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22.05.06
14:11 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zum GRÜNEN Gesetzesentwurf für ein modernes Kommunalwahlrecht

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Stellv. Pressesprecher Dr. Jörg Nickel Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0178/28 49 591 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de

Nr. 249.06 / 22.05.06 Modernes Kommunalwahlrecht: Gerechteres Wahlsystem und mehr Beteiligung der Menschen
Die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Verein „Mehr Demokratie e. V.“ und die Grüne Lan- desarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht stellen einen Gesetzesentwurf für ein neues Kommu- nalwahlrecht vor (DS. 16/794). Dazu erklären der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Karl-Martin Hentschel, Rolf Sörensen von „Mehr Demokratie e. V.“ und der Sprecher der LAG Demokratie und Recht, Dr. Konstantin von Notz:
Wir schlagen eine umfassende Modernisierung des Kommunalwahlrechts vor. Die Wahlgesetzge- bung bei Kommunalwahlen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bundesweit verändert (siehe Anlage). Dieses war eine Reaktion der Gesetzgeber auf Bestrebungen, mehr Chancengleichheit der Parteien, Wählergruppen und KandidatInnen herzustellen und den BürgerInnen mehr Beteiligungs- rechte einzuräumen. In Hamburg wurde ein neues Wahlgesetz sogar gegen die Mehrheit in der Bür- gerschaft durch einen Volksentscheid durchgesetzt.
Im vorliegenden Gesetzesentwurf werden folgende Bereiche neu geregelt:
1. Abschaffung der 5 Prozentklausel In mehreren verfassungsgerichtlichen Entscheidungen wurde festgestellt, dass die 5 Prozent-Klausel bei Kommunalwahlen eine unnötige Einschränkung der Chancengleichheit der Parteien sowie der Wahlgleichheit bedeuten. Mittlerweile gibt es die Klausel im Kommunalwahlrecht nur noch in drei von dreizehn Flächenländern und in den Stadtstaaten. Rheinland-Pfalz hat eine 3 Prozent-Klausel. Die Abschaffung der Sperrklausel in den meisten Flächenländern hat in keinem Fall zu schwerwiegenden Folgen bei der Handlungsfähigkeit der Kommunen geführt.
2. Neues Zuteilungsverfahren nach Sainte Laguё/Schepers Das bisherige d’Hondt-Verfahren wird durch das Verfahren Sainte Laguё/Schepers ersetzt. Das bis- herige Verfahren hat kleine Parteien und Wählergemeinschaften erheblich benachteiligt.
1/4 Deshalb wurde das d’Hondt-Verfahren bereits in 10 Bundesländern durch das Hare/Niemeyer- Verfahren oder durch das Sainte Laguё/Schepers-Verfahren (Hamburg und Bremen) abgelöst. Zu- letzt hat Baden-Württemberg für die Landtagswahl 2006 das Verfahren nach Sainte Laguё/Schepers eingeführt.
Der Bundeswahlleiter kam 1999 in einer Studie zu dem Fazit, dass dieses Verfahren dem Verfahren von d’Hondt und auch dem Verfahren von Hare/Niemeyer vorzuziehen ist. Es liefert fast immer die gleichen Ergebnisse wie Hare/Niemeyer, vermeidet aber in bestimmten Fällen Paradoxien, die bei dem letzteren auftreten können.
Wir übernehmen auch die Regelung aus Hamburg, dass eine Partei oder Wählergruppe, die mehr als die Hälfte aller Stimmen erhalten hat, bei der Verteilung nach dem Verfahren Sainte Laguё/Schepers aber nicht mehr als die Hälfte der Mandate bekommt, vor der Verteilung der Mandate zunächst ein weiteres Mandat zugeteilt bekommt. Dadurch wird sichergestellt, dass eine Partei oder Wählergrup- pe, die die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommen hat, auch die Mehrheit in der Vertretung hat.
3. Kumulieren und Panaschieren Eine häufige Kritik an dem bisherigen Wahlsystem besteht darin, dass durch die Aufstellung der Lis- ten durch die Parteien und Wählergruppen ein Großteil der gewählten VertreterInnen schon vor der Wahl feststeht und die WählerInnen keinen Einfluss auf die Reihenfolge der KandidatInnen auf den Listen haben.
Deswegen wurden bereits in 11 Bundesländern unterschiedliche Varianten des Kumulierens und Pa- naschierens eingeführt. Nach wissenschaftlichen Begleituntersuchungen wird das Kumulieren und Panaschieren von vielen WählerInnen genutzt (in Baden-Württemberg von 90 Prozent!). Die Zahl der ungültigen Stimmen ist kaum größer als bei anderen Wahlen.
Der vorliegende Entwurf übernimmt die Regelungen aus dem Kommunalwahlgesetz von Rheinland- Pfalz, da diese, auch im Vergleich zu anderen Kommunalwahlgesetzen, klar formuliert und ver- gleichsweise einfach zu handhaben sind. Sie ermöglichen den BürgerInnen einen großen Einfluss auf die Reihenfolge der BewerberInnen auf den Wahlvorschlägen.
Die WählerInnen haben so viele Stimmen, wie VertreterInnen zu wählen sind. Sie können Listen und/oder ein oder mehrere BewerberInnen ankreuzen oder einzelne BewerberInnen auf einer ge- wählten Liste durchstreichen. Sie können einzelnen BewerberInnen mehrere, aber maximal drei Stimmen geben (Kumulieren) und BewerberInnen verschiedener Listen wählen (Panaschieren).


4. Listenverbindungen In kleinen Gemeinden mit nur 7 Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertretern braucht ein Wahl- vorschlag in der Regel etwa 15 Prozent der abgegebenen Stimmen, um ein Mandat zu bekommen. Dadurch können überproportional viele Stimmen verloren gehen. Nach unserem Vorschlag können Listen von Parteien und Wählergemeinschaften miteinander ver- bunden werden. Dann werden zunächst die Stimmen der verbundenen Listen zusammengezählt und anschließend die errungenen Sitze auf die Listen aufgeteilt. Damit können Parteien oder Wählergrup- pen, die nicht sicher sind, ob sie die nötige Stimmenzahl für einen Sitz erreichen, gewährleisten, dass ihre Stimme nicht verloren geht. 5. Gesetzliche Grundlage für Blindenschablonen Bisher konnten Sehbehinderte in Schleswig-Holstein mit Hilfe einer Vertrauensperson wählen, die für sie die Stimme abgibt. Dies bedeutet eine Einschränkung des Grundsatzes der geheimen Wahl. In Zukunft sollen Blindenschablonen sehbehinderten WählerInnen ermöglichen, ihre Stimme selbst ab- zugeben.
6. Unterbrechungspausen für KommunalpolitikerInnen In Zukunft sollen KommunalvertreterInnen, die von ihrem Mandat zurücktreten, wieder auf die Nach- rückerliste kommen. Dadurch können sie während der Wahlperiode später wieder nachrücken und ihr Mandat fortsetzen. Dieses Verfahren haben wir aus Baden-Württemberg übernommen.
Bei der hohen Mobilität, den hohen Anforderungen in der heutigen Arbeitswelt und den Schwierigkei- ten, Kindererziehung, Beruf und ehrenamtliches Engagement miteinander zu verbinden, kommt es oft vor, dass gewählte VertreterInnen nicht für die volle Periode von fünf Jahren ihr Mandat wahrnehmen können. Dies hat an manchen Orten zu einer Überalterung der KommunalvertreterInnen geführt.
Das neue Verfahren soll insbesondere auch beruflich stark eingebundene Menschen und Eltern von Kindern stärker zur Beteiligung an der Kommunalpolitik ermutigen.


Gesetzesentwurf: -> Entwurf eines Gesetzes über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein: http://www.lvn.parlanet.de/infothek/wahl16/drucks/0700/drucksache-16-0794.pdf


*** Anlage: Übersicht Kommunalwahlrecht in den Bundesländern

Land Kumulieren + Wahlkreise Anzahl Stim- Sperrklausel Platzvergabe Panaschieren men Baden- ja ja Anzahl Vertre- nein d’Hondt (*) Württemberg ter im Rat Bayern ja nein Anzahl Vertre- nein d’Hondt ter im Rat Berlin nein ja Zweistimmen- 5% Hare- wahlrecht Niemeyer Brandenburg ja ja 3 nein Hare- Niemeyer Bremen nein nur Bremer- 1 5% Sainte Laguё/ haven Schepers Hamburg ja ja 5 5% Sainte Laguё/ Schepers Hessen ja ja Anzahl Vertre- nein Hare- ter im Rat Niemeyer Mecklenburg- ja nein – Wahl- 3 nein Hare- Vorpommern kreisproporz Niemeyer Niedersachsen ja nein – Wahl- 3 nein d’Hondt kreisproporz Nordrhein- nein ja 1 nein Hare- Westfalen Niemeyer Rheinland- ja ja Anzahl Vertre- 3% Hare- Pfalz ter im Rat Niemeyer Saarland nein ja 1 5% d’Hondt
Sachsen ja ja 3 nein d’Hondt
Sachsen- ja ja 3 nein Hare- Anhalt Niemeyer
Schleswig- nein ja 1-3 5% d’Hondt Holstein Thüringen ja ja 3 5% Hare- Niemeyer
(*) Im Februar 2006 wurde das Verfahren nach Sainte Laguё/ Schepers auch in Baden-Württemberg bei den Landtagswahlen eingeführt.



Weitere Informationen zu den Auszählverfahren unter www.wikipedia.de -> Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren www.wikipedia.de -> D'Hondt-Verfahren www.wikipedia.de -> Hare-Niemeyer-Verfahren