Wolfgang Kubicki: Die Große Koalition verändert die Grundkoordinaten des Polizeirechts
FDP Landtagsfraktion Schleswig-HolsteinPresseinformation Wolfgang Kubicki, MdL Nr. 060/2007 Vorsitzender Dr. Heiner Garg, MdL Stellvertretender Vorsitzender Kiel, Donnerstag, 22. Februar 2007 Dr. Ekkehard Klug, MdL Parlamentarischer Geschäftsführer Sperrfrist: Redebeginn Günther Hildebrand, MdLEs gilt das gesprochene Wort!Innen/Recht/PolizeirechtWolfgang Kubicki: Die Große Koalition verändert die Grundkoordinaten des Polizeirechts In seiner Rede zu TOP 3 (Gesetz zur Anpassung gefahrenabwehrrechtlicher Bestimmungen) sagte der Oppositionsführer im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Wolfgang Kubicki:„Auch in einer stabilen Demokratie bedarf es treuer Wächter, die der Politik Paroli bieten, wenn diese in Zeiten der Krise versucht ist, den liberalen Rechtsstaat in seinem Kernbestand einzuengen.“Dies ist kein Zitat von Dr. Ralf Stegner, sondern von einer herausragenden Sozialdemokratin, der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungs- gerichts Jutta Limbach nach den Anschlägen des 11. September 2001.Vor dem Hintergrund dieses Zitates möchte ich mich im Namen der gesamten Opposition hier im Landtag bei den diversen Fachverbänden und Praktikern bedanken, die den Gesetzentwurf des Innenministers für ein neues Polizeirecht als das entlarvt und bezeichnet haben, was er ist:Ein in Teilen verfassungswidriges Gesetz, das1. der Jedermannüberwachung Vorschub leistet, 2. mit seiner Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen weder der Polizei bei der Anwendung behilflich ist, noch den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes klar aufzeigt, wie sie sich zu verhalten haben, um nicht Ziel einer Kontroll- oder Überwachungsmaßnahme zu werden.Der Innenminister hingegen ist an seinen eigenen Ansprüchen aus der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes kläglich gescheitert. Er ist nicht der liberale, an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierte Innenminister von Schleswig- Holstein.Er ist derjenige Innenminister, der sowohl das relativ rechtsstaatlich geprägte schleswig-holsteinische Polizeirecht, als auch die bisher rechtsstaatliche Linie der SPD in Schleswig-Holstein in seinen Grundkoordinaten verändert hat. Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, 1 Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ Eines ist sicher: Die SPD sorgt mit ihrer Zustimmung zu diesem Gesetz mit den neuen Überwachungsmöglichkeiten dafür, dass das Innenministerium und die nach geordneten Behörden künftig „näher am Menschen“ sind. Mir war bisher nicht bewusst, dass dieser CSU-eigene Werbeslogan so gemeint war.Der Innenminister ist bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs mit folgendem Anspruch angetreten:„..so hilfreich die Kritik in vielen Fällen war, so ging sie doch an der Sache vorbei. Wir haben die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Unantastbarkeit des Kernbereiches privater Lebensgestaltung vor staatlichen Eingriffsmaßnahmen voll und ganz berücksichtigt. Wer mir erzählen will, wir hätten etwas Verfassungswidriges vorgelegt, wo wir in Teilen genau die Kommentare und Urteile abschreiben, der muss mir erklären, wie er Verfassungsgemäßheit definiert.“ – so Innenminister Dr. Stegner am 23. März 2006.Seit dem hat es mehrere Anhörungen und Stellungnahmen gegeben, sei es von den Richterverbänden, den Anwaltsvereinen, der Polizei oder aber auch des Wissenschaftlichen Dienstes unseres Landtages, die eines gemeinsam hatten:Sie haben klargestellt, dass der Innenminister seinem Anspruch, ein verfassungsgemäßes Gesetz vorzulegen, nicht im Ansatz gerecht geworden ist. Dabei haben die Angehörten in einer in meiner parlamentarischen Tätigkeit einmaligen Weise ein Gesetz mit ihrer Kritik geradezu in der Luft zerrissen.Der Innenminister hat hierauf reagiert. Er hat im Dezember letzten Jahres circa 40 Änderungsvorschläge vorgelegt, um das Gesetz verfassungsgemäß zu gestalten. Aber es hat sich substantiell wenig verändert.Dies mag daran liegen, dass eine Verfassung nicht nur ihrem Wortlaut nach verstanden werden muss, sondern auch ihr Fundament, ihr innerer Zusammenhalt und vor allem ihr Geist begriffen werden muss.Und hieran mangelt es ersichtlich. Dies gibt möglicherweise auch der Aussage des CDU-Fraktionsvorsitzenden Wadephul ihre Berechtigung, die ursprünglichen Vorstellungen von Innenminister Stegner seien so weitgehend gewesen, dass die CDU besonders auf die Rechtsstaatlichkeit habe achten müssen.Herr Minister, wer in einer Presseerklärung (20.02.07) formuliert: „Die Kritik an den neuen Befugnissen der Polizei sei überzogen. Niemand müsse befürchten, zu Unrecht ins Visier der Polizei zu geraten“, denkt nicht rechtsstaatlich, sondern folgt der Denkweise des französischen Polizeiministers Foucher. Jeder, der ins Visier der Polizei gerät, ist schuldig. Nicht: Jeder ist unschuldig, bis in einem justizförmigen Verfahren seine Schuld bewiesen ist, nein: Jeder ist schuldig, bis seine Unschuld eindeutig feststeht.Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüre von Franz Kafkas „Der Prozeß“, um die Absurdität dieser Gedankenwelt zu begreifen.Ich will hier nun keine juristische Exegese betreiben, dies würde Herrn Dr. Stegner auch überfordern. Aber ich will dem Hohen Haus eine Antwort des Innenministeriums auf eine Nachfrage zum Einsatz des KFZ-Screenings im Bereich der Gefahrenabwehr - für die Strafverfolgung ist der Bund zuständig – nicht vorenthalten.Uns wurde ernsthaft übermittelt – und dies ist jedes Mal der Brüller, wenn ich den Satz zitiere: Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, 2 Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ Der Bereich der Gefahrenabwehr liege zwischen vollendetem und beendetem Kfz.- Diebstahl. „Solange die Beute noch nicht endgültig „verwertet“ ist, ist das polizeiliche Handeln primär auf Wiederherstellung der Eigentumsordnung und nicht auf Strafverfolgung gerichtet“.Wer so etwas formuliert, entpuppt sich als vollends Unfähiger, weil der Kfz.-Diebstahl in aller Regel mit dem Eindringen ins Fahrzeug beendet und mit dem Wegfahren vom Abstellort vollendet ist.Und selbstverständlich, Herr Minister, dient auch die Strafverfolgung der Wiederherstellung der Eigentumsordnung, wie §§ 73 ff StGB nachdrücklich ausweisen. Strafverfolgung dient generell der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung.Die Schleierfahndung sollte anlassunabhängige Personenkontrollen ermöglichen. Sie ermöglichen durch Ihr Gesetz eine weitergehende Kontrolle auch der Fahrzeuge, wobei die rechtlichen Probleme von uns aufgezeigt wurden.Der Koalitionsvertrag sieht vor, die Voraussetzungen für die Einführung der präventiven Telefonüberwachung zur Gefahrenabwehr vor dem Hintergrund der erwarteten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen.Sie haben eine Regelung zur präventiven Telefonüberwachung vorgeschlagen, die Sie selbst zurücknehmen mussten, weil der Tatbestand die durch das Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Maßstäbe bei weitem nicht eingehalten hatte. Auch die nun geänderte Regelung, dass eine Bandaufzeichnung eines Telefongespräches zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr noch möglich ist, ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich, weil eben nicht kontrolliert wird, ob privateste Gespräche abgehört werden und weil die Anordnungsvoraussetzung der gegenwärtigen Gefahr in Widerspruch zur Bandaufzeichnung mit späterem Abhören steht.Ich möchte noch einen weiteren Punkt herausarbeiten, der mir sehr wichtig ist. Dabei geht es um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landespolizei, die Sie, Herr Innenminister, mit diesem Gesetz auf die Reise schicken. Sie haben einmal selbst gesagt: Auch Polizeibeamte machen Fehler.Fehler bei der Handhabung eines Gesetzes sind aber gerade zu prädestiniert, wenn der Beamte aus dem Gesetz nicht genau erkennen kann, wann er eine Kontrolle oder eine Überwachungsmaßnahme anordnen kann.Und dieses Gesetz wimmelt nur so vor unbestimmten Rechtsbegriffen, bei denen der Beamte vor Ort selbst entscheiden muss, wie er sich zu verhalten hat inklusive eines hohen Fehlerrisikos.Das Polizeirecht muss von Verfassungs wegen äußert präzise formuliert sein. Es muss eindeutig regeln, was ein Polizist darf oder nicht, weil es in die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern eingreift,- obwohl noch keine Straftat vorliegt und - sich die Annahme einer Gefahr und die Prognose ihrer Verwirklichung mit Wahrscheinlichkeiten begnügen muss.Dies ist der Bereich der Gefahrenabwehr.Ein unpräzises Gesetz verleitet geradezu zu Fehlern und birgt damit ein hohes Risiko für die Beamten.Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, 3 Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ Wir haben als Opposition zusammen mit den Juristenverbänden und den Praktikern bis zuletzt versucht, den Innenminister zur Vernunft zu bringen. Anstatt der inhaltlichen Botschaft, die vorgestern von unserer gemeinsamen Pressekonferenz ausging, Gehör zu schenken, begnügte sich die SPD-Landtagsfraktion in Gestalt ihres rechtspolitischen Sprechers, des Kollegen Puls, mit Beleidigungstiraden gegen die unabhängigen Verbände auf niedrigstem Niveau.Wer wie Kollege Puls anderen unterstellt, sie nähmen dadurch, dass sie die Grundsätze der Verfassung und damit die Grundsätze unseres gesellschaftlichen Miteinanders und der Demokratie beachten und eine ernsthafte Auseinandersetzung hierüber anmahnen, den Tod von Menschen in Kauf, der stellt sich selbst ins Abseits. Er dokumentiert geradezu, dass er an einer inhaltlichen Debatte überhaupt kein Interesse hat. Ich hätte ein Wort der Entschuldigung gegenüber den Richterverbänden und der Opposition in diesem Hause erwartet.Dass es auch noch nachdenkliche Sozialdemokraten in diesem Hause gibt, hat Justizminister Döring durch sein Interview im Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag am Montag vergangener Woche bewiesen.Unter der Überschrift „Wir dürfen die Freiheit nicht zu Tode schützen“ erklärte er unter anderem auf die Frage, ob er sich einen Reim darauf machen könne, warum der Staat den Hals von neuen Kontrollbefugnissen nicht voll bekommen könne:„Einmal ist es natürlich das Bestreben von Politik, den Eindruck zu erwecken, man garantiere Sicherheit. Das ist nichts als Aktionismus und Populismus. Hinzu kommt, dass der Staat zur Datensammelwut neigt – ganz nach dem Motto: Wenn mal was passiert, dann habe ich alles. Mit Prävention hat das in der Regel wenig zu tun. Verbrechen oder Terroranschläge lassen sich so nicht verhindern, sondern im Nachhinein allenfalls aufklären.“So, wie Minister Döring, spricht ein Verfassungsminister. Leider hat der für die Verfassung bisher zuständige Innenminister dieses Format nicht.Und Minister Döring führt weiter aus:„Wenn wir genauer hinschauen, dann haben sich viele der neuen Instrumente als ziemlich wirkungslos erwiesen. Mir ist kein Fall etwa von präventiver Telefon- oder Videoüberwachung bekannt, durch den eine Straftat verhindert wurde.“In seinem epochalen Werk „Theatralische Politik made in USA“ hat der damit promovierte Innenminister Dr. Stegner ausgeführt:„Wahrscheinlich muß Politik „neben der Entscheidungsfunktion auch eine Schaufunktion haben. Eine zu naiv-moralische, rigoristische Kritik an den inszenierten Aspekten von Politik geht an der Tatsache vorbei, dass Politik – gerade in Massengesellschaften auch die wichtige Funktion hat, Angebote auf der Symbolebene zu machen.“ …Dennoch bleibt festzustellen, dass in einer Umgebung, in der die Informationsumwelt zum „trivial pursuit“ degeneriert und Politik als „photo opportunity“ verstanden wird, das Kant’sche Moralprinzip, wonach die Menschen als Ziel, nicht als Mittel behandelt werden sollten, unweigerlich auf der Strecke bleibt.“Wie wahr, Herr Minister. Dieses Postulat haben Sie mit diesem Gesetzeswerk erfüllt. Die FDP-Fraktion kann aus tiefster innerer Überzeugung ihre Zustimmung nicht erteilen.Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, 4 Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/