Peter Lehnert zu TOP 43: Die Situation der Opfer muss weiter verbessert werden
Nr. 421/06 01. Dezember 2006 IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN LANDTAG PRESSEMITTEILUNG Pressesprecher Dirk Hundertmark Landeshaus, 24105 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 E-mail: info@cdu.ltsh.de Internet: http://www.cdu.ltsh.deInnenpolitik Peter Lehnert zu TOP 43: Die Situation der Opfer muss weiter verbessert werden Zunächst möchte ich mich für den umfangreichen Opferschutzbericht der Landesre- gierung beim zuständigen Justizministerium bedanken. Nachdem die Berichte zum Thema Opferschutz 1997 und 2003 noch von der CDU-Landtagsfraktion beantragt wurden, kommt dieser Bericht nun direkt von der Landesregierung.Der vorliegende Bericht beinhaltet viele lesenswerte Ausführungen insbesondere zu grundsätzlichen Fragen des Opferschutzes.So führt der Bericht aus, dass wir noch stärker als bisher ein opferorientiertes Be- wusstsein in der Kriminalpolitik benötigen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Opfer lediglich Objekt des Verfahrens sind und als Beweismittel im Strafverfahren lediglich zur Überführung des Täters herangezogen werden. Anschließend bleibt der Mensch mit seinen Sorgen und Ängsten weitgehend sich selbst überlassen, nicht selten rat- los und deprimiert. Vielfach sind Organisationen wie der Weiße Ring die einzigen Anlaufstellen, die konkrete Hilfe anbieten.In einer solchen Situation ist der Staat zum Handeln aufgerufen, um im Strafverfah- ren auch die Menschenwürde des Opfers in den Vordergrund zu stellen. Dies gilt insbesondere für Kinder, Jugendliche, behinderte Menschen, Senioren und Frauen, die fast ausschließlich die Opfer von Sexualdelikten sind.Vor geraumer Zeit haben daher Politik, Strafrechtspflege und Rechtswissenschaft damit begonnen, dem Opfer einer Straftat, insbesondere von Gewaltdelikten, auch im Strafverfahren verstärkt Aufmerksamkeit zuzuwenden. So haben der Gesetzgeber und die verschiedenen politischen Ebenen mittlerweile Reformen und Programme entwickelt und umgesetzt, um die rechtliche Situation von Opfern im Strafverfahren zu verbessern, die gesellschaftliche und institutionelle Sen- sibilisierung für die Belange von Opfern zu intensivieren und auch in ihrem Interesse präventiv tätig zu werden. Die Situation von Opfern war und ist deshalb ständiger Gegenstand von Reformen.Mit dem Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren wurden für die Mitgliedsstaaten ein- heitliche Mindeststandards vorgegeben. Deutschland ist den daraus resultierenden Verpflichtungen mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren, das zum 1. September 2004 in Kraft getreten ist, nachgekommen. Die Fortentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen hat zur einer stetigen und umfassenden Verbesserung der Situation von Opfern im Strafverfahren geführt. Da- bei wurden viele Anliegen von Opferschutzverbänden aufgegriffen.So hat z. B. der WEISSE RING e. V. das Opferrechtsreformgesetz als "echte Reform für die Betroffenen" bezeichnet, welches vielen seiner zentralen Forderungen Rech- nung getragen habe.In diesem Zusammenhang gilt es, den ehrenamtlichen Mitarbeitern des WEISSEN RINGS Dank zu sagen für ihre Arbeit in den vergangenen 30 Jahren. Dabei wurden neben unzähligen Stunden für die Beratung und Betreuung von Kriminalitätsopfern fast 100 Millionen Euro für materielle Leistungen ausgegeben.Finanzielle Unterstützung, auch die des Staates aufgrund des Opferentschädigungs- gesetzes, sei zwar wichtig, um die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Schäden auszugleichen, die von Gewalttaten herrühren. " Aber wir wissen auch, dass Geld allein keine Wunden heilen kann. Opfer benötigen in diesen schwierigen Momenten ihres Lebens vor allen Dingen menschliche Zuwendung. Die menschliche Begleitung, menschliche Wärme ist etwas, was der Staat per se nicht leisten kann."Deshalb sei es so wichtig, dass die Ehrenamtlichen ihre Zeit geben: "Zeit ist vielleicht in unserer sich beschleunigenden Lebenswelt das kostbarste Gut" betonte Bundes- kanzlerin Angela Merkel anlässlich des 30jährigen Bestehens des Weissen Ringes.Deshalb glaube ich, dass der WEISSE RING beispielhaft für das steht, was wir zivile Bürgergesellschaft nennen, in der Menschen bereit sind, über ihr eigenes Schicksal hinaus sich anderen Menschen zuzuwenden.Eine solche Bürgergesellschaft kann nicht verordnet werden, sondern sie lebt viel- mehr von denen, die sich freiwillig dafür entscheiden. Ich glaube, das ehrenamtliche Tätigkeiten, die Bereitschaft, sich mit dem Schicksal anderer zu befassen, etwas mit der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft zu tun haben.Seit der Debatte zum ersten Opferschutzbericht im Jahr 2003 hat sich zumindest in den rechtlichen Rahmenbedingungen vieles zum Positiven verändert.Insbesondere durch das Opferrechtsreformgesetz aus dem Jahr 2004 wurden die Belastungen für die Opfer im Strafverfahren weiter reduziert, ihre Verfahrensrechte gestärkt und auch neue Rechte eröffnet. Besonders wesentlich ist hierbei, dass dem Opfer weitestgehende Möglichkeiten zur Teilnahme am Strafverfahren eröffnet wurden. Hierzu wurde zunächst der Katalog der Nebenklagedelikte erweitert. Auch wurden die Rechte des Opfers auf angemes- sene Unterstützung im Verfahren erheblich gestärkt.Entsprechend einer langjährigen Forderung unter anderem des Weißen Rings und der CDU-Fraktion haben nunmehr auch die nahen Angehörigen eines Getöteten un- abhängig von den Voraussetzungen für Prozesskostenhilfe das Recht auf einen Op- feranwalt. Denn nur durch die Hinzuziehung rechtlichen Beistandes können die Ver- fahrensrechte wirksam wahrgenommen werden.Doch nicht nur rechtlicher Beistand ist wichtig, das traumatisierte Opfer muss vielfach im Prozess das Tatgeschehen nochmals durchleben. Daher ist die Hinzuziehung ei- ner Vertrauensperson bei der Zeugenvernehmung ausdrücklich zu begrüßen.Durch die Abschaffung der bloß hilfsweisen Anwendung der Videovernehmung kann die besondere Belastung der Hauptverhandlungssituation und insbesondere die er- neute Begegnung mit dem Täter in vielen Fällen vermieden werden.Und schließlich wird auch durch die Möglichkeit der Anklageerhebung beim Landge- richt für besonders schutzwürdige Zeugen die Mehrfachvernehmung und damit das mehrfache Durchleben der Tat vermieden.Ein weiterer wichtiger Fortschritt in diesem Zusammenhang ist die weitgehende Ver- pflichtung der Strafgerichte, im Strafverfahren auch über die zivilrechtlichen Ansprü- che des Opfers, insbesondere auf Schmerzensgeld zu entscheiden.Auch wenn erhebliche Fortschritte gemacht wurden, darf nicht nachgelassen werden, die Situation der Opfer weiter zu verbessern. Geprüft werden muss, wo die Verände- rungen im Prozessrecht auch auf Jugendstrafverfahren übernommen werden kön- nen. So wäre es nur konsequent, Heranwachsende auch mit den zivilrechtlichen Fol- gen ihres Handelns zu konfrontieren. Dies ist von besonderer Bedeutung, da gerade Gewaltdelikte bei Heranwachsenden immer häufiger vorkommen.Weitere Handlungsnotwendigkeiten liegen im Bereich des Erwachsenenstrafrechtes. Hier bringt sich Schleswig-Holstein aktiv in die Debatte ein, um im Strafbefehlsverfah- ren zukünftig zivilrechtliche Ersatzansprüche einfließen lassen zu können.Darüber hinaus wäre es wichtig, in vielen Fällen eine Erweiterung der Gewährung eines rechtlichen Zeugenbeistandes auf dem Bereich der polizeilichen Vernehmun- gen vorzunehmen. Auch hier besteht die Hoffnung, dass im Zug der Reform des Ver- fahrensrechtes noch erweiterte Möglichkeiten zugunsten des Opfers geschaffen wer- den.Viel wichtiger als Verfahrensvorschriften ist aber, dass Verhaltensweisen, die Men- schen physisch und psychisch schwer verletzen, zukünftig auch tatsächlich unter Strafe gestellt werden. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang die Einführung ei- nes Straftatbestandes für das so genannte Stalking, dem nach heute geltendem Recht schwer beizukommen ist. So sind etwa die ständige Verfolgung und Telefonterror, die noch nicht nachweislich zu körperlichen Schäden geführt haben, bislang strafrechtlich nicht zu ahnden.Die bestehenden zivilrechtlichen Strafandrohungen des Gewaltschutzgesetzes kön- nen hier keine zufrieden stellende Abhilfe schaffen. Dem Opfer darf es nicht zugemu- tet werden, zunächst bei einem Zivilgericht eine Unterlassungsverfügung zu erwir- ken, denn erst wenn der Stalker hiergegen nachweislich verstößt, macht er sich nach geltendem Recht strafbar.Deshalb ist es sehr erfreulich, dass es der großen Koalition auf Bundesebene gelun- gen ist, die unterschiedlichen Gesetzentwürfe von Bundesregierung und Bundesrat in wesentlichen Punkten zusammenzuführen. Es ist gelungen, wie im Gesetzentwurf der alten Bundesregierung bislang nicht vorgesehen, nicht nur die besonders schwe- ren Fälle von Stalking, sondern sämtliche Fälle sachgerecht zu erfassen. Es ist daher zu hoffen, dass auch den Betroffenen von Stalking schon bald mit dem lange erwar- teten Gesetz wirksam geholfen werden kann. Neben der Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen sind jedoch weitere Maßnahmen notwendig, welche durch die Landesjustizverwaltungen, die Staatsan- waltschaften, die Polizei und die Gerichte in Zusammenarbeit mit freien Trägern zu leisten sind. Als solche "flankierenden" Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Gewaltopfern sind vorrangig Opferbegleitung, Zeugenbegleitung und Beratung zu nennen. Frauen-Notrufe, Frauenberatungsstellen und andere Opferhilfeeinrich- tungen gehören seit vielen Jahren in Schleswig-Holstein zu den Anlaufstellen, in de- nen für Opfer insbesondere sexualisierter Gewalt umfassende Hilfsangebote bereit- gestellt werden. Die Frauen-Notrufe bieten dabei neben einem umfassenden Kon- zept aus Beratung, Krisenintervention, Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit, qualifi- zierte Betreuung, Begleitung und Beratung für Opfer während und nach dem Straf- verfahren an. Sie haben damit auch Einfluss auf deren Anzeigeverhalten.Auch Polizei und Justiz erkennen die Notwendigkeit von Beratung und Begleitung der Opfer von Kriminalität. Insbesondere verweisen die Polizeibeamten in Schleswig- Holstein auf die Hilfeleistungen des Weissen Ringes und geben mit Zustimmung des Opfers – dessen Daten an die jeweilige Außenstelle des Vereins weiter. Gerade die enge Kooperation staatlicher und nicht staatlicher Institutionen kann erheblich dazu beitragen, die Situation von Opfern zu verbessern.Zusammenfassend kann man durchaus feststellen, dass sich im Bereich des Opfer- schutzes vieles zum Positiven gewandelt hat. Es bleibt aber zugleich Aufgabe und Herausforderung, ständig weitere Verbesserungen zu erreichen, um den Menschen, die Opfer von Gewalt und Kriminalität geworden sind, in Zukunft noch mehr Schutz und Unterstützung zukommen zu lassen.