern zu machen.Nein, Carstensen will keine Neuwahlen. Er braucht verzweifelt die SPD als Buhmann, um all das zu tun, was die eigene Basis nicht will.Und die SPD?Die SPD bleibt in der Koalition, weil die Umfragen schlecht sind und sie sich eine gute Wahlkampf-Performance zurzeit selbst nicht zutraut. Da würde nicht mal ein längeres Trainingslager helfen.Die GenossInnen scharen sich verzweifelt um einen Vorsitzenden, von dem sie selbst nicht wissen, was sie von ihm halten sollen. Und wahrscheinlich ist die SPD noch nicht mal sicher, ob ihre eigenen Abgeordneten ihn überhaupt wählen würden.Und es gibt noch einen dritten Grund, warum es – noch – gequält weitergeht. Und der heißt Berlin.Die beiden Koalitionäre trauen sich nicht, Neuwahlen zu machen. Aber sie dürfen es auch nicht. Papa und Mama in Berlin haben es verboten.Meine Damen und Herren, und trotzdem bin ich sicher, dass diese Koalition das nächste Jahr nicht überleben wird. Denn weder die CDU noch die SPD verfügen über ein Konzept, wohin das Land laufen soll.Die nächste Krise kommt, die Koalition ist menschlich zerrüttet, sie ist inhaltlich geschei- tert, und sie hat kein einziges Projekt, dass ihre Weiterexistenz rechtfertigt.Hier klammern sich zwei Fußkranke aneinander, weil sie Angst haben, wenn sie sich los- lassen, würden sie umfallen. Deshalb sind Neuwahlen objektiv nötig. Die BürgerInnen sollen entscheiden: Wollen sie eine Regierung, die etwas bewegt, oder wollen sie Stillstand?Ich bin überzeugt: Es gibt in Schleswig-Holstein eine Mehrheit für eine konsequente Bildungsreform von den Kitas bis zu den Hochschulen.Es gibt in Schleswig-Holstein eine Mehrheit für eine engagierte Umwelt- und Klimapolitik.Es gibt in Schleswig-Holstein eine Mehrheit für eine innovative Wirtschaftspolitik – denn die Arbeitsplätze der Zukunft werden von unseren kreativen jungen Leuten an den Hoch- schulen und in der Wirtschaft geschaffen und nicht durch die Bedienung von Klienteln der CDU.Und schließlich – ich bin zutiefst überzeugt davon, dass es in Schleswig-Holstein auch eine Mehrheit für eine konsequente bürgerfreundliche Verwaltungsstrukturreform gibt. Weniger Verwaltung, weniger Bürokratie – mehr Geld für Kindergärtengärten und Schu- len, dafür werden wir die Menschen gewinnen.Meine Damen und Herren,Der Zustand dieser Regierung ist für Schleswig-Holstein nicht mehr erträglich. Schles- wig-Holstein braucht etwas Besseres.Gestern noch wurde geschworen, dass jetzt alles besser wird, heute wird die Verab- schiedung des Nichtraucherschutzgesetzes abgesetzt, weil die Koalition sich nicht eini- gen kann.Es ist geradezu so, als wollten Sie heute unbedingt dokumentieren, dass unser Antrag nötig ist.Herr Präsident, gestatten Sie mir zum Schluss ein Zitat aus Schillers Drama „Wallensteins Tod“: „Dieser letzten Tage Qual war groß.“Machen Sie dem ein Ende.Ich danke für die Aufmerksamkeit. ***