Karl-Martin Hentschel zur Regierungserklärung zur Verwaltungsreform
Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Stellv. Pressesprecher Es gilt das gesprochene Wort Dr. Jörg Nickel Landeshaus TOP 1A: Regierungserklärung zur Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Verwaltungsstrukturreform Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt der Vorsitzende Telefax: 0431/988-1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0178/28 49 591 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Karl-Martin Hentschel: Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 370.07 / 12.09.2007Eine Regierung erklärt sich zweimal Wer wirklich geglaubt hat, dass nach zwei Jahren Chaos dieser Regierung endlich klar ist, was sie will, der wird heute Morgen eines Besseren belehrt. Angekündigt wurde eine Regie- rungserklärung, in der steht, was jetzt kommt. Tatsächlich bekam ich gestern Abend ein Cou- vert überreicht, dass zu meiner großen Überraschung zwei Regierungserklärungen enthielt: Eine à la Carstensen und die andere à la Stegner. Das Chaos regiert also weiter.Bevor ich das würdige, aber zunächst aber ein kleiner Rückblick. 2003 habe ich auf einem Parteitag in Pinneberg meiner Partei vorgeschlagen, eine Verwaltungsstrukturreform unter Einbeziehung der Kommunen zu prüfen. Viele erklärten mich für verrückt und warnten, wir würden von der Öffentlichkeit zerrissen werden. Trotzdem wurde dieser Prüfauftrag mit drei Stimmen Mehrheit gegen heftigen Widerstand verabschiedet. Damit begann die Debatte über die große Verwaltungsreform in Schleswig-Holstein.Für uns gab es damals vier wesentliche Gründe, diese Debatte anzustoßen: 1. Seit Jahren hörte ich die Klagen von Kommunalpolitikern in den kleinen Gemeinden und in den Kreistagen, dass sie kaum noch etwas zu entscheiden haben. In zwei Drittel aller Ge- meinden kandidieren nur noch Einheitslisten – von demokratischer Wahl kann da keine Rede mehr sein. Und in den Kreisen machen die Selbstverwaltungsaufgaben kaum mehr als 10 Prozent der Tätigkeiten aus. Die wirklichen Entscheidungen fallen nicht in den Gemeinderäten und Kreistagen, sondern in den Ämtern, den Zweckverbänden und den Verwaltungen. Dieser Zustand muss geändert werden, wenn uns die kommunale Demokratie etwas wert ist.2. Der ländliche Raum ist nicht handlungsfähig. Wenn heute ein Investor im ländlichen Raum investieren will, dann macht ihn der zuständige Amtsdirektor erst mal mit 20 bis 30 ehrenamt- lichen Gemeinderäten und Bürgermeistern bekannt, bei denen er sich dann durchfragen kann. Selbst entscheiden darf er nichts. Denn die Ämter sind nur die Schreibstube der Gemeinden. Das ist weder flexibel noch professionell. So kann der ländliche Raum seine Chancen nicht nutzen. Das muss dringend geändert werden.3. Kein normaler Bürger hat noch einen Durchblick, wer für was zuständig ist. Gemeinden, Ämter, Schul- und Zweckverbände und die Kreise – diese Vielfalt ist für die Bürger völlig undurch- sichtig und auch nicht bürgerfreundlich. Deswegen propagieren wir das „Rathaus der Zukunft“ für die Amtsgemeinde. Dann können wir Aufgaben von den Kreisen nach unten in die1/4 Ämter verlagern. Wir wollen ein Rathaus, in dem alles, mit dem die BürgerInnen zu tun haben, an einem Ort erledigt werden kann – vom Führerschein bis zum Bauantrag, vom Personal- ausweis bis zur Müllabfuhr. Dann müssen sie nie mehr zum Kreis fahren! Wir wollen einen op- timalen Service für die BürgerInnen aus einer Hand – das ist bürgerfreundlich!4. Wenn Ministerpräsident Carstensen Anfang dieses Jahres mitteilt „Neue Krippenplätze sind nicht zu bezahlen“, dann ist das nicht richtig. Von einem Bruchteil des Geldes, das durch eine kommunale Verwaltungsreform eingespart werden kann, könnten tausende von neuen Krip- penplätzen geschaffen werden. Wir leisten uns in diesem Land die teuersten Kommunalver- waltungen in der Republik.Es gibt also gute Gründe für die Reform – und diese Gründe gelten heute genauso wie vor vier Jahren. Es geht keineswegs nur um Geld – es geht um Demokratie, es geht um Hand- lungsfähigkeit und Wirtschaftsentwicklung, es geht um Bürgerfreundlichkeit. Aber es geht auch ums liebe Geld. Und ich halte das Geld durchaus für ein sehr wichtiges Argument – an- gesichts der Lage in unseren Kassen.Wenn ich heute die Gutachten lese und die Debatte hier verfolge, dann stelle ich fest: Es hat sich etwas bewegt. Die CDU hatte noch 2005 in ihrem Landtagswahlprogramm beschlossen: „Eine von oben diktierte Gebietsreform wird es mit der CDU nicht geben.“ Und bei der SPD hieß es: „Wir setzen in den Verhandlungen mit den Städten, Gemeinden und Kreisen auf Freiwilligkeit […] Die finanzielle Situation der Gemeinden muss deshalb gestärkt werden.“Unterstützung bekamen wir damals einzig und allein von der Wirtschaft. Umso erstaunlicher war es für alle, dass es uns gelang, die Reform im rot-grünen Koalitionsvertrag festzuschrei- ben: „Es werden anstelle der jetzt bestehenden elf Kreise und vier kreisfreien Städte neue leistungsfähige und ökonomische Strukturen […] gebildet. Dies ermöglicht, weitere Aufgaben […] auf die gemeindliche Ebene zu übertragen und dort so weit wie möglich als Selbstverwal- tungsangelegenheiten auszubilden. Die Zahl der kommunalen Verwaltungseinheiten ist […] von derzeit 220 Verwaltungen auf eine Größenordnung von ca. 60 zu (reduzieren) […].Dies […] bedarf […] einer deutlich besseren demokratischen Legitimation der zukünftigen Äm- ter, z. B. durch direkte Wahl der Mitglieder der Amtsvertretung […] Die Leitung der Ämter wird kommunalen Wahlbeamten übertragen, […] Die Landesregierung wird […] ihre Zielvorstellun- gen veröffentlichen und dies mit der Aufgabe an die Kommunen verbinden, durch freiwillige Maßnahmen dieses Ziel zu erreichen. […] Das Gesetzgebungsverfahren soll so rechtzeitig abgeschlossen sein, dass das Gesetz zur Neuordnung der Verwaltungen […] am 1.4.2007 in Kraft treten kann.“So stand es im rot-grünen Koalitionsvertrag. Ich wette – die gesamte CDU wäre dagegen Sturm gelaufen!Dementsprechend war dann auch der schwarz-rote Koalitionsvertrag ein herber Rückschlag: „Um diese Ziele zusammen mit den kommunalen Entscheidungsträgern erreichen zu können, gelten für uns folgende Prinzipien: „Verzicht auf eine gesetzlich verordnete kommunale Ge- bietsreform […]“. Damit schien die Sache erst mal gestorben.Zwei Jahre lang hat die große Koalition sich an dieser Frage permanent zerfleischt. Die Funk- tionärsebene der CDU tobte, die Sozis vor Ort duckten sich weg. Aber die realen Probleme des Landes blieben. In dieser Zeit hat meine Partei drei umfangreiche Papiere vorgelegt, mit konkreten Vorschlägen für die zukünftige Aufgabenverteilung, mit Vorschlägen für die Organisati- on der kommunalen Rathäuser, mit konkreten finanziellen Abschätzungen der unterschiedlichen Alternativen und auch mit Vorschlägen für die zukünftigen Zuschnitte der Regionalkreise.Von den Regierungsparteien kam zunächst gar nichts – außer lautem Kriegsgeschrei von der kommunalen Basis. Aber das war nur die Oberfläche. Unter der Oberfläche wurde ganz an- ders diskutiert. In den vergangenen zwei Jahren hatte ich die Gelegenheit vor schwarzen Landräten und Bür- germeisterInnen, Gemeinderäten und sogar vor VertreterInnen der jungen Union unsere Vor- schläge für eine Kommunalreform vorzutragen und zu diskutieren. Und es gab auch in Ihren Reihen nicht nur aufmerksame Zuhörer, sondern auch oft Zustimmung.Und auch Teile der FDP – die heute den Retter der Kreise spielt – waren schon einmal weiter: So hat der Vorsitzende Kubicki letztes Jahr auf einem Parteitag das Gegenteil gefordert und vorgeschlagen, große Kommunen zu bilden und die Kreise gleich alle abzuschaffen – für ei- nen Juristen, der die verfassungmäßige Garantie der Kreise kennt, ein erstaunlicher Vor- schlag.Und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Lübecker FDP, Herr Scharlies, kritisiert in der LN: „Der Verzicht auf eine Zusammenlegung Lübecks mit dem Kreis Ostholstein ist ein ängstliches ‚Einknicken’ der Landesregierung und schädlich für Lübeck.“ Und er forderte Bür- germeister Saxe auf, in Kiel darauf zu dringen, dass Lübeck die Kreisfreiheit aufgibt.Angesichts dieser klugen Ansätze in der Partei ist es wirklich schade, dass die FDP- Landtagsfraktion heute erneut puren Populismus zelebriert, um der Union ein paar enttäusch- te WählerInnen in Dithmarschen abzujagen.Einige Kommunalpolitiker haben das Urteil des Verfassungsgerichtes in Greifswald so ver- standen, dass eine Kreisreform nicht möglich ist. Aber wie so oft, ist es klüger, man liest ein Urteil, bevor man es kommentiert. Das Urteil sagt nämlich, dass natürlich ein Parlament eine Verwaltungsreform und Kreisreform beschließen kann. Und es sagt auch nichts über die Grö- ße der Kreise.Was das Gericht kritisiert, ist, wie die Reform zustande gekommen ist. Das Gericht sagt, dass eine Verwaltungsreform Leitziele haben muss und dass die Reform von unten – von den Ge- meinden her entwickelt werden muss.Dieses Urteil sagt, dass die kommunale Selbstverwaltung ein wichtiges Gut ist. Dass die De- mokratie in der Kommune die Keimzelle der gesamten Demokratie ist. Das alles kann von meiner Fraktion aus nur begrüßt werden. Und ich denke, alle hier im Haus tun gut daran, bei den kommenden Diskussionen diese Grundsätze zu berücksichtigen.Und jetzt liegen uns seit dem vorletzten Wochenende sechs Gutachten vor, wenn man das von Schliesky mitzählt. Die Gutachten haben mich positiv überrascht. Unsere Vorschläge und Berechnungen wurden in fast allen Punkten bestätigt. Auch bei den zu erwartenden Einspa- rungen kamen die Gutachter fast zu den gleichen Zahlen. Und ich stelle fest: Einige im Lande, die bisher lauthals Zeter und Mordio geschrieen haben, sind jetzt sehr kleinlaut geworden.Gestern dachte ich, wir wären jetzt einen Schritt weiter. Heute bin ich nicht mehr so sicher. Der Ministerpräsident bleibt ziemlich blumig. Sicher ist für ihn aber bereits Folgendes: Es soll einen ergebnisoffenen Prozess geben. Bei aller Offenheit ist für den Ministerpräsidenten aber schon klar, dass es keine Großkreise geben wird und dass nur die Varianten des Hesse- Gutachtens in Frage kommen.Der Innenminister dagegen legt bereits einen konkreten Zeitplan vor. Immerhin etwas. Und er sagt, dass auch die Großkreise selbstverständlich geprüft werden müssen. Einig sind sich die beiden nur in einem: dass vor der Kommunalwahl nichts Konkretes beschlossen wird. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Man könnte fast von einer Veräppelung der WählerInnen und der Verbände sprechen. Dabei machen die Gutachten sehr deutlich: Es geht nicht mehr vorrangig um die Frage, ob wir eine Reform brauchen und wie sie aussehen soll. Es geht vielmehr darum: Wie kann ich die Menschen im Lande, wie kann ich vor allem die Kommunalpolitiker der beiden großen Partei- en für eine solche Reform gewinnen? Wie kann ich vermeiden, dass noch mehr Flurschaden angerichtet wird, wie es in Dithmar- schen schon passiert ist? Denn das Schauspiel, das diese große Koalition bisher geboten hat, ist eine Katastrophe! Wie will man Menschen von einer Reform überzeugen, wenn die Regie- rung sich ununterbrochen gegenseitig beschimpft?Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie endlich deutlich macht, für welche Ziele sie ein- tritt. Wir brauchen für die gesamte Kommunal- und Landesverwaltung klare Ziele und ein in sich stimmiges Konzept! Das hat das Urteil aus Greifswald sehr sehr deutlich gemacht!Es muss dargestellt werden, für welche Aufgaben die Gemeinden, für welche Aufgaben die Kreise und für welche Aufgaben das Land in Zukunft zuständig sein soll.Nicht die Kreisreform ist das vorrangige Thema. Die primäre Frage ist: Wie können hand- lungsfähige Gemeinden vor Ort entstehen? Wie sieht das Rathaus der Zukunft aus, das den BürgerInnen den Service bietet, den sie erwarten? Welche Aufgaben sollen und können diese gestärkten Amtskommunen in Zukunft übernehmen? Welche Aufgaben können wir zu Selbst- verwaltungsaufgaben machen, damit die gewählten Gemeinderäte auch wirklich etwas zu ent- scheiden haben?Wenn ich dann tatsächlich anstelle von 1000 Kommunen und über 200 Verwaltungen nur noch ca. 60 starke, handlungsfähige Kommunen mit gewählten BürgermeisterInnen und mo- dernen Rathäusern habe – dann kann man darüber reden, wie die zukünftigen Kreisstrukturen aussehen sollen. Dann kann ich darüber reden, welche Aufgaben vom Land auf die Kreise übergehen sollen.Ich hatte erwartet, dass heute ein Ministerpräsident kommt und sagt, was sein Kabinett be- schlossen hat. Stattdessen erleben wir wieder mal Pat und Patachon – die Döntjes erzählen aus Angst vor ihrer Basis.Wenn Sie sich weiter so aufführen, dann verstreicht auch die zweite Hälfte ihrer Regierung, ohne dass etwas passiert. Wie Sie sich in den vergangenen zwei Jahren hier aufgeführt ha- ben – kleinlaut und ängstlich und ohne jedes Konzept – das konnte so nur schief gehen. Nur, wenn sie eine Vision haben, wenn sie ein Bild von den zukünftigen Kommunen haben, das die Demokratie stärkt und mehr Service für die BürgerInnen bringt, dann werden sie die Men- schen für eine Reform begeistern können. ***