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12.09.07
11:42 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP 1A - Kreisgebietsreform: Innenminister Stegner ist gescheitert

Presseinformation
Kiel, den 12.09.2007 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 1A Regierungserklärung zur Verwaltungsstrukturreform

Ich muss sagen, das hat die Landesregierung richtig gut gemacht. Da werden uns und
der Öffentlichkeit vier unterschiedlichste Gutachten, ein juristisches Thesenpapier und
ein E-Government-Bericht zur Kreisgebietsreform vorgelegt und die Landesregierung
verkauft es so, als wären fünf Gutachter der Meinung, dass eine Kreisreform jetzt
unbedingt erforderlich ist. Dabei befassen sich die beiden Rechtsgutachten und das
Thesenpapier gar nicht mit der Frage des „ob“, sondern des „wie“ einer möglichen
Kreisfusion. Und auch das verwaltungswissenschaftliche Gutachten von Prof. Dr. Hesse
steht für eine durchaus differenziertere Sicht der Dinge. Also Hut ab vor dem
Spindoktoring der Landesregierung.


Dass diese Gutachten jenseits der guten PR-Arbeit kein großer Sieg der Großen Koalition
sind, kann jeder nachsehen, der des Lesens mächtig ist. Das geht allein schon aus der für 2
die Landesregierung peinlichen Mahnung von Professor Kirchhof hervor, dass „der
notwendige konzeptionelle Zusammenhang zwischen den beiden Zielen der
Organisationsänderung und der Aufgabenverlagerung und den dafür geplanten
Maßnahmen (…) bisher noch ungeklärt“ ist. Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Denn
auch nach mehr als zwei Jahren Diskussion und mehreren Anläufen ist es der Landes-
regierung nicht gelungen, eines ihrer größten Projekte vom Kopf auf die Füße zu stellen.


Es bleibt die Achillesferse der ganzen Reformdiskussion, dass weder die CDU noch die
SPD klare Vorstellungen davon haben, welche Ebene zukünftig welche Aufgaben
erledigen soll. Staatssekretär Schlie hat uns zwar mit Telefonbuch-dicken Listen über
öffentliche Aufgaben – und jetzt auch mit einer IT-Bericht – beglückt, aber niemand kann
klar sagen, wie diese Zuständigkeiten zukünftig verteilt sein sollten. An dieser Aufgabe
ist die Große Koalition gescheitert. Dabei kann eigentlich jeder Verwaltungslaie
verstehen, dass man die Strukturen nach den Aufgaben stricken sollte – oder wie der
Architekt sagt: “Form follows function”, die Struktur muss der Funktion folgen, alles
andere wäre nicht funktional. Unsere Landesregierung bastelt aber erst eine Struktur
und stopft dann die Aufgaben rein. Es ist ja auch viel einfacher, sich am Reißbrett neue
Strukturen vorzustellen, als die künftige Wahrnehmung der Aufgaben.


Diese fehlenden Visionen der Landesregierung für eine neue Aufgabenverteilung
zwischen Land, Kreisen und Gemeinden schwächt übrigens auch die wirtschaftlichen
Berechnungen der Gutachter enorm, denn sie mussten Einspareffekte anhand äußerer
Strukturänderungen berechnen, ohne zu wissen, wer zukünftig welche Aufgaben
erledigen soll. Dabei sind wir uns sicher, dass der Strukturfaktor Größe letztlich einen
wesentlich geringeren Effekt haben wird als eine strukturelle Änderung der Entschei- 3
dungsprozesse. Eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen allen drei Ebenen im
Schleswig-Holstein mit klaren Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen würde
sich finanziell noch viel mehr auszahlen als eine reine Kreisgebietsreform.


Dies gilt umso mehr, als die Kreise die Ebene in Schleswig-Holstein sind, die noch am
besten aufgestellt ist. Der Verwaltungsexperte unter den Gutachtern, Professor Hesse,
bescheinigt den elf Kreisen und vier kreisfreien Städten, im Vergleich zu anderen
Regionen in Deutschland und Europa zukunftsfähig und stabil zu sein. Allein durch eine
bessere Arbeitsteilung der Kreise ließe sich diese Struktur so verbessern, dass weitere
Einsparungen möglich sind. Ein dringendes Bedürfnis für eine Gebietsreform sieht er nur
mittel- und langfristig. Deshalb ist es besonders absurd, dass sich alle Reformbestre-
bungen der Großen Koalition auf die Kreisebene konzentrieren, denn das Land und die
Gemeinden haben es noch viel mehr nötig. Es gibt also allen Grund, sich mit dem
gesamten Gefüge von Land, Kreisen und Gemeinden beschäftigen. Nur der vorurteilslose
Blick auf alle Ebenen ermöglicht eine Lösung aus einem Guss.


Solange wir in Schleswig-Holstein über 1100 Gemeinden haben, bringen uns ein paar
Kreise weniger nicht entscheidend voran, denn eine Struktur mit großen Kreisen und
winzigen Gemeinden hängt schlichtweg nicht zusammen. Daran ändert auch die
halbherzige Ämterreform der Großen Koalition nichts, durch die Verwaltung und Politik
zudem weiter auseinander klaffen. Eine solide Reform der kommunalen Ebene wird es
erst geben können, wenn die vielen Kleinstgemeinden sich zusammenschließen und
endlich geklärt wird, welche Aufgaben die Gemeinden, die Kreise und das Land zukünftig
für die Bürger wahrnehmen sollen. So lange die Landesregierung keine konkreten 4
Vorschläge zur künftigen Aufgabenverteilung machen kann, bleibt die Gebietsreform ein
Spiel für schwarze, rote und grüne Sandkastenstrategen.


An den Anfang ihrer Überlegungen haben die CDU und vor allem die SPD aber eben nicht
die Frage gestellt, wie man die Aufgaben von Land, Kreisen und Gemeinden so aufteilt,
dass sie am effektivsten und effizientesten erledigt werden können. Es ging von Anfang
an darum, möglichst viel Saft aus der Zitrone zu pressen. Wie das geht, zeigt uns das von
der SPD und den Grünen hochgehaltene Seitz-Gutachten. Ohne nach links und rechts zu
gucken wird rein theoretisch berechnet, wie am meisten gespart werden kann. Die
Politiker von SPD und Grünen starren gebannt auf die dreistelligen Millionensummen
ohne zu fragen, was denn die Konsequenzen wären. Dabei ist es eigentlich logisch: Wenn
es nur um das Geld ginge, wäre ein einziger Kreis Schleswig-Holstein die billigste Lösung.
Aber es geht nicht nur um die Finanzen.


Bei einer Kreisreform geht es auch um lokale Selbstverwaltung, um demokratische
Mitsprache und um einen guten, dezentralen Service für Bürger und Unternehmen.
Deshalb muss ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Belangen gefunden werden.
Es ist eigentlich bedauerlich, dass man dies gerade jenen Parteien erklären muss, die
glauben, die bürgernahe und direkte Demokratie gepachtet zu haben. Aber auch wenn
unsere Argumente nicht gehört werden sollten die Befürworter einer rein ökonomisch
ausgerichteten Kreisreform zumindest die Rechtsprechung des Landesverfassungs-
gerichts von Mecklenburg-Vorpommern ernst nehmen. Dies hat erst im Juli eine
entsprechende Reform in unserem Nachbarland abgelehnt, wo die Regierung auch aus
einem rein ökonomischen Kalkül heraus Großkreise basteln wollten. 5
Die enge wirtschaftliche Sicht des Seitz-Gutachtens wird sehr schnell in ihre Grenzen
verwiesen, wenn man das Rechtsgutachten von Professor Ewer und das Thesenpapier
von Prof. Kirchhof liest. Es geht eben nicht nur um Geld. Kreise lassen sich nun einmal
nicht wie Unternehmen ausschließlich nach finanziellen Aspekten einrichten, denn dann
könnten sie nicht mehr den Anforderungen der bürgernahen Verwaltung und der
bürgernahen Demokratie gerecht werden. Das haben wir – der Landesregierung sei Dank
– anhand des Greifswalder Urteils jetzt auch schwarz auf weiß durchdekliniert.

Eines ist nach der Lektüre der Gesamtheit der Gutachten also vollkommen klar: der
Innenminister ist gescheitert. Sein bisher geplantes Modell mit vier Mega-Kreisen in
Schleswig-Holstein ist vom Tisch, denn es hat mit bürgernaher Demokratie und
bürgernaher Verwaltung nichts zu tun und ist unrealistisch. Kreise sind nun einmal keine
Unternehmen, die sich rein betriebswirtschaftlich kalkulieren und fusionieren lassen.
Realistische und pragmatische Lösungen, wie die von Prof. Hesse vorgeschlagenen,
haben aber durchaus eine weitere Diskussion verdient. Neben den vielen interessanten
Stufen von der Kooperation bis hin zur Fusion sollte gerade die Frage der Kreisfreiheit
von Flensburg und Neumünster ohne Aufregung besprochen werden – auch wenn im
Norden schon nach ein paar Tagen eine emotionale Debatte um den Kreissitz begonnen
hat.


Wenn der Innenminister jetzt sagt, dass er von den Gutachtern in seinen Erwartungen
übertroffen wurde, dann muss ich feststellen: Das, was Ralf Stegner erwartet hat, war
offensichtlich nicht das, was er der übrigen Welt erzählt hat. Also entweder der Minister
ist damals nicht ehrlich gewesen, oder er ist jetzt enttäuscht und nicht ehrlich oder er
liest die Gutachten sehr selektiv. Für letzteres spricht, dass Herr Stegner nun die
Gutachter als Kronzeugen für seine Kreisreform heranzieht, nachdem er selbst noch vor 6
zwei Jahren die Befragung externer Experten in Frage stellte. Als der SSW im Mai 2005
die Einsetzung einer Expertenkommission beantragte, gab der Innenminister zum
Besten: „An manchen Experten kann man, wenn sie sich äußern, ganz genau sehen, wer
das gerade bezahlt hat.“ Ich überlasse die Bewertung der vorliegenden Gutachten
denjenigen selbst, die sie gelesen haben. Aber es ist auch klar, dass wer Gutachten
bestellt und nur das finanzielle Ziel vor Augen hat, der bekommt auch ein Gutachten, das
engstirnig nur auf die Finanzen sieht. Ähnliches gilt natürlich auch für Rechtsgutachten.


Der SSW hat in diesem Hause beantragt, das Verfahren auf Dritte zu übertragen, die
gemeinsam mehre Lösungsvorschläge vorlegen. Ich sage das, weil ich denke, dass das
vorliegende Verfahren an den vielen einzelnen Expertisen krankt. Wir haben jetzt „SPD-
Gutachten“, die alles für möglich halten und nur aufs Geld schauen, und wir haben
„CDU-Gutachten“, die behutsamer vorgehen. Die beiden Rechtsgutachten gehen weit
auseinander und die Aufgabenstellungen und Sichtweisen der beiden wirtschafts- und
verwaltungswissenschaftlichen Gutachten sind so unterschiedlich, dass die Ergebnisse
sich kaum verschränken lassen. Es wäre sinnvoller gewesen, es einer Gruppe von
Fachleuten zu überlassen, mehrere konsistente Modelle vorzulegen, wie es zum Beispiel
im Rahmen der dänischen Strukturreform geschah. Aber vielleicht lernen wir ja daraus
für die nächste Verwaltungsreform – und angesichts der Ergebnisse in dieser
Wahlperiode muss diese auf jeden Fall früher kommen, als wir uns wünschen.


Eines sollten wir aber unbedingt schon jetzt von unseren nördlichen Nachbarn lernen.
Denn dort waren das Gutachten der Ausgangspunkt der öffentlichen Debatte und nicht
deren Endpunkt. Das hat der SSW schon früher gefordert, dies wird vor allem im
Gutachten von Professor Hesse ausgeführt und auch der Ministerpräsident und der 7
Innenminister haben hat ja jetzt einen Diskussionsverlauf skizziert. Denn es kann nicht
darum gehen, dass die Große Koalition sich jetzt möglichst schnell festlegt, ob wir das
Modell 1, 2 oder 4 umsetzen, sondern darum, sich damit auseinanderzusetzen und die
Gutachten mit der Realität zu konfrontieren. Dabei wird vieles davon abhängen, wie die
Landesregierung solche Veränderungen kommuniziert. Wenn der Innenminister
weiterhin nach Gutsherrenart die beste Lösung verkündet, ist ein solches Vorhaben zum
Scheitern verurteilt. Eine Kreisreform kann und darf allenfalls in kleineren Schritten und
mit Zustimmung der Kreise durchgeführt werden. Das heißt, dass der Landtag dem
Antrag der Volksinitiative folgen sollte, den wir im folgenden Tagesordnungspunkt
beraten. Wir brauchen aber nicht nur eine Diskussion mit den Kommunalverbänden,
Landräten und Oberbürgermeistern, sondern auch mit der Bevölkerung. Nur ein breit
angelegtes, transparentes öffentliches Verfahren kann die Akzeptanz herstellen, die eine
entscheidende Voraussetzung für das Gelingen der Reform ist.


Letztlich stellt sich aber die Frage, ob die größte Verwaltungsstrukturreform seit über 30
Jahren überhaupt noch zu retten ist. Die Große Koalition hat nicht mehr die Zeit, die
Frage einer Kreisgebietsreform mit der Frage einer neuen Aufgaben- und Kompetenz-
verteilung zwischen dem Land und den kommunalen Ebenen zu verbinden. Es ist nur
noch Flickschusterei möglich.


Unser Fazit lautet deshalb: diese Landesregierung sollte die Finger davon lassen, damit
der Schaden nicht noch größer wird. Am Ende dieser Wahlperiode wird die Große
Koalition keine wesentlich optimierte Struktur der kommunalen Ebene hinterlassen. Es
wird sicherlich kleinere Änderungen vom Reißbrett geben. Mehr ist aber nicht mehr drin;
vieles wird unberührt bleiben. 8
Damit hat die Große Koalition dem Land einen Bärendienst erwiesen, denn wir brauchen
eine neue Struktur und Aufgabenverteilung auf allen Ebenen in Schleswig-Holstein.
Nach der ganzen Aufregung in der 16. Wahlperiode wird eine nachfolgende Regierung
aber kaum große Lust verspüren, die Verwaltungsstrukturreform wieder anzupacken.
Kurz: Mit ihrer unsystematischen, chaotischen und teilweise überheblichen
Vorgehensweise hat die Große Koalition eine wirklich nachhaltige Reform vergeigt.