Lars Harms zu TOP 43 - Kinder- und Jugendgesundheitsbericht
PresseinformationKiel, den 14.09.2007 Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 43 Kinder- und Jugendgesundheitsbericht Drs. 16/1517Die Gesundheit unserer Kinder ist lange eine Sache für Kinderärzte gewesen. Wenn es überKinderkrankheiten und Vorsorgeuntersuchungen hinausging, sind sie gesundheitspolitischhäufig wie kleine Erwachsene behandelt worden. Das zeigt ja auch die Tatsache, dass wir mitdem KiGGS-Bericht des Robert Koch Instituts zum ersten Mal ausführliche, belastbare Daten zurGesundheit dieser Altersgruppe in Schleswig-Holstein bekommen. Der Bericht liefert einenreichen Datenfundus für die vielfältigen Ansätze der Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein.Darüber und über mögliche Maßnahmen werden wir sicher noch häufiger im Ausschusssprechen. Hier und jetzt möchte ich aber einen Punkt herausgreifen, der mir besonders ins Augegestochen ist.Es ist längst gesundheitspolitisches Alltagswissen, dass es einen Zusammenhang zwischen dersozialen Lage und dem Gesundheitszustand gibt. Mit diesem Bericht erfahren wir aber nochmalsin harten Zahlen, wie groß die Kluft zwischen den verschiedenen sozialen Schichten in Schleswig-Holstein wirklich ist und wie sehr ihre Kinder davon betroffen werden. Sprösslinge aus Familien 2mit einem niedrigen Sozialstatus sind besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. ImVergleich zu Kindern aus einem Elternhaus mit hohem sozialen Status rauchen sie häufiger,ernähren sich ungesünder, sind im Alter von 11-14 viermal so häufig übergewichtig, haben mehrpsychische Probleme, sehen dreimal soviel Fernsehen, betreiben doppelt so häufig keinen Sport,putzen sich weniger häufig täglich die Zähne, haben doppelt so häufig Gewalterfahrungen undwerden seltener zu den „U1-U9“-Früherkennungsuntersuchungen gebracht.Angesichts dieser Daten frage ich mich natürlich, ob wir genug für diese Kinder tun. Und es stelltsich vor allem die Frage, wie ihre Eltern stärker in den Fokus der Gesundheitspolitik gerücktwerden können. Ich finde, gerade die Erkenntnisse im Bereich Passivrauchen zeigen, dassPrävention für Kinder und Jugendliche künftig viel stärker auch Prävention für Eltern heißenmuss. Denn dass Eltern mit einem „niedrigen sozialen Status“ dreieinhalb mal so häufig ihreKinder in der Familienwohnung zuräuchern, wie Eltern mit „hohem Status“, zeigt plastisch, dassgerade bei bildungsferneren Schichten die bisherige Aufklärungsarbeit versagt hat.Es ist ganz offensichtlich, dass bisherige Präventionsbemühungen nicht ausreichend aufbesondere Zielgruppen eingegangen sind. Dies gilt ebenso für die unterschiedlichen kulturellenHintergründe der Eltern. Auch hier brauchen wir besondere Bemühungen, denn Migration undniedriger sozialer Status ist nicht gleichzustellen. Das zeigt sich schon allein daran, dass dieseFamilien geradezu vorbildlich sind, wenn es um das Passivrauchen geht. Trotzdem gehen sie z. B.weniger zum Zahnarzt und zu anderen Vorsorgeuntersuchungen. Hier muss viel stärker aufmuttersprachliche Präventionsangebote und auf lokale Netzwerke für Eltern – besonders fürMütter – gesetzt werden. Entsprechende Projekte laufen jetzt in Kiel Lübeck und Neumünster an.Dieses Angebot muss es aber überall dort geben, wo Migranten wohnen.Dass das Land diese Probleme einzelner Gruppen erkannt hat, zeigt auch der „Knotenpunkt“„Gesundheitsförderung für sozial Benachteiligte“ bei der Landesvereinigung für Gesundheits-förderung und die Einrichtung eines entsprechenden Landesarbeitskreises. Auf konkrete 3Projekte und Maßnahmen kann sie allerdings noch nicht verweisen. Ich muss sagen, dass ich einegewisse Skepsis hege. Denn die Landesregierung setzt vor allem auf den „Setting-Ansatz“, derdas gesamte Lebensumfeld der Betroffenen berücksichtigt und nicht direkte Aufklärungsarbeitbedeutet. Dies ist eine Aufgabe, die die Kreise und vor allen die Städte verinnerlichen müssen,denn dabei geht es nicht nur um unmittelbare Gesundheitspolitik, sondern auch um lokaleSozialpolitik, lokale Verkehrspolitik oder Baupolitik. Die bisherige kommunale Gesundheitspolitikmacht mich aber nicht unbedingt hoffnungsfroh, dass die unerträgliche Benachteiligung dieserKinder zügig gemindert geschweige denn beseitigt wird.Wir haben nun seit über fünfeinhalb Jahren ein Gesundheitsdienstgesetz, das genau dieseEntwicklung einer präventiv ausgerichteten kommunalen Gesundheitspolitik fördern will. MeinEindruck ist aber, dass das Ideal des GDG an der harten kommunalen Wirklichkeit bricht. Als dasGesetz 2001 beschlossen wurde, hat die Landesregierung eine verbindliche Regelung vermieden,weil ansonsten finanzielle Forderungen der Kreise und kreisfreien Städte mit Berufung auf dasKonnexitätsprinzip zu erwarten gewesen wären. Hieran krankt eine der wesentlichen Säuleneiner präventiv ausgerichteten Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein. Über einegrundlegende Berichterstattung sind nur wenige Regionen hinausgekommen. Die im Berichtangesprochene kommunale Gesundheitsplanung anhand der Berichterstattung und dieErstellung von Gesundheitsprofilen z. B. für einzelne Sozialräume finden so gut wie nicht statt.KiGGS trägt zwar einen weiteren Baustein zu einer besseren Datenlage bei, aber auch nichtmehr. Es wird vom Engagement der Landesregierung abhängen, ob die Kommunen ihrePräventionsaktivitäten wirklich so ausweiten können, dass diesen Erkenntnissen auch dierichtigen und notwendigen Taten folgen. Ansonsten werden wir weiterhin eine Reiheinteressanter Modellprojekte sehen, die nur einen Teil der Betroffenen erreichen und finanziellauf tönernen Füßen stehen. Das wäre angesichts dieses Berichts zu wenig.