Anke Spoorendonk zu TOP 1A - Kreisgebietsreform: Innenminister Stegner ist gescheitert
PresseinformationKiel, den 12.09.2007 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 1A Regierungserklärung zur VerwaltungsstrukturreformIch muss sagen, das hat die Landesregierung richtig gut gemacht. Da werden uns undder Öffentlichkeit vier unterschiedlichste Gutachten, ein juristisches Thesenpapier undein E-Government-Bericht zur Kreisgebietsreform vorgelegt und die Landesregierungverkauft es so, als wären fünf Gutachter der Meinung, dass eine Kreisreform jetztunbedingt erforderlich ist. Dabei befassen sich die beiden Rechtsgutachten und dasThesenpapier gar nicht mit der Frage des „ob“, sondern des „wie“ einer möglichenKreisfusion. Und auch das verwaltungswissenschaftliche Gutachten von Prof. Dr. Hessesteht für eine durchaus differenziertere Sicht der Dinge. Also Hut ab vor demSpindoktoring der Landesregierung.Dass diese Gutachten jenseits der guten PR-Arbeit kein großer Sieg der Großen Koalitionsind, kann jeder nachsehen, der des Lesens mächtig ist. Das geht allein schon aus der für 2die Landesregierung peinlichen Mahnung von Professor Kirchhof hervor, dass „dernotwendige konzeptionelle Zusammenhang zwischen den beiden Zielen derOrganisationsänderung und der Aufgabenverlagerung und den dafür geplantenMaßnahmen (…) bisher noch ungeklärt“ ist. Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Dennauch nach mehr als zwei Jahren Diskussion und mehreren Anläufen ist es der Landes-regierung nicht gelungen, eines ihrer größten Projekte vom Kopf auf die Füße zu stellen.Es bleibt die Achillesferse der ganzen Reformdiskussion, dass weder die CDU noch dieSPD klare Vorstellungen davon haben, welche Ebene zukünftig welche Aufgabenerledigen soll. Staatssekretär Schlie hat uns zwar mit Telefonbuch-dicken Listen überöffentliche Aufgaben – und jetzt auch mit einer IT-Bericht – beglückt, aber niemand kannklar sagen, wie diese Zuständigkeiten zukünftig verteilt sein sollten. An dieser Aufgabeist die Große Koalition gescheitert. Dabei kann eigentlich jeder Verwaltungslaieverstehen, dass man die Strukturen nach den Aufgaben stricken sollte – oder wie derArchitekt sagt: “Form follows function”, die Struktur muss der Funktion folgen, allesandere wäre nicht funktional. Unsere Landesregierung bastelt aber erst eine Strukturund stopft dann die Aufgaben rein. Es ist ja auch viel einfacher, sich am Reißbrett neueStrukturen vorzustellen, als die künftige Wahrnehmung der Aufgaben.Diese fehlenden Visionen der Landesregierung für eine neue Aufgabenverteilungzwischen Land, Kreisen und Gemeinden schwächt übrigens auch die wirtschaftlichenBerechnungen der Gutachter enorm, denn sie mussten Einspareffekte anhand äußererStrukturänderungen berechnen, ohne zu wissen, wer zukünftig welche Aufgabenerledigen soll. Dabei sind wir uns sicher, dass der Strukturfaktor Größe letztlich einenwesentlich geringeren Effekt haben wird als eine strukturelle Änderung der Entschei- 3dungsprozesse. Eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen allen drei Ebenen imSchleswig-Holstein mit klaren Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen würdesich finanziell noch viel mehr auszahlen als eine reine Kreisgebietsreform.Dies gilt umso mehr, als die Kreise die Ebene in Schleswig-Holstein sind, die noch ambesten aufgestellt ist. Der Verwaltungsexperte unter den Gutachtern, Professor Hesse,bescheinigt den elf Kreisen und vier kreisfreien Städten, im Vergleich zu anderenRegionen in Deutschland und Europa zukunftsfähig und stabil zu sein. Allein durch einebessere Arbeitsteilung der Kreise ließe sich diese Struktur so verbessern, dass weitereEinsparungen möglich sind. Ein dringendes Bedürfnis für eine Gebietsreform sieht er nurmittel- und langfristig. Deshalb ist es besonders absurd, dass sich alle Reformbestre-bungen der Großen Koalition auf die Kreisebene konzentrieren, denn das Land und dieGemeinden haben es noch viel mehr nötig. Es gibt also allen Grund, sich mit demgesamten Gefüge von Land, Kreisen und Gemeinden beschäftigen. Nur der vorurteilsloseBlick auf alle Ebenen ermöglicht eine Lösung aus einem Guss.Solange wir in Schleswig-Holstein über 1100 Gemeinden haben, bringen uns ein paarKreise weniger nicht entscheidend voran, denn eine Struktur mit großen Kreisen undwinzigen Gemeinden hängt schlichtweg nicht zusammen. Daran ändert auch diehalbherzige Ämterreform der Großen Koalition nichts, durch die Verwaltung und Politikzudem weiter auseinander klaffen. Eine solide Reform der kommunalen Ebene wird eserst geben können, wenn die vielen Kleinstgemeinden sich zusammenschließen undendlich geklärt wird, welche Aufgaben die Gemeinden, die Kreise und das Land zukünftigfür die Bürger wahrnehmen sollen. So lange die Landesregierung keine konkreten 4Vorschläge zur künftigen Aufgabenverteilung machen kann, bleibt die Gebietsreform einSpiel für schwarze, rote und grüne Sandkastenstrategen.An den Anfang ihrer Überlegungen haben die CDU und vor allem die SPD aber eben nichtdie Frage gestellt, wie man die Aufgaben von Land, Kreisen und Gemeinden so aufteilt,dass sie am effektivsten und effizientesten erledigt werden können. Es ging von Anfangan darum, möglichst viel Saft aus der Zitrone zu pressen. Wie das geht, zeigt uns das vonder SPD und den Grünen hochgehaltene Seitz-Gutachten. Ohne nach links und rechts zugucken wird rein theoretisch berechnet, wie am meisten gespart werden kann. DiePolitiker von SPD und Grünen starren gebannt auf die dreistelligen Millionensummenohne zu fragen, was denn die Konsequenzen wären. Dabei ist es eigentlich logisch: Wennes nur um das Geld ginge, wäre ein einziger Kreis Schleswig-Holstein die billigste Lösung.Aber es geht nicht nur um die Finanzen.Bei einer Kreisreform geht es auch um lokale Selbstverwaltung, um demokratischeMitsprache und um einen guten, dezentralen Service für Bürger und Unternehmen.Deshalb muss ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Belangen gefunden werden.Es ist eigentlich bedauerlich, dass man dies gerade jenen Parteien erklären muss, dieglauben, die bürgernahe und direkte Demokratie gepachtet zu haben. Aber auch wennunsere Argumente nicht gehört werden sollten die Befürworter einer rein ökonomischausgerichteten Kreisreform zumindest die Rechtsprechung des Landesverfassungs-gerichts von Mecklenburg-Vorpommern ernst nehmen. Dies hat erst im Juli eineentsprechende Reform in unserem Nachbarland abgelehnt, wo die Regierung auch auseinem rein ökonomischen Kalkül heraus Großkreise basteln wollten. 5Die enge wirtschaftliche Sicht des Seitz-Gutachtens wird sehr schnell in ihre Grenzenverwiesen, wenn man das Rechtsgutachten von Professor Ewer und das Thesenpapiervon Prof. Kirchhof liest. Es geht eben nicht nur um Geld. Kreise lassen sich nun einmalnicht wie Unternehmen ausschließlich nach finanziellen Aspekten einrichten, denn dannkönnten sie nicht mehr den Anforderungen der bürgernahen Verwaltung und derbürgernahen Demokratie gerecht werden. Das haben wir – der Landesregierung sei Dank– anhand des Greifswalder Urteils jetzt auch schwarz auf weiß durchdekliniert.Eines ist nach der Lektüre der Gesamtheit der Gutachten also vollkommen klar: derInnenminister ist gescheitert. Sein bisher geplantes Modell mit vier Mega-Kreisen inSchleswig-Holstein ist vom Tisch, denn es hat mit bürgernaher Demokratie undbürgernaher Verwaltung nichts zu tun und ist unrealistisch. Kreise sind nun einmal keineUnternehmen, die sich rein betriebswirtschaftlich kalkulieren und fusionieren lassen.Realistische und pragmatische Lösungen, wie die von Prof. Hesse vorgeschlagenen,haben aber durchaus eine weitere Diskussion verdient. Neben den vielen interessantenStufen von der Kooperation bis hin zur Fusion sollte gerade die Frage der Kreisfreiheitvon Flensburg und Neumünster ohne Aufregung besprochen werden – auch wenn imNorden schon nach ein paar Tagen eine emotionale Debatte um den Kreissitz begonnenhat.Wenn der Innenminister jetzt sagt, dass er von den Gutachtern in seinen Erwartungenübertroffen wurde, dann muss ich feststellen: Das, was Ralf Stegner erwartet hat, waroffensichtlich nicht das, was er der übrigen Welt erzählt hat. Also entweder der Ministerist damals nicht ehrlich gewesen, oder er ist jetzt enttäuscht und nicht ehrlich oder erliest die Gutachten sehr selektiv. Für letzteres spricht, dass Herr Stegner nun dieGutachter als Kronzeugen für seine Kreisreform heranzieht, nachdem er selbst noch vor 6zwei Jahren die Befragung externer Experten in Frage stellte. Als der SSW im Mai 2005die Einsetzung einer Expertenkommission beantragte, gab der Innenminister zumBesten: „An manchen Experten kann man, wenn sie sich äußern, ganz genau sehen, werdas gerade bezahlt hat.“ Ich überlasse die Bewertung der vorliegenden Gutachtendenjenigen selbst, die sie gelesen haben. Aber es ist auch klar, dass wer Gutachtenbestellt und nur das finanzielle Ziel vor Augen hat, der bekommt auch ein Gutachten, dasengstirnig nur auf die Finanzen sieht. Ähnliches gilt natürlich auch für Rechtsgutachten.Der SSW hat in diesem Hause beantragt, das Verfahren auf Dritte zu übertragen, diegemeinsam mehre Lösungsvorschläge vorlegen. Ich sage das, weil ich denke, dass dasvorliegende Verfahren an den vielen einzelnen Expertisen krankt. Wir haben jetzt „SPD-Gutachten“, die alles für möglich halten und nur aufs Geld schauen, und wir haben„CDU-Gutachten“, die behutsamer vorgehen. Die beiden Rechtsgutachten gehen weitauseinander und die Aufgabenstellungen und Sichtweisen der beiden wirtschafts- undverwaltungswissenschaftlichen Gutachten sind so unterschiedlich, dass die Ergebnissesich kaum verschränken lassen. Es wäre sinnvoller gewesen, es einer Gruppe vonFachleuten zu überlassen, mehrere konsistente Modelle vorzulegen, wie es zum Beispielim Rahmen der dänischen Strukturreform geschah. Aber vielleicht lernen wir ja darausfür die nächste Verwaltungsreform – und angesichts der Ergebnisse in dieserWahlperiode muss diese auf jeden Fall früher kommen, als wir uns wünschen.Eines sollten wir aber unbedingt schon jetzt von unseren nördlichen Nachbarn lernen.Denn dort waren das Gutachten der Ausgangspunkt der öffentlichen Debatte und nichtderen Endpunkt. Das hat der SSW schon früher gefordert, dies wird vor allem imGutachten von Professor Hesse ausgeführt und auch der Ministerpräsident und der 7Innenminister haben hat ja jetzt einen Diskussionsverlauf skizziert. Denn es kann nichtdarum gehen, dass die Große Koalition sich jetzt möglichst schnell festlegt, ob wir dasModell 1, 2 oder 4 umsetzen, sondern darum, sich damit auseinanderzusetzen und dieGutachten mit der Realität zu konfrontieren. Dabei wird vieles davon abhängen, wie dieLandesregierung solche Veränderungen kommuniziert. Wenn der Innenministerweiterhin nach Gutsherrenart die beste Lösung verkündet, ist ein solches Vorhaben zumScheitern verurteilt. Eine Kreisreform kann und darf allenfalls in kleineren Schritten undmit Zustimmung der Kreise durchgeführt werden. Das heißt, dass der Landtag demAntrag der Volksinitiative folgen sollte, den wir im folgenden Tagesordnungspunktberaten. Wir brauchen aber nicht nur eine Diskussion mit den Kommunalverbänden,Landräten und Oberbürgermeistern, sondern auch mit der Bevölkerung. Nur ein breitangelegtes, transparentes öffentliches Verfahren kann die Akzeptanz herstellen, die eineentscheidende Voraussetzung für das Gelingen der Reform ist.Letztlich stellt sich aber die Frage, ob die größte Verwaltungsstrukturreform seit über 30Jahren überhaupt noch zu retten ist. Die Große Koalition hat nicht mehr die Zeit, dieFrage einer Kreisgebietsreform mit der Frage einer neuen Aufgaben- und Kompetenz-verteilung zwischen dem Land und den kommunalen Ebenen zu verbinden. Es ist nurnoch Flickschusterei möglich.Unser Fazit lautet deshalb: diese Landesregierung sollte die Finger davon lassen, damitder Schaden nicht noch größer wird. Am Ende dieser Wahlperiode wird die GroßeKoalition keine wesentlich optimierte Struktur der kommunalen Ebene hinterlassen. Eswird sicherlich kleinere Änderungen vom Reißbrett geben. Mehr ist aber nicht mehr drin;vieles wird unberührt bleiben. 8Damit hat die Große Koalition dem Land einen Bärendienst erwiesen, denn wir braucheneine neue Struktur und Aufgabenverteilung auf allen Ebenen in Schleswig-Holstein.Nach der ganzen Aufregung in der 16. Wahlperiode wird eine nachfolgende Regierungaber kaum große Lust verspüren, die Verwaltungsstrukturreform wieder anzupacken.Kurz: Mit ihrer unsystematischen, chaotischen und teilweise überheblichenVorgehensweise hat die Große Koalition eine wirklich nachhaltige Reform vergeigt.