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14.09.07
10:28 Uhr
SSW

Lars Harms zu TOP 43 - Kinder- und Jugendgesundheitsbericht

Presseinformation
Kiel, den 14.09.2007 Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms
TOP 43 Kinder- und Jugendgesundheitsbericht Drs. 16/1517

Die Gesundheit unserer Kinder ist lange eine Sache für Kinderärzte gewesen. Wenn es über
Kinderkrankheiten und Vorsorgeuntersuchungen hinausging, sind sie gesundheitspolitisch
häufig wie kleine Erwachsene behandelt worden. Das zeigt ja auch die Tatsache, dass wir mit
dem KiGGS-Bericht des Robert Koch Instituts zum ersten Mal ausführliche, belastbare Daten zur
Gesundheit dieser Altersgruppe in Schleswig-Holstein bekommen. Der Bericht liefert einen
reichen Datenfundus für die vielfältigen Ansätze der Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein.
Darüber und über mögliche Maßnahmen werden wir sicher noch häufiger im Ausschuss
sprechen. Hier und jetzt möchte ich aber einen Punkt herausgreifen, der mir besonders ins Auge
gestochen ist.


Es ist längst gesundheitspolitisches Alltagswissen, dass es einen Zusammenhang zwischen der
sozialen Lage und dem Gesundheitszustand gibt. Mit diesem Bericht erfahren wir aber nochmals
in harten Zahlen, wie groß die Kluft zwischen den verschiedenen sozialen Schichten in Schleswig-
Holstein wirklich ist und wie sehr ihre Kinder davon betroffen werden. Sprösslinge aus Familien 2
mit einem niedrigen Sozialstatus sind besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Im
Vergleich zu Kindern aus einem Elternhaus mit hohem sozialen Status rauchen sie häufiger,
ernähren sich ungesünder, sind im Alter von 11-14 viermal so häufig übergewichtig, haben mehr
psychische Probleme, sehen dreimal soviel Fernsehen, betreiben doppelt so häufig keinen Sport,
putzen sich weniger häufig täglich die Zähne, haben doppelt so häufig Gewalterfahrungen und
werden seltener zu den „U1-U9“-Früherkennungsuntersuchungen gebracht.


Angesichts dieser Daten frage ich mich natürlich, ob wir genug für diese Kinder tun. Und es stellt
sich vor allem die Frage, wie ihre Eltern stärker in den Fokus der Gesundheitspolitik gerückt
werden können. Ich finde, gerade die Erkenntnisse im Bereich Passivrauchen zeigen, dass
Prävention für Kinder und Jugendliche künftig viel stärker auch Prävention für Eltern heißen
muss. Denn dass Eltern mit einem „niedrigen sozialen Status“ dreieinhalb mal so häufig ihre
Kinder in der Familienwohnung zuräuchern, wie Eltern mit „hohem Status“, zeigt plastisch, dass
gerade bei bildungsferneren Schichten die bisherige Aufklärungsarbeit versagt hat.


Es ist ganz offensichtlich, dass bisherige Präventionsbemühungen nicht ausreichend auf
besondere Zielgruppen eingegangen sind. Dies gilt ebenso für die unterschiedlichen kulturellen
Hintergründe der Eltern. Auch hier brauchen wir besondere Bemühungen, denn Migration und
niedriger sozialer Status ist nicht gleichzustellen. Das zeigt sich schon allein daran, dass diese
Familien geradezu vorbildlich sind, wenn es um das Passivrauchen geht. Trotzdem gehen sie z. B.
weniger zum Zahnarzt und zu anderen Vorsorgeuntersuchungen. Hier muss viel stärker auf
muttersprachliche Präventionsangebote und auf lokale Netzwerke für Eltern – besonders für
Mütter – gesetzt werden. Entsprechende Projekte laufen jetzt in Kiel Lübeck und Neumünster an.
Dieses Angebot muss es aber überall dort geben, wo Migranten wohnen.


Dass das Land diese Probleme einzelner Gruppen erkannt hat, zeigt auch der „Knotenpunkt“
„Gesundheitsförderung für sozial Benachteiligte“ bei der Landesvereinigung für Gesundheits-
förderung und die Einrichtung eines entsprechenden Landesarbeitskreises. Auf konkrete 3
Projekte und Maßnahmen kann sie allerdings noch nicht verweisen. Ich muss sagen, dass ich eine
gewisse Skepsis hege. Denn die Landesregierung setzt vor allem auf den „Setting-Ansatz“, der
das gesamte Lebensumfeld der Betroffenen berücksichtigt und nicht direkte Aufklärungsarbeit
bedeutet. Dies ist eine Aufgabe, die die Kreise und vor allen die Städte verinnerlichen müssen,
denn dabei geht es nicht nur um unmittelbare Gesundheitspolitik, sondern auch um lokale
Sozialpolitik, lokale Verkehrspolitik oder Baupolitik. Die bisherige kommunale Gesundheitspolitik
macht mich aber nicht unbedingt hoffnungsfroh, dass die unerträgliche Benachteiligung dieser
Kinder zügig gemindert geschweige denn beseitigt wird.


Wir haben nun seit über fünfeinhalb Jahren ein Gesundheitsdienstgesetz, das genau diese
Entwicklung einer präventiv ausgerichteten kommunalen Gesundheitspolitik fördern will. Mein
Eindruck ist aber, dass das Ideal des GDG an der harten kommunalen Wirklichkeit bricht. Als das
Gesetz 2001 beschlossen wurde, hat die Landesregierung eine verbindliche Regelung vermieden,
weil ansonsten finanzielle Forderungen der Kreise und kreisfreien Städte mit Berufung auf das
Konnexitätsprinzip zu erwarten gewesen wären. Hieran krankt eine der wesentlichen Säulen
einer präventiv ausgerichteten Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein. Über eine
grundlegende Berichterstattung sind nur wenige Regionen hinausgekommen. Die im Bericht
angesprochene kommunale Gesundheitsplanung anhand der Berichterstattung und die
Erstellung von Gesundheitsprofilen z. B. für einzelne Sozialräume finden so gut wie nicht statt.


KiGGS trägt zwar einen weiteren Baustein zu einer besseren Datenlage bei, aber auch nicht
mehr. Es wird vom Engagement der Landesregierung abhängen, ob die Kommunen ihre
Präventionsaktivitäten wirklich so ausweiten können, dass diesen Erkenntnissen auch die
richtigen und notwendigen Taten folgen. Ansonsten werden wir weiterhin eine Reihe
interessanter Modellprojekte sehen, die nur einen Teil der Betroffenen erreichen und finanziell
auf tönernen Füßen stehen. Das wäre angesichts dieses Berichts zu wenig.