Lars Harms zu TOP 5 - Familienförderung weiterentwickeln
PresseinformationKiel, den 22.02.2006 Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 5 Familienförderung weiterentwickeln Drs. 16/558Ich bin davon überzeugt, dass eigentlich in Sachen Familienpolitik schon alles gesagt worden ist:gute und solide Analysen füllen inzwischen ganze Bücherwände, die meisten davonausgesprochen klug und fundiert. Es sind vor allem drei Befunde, die uns zum Handeln zwingen:Erstens gibt es in Deutschland zu wenig Nachwuchs, weil viele Frauen und Männer befürchten,dass unsere Gesellschaft sie zu wenig in der Elternschaft unterstützt. Zweitens liegt dieErwerbstätigkeit von Frauen in der Bundesrepublik europaweit unter dem Durchschnitt und dieKarrieremöglichkeiten für Frauen sind in Deutschland immer noch schlechter als die vonMännern. Drittens sind die Chancen für Kinder in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt, wenn sieaus sozial schwachen Familien kommen, ausgesprochen schlecht.Das alles hat der SSW schon seit Jahren kritisiert und gefordert, die Familien durch differenzierteinstitutionelle Angebote zu unterstützen. Von daher unterstützen wir den Antrag der Grünen,fordert er doch die Umsteuerung weg von individueller Förderung hin zu mehr Dienstleistungendurch den Staat. Skandinavien macht das vor und die Rahmendaten: hohe Frauenerwerbsquoteund gleichzeitig hohe Geburtenrate zeigen, dass die Maßnahmen richtig sind. 2Zurzeit scheinen diejenigen, die eine Individualförderung a là katholischer Soziallehre umsetzenwollen, in der schwarz-roten Regierung den Ton anzugeben. Wie sonst wäre ein Gesetz zuerklären, das mit großem Brimborium vorgestellt wird, von dem aber schätzungsweise nur jedezweite Familie profitieren wird: das Gesetz zur Anrechenbarkeit von Kinderbetreuungskosten.Warum nur die Hälfte? Ganz einfach: die meisten Menschen verdienen einfach zu wenig, umirgendwelche Belastungen steuerlich geltend machen zu können oder sie können es sich garnicht leisten, in Vorleistung zu gehen. Einmal ganz abgesehen davon, dass Experten schätzen,dass das deutsche Steuerrecht sowieso schon das komplizierte auf der ganzen Welt ist. Sie gehendavon aus, dass 50-70% der global publizierten Steuerliteratur inzwischen aus Deutschlandkommen. Nun wird es sicherlich noch ein paar Ratgeber mehr geben, die Familien den Weg durchden Steuerdschungel weisen wollen.So ein Gesetz ist der falsche Weg: er ändert nur wenig an der Benachteiligung von Familien undwird sicherlich keine einzige Frau oder Mann von der Familiengründung überzeugen. Die Grünennennen in ihrem Antrag ein anderes Überbleibsel einer falschen, einseitig monetärausgerichteten Politik: das Ehegattensplitting. In Skandinavien übrigens undenkbar, dass dieFrauen via Steuerrecht übervorteilt werden. Denn die aktuellen Vorteile der niedrigenSteuerklasse wirken sich im Alter zu einem handfesten Nachteil aus: schließlich werden dieSozialbeiträge nach dem künstlich niedrig gerechneten Einkommen berechnet. DasEhegattensplitting fördert darüber hinaus ganz klar die Ein-Verdiener-Ehe und boykottiertBemühungen um ökonomische Selbständigkeit beider Partner. Die Liste der Nachteile desEhegattensplittings ließe sich fortsetzen. Unter anderem die Tatsache, dass 90% der Mittel ausdem Ehegattensplitting westdeutschen Paaren zufließen, aber nur 10% an ostdeutsche Paareausgezahlt werden, zeigt die soziale Schieflage dieses Modells.Ehegattensplitting hat im Übrigen genau besehen nichts mit einer Familie zu tun, denn nachmeinem Dafürhalten gehören zu einer Familie unbedingt Kinder. Menschen sollen sichlebenslang verbinden, meinetwegen auch auf Zeit. Eine besondere Pflicht für den Staat erwächstaber erst aus der Tatsache der Kinderbetreuung. Dabei spielt es keine Rolle, ob es eigene, Pflege-oder adoptierte Kinder sind. Ungefähr 22 Mrd. Euro kostet ein Steuermodell, das 3Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen belohnt. Der SSW fordert schon seitJahren, dieses Geld besser für die Dienstleistungen für Familien einzusetzen und nur noch dieKinder und damit die Familie zu fördern und nicht die Ehe.In dem vorliegenden Antrag soll das Geld in die Einführung des kostenlosen Kindertagesstätten-jahres für fünfjährige Kinder fließen. Ich muss sagen, dass ich mit der einseitigen Bindung derMittel Probleme habe, denn zumindest die Familien mit Kindern dürfen nicht durch dieStreichung des Ehegattensplitting benachteiligt werden. Deshalb stellt sich die Frage, ob dieMittel aus dem Ehegattensplitting überhaupt ausreichend für das flächendeckende Angebot sindund welchen pädagogischen Anspruch wir an das letzte Kindergartenjahr haben.Die Grünen legen besonderen Wert auf das letzte Kindergartenjahr, das kostenlos angebotenwerden soll. Aber bitte nur mit entsprechendem Konzept. In den Einrichtungen des dänischenSchulvereins wird parallel zu Einrichtungen in Dänemark das letzte Kindergartenjahr alsVorschule genutzt: die Kinder bereiten sich auf die Schule vor, lernen Zahlen und turnen auchschon einmal in der Schulturnhalle. Alles das erleichtert den Übergang in die Schule, gibt aberauch den Pädagogen im Kindergarten die Möglichkeit, die Schulfähigkeit der Kinder kompetentüber einen längeren Zeitraum zu beurteilen und positiv zu beeinflussen. Eventuelle Probleme,auch und gerade im sozialen und sprachlichen Bereich, können gezielt angegangen werden. Allesdas spricht für den Besuch des Kindergartens im letzten Jahr vor der Schule. Bedeutet das aberauch, dass es kostenlos sein sollte?Ich habe mich einmal schlau gemacht: 10% Selbstbehalt fordern die Kitas von Hartz-IV-Empfängern, wenn sie ihren Sohn oder ihre Tochter in den Kindergarten schicken wollen. InFlensburg beträgt der Mindestsatz 13 Euro im Monat für einen Halbtagsplatz. Ich wollte dieSumme nur einmal nennen, um hier auch die Relationen richtig zu stellen. Ich kann mireigentlich kaum vorstellen, dass diese 13 Euro Eltern von einer Anmeldung ihrer Kinder abhalten.Genau weiß ich das nicht. Erst einmal muss untersucht werden, welche Gründe immerhin fastjede sechste Familie hat, ihre Kinder in keinem Kindergarten anzumelden. 4Es liegen keine genauen Zahlen und Konzepte vor und deswegen können wir eigentlich nochnicht die Schlüsse ziehen, die im Antrag schon gezogen werden. Das muss nachgeholt werden.Wo wirklich Bedarf ist, sind die so genannten Kinderkrippen. In Husum ist ein entsprechendesProjekt nach langem Vorlauf gescheitert. In Nordfriesland war es das dann schon von öffentlicherSeite - bis auf eine Ausnahme auf Sylt. Private Betreuungslösungen in Familie oderNachbarschaft sind die einzige Möglichkeit für Frauen und Männer mit kleinen Kindern. Ingrößeren Städten sieht es in Schleswig-Holstein kaum besser aus. Hier muss sich bald etwasändern. Und ich hoffe, dass wir dazu auch bald einen gangbaren Weg finden.Wir müssen also schnellstens umsteuern. Der Ausstieg aus dem komplizierten deutschenSteuerrecht ist überfällig. Das Instrument der Familienförderung via Steuerrecht ist am Ende! Esist ungerecht, weil die Großverdiener erheblich mehr profitieren als die Kleinverdiener. Letztlichbelohnt es lediglich diejenigen, die genug Verständnis und Beharrlichkeit für einunübersichtliches System aufbringen oder sich einfach einen guten Steuerberater leistenkönnen. Dabei garantiert das System keineswegs, dass wirklich bedürftige Familien angemessenfinanziell unterstützt bzw. entlastet werden.Der SSW setzt sich stattdessen für eine breitflächige Verbesserung der Kinderbetreuung ein. Bisheute kann sich jede Frau in den neuen Bundesländern darauf verlassen, dass sich in ihrer Näheeine Ganztags-Kita findet, wenn sie eine braucht. Genau diese Sicherheit fehlt bei uns und daranwerden weder Elterngeld noch Steuersparmodelle etwas ändern. Nur jedes zehnte Kind inDeutschland, das jünger als drei Jahre alt ist, wird in einer Krippe betreut. Kosten für eineTagesmutter liegen je nach eigener Stundenzahl zwischen 200 und 500 Euro im Monat, wennman ca. 3 Euro pro Stunde rechnet. Das kann sich kein Kleinverdiener leisten.Also: wir brauchen Plätze für Kinder!Familienförderung bedarf nicht der Weiterentwicklung, sondern der Umsteuerung. Weg mitindividuellen Lösungen, die lange Antragsverfahren nach sich ziehen und die Reichenbegünstigen. Statt dessen eine leistungsfähige Dienstleistungsstruktur für Kinder und Eltern:flächendeckend und kompetent. Dann profitieren diejenigen, die Förderung bedürfen mehr alsjetzt. Und das wäre dann gerecht.