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24.03.06
10:41 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP 2 - Verwaltungsstrukturreform: Symbolpolitik, die nichts zum Besseren bewegen kann

Presseinformation
Kiel, den 24.03.2006 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 2 Verwaltungsstrukturreformgesetzesetz esetz; a) Erstes Verwaltungsstrukturreformgesetzesetz; Gemeindeordnung b) Änderung der Gemeindeordnung und Amtsordnung Drs. 16/106neu, 16/659


Die Halbwertzeit politischer Aussagen in diesem Haus liegt zurzeit bei drei Monaten.
Mitte Dezember haben wir vom Innenminister noch Aussagen gehört wie, dass seine
Vorgabe, nämlich 8.000 Einwohner für hauptamtliche Verwaltungen, von zentraler
Bedeutung sei. Ich zitiere den Minister: „Ich möchte vor diesem Hintergrund übrigens
dringend davon abraten, die genannte Mindesteinwohnergrenze in Frage zu stellen.
Eine solche Diskussion würde den bisherigen Verhandlungen der Kommunen die Basis
entziehen und den Reformprozess nachhaltig beeinträchtigen“. Das war am 14.
Dezember 2005 – also vor 14 Wochen. 2
Die Landesregierung hat uns erzählt, dass sie einen Grundsatz hat: nämlich, dass
Gemeinden mit eigener Verwaltung einen hauptamtlicher Bürgermeister haben, und
Gemeinden ohne hauptamtliche Verwaltung lediglich einen ehrenamtlichen
Bürgermeister haben. Dieser einfache und konsequente Grundsatz wird der
Koalitionsräson geopfert, weil sich die beiden Volksparteien nicht einigen können.


Antwort von Radio Eriwan auf die Frage: Haben Gemeinden ohne eigene Verwaltung
eine ehrenamtliche Struktur: Im Prinzip ja. Aber; wenn eine Gemeinde mehr als 4.000
Einwohner hat, kann sie beschließen, neben dem ehrenamtlichen Bürgermeister und
dem hauptamtlich geführten Amt - als Schreibstube der Gemeinde - noch einen
hauptamtlichen Gemeindedezernenten zu wählen, der dem Bürgermeister die Bleistifte
anspitzt. Soviel zur Haltbarkeit von Grundsätzen.


Der SSW bewertet Inhalt und Verfahren der Beschlussvorlage des Innen- und Rechts-
ausschusses alles andere als seriös. Das, was dort vorgeschlagen wird, ist unvernünftig,
diffus und bürokratisch. Ein fauler Kompromiss, mit der heißen Nadel gestrickt.


Die Große Koalition ist angetreten, die Verwaltung wirtschaftlicher, professioneller und
bürgernäher zu machen. Zusätzliche kommunale Wahlbeamte, denn genau als das ist
der Gemeindedezernent angelegt, sind eine starre Zusatzausgabe und auch bei bestem
Willen nicht als wirtschaftlich darzustellen. Von der Kernforderung der CDU-Fraktion,
die Herr Kollege Wengler noch Mitte Dezember formuliert hat, die Senkung der
Verwaltungskosten und dass seine Fraktion die Landesregierung drängen wird, die
Einsparpotenziale nachvollziehbar zu beziffern, ist nicht mehr nachgeblieben.
Fehlanzeige auf der ganzen Linie. 3
Was am Gemeindedezernenten professionell sein soll, wird wohl für immer ein
Geheimnis der Männerbünde der Großen Koalition bleiben.


Um es zumindest professionell so aussehen zu lassen, schlage ich vor, um im Duktus des
Innenministeriums zu bleiben, ihn nicht „Gemeindedezernenten“, sondern kommunalen
Dienstleistungsassistenten zu nennen. Das klingt modern und viel besser als das, was es
eigentlich ist, nämlich eine Stelle für verdiente Parteifreunde.


Bürgernähe wird von der Koalition chronisch als Bürgermeisternah ausgelegt. Ob sich
die Bürger künftig an den offiziellen Bürgermeister oder den geheimen Bürgermeister
wenden sollen, wird wohl durch den lokalen Machtkampf entschieden werden und nicht
durch eine klare Verwaltungsstruktur.


Einem Neu-Bürger, der aus einem anderen Bundesland zugereist ist, kann man nun die
schleswig-holsteinischen Kommunal-Alternativen wie folgt aufzählen:
Er kann Bürger sein:
Erstens: In einer hauptamtlich verwalteten Gemeinde mit hauptamtlichen
Bürgermeister als Verwaltungschef, oder
Zweitens: in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, dafür in einem Amt
mit einem gewählten Amtsdirektor als Verwaltungschef, oder
Drittens: in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, dafür mit einem
ehrenamtlichen Amtsvorsteher als Verwaltungschef, oder
Viertens: in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, in einer
Verwaltungsgemeinschaft mit dem hauptamtlichen Bürgermeister der
Nachbargemeinde als Verwaltungschef oder 4
Fünftens: in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, in einer
Verwaltungsgemeinschaft mit dem ehrenamtlichen Amtsvorsteher des Nachbaramtes
als Verwaltungschef
– die Variante mit dem Amtsdirektor lasse ich mal aus -
oder, hier kommt nun die grandiose Neuerung der Koalition
Sechstens: in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, in einem Amt oder in
einer Verwaltungsgemeinschaft mit einem Amt bzw. einer hauptamtlich verwalteten
Gemeinde mit dem hauptamtlichen Amtsdirektor bzw. Bürgermeister als
Verwaltungschef und einem gewählten hauptamtlichen „Hilfsbürgermeister“ für den
ehrenamtlichen Bürgermeister.


Dieser Neu-Bürger wird den Variantenreichtum Schleswig-Holsteins nur sehr schwer als
die Krönung der Bürgernähe erkennen können, als die es die Koalition darstellt. Ob es die
Alt-Bürger in Schleswig-Holstein völlig anders sehen, darf zumindest bezweifelt werden.


Ich habe bei der ersten Lesung auf ein großes Manko des Gesetzentwurfes hingewiesen,
nämlich dass das zentralörtliche System des Landes und damit die Raumordnung
vollständig ignoriert worden ist. Das zentralörtliche System ist jedoch keine
Nebensächlichkeit, die im Nachhinein irgendwie draufgepfropft werden kann. Es gehört
von Anbeginn an zu einer richtigen und handwerklich sauberen Reform der
kommunalen Ebene dazu. Ich weiß aus Gesprächen mit Bürgermeistern, dass sie über
das Fehlen des zentralörtlichen Prinzips irritiert sind. Diese Problematik ist im
Gesetzgebungsverfahren überhaupt nicht berücksichtigt worden. 5
Im SSW-Modell wäre jeder ländlicher Zentralort und jedes Unterzentrum eine politische
Gemeinde. Die Aufgaben, die dort auch mit räumlichem Bezug für das Umland geregelt
werden, würden damit professionell und demokratisch transparent erledigt werden. Das
sichert die Zukunft des ländlichen Raumes, nicht zusätzliche Wahlbeamtenstellen.


Ich habe durchaus Verständnis für Bürgermeister unserer Kleinstädte unter 8.000
Einwohner, insbesondere für deren Arbeitsbelastung. Aber die Möglichkeit, sofern wir
im Modell der Koalition bleiben, einem ehrenamtlichen Bürgermeister eine Hilfskraft zur
Seite zu Stellen, haben wir bereits in § 16 Satz 2 der geltenden Amtsordnung.


Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die im Gesetz vorgesehene Senkung der
Aufwandsentschädigung für den Bürgermeister, deren Gemeinde eine angestellte
Hilfskraft für ihn beschäftigt, für eine Übergangszeit von einigen Jahren ausgesetzt
wird.
Wahlbeamte, die sich zu Grauen Eminenzen und Gegen-Bürgermeistern entwickeln, auf
Dauer einzurichten, stoßen jedoch auf den energischen Widerspruch des SSW.


Kollege Hildebrand von der FDP hat bereits in der ersten Lesung die kreisübergreifende
Ämterbildung zu recht als die schleichende Ankündigung der Einführung von
Großkreisen kritisiert. Auf die Kreise und die als Verwaltungsregionen nur dürftig
getarnten Großkreise ohne demokratische Kontrolle werde ich im nächsten
Tagesordnungspunkt näher eingehen.


Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Unternehmensverbände in ihrer
Stellungnahme zum Gesetzentwurf ganz offen, die Verwaltungsstrukturreform als die 6
erste Hälfte des Weges zum Ziel eines Nordstaates sehen, in dem Schleswig-Holstein
nicht auf dem Stand von 11 Kreisen und vier kreisfreien Städten sowie 1.100
selbstständigen Kommunen verharren kann.


Dies ist eine klare Aussage, die der SSW nicht teilt, aber respektiert. Es wäre
begrüßenswert, wenn die Landesregierung in dieser wichtigen Perspektivisierung der
Landespolitik ebenso klar Farbe bekennen könnte, statt bei einem entschiedenen
sowohl als auch nur auf der Stelle zu trippeln. Herr Ministerpräsident, wenn sie einen
Nordstaat wollen, treten sie klar dafür ein, um die Menschen mitzunehmen, wenn sie es
nicht wollen, schaffen sie ebenso konsequent die Voraussetzungen dafür, dass
Schleswig-Holstein sich als Bundesland behaupten kann, aber führen sie.


In der ersten Lesung sind die Vorstellungen der Oppositionsparteien von den Rednern
der Großen Koalition als Entwürfe vom grünen Tisch abgetan worden. Hier in der
zweiten Lesung zeigt sich eindeutlich, dass der geschmähte grüne Tisch mit offenem
Dialog zig Mal besseres zustande bringt, als die Koalitionsrunden hinter verschlossenen
Türen.


Zusammengefasst: Die Landesregierung ist in der Klemme: einerseits spürt sie genau,
dass neue Strukturen her müssen, um künftigen Entwicklungen begegnen zu können.
Andererseits ist sie viel zu ängstlich, um wirklich neue Strukturen, nämlich
demokratische, transparente und kompetente Entscheidungsstrukturen vor Ort,
einzuführen. Es bleibt daher bei einer Symbolpolitik, die nichts zum Besseren bewegen
kann. Deshalb wird der SSW dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen.