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11.07.07
11:20 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zur festen Fehmarnbelt-Querung

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Es gilt das gesprochene Wort! Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel TOP 1 – Regierungserklärung Fehmarnbelt Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt der Vorsitzende Telefax: 0431/988-1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Karl-Martin Hentschel: Internet: www.sh.gruene-fraktion.de

Nr. 311.07 / 11.07.2007

Schleswig-Holstein zahlt die Zeche Sehr geehrter Herr Präsident , sehr geehrte Damen und Herren,
mir ist es unbegreiflich, warum CDU-, SPD- und FDP-Fraktion über den Fehmarnbelt- beschluss der Verkehrsminister jubeln. Der Bau und der Betrieb einer Brücke zwi- schen Puttgarden und Rödby wird Schleswig-Holstein ganz massiv schaden. Dabei geht es uns nicht nur um die Umwelt und den Vogelzug, es geht um reale wirtschaftli- che Nachteile, wenn Milliarden in Beton gegossen werden, die wir für andere Zwecke dringend brauchen.
Trotzdem gestatten Sie einige Anmerkungen zur Umwelt, auch wenn das ein Thema ist, das die Mehrheit der Abgeordneten der Großen Koalition eher komisch findet. Die Vogelfluglinie hat ihren Namen, weil jedes Jahr Millionen von Vögeln, die in Skandina- vien, Nordrussland und Sibirien brüten, auf dieser Route rüber zum Wattenmeer flie- gen, wo sie sich einige Wochen vor der Weiterreise nach Süden voll fressen. So eine Konzentration von Zugvögeln gibt es an keiner anderen Stelle in der Welt. Sollte an dieser Stelle eine Brücke und kein Tunnel gebaut werden, dann werden insbesondere nachts Tausende von Wasservögeln, die den Fehmarnbelt als Wasserroute nutzen, an der Brücke verenden.
Auch der Sauerstoffgehalt der Ostsee, die sowieso ein sauerstoffarmes Meer ist, wird noch weiter abnehmen, wenn die Grundströmung, die Sauerstoff von der Nordsee durch den großen Belt und den Fehmarnbelt transportiert, durch die Brückenpfeiler verwirbelt wird. Den Schaden wird die Natur haben. Aber auch die Fischer werden das direkt spüren, wenn noch mehr Fische an Sauerstoffmangel verenden.
Aber die Brücke schadet nicht nur der Natur. Sie wird auch Arbeitsplätze vernichten: Die Lübecker Hafengesellschaft spricht von Verlusten im Südschwedenverkehr von 25 Prozent. 1/2 Die Stena Line von Göteborg nach Kiel sieht große Zukunftsprobleme. Herr Auster- mann, Sie selbst waren am 6. Juni diesen Jahres dabei, als der Vertreter der Stena Line auf der Feierstunde zum vierzigsten Jubiläum der Fährlinie vor dem Bau der fes- ten Querung warnte und auch die komplette Einstellung der Linienverbindung für mög- lich hielt. Ganz zu schweigen von den 600 Arbeitsplätzen der Scandlines auf der Fehmarn-Fährlinie, die ersatzlos wegfallen. Auch der Tourismus auf Fehmarn mit jähr- lich 3 Mio. Übernachten wird massiv verlieren.
Meine Damen und Herren, am meisten ärgert mich aber, dass Sie nicht mal die Gutachten gelesen haben. Die regionalökonomische Analyse der Auswirkungen dieser Brücke, die auf Forderung der Grünen in der vorigen Legislaturperiode erstellt wurde, hat eindeutig ergeben: Wirt- schaftliche Vorteile von der Verbindung haben nur der Raum Kopenhagen, Süd- schweden und Hamburg. Ostholstein, Lübeck und Kiel gehören eindeutig zu den Ver- lierern. Die Verkehrsverlagerungen gehen in die falsche Richtung, nicht mehr wie in Sonntagsreden behauptet „from road to sea“, sondern zurück auf die Straße. Auch die so wichtigen Zwangs-Pausen der LKW-Fahrer fallen weg. Schleswig-Holstein wird noch mehr zum reinen Transitland, in dem keine Wertschöpfung mehr anfällt. Der große Profiteur der Brücke wird nach den Analysen die Industrie Südschweden sein, denn für dessen Güter-Exporte per LKW gibt es dann zwei Straßenverbindung zum Kontinent.
Das Ungeheuerlichste an der Vereinbarung, die Sie, Herr Austermann, getroffen ha- ben, ist aber die Finanzierung: Der Bund hält sich fein raus. Es wird kein Cent dazu bezahlt. Die Verkehrsabteilung im Bundesverkehrsministerium hat das Projekt schon immer für hoch riskant gehalten. Die notwendigen Staatsgarantien gibt allein der Däni- sche Staat. Dort hat die Bauindustrie die liberale Partei und das von ihr gestellte Ver- kehrsministerium fest im Griff. Aber darauf komme ich noch. Auch Herr Mehdorn hat für die DB AG unmissverständlich klar gemacht, dass er an der Verbindung kein Inte- resse hat und keinen Cent dazu bezahlt.
Wer zahlt also die Hinterlandanbindungen in Schleswig-Holstein? Gebraucht werden mindestens 840 Mio. Euro für Schiene und Autobahn. Das Geld soll Schleswig- Holstein ganz allein bezahlen. Dafür müssen die Mittel, die Schleswig-Holstein jährlich vom Bund für den Bundesverkehrswegeplan bekommt, umgewidmet werden. Konkret bedeutet das: Die Mittel, die Schleswig-Holstein für den Schienenausbau bekommt, werden für 13 Jahre lang in den Bau der Brückenanbindung fließen, die Mittel für den Bundesstraßenbau für 4 Jahre. Es ist also so, wie man es von dieser Landesregierung nicht anders erwartet: Der Schienenausbau wird das Hauptopfer sein. Und dabei wird es nicht bleiben. Schon jetzt hat Minister Austermann 60 Mio. Euro in Aussicht gestellt, die Schleswig-Holstein zuschießen soll. Und wer unseren katastrophalen Haushalt kennt, der weiß, wo das zu holen ist: Bei den Schulen und den Kindergärtenzuschüs- sen. Mit der Kürzung der Verkehrsmittel für die Schülerbeförderung und dem sonsti- gen Bus-ÖPNV hat das Land ja bereits begonnen.

Was dann noch fehlt, ist der Bau der zweiten Brücke über den Fehmarnsund, der mit- telfristig auf uns zu kommt. Die zweite Brücke ist im Bundesverkehrswegeplan nicht vorgesehen und muss zu hundert Prozent von Schleswig-Holstein bezahlt werden. Kostenpunkt: Noch mal 150 bis 200 Millionen EURO. Wir haben es ja!
Meine Damen und Herren, es gibt nur eine Hoffnung: Selbst so ist die Brücke noch nicht finanziert. Es ist mindes- 2 tens eine Anfinanzierung von 1,5 Mrd. Euro erforderlich. Da setzen die Brückebauer ihre Hoffnungen auf das Sponsoring aus der EU-Kasse. Bei der EU wurden allerdings die finanziellen Zuwendungen für den europäischen Verkehrswegeplan (TEN-V) auf deutsche Initiative von 20 Milliarden auf 8,2 Milliarden Euro gekürzt. Verschwiegen wird hierzulande auch, dass der deutsche Verkehrsminister Tiefensee schon die Ei- senbahn-Tunnelstrecke durch den Thüringer Wald, die 250 Kilometer Tunnelstrecke zwischen München und Verona (Brenner-Basistunnel), den Transrapid in München und die viergleisige Rheinschiene bei der EU angemeldet hat. Die Hoffnungen auf den Brüsseler Dukatenesel sind also sehr vage. Und es gibt keinerlei Aussagen der Bun- desregierung, dass sie die anderen deutschen Projekte zugunsten der Belt-Querung zurückstellt. Und als Weihnachtsmann für die frommen Wünsche in Schleswig- Holstein wird sich die EU mit Sicherheit nicht betätigen. Im Klartext: die immer wieder genannten 1,5 Mrd. Euro aus Brüssel sind kein Selbstgänger, sondern bisher nur eine feste Einbildung.
Hoch interessant ist nun die Reaktion in Dänemark auf die Brückenentscheidung. „Die dummen Dänen zahlen“ schrieb ein wütender Leserbriefschreiber in Dänemarks größ- ter Zeitung «Jyllands-Posten». Dänemark macht sich freiwillig zu einem verstopften Transitland für schwere Lkws wie z.B. Österreich, hieß es in weiteren Debattenbeiträ- gen. Scheinbar hat die Debatte unter den Dänen eigentlich gerade erst angefangen. Der dänische Verkehrsminister Flemming Hansen beeilte sich dann auch zu erklären, dass die Brücke für Dänemark „keine Krone“ aus der Staatskasse kosten werde, weil die Rückzahlung aller privat finanzierten Kredite völlig sicher sei. Das ist eine interes- sante Aussage: Denn wenn die EU nicht zahlt, dann wird Hansen die Anschubfinan- zierung von 1,5 Mrd. Euro durch das dänische Parlament bringen müssen. Das wird spannend. Dänische Verkehrsfachleute haben sowieso ihre Zweifel an dem Projekt. „Diese Brücke führt von Nichts nach Nirgendwo“, meinte der Verkehrsforscher Uffe Jakobsen und sah keinen echten Bedarf. Die fehlende deutsche Zahlungsbereitschaft wird von Finanzleuten als Alarmsignal gewertet. Nur aus Schweden kommen dankba- re Kommentare.
Meine Damen und Herren, es ist eine Entscheidung über die Zukunft. Entweder wird das nächste Jahrzehnt für Schleswig-Holstein ein Jahrzehnt der Bildung, des Ausbaus der Hochschulen, der Förderung von neuen Technologien und erneuerbaren Energien. Oder das kommende Jahrzehnt wird ein Jahrzehnt des Brückenbau. Gehirn oder Beton – das ist die Ent- scheidung. Wir setzen den Kampf fort, um diese GRIAZ – den größten Irrsinn aller Zei- ten, zu verhindern. ***



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