Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
30.11.06
11:16 Uhr
SSW

Lars Harms zu TOP 27 - Kindertagesstätten zu Familienzentren weiterentwickeln

Presseinformation
Kiel, den 30.11.2006 Es gilt das gesprochene Wort


Lars Harms
TOP 27 Kindertagesstätten zu Familienzentren weiter entwickeln Drs. 16/1079
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat es im Sommer auf den Punkt gebracht. Ich zitiere: „Die Kitas
sollen uns aus Integrationskrise, demografischer Katastrophe und Schulmisere retten, das
Wertevakuum füllen und Fundament des Bildungssystems werden.“ Dass diese Fülle von
Aufgaben nicht allein von den Kita´s gelöst werden können, ist eigentlich jedem klar. Doch Pisa-
Schock und nicht zuletzt Pressemeldungen über misshandelte Kinder sitzen tief. Dennoch warne
ich davor, dass es ausgerechnet die Kitas sein sollen, die alle diese Probleme regeln sollen und
das auch noch, ohne weitere Kosten auszulösen. Würden sie wirklich neben ihrem
erzieherischen Auftrag auch noch ein Sozialzentrum sein und Familienberatungsstelle, wären sie
eierlegende Wollmilchsäue: eine völlig unrealistische Vorstellung. Jede Ausgabenerweiterung
muss finanziell unterfüttert sein und vor allem gut überlegt sein. Sonst läuft das Ganze
entweder auf Selbstausbeutung der Beschäftigten hinaus oder auf Kürzungen an anderer Stelle.
Schwarz-grüne Politik in Nordfriesland zeigt, wie man es nicht machen sollte: erst
Grundsatzbeschlüsse ur Kindergartenfinanzierung durchdrücken und dann der Verwaltung die
Details überlassen; also eventuell negative Auswirkungen, wie beispielsweise die Erhöhung der
Elternbeträge oder die Verringerung von Leistungen verschweigen. Das ist der falsche Weg, 2
verunsichert Eltern und Beschäftigte und diskreditiert Bemühungen um eine Verbesserung der
Strukturen.


Der SSW plädiert für eine Politik mit Augenmaß, also bestehende Strukturen unterstützen und
stärken, ohne weitere Doppelstrukturen zu errichten. Tatsache ist, dass viele Kitas in unserem
Land schon eine Scharnierstelle für Beratung und Informationen aller Art sind: ob es sich um
Tipps rund um Schwangerschaft und Geburt handelt oder auch um systematischen
Sprachunterricht für Migrantenkinder. Wer mehr will, könnte die Kitas überfordern.
Die Kitas sind die einzigen Anlaufstellen für viele Eltern. Kinder, die nicht oder nur unregelmäßig
dem Kinderarzt vorgestellt werden, besuchen einen Kindergarten. Kinder, deren Eltern einen
weiten Bogen um Erziehungsberatungsstellen oder heilpädagogische Einrichtungen machen,
gehen in den Kindergarten. Ich kann schon nachvollziehen, dass dann die Idee nahe liegt, die
Kitas als niedrigschwellige Angebot weiter auszubauen. Die Bundesregierung hat im siebten
Familienbericht aus dem Jahre 2005 ausdrücklich die Richtung vorgegeben, die Kitas auch in
ihrer sozialen Funktion zu unterstützen. Nach englischen Vorbild sollen die Kitas neben der
Betreuung und frühen Förderung von Kindern zusätzlich auch Eltern konkrete Hilfe anbieten.
Positive Erfahrungen mit einer ganzheitlichen Familienbetreuung in Form einer integrierten
Betreuungs-, Bildungs- und Beratungsangeboten aus einer Hand liegen bereits in Deutschland
vor, unter anderem in Ludwigsburg, Bremen, Halle, Berlin und Melsungen.


Sogar die Wirtschaft hat die Zeichen der Zeit erkannt. Der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag fordert Betriebe auf, in Kinderbetreuung zu investieren. Dieses Engagement
und nicht zuletzt die lokalen Bündnisse für Familien haben bereits Vieles verändert. Inzwischen
haben wir in Deutschland Familienzentren. Da ist es gar nicht notwendig, in anderen Ländern
nach Vorbildern zu suchen. Die Erfahrungen liegen auch in Deutschland vor.
Ein Familienzentrum ist aber keine Kita mit aufgepepptem Angebot. In einem Familienzentrum
werden Beratungs-, Schulungs- und auch Integrationsangebote aus einer Hand angeboten.
Gemeint sind Stadtteilzentren für Familien, wo neben der Schwangerschaftsbetreuung bis hin 3
zu ganztägigen Betreuungsangeboten das gesamte Servicepaket für Familien unter einem Dach
zu finden ist. Heute ist es in den meisten Kommunen so, dass Eltern viele Ansprechpartner
abklappern müssen, bevor sie das richtige Angebot finden. Da muss man hartnäckig bleiben und
genau darum erreichen die Angebote oftmals nicht die Eltern, die besonderer Unterstützung
bedürfen.


Dennoch ist es nach meinem Dafürhalten nicht notwendig, die gesamte Servicelandschaft zu
verändern. Gute Beratungsangebote bestehen bereits, ihre Erreichbarkeit muss nur verbessert
werden. Was viele Kitas brauchen, ist eine Art Backup-Office: eine Nummer für alles. Wenn Kitas
als Türöffner fungieren können, ist das zu begrüßen. Doch niemand kann einer Pädagogin oder
Erzieherin zumuten, als Lotsin in einem unübersichtlichen Zuständigkeitsdschungel zu arbeiten.
Das trifft besonders auf Beratungs- und Unterstützungsbedarf von Familien mit
Migrationshintergrund zu. Da ist bereits die Sprachbarriere für viele Pädagogen ein großes
Problem. Wenn Eltern die Einladungen zu Elternabenden oder zu Ausflügen der Kinder nicht
verstehen können, ist es klar, dass sie und ihre Kinder diese Angebote meistens nicht nutzen
werden. Der Kita würde es bereits immens helfen, könnte sie auf eine Art Backup-Office
zurückgreifen, die alle Anfragen aus einer Hand erledigen: also Hilfe beim Übersetzen, aber auch
beispielsweise bei der Vermittlung Heilpädagogischer Angebote.
Bevor wir neue Strukturen errichten, sollten wir sehen, was wir bereits haben. Anstatt rund um
die Kitas Zentren zu errichten, sollten wir lieber die Erreichbarkeit des öffentlichen
Gesundheitsdienstes verbessern und die Vernetzung bestehender Institutionen erleichtern.
Damit vermeiden wir Doppelstrukturen und können das Ziel einer nachhaltige Unterstützung
möglichst vieler Eltern, besser erreichen. Anstatt also die Kindergärten mit weiteren Aufgaben
voll zu stopfen, sollten wir beispielsweise die Gesundheitsämter zu Beratungs- und
Koordinationszentren in allen Fragen ausbauen. Eine solche Idee erscheint mir sinnvoller.