Karl-Martin Hentschel zum Schlie-Bericht zur Entbürokratisierung
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 123.06 / 01.03.06Ein Schlie-Bürgerstreich – oder was der Zauberlehrling Schlie wirklich berichtet hatDie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat eine Analyse des so genannten Schlie-Berichtes („Abschlussbericht der Projektgruppe Verwaltungsmodernisierung und Entbürokratisie- rung im Finanzministerium Schleswig-Holstein“) erstellen lassen. Dazu nimmt der stell- vertretender Fraktionsvorsitzende Karl-Martin Hentschel Stellung:Noch vor einem Jahr war in der Landesregierung von Einsparungen im Bereich der Lan- desbehörden von 2650 Stellen die Rede! Die neue Landesregierung hatte extra die Stel- le eines Staatssekretärs geschaffen, der den Auftrag hatte, diese Einsparpotenziale auf- zuspüren.Am 24. Januar 2006 wurde dann endlich der sogenannte Schlie-Bericht in einer Presse- konferenz vorgestellt. Dort wurde der Eindruck erweckt, die Landesregierung hätte be- schlossen, über 2000 Stellen von 8000 analysierten Stellen zu verlagern oder einzuspa- ren. Allein 570 Stellen sollten durch Aufgabenverzicht wegfallen.Tatsächlich ist der Staatssekretär Schlie jedoch mit seinem Vorhaben gescheitert. Der Bericht ist ein Schlie-Bürgerstreich!Unsere Analyse des Berichtes ergibt, dass sich die Darstellungen der Pressekonferenz vom 24.1. bei genauerem Hinsehen in Luft auflösen. Tatsächlich hat das Kabinett am 24.1. Maßnahmen beschlossen, die Einsparungen in der Größenordnung von lediglich 190 Stellen und die Verlagerung von 73 Stellen an Dritte bewirken sollen. Bei allen ande- ren großen Reformvorhaben sind lediglich Prüfaufträge beschlossen worden, insbeson- dere bei der Verlagerung von einer Reihe von Aufgabengebieten auf die Kommunen, ge- lang es der Projektgruppe nicht, konkrete Einsparpotentiale zu identifizieren.1/5 Der Staatssekretär Schlie operiert wie ein Zauberlehrling, der ständig neue Kaninchen wegzaubert, die dann leider nach der Pressevorstellung in den Kulissen wieder auftau- chen.Die genauere Analyse seiner Vorschläge ergibt:Es handelt sich bei dem Bericht ohne Zweifel um eine akribische Fleißarbeit, bei der die Aufgaben von fast 8000 Landesbediensteten untersucht wurden. Die Dicke des Berichtes (857 Seiten) und die Ausführlichkeit der Darstellung (jeweils eine Seite Laufzettel pro Aufgabe) waren offensichtlich darauf angelegt, Eindruck zu machen.Allerdings wird dieser Eindruck bereits dadurch relativiert, dass lediglich die Hälfte des Berichtes (483 Seiten) sich mit den Ergebnissen der Projektgruppe beschäftigen und da- von lediglich 161 Seiten relevante Vorschläge (Einsparung größer gleich 0,5 Stellen) beinhalten.Aufgabenverzicht Es wurden Aufgaben im Umfang von 67 Stellen identifiziert, auf die verzichtet werden kann, davon 15 Stellen für die Waldpädagogik entgegen dem Koalitionsvertrag.Staatssekretär Schlie hatte in der Pressekonferenz noch von 570 Stellen gesprochen. Dies ist jedoch dem Bericht nicht zu entnehmen.Vielmehr wurden dabei z. B. 186 Stellen mitgezählt, die durch die geplante Privatisierung des Waldes aus dem Landesdienst entlassen werden sollen. Dies ist aber kein Aufga- benverzicht, sondern eine Aufgabenverlagerung. Außerdem handelt es sich lediglich durchweg um Prüfaufträge. Ob und in welchem Umgang dadurch Einsparungen für das Land möglich werden, wurde nicht untersucht.Hier ist anzumerken, dass auch der Privatwald in erheblichem Umfang subventioniert wird (Ansatz 5,1 Mio. Euro in 2005). Außerdem besteht der Landeswald zur Hälfte aus Nachkriegsaufforstungen der von den Engländern abgeholzten Wälder und aus Neuwald, aus dem in den nächsten 50 bis 100 Jahren keine Einnahmen zu erwarten sind und die mit den alten Privatwäldern nicht verglichen werden können.Weitere 300 Stellen sollen laut Pressekonferenz vom Januar bei den Straßenverwaltun- gen auf den Prüfstand gestellt werden. Im Schlie-Bericht ist die Straßenbauverwaltung aber gar nicht analysiert worden. Es wird lediglich auf das laufende Projekt aus der alten Landesregierung hingewiesen, bei dem diese Stellen aber zu einem erheblichen Teil le- diglich verlagert werden. In der Zählung des Berichtes werden diese Stellen einfach in vollem Umfang der Einsparung durch Aufgabenverzicht zugerechnet.Offensichtlich war der Projektgruppe das Ergebnis so dünn, dass sie mit einer Einspa- rung von nur 67 Stellen nicht vor die Presse treten wollten.Aufgabenverlagerung In gleich drei Kapiteln berichtet die Projektgruppe über mögliche Aufgabenverlagerungen an die Kommunen, an Dritte und innerhalb der Landesregierung.Aufgabenverlagerung an DritteTatsächlich hat die Regierung auch eine Verlagerung von 73 Stellen auf Dritte beschlos- sen. Die Analyse der Einsparpotenziale durch diese Maßnahmen kam jedoch zu sehr dürftigen Ergebnissen: Lediglich 1 (in Worten „eine“) Stelle und Sachkosten in Höhe von 167.000 Euro jährlich wurden identifiziert.Die im Bericht genannten weiteren 100 Stellen in der Straßenbauverwaltung entpuppen sich lediglich als ein Prüfauftrag des Finanzministers für die zweite Phase der Untersu- chung. Sie wurden in der Projektgruppe nicht analysiert, aber mitgezählt. Bei weiteren 70 Stellen im Bereich Pflanzenschutz/Pflanzengesundheit soll lediglich die Machbarkeit ü- berprüft werden.Aufgabenverlagerung auf die kommunale EbeneIm Abschnitt „Verlagerung auf die Kommunen“ wurden noch gar keine Maßnahmen be- schlossen. Es wurde lediglich für die in beiden Koalitionsverträgen benannten Bereiche dargestellt, um wie viele Stellen es sich handelt. Es sind genau 892 Stellen, die geprüft werden sollen. Auf der Pressekonferenz war dagegen die Rede von 1220 Stellen, deren Verlagerung beschlossen sei.Der Bericht sagt dazu ganz offen: „Aussagen zu möglichen Einsparungen können an dieser Stelle nicht gemacht werden.“Hier ist noch anzumerken, dass es sich bei über der Hälfte dieser Stellen, nämlich 453, um die Katasterverwaltung handelt. Die Katasterverwaltung war eines der zentralen Re- formprojekte der alten Landesregierung. Dadurch wurden die Kataster in den vergange- nen zehn Jahren komplett digitalisiert. Dies wurde planmäßig im Jahr 2005 abgeschlos- sen. Nun kann die Katasterverwaltung neu organisiert werden. Leider liefert der Bericht auch dazu keine Analyse und keine Zahlen.Die vom Bericht vorgeschlagene Kommunalisierung hat sogar der Landkreistag, der sonst ja wirklich alles haben will, abgelehnt, und hat stattdessen eine zentrale Kataster- verwaltung vorgeschlagen.Aufgabenverlagerung innerhalb der LandesregierungNicht viel erfolgreicher war die Projektgruppe bei der Analyse von Aufgabenverlagerun- gen innerhalb der Landesregierung: Hier gelang es, ein Einsparpotenzial von zwei Stel- len nachzuweisen.Bleibt als Fazit, dass im gesamten Bereich der Aufgabenverlagerung gerade mal „drei“ Stellen identifiziert wurden, die wegfallen können. Prozessoptimierung Der erfolgreichste Teil der Arbeit der Schlie-Gruppe war die so genannte Prozessoptimie- rung. Hierdurch konnten immerhin 120 Stellen dargestellt werden, die wegfallen sollen. Diese stammen überwiegend aus dem Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und läng- liche Räume und dem Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senio- ren.Bewertung des Schlie-Berichts Trotz des Scheiterns der Schlie-Projektgruppe hält die Grüne Landtagsfraktion erhebli- che Einsparpotenziale durchaus für realistisch, wenn es gelingt, eine abgestimmte Ver- waltungsreform unter Einbeziehung der Kommunalbehörden durchzuführen.Der Hauptfehler der Projektgruppe war, dass sie die Wahlpropaganda der CDU, man könnte in großem Umfang Aufgaben streichen, ernst genommen hat. Was nützt es schon, 0,1 Stellen einzusparen, indem man die Koordinierung des Girls Day in Schles- wig-Holstein abschafft? Oder wenn es gelingt, die Verleihung von Orden- und Ehrenzei- chen des Landes zu reduzieren (Einsparung 0,2 Stellen A9).Letztlich ist der Projektgruppe dann auch nichts anderes Wesentliches eingefallen, als den Bereich Umwelt- und Naturschutz platt zu machen, in dem man die exekutiven Auf- gaben so dünn besetzt, dass sie nicht mehr wahrgenommen werden können.Aber selbst hier ist die Kosten-Nutzenrechung schnell ohne den Wirt gemacht, denn die Folgekosten von Umweltzerstörung können sehr schnell sehr viel mehr Geld kosten, als die Einsparungen jemals erbracht haben.Die großen Einsparpotenziale der Vergangenheit sind überwiegend durch Organisations- reformen erreicht worden. Beispiele dafür sind die Reform der Gebäudeverwaltung (Ein- sparung zirka 600 Stellen), die Reform der Straßenbauverwaltungen (noch nicht abge- schlossen), die mehrfache Reform der Umweltverwaltung mit Zusammenfassung aller Institute und Labore im Landesamt für Natur und Umwelt und die Konzentration der Exe- kutiv-Behörden in den drei staatlichen Umweltämtern, die Einführung des automatischen Mahnverfahrens, die Elektronisierung der Grundbücher und der Handelsregister, die Zu- sammenlegung der Eichämter und der Datenzentralen mit Hamburg.Solche Reformvorhaben ermöglichten Einsparungen in Einzelfällen von bis zu 40 Pro- zent. Jedem dieser Reformvorhaben ging aber eine ausführliche Analyse der Verwal- tungsprozesse, eine Überarbeitung aller Abläufe, eine Neuentwicklung der damit verbun- denen Datenverarbeitungsprogramme voraus. Diese endete dann in einer kompletten Neuorganisation der Verwaltung aufgrund von veränderten Verwaltungsabläufen und – strukturen. Auf diese Weise konnten in den neun rot-grünen Jahren immerhin 2000 Stel- len abgebaut und zirka 13.000 Stellen verlagert werden.Die Konsequenz aus dem Scheitern von Schlie sollte deshalb nicht sein, die Verwal- tungsreform aufzugeben. Stattdessen sollten erneut die zentralen Reformvorhaben iden- tifiziert werden, die in den kommenden Jahren analysiert und umgesetzt werden sollten. Dazu muss die Landesregierung den Mut haben, Organisationsanalysen der Landbehör- den unter Einbeziehung der gesamten kommunalen Ebenen vorzunehmen, z.B. in den Bereichen Kataster- und Vermessungswesen, Umwelt, Verkehrswesen, Forst, Sozial- verwaltungen, Gesundheit und Denkmalverwaltung.Die Grüne Landtagsfraktion wird dazu weitere Vorschläge erarbeiten und Einsparpoten- ziale darstellen. Nur durch eine Rückkehr zu prozessorientierten Analysen und Organisa- tionsreformen kann der Prozess der Verwaltungsreform Schritt für Schritt erfolgreich fortgesetzt werden.Wegzaubern von Kaninchen ist stets eine schöne Illusion geblieben, am Aschermittwoch sind alle wieder da. ***