Karl-Martin Hentschel zum Polizeigesetz
Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 3 – Polizeigesetz Düsternbrooker Weg 70 24105 KielDazu sagt der Vorsitzende Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Telefax: 0431/988-1501 Karl-Martin Hentschel: Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 086.07 / 22.02.2007SPD-Innenminister exekutiert CDU-PolitikSehr geehrter Herr Präsident , sehr geehrte Damen und Herren,nach Innenminister Stegner im März letzten Jahres den Entwurf für ein neues Polizei- recht vorgelegt hat, führte der Innenausschuss wie üblich eine Anhörung.Nicht üblich, ja geradezu einmalig war das Ergebnis dieser Anhörung.Nicht nur alle Richter- und Anwaltsvereinigungen, auch der ADAC, der Datenschutzbe- auftragte und bemerkenswerterweise die Gewerkschaft der Polizei haben sich gegen das Gesetz ausgesprochen und die neuen Regelungen fast durchgehend abgelehnt.Einhelliger Tenor war: Dieses Gesetz ist schlecht für die Bürgerrechte. Es ist aber auch schlecht für die Polizei, denn es schafft durch unklare Normen Probleme, die dann wie- der mal die Polizei vor Ort ausbaden muss.Auch der wissenschaftliche Dienst des Landtags hat den Gesetzentwurf bewertet. Sein Ergebnis ist so einmalig, dass ich ihnen dies nicht vorenthalten will:-> Paragraph 179 Abs. 2, Erhebung von personenbezogenen Daten: Es bestehen ver- fassungsrechtliche Bedenken.-> Paragraph 180 Abs. 2, Auskunftspflicht bei Befragung bei Polizeikontrollen: Verfas- sungsrechtlich problematisch.-> Paragraph 180 Abs. 3, Anhalte- und Kontrollrecht zur Gefahrenabwehr: Es bestehen Bedenken und ist problematisch.-> Paragraph 180 Abs. 3, Anhalte- und Kontrollrecht zur vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität: Verfassungsrechtlich nicht zulässig.1/4 -> Paragraph 184 Abs. 1, Datenerhebung bei öffentlichen Versammlungen: Verfassungs- rechtliche Bedenken.-> Paragraph 184 Abs. 2, Videoüberwachung: Widerspricht in mehrfacher Hinsicht Ver- fassungsnormen.-> Paragraph 184 Abs. 3, Videoaufzeichnung: Mit verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.-> Paragraph 184 Abs. 5, Automatisches Kennzeichenlesesystem: Verfassungsrechtliche Bedenken sind begründet.-> Paragraph 185 Abs. 3, Präventive Wohnraumüberwachung: Verfassungsrechtlich problematisch-> Paragraph 185a Abs. 1, präventive Telefonüberwachung: Wird den verfassungsrecht- lichen Vorraussetzungen nicht gerecht-> Paragraph 186, Wohnraumüberwachung bei Gefahr im Verzuge a) Richtergenehmigung: Verfassungsrechtlich unzulässig. b) Delegation der Genehmigung: Geht verfassungsrechtlich zu weit. c) Benachrichtigung von Gästen: Verfassungsrechtliche Zweifel.-> Paragraph 186a, Lauschangriff a) Schutz der Privatsphäre: Verfassungsrechtlich problematisch. b) Regelung des Abbruchs der Maßnahme: Verfassungsrechtlich unzulässig.-> Paragraph 187 Abs. 1, Ausschreibung zur gezielten Kontrolle: Verfassungsrechtliche Zweifel.-> Paragraph 189 Abs.1, Speicherung, Änderung und Nutzung personenbezogener Da- ten: Verfassungsrechtlich zweifelhaft.-> Paragraph 201 Abs. 2, Aufenthaltsverbot: Dürfte den verfassungsrechtlichen Anforde- rungen kaum gerecht werden.-> Paragraph 202, Durchsuchung von Personen: Verfassungsrechtlich nicht unproblema- tischMeine Damen und Herren, eine solche Bewertung eines Entwurfes ausgerechnet aus dem Innenministerium – das ja auch Verfassungsministerium ist – habe ich noch nicht erlebt.Das Innenministerium hat dann von sich aus Nachbesserungen vorgelegt, die die beiden Regierungsfraktionen weitgehend übernahmen.Das Ergebnis hat nicht viel geändert: Von den 16 verfassungsrechtlich beanstandeten Paragraphen wurden zwei entsprechend den Bedenken des wissenschaftlichen Dienstes überarbeitet.Eine wirklich neue, grundrechtskonforme Gesetzesänderung ist dadurch nicht entstan- den.Zwei Beispiele: Die präventive Erhebung personenbezogener Daten nach Paragraph 179 ist in Zukunft dann erlaubt, wenn ein Vergehen mittels Täterschaft und Teilnahme be- gangen werden soll.Täterschaft und Teilnahme kommen aber auch bei Kriminalität unterster Stufe vor, zum Beispiel bei Beleidigungen oder Ladendiebstahl.So könnte also in Zukunft die Erwartung einer gemeinschaftlich begangenen Beleidigung ausreichen, um der Polizei grundlegende Grundrechtseingriffe zu erlauben. Dass das ei- ner verfassungsgerichtlichen Überprüfung mit Sicherheit nicht Stand hält, ist evident.Noch gravierender ist aber die Einschränkung des Schutzes der Kommunikation zwi- schen AnwältInnen, ÄrztInnen und JournalistInnen und ihren KlientInnen. Es kann doch nicht sein, dass nicht mal das Gespräch mit diesen Personen sicher ist, und dass - ohne dass ein Vergehen stattgefunden hat, nur zur Prävention, weil eine PolizistIn das vermu- tet!Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Parlamentarier! Wir haben erlebt, dass einmal beschlossene Eingriffsbefugnisse aller Erfahrung nach nicht wieder zurückgenommen werden. Selbst wenn sie sich nicht bewährt haben.Das hat uns zuletzt die Entfristung der Rasterfahndung gezeigt.Wir sollten daher streng als auf die Verhältnismäßigkeit der gewährten Kompetenzen für die Polizei achten. Dies ist ureigenste Aufgabe des Parlaments als erste Gewalt.Ich unterstelle keine unlauteren Absichten.Natürlich kann die Freiheit der BürgerInnen auch eingeschränkt werden, wenn das sach- lich begründet ist. Aber das Verhältnismäßigkeitsprinzip muss dafür sorgen, dass diese Freiheitseinschränkung im geringsten nötigen Umfang stattfindet.Und dieses Prinzip muss auch in Zeiten des internationalen Terrorismus gelten.Meine Damen und Herren, ich frage mich auch, welche sachlichen Gründe dieses Gesetz überhaupt erforderlich machen.Wer über 16 massive Grundrechtseingriffe ins Polizeigesetz schreibt, muss doch dafür einen sachlichen Grund haben! Der wurde nirgends vorgetragen!Dieses Gesetz wird nur deshalb verabschiedet, weil es im Koalitionsvertrag steht.Die CDU und insbesondere der jetzige Staatssekretär Schlie, der damals noch glaubte, er könne Innenminister werden, brauchten unbedingt einen Punkt, wo sie sich in den Ko- alitionsverhandlungen durchsetzen konnten.Innenminister Stegner exekutiert hier knallharte CDU-Politik.Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, wenn jetzt ausgerechnet der CDU- Fraktionsvorsitzende Wadephul erklärt, das Gesetz von Stegner sei zu weitgehend ge- wesen. Die CDU habe auf Rechtstaatlichkeit achten müssen.Es bleibt nach den Beratungen zum Landesverwaltungsgesetz festzuhalten: In der Schleswig-Holsteinischen Koalition ersetzt Koalitionsräson sogar die sorgfältige und bür- gerfreundliche Gesetzgebungsarbeit.Meine Fraktion wird dieses Gesetz entschieden ablehnen. ***