Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
11.10.06
12:45 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP 8+11 - Zweites Verwaltungsstrukturreformgesetz und Erstes Verwaltungsmodernisierungsgesetz

Presseinformation
Kiel, den 11.10.2006 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 8,11 Zweites und Erstes Verwaltungsstrukturreformgesetz Drs. 16/1003; 16/1006
Man sollte erwarten, dass mit dem Tagesordnungspunkten 8 und 11 zwei parlamentarische
Höhepunkte der Landesregierung vor uns liegen. Verwaltungsmodernisierung und
Verwaltungsstrukturreform: Zwei wichtige, wenn nicht sogar die wichtigsten Anliegen der
Regierung und der sie tragenden Fraktionen. Der geneigte Leser der beiden vorliegenden
Gesetzentwürfe wird aber kaum seine Enttäuschung über den dünnen Inhalt verbergen können.
Im Artikelgesetz zur Verwaltungsmodernisierung werden mutig elf Gesetze angepackt und
scheinbar gnadenlos entbürokratisiert. Beim näheren Hinsehen zeigt sich der wirkliche Umfang
des Vorhabens:
1) Die Polizei soll neuerdings Daten ohne Kenntnis konkreter Identifikationsmerkmale von
Personen abfragen können,
2) Auch Privatpersonen dürfen das Landeswappen nutzen, ohne damit eine Ordnungswidrigkeit
zu begehen,
3) Die Jubiläumszuwendungen für Beamte werden gestrichen, 2
4) Überflüssige und nicht genutzte Eingriffsmöglichkeiten im Landesjagdgesetz werden
gestrichen.
5) Berichte über die Nebentätigkeit von Beamten und zum Stand der Gleichstellung von Frauen
im öffentlichen Dienst werden gestrichen.


Diese fünf Punkte beschränken sich auf Regelungen, die von der Verwaltung bisher nicht oder
kaum angewandt wurden, auf interne Gratifikationsregelungen, verwaltungsinterne Aufsichts-
bzw. Kompetenzregelungen sowie Regelungen, die der Steuerung und der Kontrolle der
Verwaltung dienen. Keine Neuregelung ist für sich genommen als Mittel zur
Entbürokratisierung zu verstehen. Dass Regelungen, die die Verwaltung nicht oder nicht mehr
anwendet, von Zeit zu Zeit quasi ausgemistet werden, sollte selbstverständlich sein. Aber als
Entbürokratisierung lässt sich das wohl kaum bezeichnen, denn schließlich ist der Bürger davon
überhaupt nicht behelligt worden.


Es fällt auf, dass die Streichung der Jubiläumszuwendungen den größten, oder sagen wir
genauer, überhaupt einen zu beziffernden Beitrag zur Einsparung liefert. Als
Entbürokratisierung lässt sich auch das nicht seriöser Weise bezeichnen, da der Bürger von
diesem Verwaltungshandeln ebenfalls nicht betroffen ist. Die Personalabteilungen werden –
und das ist gut so – weiterhin die Jubilare und ihr Jubiläum würdigen. Also keine Entlastung der
Personalverwaltung, was der Fürsorgepflicht wohl auch widersprechen würde.


Erst bei der Reduzierung der Aufsichts- und Zustimmungsregelungen innerhalb der Behörden,
kämen reale Beiträge zur Entbürokratisierung zum Tragen. Nur wirklich durchschlagende
Beispiele findet man hier auch nicht. Ich möchte dazu nur zwei Beispiele nennen: Erstens
müssen Stammgäste eines Hotels beim Besuch innerhalb von zwei Jahren den
Hotelmeldeschein nicht erneut handschriftlich ausfüllen, nun reicht eine Unterschrift; zweitens
sollen Abschusspläne in Jagdbezirken des Landes von den unteren Jagdbehörden genehmigt
werden können. 3
So geht das noch weiter. Das mag alles löblich sein, aber ein Durchbruch bei der Bekämpfung der
Bürokratie für den Bürger sieht doch wohl anders aus. Das sind Sandkrumen im Vergleich des
Berges, des es einzuebnen gilt. Ein Zuwachs an Bürgernähe ist kaum zu entdecken.


Bei der Wirtschaftlichkeit sieht es im Übrigen nicht anders aus. Eingespart wird nach eigner
Einschätzung der Landesregierung ca. 1 Mio. • , wobei die Streichung der Jubiläumszuwendungen
bereits 90 % dieser Einsparungen ausmacht. Im Landesdienst werden aufgrund der Maßnahmen
zusammengenommen künftig 0,4 Stellen wegfallen.


Wenn man bedenkt, dass die neue Abteilung im Finanzministerium für die Entbürokratisierung
allein schon 2 Mio. • im Jahr kostet – der neue Abteilungsleiter davon 150.000 • jährlich, fällt die
Bilanz zu Lasten der vollmundigen Versprechen der Regierung aus. Im Klartext: Die Kosten für
die Einsparbemühungen übersteigen noch bei weitem die realisierten Einsparungen.
Der SSW sieht aber mit Sorge, dass sich das Außerkraftsetzen politischer Steuerungs- und
Controllingmechanismen als heikler Punkt entpuppt. Regelungen, die politisch getroffen
worden, um Verwaltungshandeln zu steuern und zu kontrollieren, sind aus der Sicht der
Verwaltung natürlich leicht verzichtbar. Doch diejenigen, die die Regeln gesetzt haben, sollten
auf diese bestehen.


Minister Döring hat meines Erachtens völlig zu Recht auf den ausgeprägten Hang der
Verwaltung zur Selbststeuerung hingewiesen. Die Verselbständigung der Verwaltung ist damit
noch sehr höflich beschrieben. Ich warne daher davor, leichtfertig diese Instrumente unter dem
Mantel der Entbürokratisierung zu entsorgen.


Der SSW hatte vorgeschlagen, mit dem im Ausland bewährten Standard-Kosten - Modell
möglichst trenngenau zwischen verwaltungsverursachtem Aufwand für Bürger und
Unternehmen einerseits und verwaltungssteuernden Auflagen der Politik anderseits zu
unterscheiden. Der Stand der Gleichstellung, Ausmaß und Qualität der Nebentätigkeiten von 4
Beamten sowie die Datenabfrage ohne Identifikationsmerkmale sind Aspekte, auf die wir in den
Ausschussberatungen und der Anhörung ein besonderes Augenmerk werfen werden. Die Politik
sollte ihre eigenen Kontrollmöglichkeiten nicht leichtfertig aus der Hand geben; und dazu
gehören einfach Kennzahlen und Daten.


Beim zweiten Gesetzentwurf handelt es sich der Sache gemäß ebenfalls um ein Artikelgesetz, da
mehrere Gesetze auf einmal novelliert werden. Kernpunkte sind hier die Festlegung der 8.000
Einwohner-Grenze für Kommunalverwaltungen, die Zusammensetzung der vergrößerten
Amtsausschüsse sowie die Ermächtigung der Landesregierung, Verwaltungen
zusammenzuschließen, in deren Zuständigkeit weniger als 8.000 Einwohner fallen.


Die SSW-Position zur Amtsverfassung ist bekannt: wir wollen die Selbstverwaltung wieder
unmittelbar machen und sie dadurch stärken. Die jetzige Amtsordnung genügt in der
praktischen Anwendung nicht immer den demokratischen Prinzipien. Diese demokratischen
Defizite werden durch die vorgeschlagene Regelung aber in bedenklichem Umfang weiter
verschärft. Dieses ist angesichts der latenten Verfassungswidrigkeit der Regelung ein
abenteuerliches Gebaren der Landesregierung.


Es wird sich zweifellos die kommunale Selbstverwaltung zukünftig auf der Ebene der Ämter
abspielen. Daher kann es nicht ausreichen, die Willensbildung über Stimmenkontingente wie bei
einer Aktionärsversammlung abzuwickeln. Die unverzichtbare Repräsentativität gemeindlicher
Meinungsbildung wird dadurch bis zur Unkenntlichkeit reduziert. Die Honoratiorenverwaltung
des 19. Jahrhunderts wird somit wieder eingeführt und damit eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft
unter den direkt gewählten Gemeindevertretern zementiert. Da haben wir
Gemeinderatsmitglieder im Amtsauschuss mit Stimmenkontingent und einfache
Gemeinderatsmitglieder mit Abnickfunktion. Mächtige und Ohnmächtige! Beide aber von den
Bürgern in die Räte gewählt. Nur zählen die Stimmen unterschiedlich. Ein klarer Verstoß gegen
die Verfassungsrechte! 5
Der Sozialdemokrat Kurt Hamer hat bereits 1974 diese negative Tendenz klar gesehen und
eindeutig kritisiert. Ich zitiere: „Entweder ist der gewählte Vertreter überhaupt nicht mehr an
wichtigen Entscheidungen beteiligt, wie bei den Zweckverbänden und Ämtern, oder aber andere
Gremien als die unmittelbar von der Bevölkerung gewählten präjudizieren durch mühsam
ausgehandelte und ausbalancierte Kompromisse die Beschlüsse der Gemeindevertretungen. Wir
wollen den gewählten Gemeindevertreter wieder zuständig machen für möglichst alle
kommunalen Aufgaben seines Bereichs“. Genau das möchte der SSW – und die Große Koalition
offenbar nicht. Hamers Worte sind auch nach drei Jahrzehnten aktueller, als es uns lieb sein
kann.


Unmittelbar und gleich werden die Abstimmungen in den neuen Amtsausschüssen, die ja noch
mehr Aufgaben erhalten, nicht sein. Das ist mit kommunaler Selbstverwaltung und modernem
Demokratieverständnis nicht vereinbar und dem Bürger auch nicht vermittelbar. Entweder
handelt die Landesregierung hier fahrlässig, oder sie riskiert hier bewusst, dass die Gerichte die
Amtsordnung für verfassungswidrig erklären, um dann aus einem herbeiprovozierten
Sachzwang, die Ämter in Gebietskörperschaften umzuwandeln. Im Ergebnis wäre das zwar
durchaus zu begrüßen, aber der Schaden für die politische Kultur über einen solchen Weg wäre
fatal. Der Streit, ob wir Amtsgemeinden oder Ämter haben wollen, muss hier im Landtag geführt
werden. Seien Sie sich versichert, dass wir diesen Punkt im Ausschuss und in der Anhörung
kritisch verfolgen werden.