Karl-Martin Hentschel zum Schulgesetz
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 2+19 – Gesetz zur Weiterentwicklung des Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Schulwesens und minderheitspolitische Aspekte des Gesetzes Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Dazu sagt der Vorsitzende Mobil: 0172/541 83 53 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Karl-Martin Hentschel: Nr. 025.06 / 24.01.07Schulen brauchen Luft zum Atmen Die Landesregierung traut sich an eine Schulreform. Toll! Trotz der zahllosen eingebau- ten Kröten habe ich diesen Mut bei der Einbringung des Gesetzes gelobt. Meine Fraktion hat in konstruktiver Weise Änderungsanträge gestellt, weil wir wollen, dass sich etwas bewegt und weil wir gehofft haben, dass eine konstruktive Diskussion möglich ist.Heute stelle ich fest: Dieses Gesetz ist das typische Beispiel der Arbeit einer großen Koalition. Man hat zusammengepackt, was nicht vereinbar ist. Die Bereitschaft der gro- ßen Koalition, konstruktiv mit den Änderungsanträgen der Opposition umzugehen, war schlicht nicht vorhanden. An keiner Stelle hat sich die Koalition bewegt. Wieder einmal beschäftigt sich die große Koalition nur mit sich selbst und ihren inneren Problemen.1. Schulzeitverkürzung Mein erster Punkt ist die Schulzeitverkürzung an den Gymnasien. Sie führt dazu, dass zusätzliche Lehrerstunden vorrangig an die Gymnasien gehen. Das ist ungerecht. Zu- sätzliche Stunden müssen auf alle Schulen verteilt werden. Dann könnte man schrittwei- se an allen Schulen zum Ganztagsunterricht übergehen.Jahrelang hat diese CDU behauptet, sie wolle mehr für die Hauptschulen tun. In Finnland bekommen Schulen in Gebieten mit vielen sozial schwachen Eltern sogar zusätzliche Ressourcen für die Schule. Und Sie machen das Gegenteil! Wir sind dafür, die Möglich- keit einer Schulzeitverkürzung in der Sekundarstufe I in allen Schulen zu schaffen.So wie Sie das aber machen, müssen sich die Lehrpläne zwischen Regionalschulen, Gemeinschaftsschulen und Gymnasien zwangsläufig auseinander entwickeln. Dann ist die nach PISA viel beschworene Durchlässigkeit der Bildungsgänge beerdigt – und das ausgerechnet von der sozialdemokratischen Bildungsministerin, die bundesweit für die Gemeinschaftsschule gestritten hat.1/5 Hier wird deutlich: Es ist der CDU immer nur ums Gymnasium gegangen. Alles andere waren Krokodilstränen.2. Oberstufenreform Mein zweiter Punkt ist die Oberstufenreform. Um in den Oberstufen Ressourcen einzu- sparen, will die Ministerin gleich das ganze Kurssystem abschaffen. Das Projekt heißt Profiloberstufe. Aber genau das ist es nicht. Profile gab es früher einmal. Da gab es na- turwissenschaftlich und sprachlich orientierte Klassen. Profile gibt es an den Fachgym- nasien der Berufsschulen: Dort gibt es z. B. Klassen mit wirtschaftswissenschaftlichem, technischem, sozialwissenschaftlichem oder gesundheitsorientiertem Profil.Ein Großteil unserer dringend gebrauchten Ingenieursstudenten kommt schon heute ü- ber die Fachgymnasien an die Hochschulen. Professor Vanselow von der Kieler Univer- sität schreibt, dass viele gute Physikstudenten an einem normalen Gymnasium kaum noch eine Chance hätten, durch die Mittelstufe zu kommen.Grund dafür ist vermutlich die einseitige sprachliche Orientierung unserer Gymnasien, die wohl auch dazu führt, dass 20 Prozent mehr Mädchen Abitur machen als Jungs. Einstein, der in Sprachen miserabel war, hätte in Zukunft keine Chance mehr in Schles- wig-Holstein Abitur zu machen.Wir haben Ihnen Änderungsanträge vorgelegt, wie man durch die Bildung größerer O- berstufen zu einem effizienten System kommen kann. Was Sie aber jetzt verabschieden, ist keine Profiloberstufe sondern eine Einheitsoberstufe, bei der man nur noch ein Wahl- fach hat. Dagegen laufen die SchülerInnen der Gymnasien und Gesamtschulen zu Recht Sturm.Wir brauchen in Zukunft viel mehr und nicht weniger AbiturientInnen. Wir brauchen mehr und nicht weniger Begabungen. Was Sie hier machen, ist kontraproduktiv und schädlich!3. Eigenständige Schule Mein dritter Punkt ist das Thema Selbständigkeit der Schulen. Das vorliegende Gesetz der Landesregierung ist nicht nur ein verkorkster Kompromiss, diesem Gesetz fehlt auch das Wesentliche, was wir für eine Schulreform brauchen: Die Lust und die Freiheit, etwas zu gestalten!In allen skandinavischen Staaten haben die großen Reformen damit begonnen, den Schulen mehr Freiheiten zu geben und sie von staatlicher Gängelung und Bürokratie zu befreien. Schulen brauchen Luft zum Atmen!Das ist der Grund, warum wir ins Zentrum unserer Änderungsvorschläge das Modell von der Eigenverantwortlichen Schule gestellt haben. Gerade wenn es um neue Unterrichts- formen, Stundentafeln, erzieherische Konzepte geht – dann kann das nicht von oben den LehrerInnen aufoktroyiert werden. Sie erwarten von den LehrerInnen Engagement. Aber Sie ersticken sie mit Erlassen und Vorschriften und treiben viele engagierte LehrerInnen in die innere Resignation. So geht es nicht! Bedauerlich ist auch, dass es wieder nicht gelungen ist, den Privatschulen faire finanzielle Bedingungen zu schaffen. Daran waren wir auch schon in der vergangen Legislaturperiode an unserem Koalitionspartner ge- scheitert. Auch diesmal wurden alle unsere diesbezüglichen Änderungsanträge abge- lehnt.4. Gemeinschaftsschule versus Regionalschule Die Koalition hat beschlossen, alle Haupt- und Realschulen zu Regionalschulen umzu- wandeln, wenn die Gemeinde keine Gemeinschaftsschule einführt. Immerhin. Es ist schön, dass nun auch die CDU-Spitze erkannt hat, dass die Hauptschule nicht mehr ak- zeptiert wird.Aber diese Regionalschule wird von niemandem gewollt, weder von den LehrerInnen noch von den Eltern und SchülerInnen. Wir haben von Anfang an davor gewarnt, dass diese Regionalschulen in wenigen Jahren zu neuen Restschulen werden.So mancher Realschullehrer, der noch im Wahlkampf brav für die CDU Wahlkampf ge- macht hat fühlt sich jetzt verraten und überlegt, ob es nicht doch besser ist, wenn seine Schule Gemeinschaftsschule wird. Immer mehr Elternbeiräte im ganzen Land fordern vor Ort, eine Gemeinschaftsschule einzuführen. Selbst der Landeselternbeirat der Realschu- len fordert den Übergang zu einem „differenzierten eingliedrigen Schulsystem“.Ich fordere die CDU – vor allem ihre KollegInnen in den Gemeinden – auf: Drücken sie nicht aus ideologischen Gründen gegen den Elternwillen vor Ort Regionalschulen durch. Respektieren Sie den Elternwillen!5. Schulträger Und damit bin ich beim Thema Schulträger. Auch dabei hat sich diese Koalition nicht get- raut, eine klare Regelung ins Gesetz zu schreiben. Ursprünglich hatten Sie vor, dass Schulträger aller allgemeinbildenden Schulen in Zukunft immer die selbständigen Ge- meinden oder die Ämter sind. Denn dort sitzen die demokratisch gewählten VertreterIn- nen und nicht in irgendwelchen Schulträgergremien.Und vor allem: Dann könnten wir endlich eine einheitliche Schulentwicklungsplanung vor Ort bekommen, die alle Schulen umfasst. Ich bedaure deshalb, dass auch hier die Koali- tion bei einem faulen Kompromiss gelandet ist, der nichts wirklich löst. Das finde ich falsch und hoffe, dass das in vielen Ämtern vor Ort anders geregelt wird.6. Rahmenbedingungen Wenn man über dieses Gesetz spricht, dann muss man auch über die Rahmenbedin- gungen reden. Wer mit LehrerInnen in diesem Land redet, der weiß: Die Situation an den Schulen ist schwierig. Viele LehrerInnen haben den Eindruck, dass sie ständig neue Re- gelungen übergestülpt bekommen. Viele fühlen sich allein gelassen. Und dann belasten Sie die Eltern auch noch mit den Kosten für die Schülerbeförderung, so dass der Schulbesuch wieder eine Geldfrage wird. Das ist uralte CDU-Ideologie und die Sozis machen brav mit. So motiviert man niemanden, so lähmt man das Engage- ment.Und es ist nicht eine Sache des Geldes: Wir haben mit unserem Masterplan Bildung Vor- schläge gemacht, wie die Reform finanziert werden kann.Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, hat vorgerechnet, dass Sitzenbleiben, ineffiziente Klassen- und Kursgrößen und teure Nachqualifizierungen bundesweit 7,1 Milliarden Euro zusätzlich kosten. Damit könnten alle Fördermaßnahmen bezahlt werden, die die Schulen jetzt brauchen! Schulen brauchen die Unterstützung durch SozialarbeiterInnen und SchulassistentInnen, damit innere Differenzierung kein Schlagwort bleibt.Und Schulen brauchen jetzt ganz viel Lehrerweiterbildung. Lehrerbildung ist kein Add-on, Frau Ministerin! Wenn wir ernst machen wollen, mit neuen Unterrichtsformen, dann sind umfangreiche und gute Angebote für die Lehrerweiterbildung die zentrale Aufgabe.Von nichts hängen die zukünftigen Chancen unseres Landes und unserer Kinder mehr ab, als von unserem Bildungssystem. Das aber braucht Vertrauen in die AkteurInnen in der Schule und in die Verlagerung der Kompetenzen nach unten.Alle erfolgreichen Reformschulen haben damit begonnen, die Lehrpläne beiseite zu le- gen. Sie haben den zerhackenden Stundenrhythmus abgeschafft. Sie haben Ideen ge- sammelt, andere Schulen besucht, Neues ausprobiert, die Jugendzentren in die Schule verlagert, den Unterricht von Schülern durch Schüler eingeführt und vieles mehr.Und wer sich die zahlreichen Interviews mit LehrerInnen an Reformschulen in den Filmen von Reinhard Kahl ansieht, der hört immer wieder das Gleiche: „Ja, es war anstrengend, etwas zu ändern. Aber es hat sich gelohnt. Heute verbringe ich mehr Zeit in der Schule, aber es ist viel weniger Stress, und es macht viel mehr Freude. Nie möchte ich wieder unterrichten wie früher, als jeder Lehrer noch ein Einzelgänger war, als Kinder, Eltern und Lehrer sich hassten.“Nein, meine Damen und Herren, wir werden diesem Gesetz nicht zustimmen. Und das nicht aus Prinzip. Wir haben uns konstruktiv mit ihren Vorschlägen auseinandergesetzt. Oft genug sind es vor Ort gerade wir Grünen, die die Notwendigkeit der Reform in den Schulen vehement verteidigen und für eine andere Schule werben.Und ich sage Ihnen, angesichts der Proteste derjenigen, die nichts verändern wollen und mit einem Volksentscheid drohen: Fangen Sie endlich an, offensiv für die gemeinsame Schule zu werben – das gilt auch für die SPD. Hören sie auf, sich mit demografischen Argumenten zu entschuldigen. Sagen sie den Menschen: Es geht um mehr Gerechtig- keit, um mehr Chancengleichheit, es geht aber auch um die Chancen unseres ganzen Landes in der Zukunft. Dann und nur dann werden Sie die Menschen von den Reformen begeistern.Aber dann geben sie den Menschen auch die Rahmenbedingungen, die sie brauchen. Was soll ich den LehrerInnen sagen, wenn sie aufgefordert werden, eine neue Schule zu machen, aber die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Was soll ich ihnen sagen, wenn sie vom Ministerium immer wieder mit kleinteiligen Anweisungen und bürokratischen Vorschriften überzogen werden, aber die nötige Weiterbildung nicht angeboten wird? Sie machen heute eine Oberstufenreform, die schädlich ist!Sie stärken einseitig die Gymnasien anstelle Schulen mit den schwächeren Schülern zu unterstützen! Sie haben es nicht geschafft, die Schulträgerschaft sinnvoll zu regeln. An- statt den Schulen mehr Freiheit zu geben, produzieren Sie mehr Bürokratie und lähmen die Schulentwicklung!Dieses Gesetz ist in weiten Teilen überholungsbedürftig, bevor es verabschiedet wurde. Deshalb lehnen wir dieses Gesetz ab. ***