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22.02.06
15:33 Uhr
B 90/Grüne

Monika Heinold zur Familienförderung - "Vorfahrt für Kinder"

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort Claudia Jacob Landeshaus TOP 5 – Vorfahrt für Kinder – Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Familienförderung weiter entwickeln Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt die familienpolitische Sprecherin Telefax: 0431/988-1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 Monika Heinold: E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de

Nr. 101.06 / 22.02.06



Einstieg in die beitragsfreie Kindertagesstätte wagen
Willkommen im Club, meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir uns nun alle für ein beitragsfreies Kindertagesstättenjahr einsetzen.
Als meine Fraktion dieses vor ziemlich genau fünf Jahren forderte, hagelte es noch hefti- ge Kritik. SPD-Bildungsministerin Erdsiek-Rave wies unsere Forderung als „populisti- schen Schnellschuss“ zurück, und auch andere Kommentare waren nicht gerade freund- lich.
Heute ist es die SPD selbst, die die gebührenfreie Kindertagesstätte fordert: „Mittelfristig brauchen wir gebührenfreie Kindergärten. Und anfangen sollten wir mit einem gebühren- freien Kita-Jahr vor Schulbeginn, wie es Rheinland-Pflalz praktiziert“, so Ministerin Trau- ernicht in den Kieler Nachrichten vom 4. Februar 2006.
CDU-Bundesfamilienministerin von der Leyen fordert, nach praktikablen Wegen für die beitragsfreie Kindertagesstätte zu suchen, und die CDU in Schleswig-Holstein hat noch für diese Legislaturperiode den Einstieg in ein kostenloses Kita-Jahr versprochen.
Bei so viel Übereinstimmung sollten wir damit beginnen, Konzepte auf den Tisch zu le- gen.
In unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, genau dieses zu tun, und dem Landtag bis zum Juni ein Konzept vorzulegen, wie noch in dieser Legislaturperiode der Einstieg in ein kostenloses Kindertagesstättenjahr gelingen kann.
1/4 Die institutionelle Kinderbetreuung in Deutschland muss deutlich besser werden. Aus pädagogischer Sicht, aus bildungspolitischer Sicht, aus Gründen der sozialen Gerechtig- keit und um Familie und Beruf endlich miteinander vereinbaren zu können.
Mit unserem heutigen Antrag fordern wir, dass die Schwerpunkte in der Familienpolitik zukünftig anders gesetzt werden – hin zur institutionellen Förderung von Betreuung und Versorgung.
Wir fordern, dass die vorgesehenen Mittel für Elterngeld und Betreuungsfreibeträge – immerhin zirka 2,2 Mrd. Euro - Ländern und Kommunen für die Arbeit der Kindertages- stätten zur Verfügung gestellt werden sollen.
Wir sprechen uns gegen das Ehegattensplitting und gegen die Einführung des neuen El- terngeldes aus.
Bei der Einführung des neuen Elterngeldes wird mit Schweden und der dortigen erfolg- reichen Familienpolitik argumentiert. Aber wie funktioniert es in Schweden wirklich? Kin- dertagesstätten und Schulen haben ein qualitativ gutes und bedarfsgerechtes Angebot, die Kosten für die Eltern sind auf 150 Euro gedeckelt – einschließlich Windeln und meh- rerer Mahlzeiten. Die Familienförderung besteht ausschließlich aus einem Kindergeld von 120 Euro und aus dem zirka ein Jahr lang gezahlten Elterngeld. Ansonsten gibt es nichts: Keine Steuerfreibeträge, keine Betreuungsfreibeträge, kein Ehegattensplitting.
Das System in Schweden bedeutet: Eltern erhalten im ersten Lebensjahr ihres Kindes eine gute finanzielle Hilfestellung, anschließend gehen sie wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. Der Staat sichert die Kinderbetreuung zu und hat dafür großen Einfluss auf Bil- dung und Erziehung. Das Ergebnis ist eine hohe Erwerbstätigkeit beider Elternteile und eine relativ große Chancengleichheit.
Die Bundesrepublik Deutschland hat ein komplett anderes System: Eine Mischung aus Kindergeld, Steuerfreibeträgen, Ehegattensplitting, Erziehungsgeld, Baukindergeld, Betreuungsfreibeträgen und Kindertagesstättenfinanzierung. Über Ehegattensplitting und Steuerfreibeträge werden bei uns insbesondere die Besserverdienenden gefördert, allein das Erziehungsgeld hat eine Gerechtigkeitskomponente.
Und genau aus diesem Erziehungsgeld will die Bundesregierung nun ein Elterngeld ma- chen, das wiederum überproportional den besser Verdienenden zu Gute kommt. Ich hal- te das für schlicht ungerecht!
Deshalb ist meine Fraktion dagegen, das schwedische Elterngeld einfach auf die jetzige Familienförderung oben drauf zu packen.
Stattdessen müssen wir erst einmal alte Zöpfe, wie das Ehegattensplitting, abschaffen und wir müssen dringend in eine verlässliche, qualitativ gute und für die Eltern bezahlba- re Kinderbetreuung investieren. Ohne eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung kann die Vereinbarkeit von Familie und Be- ruf nicht gelingen.
Dafür müssen alle finanziellen Kapazitäten gebündelt werden, anstatt neue Fördertatbe- stände zu schaffen.
Bei der Kinderbetreuung gibt es in Deutschland große Defizite und dementsprechend großen – und teuren - Handlungsbedarf: Die Qualität der Kindertagesstätten muss ver- bessert werden. Die Kitas brauchen zur Umsetzung des Bildungsauftrages mehr Geld. Und das pädagogische Personal muss zukünftig zumindest teilweise auf Hochschulni- veau ausgebildet werden.
Aber meine Fraktion hat noch weitere Ziele:
-> In einem ersten Schritt wollen wir den Kindergartenbesuch ein Jahr vor der Schule beitragsfrei stellen – und dieses Jahr für die Kinder verbindlich machen.
-> In einem zweiten Schritt wollen wir an allen Kindergärten und Schulen ein kostenloses Mittagessen zur Verfügung stellen.
-> In einem dritten Schritt wollen wir einen Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstät- tenplatz für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr umsetzen.
-> Und in einem vierten Schritt wollen wir, dass die jetzigen Gebühren für Kindertages- stätten deutlich gesenkt werden. Das ist dann der Weg hin zur beitragsfreien Kinderta- gesstätte.
Natürlich kann ich verstehen, dass Frau von der Leyen andere Probleme hat. Auch ich war in der Situation, angesichts eines langen Arbeitstages eine Haushaltshilfe für die Kinder zu beschäftigen. Und ich weiß, dass es da ganz nett wäre, diese Kosten von der Steuer absetzen zu können.
Aber seinen wir doch mal ehrlich! Unser Hauptproblem sind doch nicht gut verdienende Eltern, die zu viel Steuern zahlen. Unser Hauptproblem sind Kindertagesstätten mit ho- hen Elternbeiträgen und unzureichenden Öffnungszeiten!
Wir müssen nicht gering bezahlte Haushalthilfen subventionieren, sondern wir brauchen zusätzliches pädagogisches Personal in den Kindertagesstätten.
In diesem Zusammenhang teile ich die Aussage von Familienministerin Trauernicht, die in den Kieler Nachrichten vom 2.2.06 zur zu den geplanten Betreuungsfreibeträgen ge- sagt hat: „Ich glaube, die Menschen erwarten eher eine klare Lösung, zum Beispiel: 50 Euro für jeden Kita-Platz. Damit kann jede Familie planen.“
Frau Ministerin, Sie haben uns an Ihrer Seite, kämpfen Sie in Berlin für die Kindertages- stätten und gegen die Betreuungsfreibeträge. Fast alle Parteien fordern inzwischen, dass Eltern mittelfristig gar keine Beiträge mehr für die Kindertagesstätte zahlen müssen. Ich kenne viele Eltern, aber auch ErzieherInnen und KommunalvertreterInnen, die diese Debatte angesichts der real hohen Kita-Beiträge für verlogen halten. Deshalb ist es Auf- gabe der Politik, diese Forderungen mit Zahlen zu unterfüttern und ernsthaft zu prüfen, wie unsere Ziele finanzierbar und damit umsetzbar sind.
Hier setzt unser zweiter Berichtsantrag an: Wir wollen wissen, was die beitragsfreie Kin- dertagesstätte in Schleswig-Holstein kosten würde, bzw. was es kostet, wenn wir die El- ternbeiträge in der Höhe begrenzen.
Meine Fraktion hat vor einigen Jahren schon einmal einen Vorschlag gemacht, wie auch innerhalb des Bildungssystems Mittel umgeschichtet werden können. Durch die Bildung von Oberstufenzentren sollten Mittel frei werden, um die Förderung im vorschulischen Bereich zu stärken.
Ich weiß, dass dieser Vorschlag heftig umstritten war, aber ich erwarte von allen, die ein kostenloses Kita-Jahr propagieren, dass sie dafür auch einen eigenen Finanzierungsvor- schlag auf den Tisch legen.
Wer, wie der Fraktionschef der CDU, große Hoffnungen weckt, Hoffnungen, die nach ei- genen Angaben 40 Mio. Euro jährlich kosten, der muss auch sagen, wie es gehen kann.
Dass es Finanzierungsmöglichkeiten zur Umsetzung der beitragsfreien Kindertagesstätte gibt, macht uns gerade die Stadt Neuss in Nordrhein-Westfalen vor: Sie will als erste Kommune in NRW ab August auf Kindergartengebühren verzichten, indem sie die Grundsteuer anhebt und im Verwaltungsbereich einspart!
Dieses Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, neu nachzudenken und neue Schwerpunkte zu setzen.

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