Jutta Schümann zu TOP 17: Debatte um Reform des Gesundheitswesens aktiv führen statt verweigern
Sozialdemokratischer Informationsbrief Kiel, 13.12.2006 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 17 - Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversiche- rung zurückziehen (Drucksache 16/1129)Jutta Schümann:Debatte um Reform des Gesundheitswesens aktiv führen statt verweigernFür eine nachhaltige Stabilisierung der Einnahme- und Ausgabeseite der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei eine langfristige und strukturelle Finanzreform dringend er- forderlich, so Jutta Schümann. Sie räumt ein, dass es noch großen Diskussions- und Nach- besserungsbedarf am Gesetzentwurf gibt. Eine Ablehnung des Gesetzentwurfes und des Verfahrens hält sie für falsch. Vielmehr seien weitere Verhandlungen nötig, um für die schleswig-holsteinische Krankenhauslandschaft und für den Gesundheitsstandort Nachteile zu vermeiden. Eine Verweigerung führe nicht weiter.Die Rede im Wortlaut: Angesichts des rasanten medizinischen Fortschritts – wir haben schon mehrfach an dieser Stelle darauf hingewiesen –, das heißt z. B. neue und bessere Diagnose- und Behand- lungsmöglichkeiten, aber auch angesichts der demografischen Entwicklung der Bevölkerung und einer Zunahme chronisch Erkrankter ist eine nachhaltige Stabilisierung der Einnah- me- und Ausgabeseite durch eine langfristige und strukturelle Finanzreform der Ge- setzlichen Krankenversicherung (GKV) dringend erforderlich. Das wird auch von keiner Seite bestritten.Der uns vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vier Reformbereiche vor: Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: Internet: pressestelle@spd.ltsh.de www.spd.ltsh.de SPD -2- 1. Strukturreform 2. Organisationsreform 3. Umstellung der Finanzierung und 4. neue Regelungen für die GKV.Er umfasst 581 Seiten. Damit wird deutlich, wie umfangreich, komplex und auch detailliert das Reformpaket ist. Und die jetzt in der Abarbeitung befindlichen gut 150 Änderungsvor- schläge machen deutlich, dass wir noch lange nicht am Ende der Beratung sein können, und sie machen auch noch mal deutlich, dass immenser Diskussions- und Nachbesse- rungsbedarf besteht. Trotz massiver und lautstarker Proteste gehen doch die Beteiligten alle davon aus, dass es ein Wettbewerbsstärkungsgesetz geben wird. Wir halten dies auch für notwendig. Und deshalb werden wir uns im derzeitigen Bundesratsverfahren dafür ein- setzen, dass insbesondere für die schleswig-holsteinische Krankenhauslandschaft und für den Gesundheitsstandort keine Nachteile entstehen.Eine Ablehnung des gesamten Verfahrens und des Gesetzentwurfes, wie es die Antragstel- ler in ihrem Absatz 1 fordern, halten wir für falsch und deshalb möchte ich auch jetzt schon ankündigen, dass wir den Antrag ablehnen werden. Wir setzen auf weitere Verhandlun- gen, um jetzt absehbare Benachteiligungen in einzelnen Bereichen zu vermeiden und be- grüßen die von der Landesregierung festgelegten Änderungsempfehlungen für die erste Bundesratsbefassung.Auch wir sind der Auffassung, dass die Finanzierung der Gesundheitsreform weiterhin eine breite Basis haben muss, und insofern ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel, dass die Ta- baksteuer in Höhe von 4,2 Milliarden Euro aus dem Topf der gesetzlichen Krankenversi- cherung gestrichen wird und stattdessen in zwei Raten von je 1,5 Mrd. Euro ein geringerer Beitrag aus Steuern zukünftig in den Topf fließen soll. Hier bedarf es in den Folgejahren zu- sätzlicher Nachbesserungen. -3-Im Interesse der kommunalen Rettungsdienste in Schleswig-Holstein lehnen wir die vor- gesehene pauschale dreiprozentige Kürzung der Leistungsentgelte im Bereich der Fahrkos- ten ab. Sollte die pauschale Kürzung zum Tragen kommen, sehen wir eine große Gefahr, dass Rettungsdienste auf kommunaler Ebene zukünftig nicht mehr in der bisherigen Form und Qualität zum Einsatz kommen können.Es ist auch zu begrüßen, dass die Landesregierung die bisher nicht eindeutig festgelegte neue Insolvenzregelung für Krankenkassen kritisiert und Nachbesserungen und Klarstel- lungen fordert. Auch hier kann erst eine eindeutige Positionierung erfolgen, wenn z. B. im Detail festgelegt wird, wie die Schulden und finanziellen Belastungen von Krankenkassen im Kontext zum geplanten Insolvenzrecht überhaupt bewertet werden können. Gleichermaßen ist in diesem Zusammenhang noch mal darauf hinzuweisen, dass der Entschuldungszeit- raum für Krankenkassen auszuweiten ist, um kurzfristige, sonst notwendige Beitragserhö- hungen bei den Kassen zu vermeiden. Ebenso müssen die Finanzierungsrisiken der gro- ßen Krankenkassen – die wir, z. B. mit der AOK, auch in Schleswig-Holstein haben – Be- rücksichtigung finden.Aus unserer Sicht ist die bisher geplante pauschalierte Budgetabsenkung von 1% für alle Krankenhäuser bundesweit inakzeptabel. Bekanntermaßen haben sich die schleswig- holsteinischen Krankenhäuser bereits rechtzeitig auf die Umstrukturierung im Gesundheits- wesen eingestellt. Wir haben sehr gut wirtschaftlich arbeitende Krankenhäuser mit den bun- desweit niedrigsten Basisfallwerten. Eine erneute Budgetabsenkung und gleichzeitig Be- lastungen durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer und zusätzliche Kosten durch neue Tarifabschlüsse würden dazu führen, dass die schleswig-holsteinischen Krankenhäuser dann nicht mehr in der Lage wären, ihre jetzige Versorgungsqualität aufrecht zu erhalten. Eine Budgetabsenkung, wie sie bisher geplant ist, würde z. B. im Friedrich-Ebert- Krankenhaus Neumünster zu einer Mehrbelastung in Höhe von 1,7 Millionen Euro pro Jahr führen, das entspricht 25 Arztstellen oder 40 Stellen im Pflegedienst. Am Westküstenklini- kum würde dieses zu einer Mehrbelastung von 2,4 Millionen Euro führen. -4-Wir begrüßen das Ziel der Landesregierung, Infrastruktur zu erhalten und auszubauen, und zwar insbesondere für die Palliativversorgung und für Mutter-Vater-Kind-Angebote, und tei- len auch die Auffassung, dass Einsparungen im Arzneimittelbereich dringend erforder- lich sind, dass sie allerdings nicht zu einer Gefährdung der kleinen und mittelständischen Pharmaunternehmen, wie wir sie insbesondere in Schleswig-Holstein haben, führen dürfen.Ich habe bereits in der vorigen Landtagssitzung darauf hingewiesen, dass Gesundheitspoli- tik immer Politik für 82 Millionen Menschen ist und dass unser Gesundheitssystem überaus komplex ist. Im Interesse dieser Menschen haben wir eine Verantwortung, uns aktiv an der Debatte um eine zukünftige Neuausrichtung des Systems zu beteiligen. Verweigerung führt nicht weiter. Wir werden sicherlich im ersten Quartal des nächsten Jahres weitere Dis- kussionen führen müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt halten wir eine abschließende Bewertung für zu früh und insofern eine Entscheidung gegen das Gesetzgebungsverfahren und gegen den Gesetzentwurf für falsch.