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26.01.06
16:46 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zum Vogelschutzgebiet auf Eiderstedt

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort Claudia Jacob Landeshaus TOP 24 – Ausweisung von Vogelschutzgebieten Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Dazu sagt der umweltpolitische Sprecher Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Telefax: 0431/988-1501 Karl-Martin Hentschel: Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de

Nr. 046.06 / 26.01.06
Von Boetticher riskiert EU-Strafen in Millionenhöhe
Über ein Drittel aller Vogelarten in Europa sind vom Aussterben bedroht. Ein unermessli- cher Reichtum droht uns verloren zu gehen. Darunter sind Vögel, deren Namen wir frü- her nie gehört haben, wie die Trauerseeschwalbe, die Uferschnepfe und der Wachtelkö- nig. Aber auch Vögel, die jedem von uns von Kindheit her vertraut sind wie der Uhu, der Rabe und der Seeadler.
Die Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union von 1979 ist geschaffen worden, um dem Aussterben Einhalt zu gebieten. Als 17 Jahre später ein Grüner in Schleswig- Holstein Umweltminister wurde, wurden die ersten Gebiete an die EU gemeldet, das wa- ren bestehende Naturschutzgebiete und der Nationalpark. Als Minister Steenblock dann begann, auch private Forst- und Landwirtschaftsflächen auszusuchen, stieß das auf em- pörten Widerstand, der durch die heute regierende CDU systematisch mit falschen Be- hauptungen und Argumenten geschürt wurde.
Standardargumente waren stets: 1. die Meldung sei fachlich nicht erforderlich; 2. es han- dele sich um einen ungerechtfertigten Eingriff in das Privateigentum und 3. die EU forde- re gar keine Meldung.
Fangen wir mit dem ersten Argument an: Wenn fast die Hälfte der Vogelarten bedroht ist, dann ist es geradezu zynisch zu behaupten, dass Schutzmaßnahmen überflüssig seien. Schon deshalb sind die Behauptungen von interessierter Seite, ein Schutz sei nicht nötig, weil die Menschen die Natur von alleine schützen würden, fachlicher Unsinn.
1/4 Auch die Behauptung, es handele sich um einen ungerechtfertigten Eingriff in das Eigen- tum, ist falsch. Das Eigentum ist in Deutschland durch die Verfassung zum Gemeinwohl verpflichtet. Und wild lebende Tiere stehen spätestens seit der Aufnahme des Tierschut- zes in die Verfassung unter dem ausdrücklichen Schutz des Grundgesetzes.
Wenn also das Land Regelungen trifft, dass auf einer privaten Fläche Vögel nicht ausge- rottet werden, dann ist das kein ungerechtfertigter Eingriff in das Eigentum, sondern eine selbstverständliche Schutzmaßnahme des Staates, zu der er genauso verpflichtet ist, wie er verpflichtet ist das Leib und Leben seiner BürgerInnen zu schützen.
Die Proteste der CDU, der Wirtschaft und anderer Nutzer waren zunächst so erfolgreich, des es nur zum Teil gelang, die nötigen Flächen auszuweisen. Dass sich dies überhaupt änderte, war dem Schock durch das Wakenitz-Urteil zu verdanken.
Damals behauptete der SPD-Minister Steinbrück, die Ausweisung der Wakenitz, eines der schönsten Flusstäler des Landes, sei nicht nötig, weil er die Autobahn A20 dort bau- en wollte.
Das Gericht stoppte den Bau. Grundsätzlich sei gegen den Bau nichts einzuwenden, wenn ein entsprechender Ausgleich erfolge. Aber erst müsse das Gebiet bei der EU ge- meldet und eine Genehmigung beantragt werden. Ohne Meldung, keine Genehmigung und kein Bau.
Das war konsequent, denn sonst könnte ja jedes Land einfach die Meldung umgehen. Herr Steinbrück war daraufhin ein Fan von Meldungen und verlangte die Meldung jedes seltenen Vogels, der auf einer möglichen Straßentrasse brütete. Leider war weder die CDU noch der nachfolgende Minister Rohwer genauso einsichtig. Der Krieg um die Aus- weisung von NATURA 2000-Gebiete ging weiter.
In einem Brief warf die Europäische Kommission der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2003 eine Vertragsverletzung vor und drohte zum ersten Mal mit einer empfindli- chen Geldstrafe. In diesem Brief wird angemahnt, dass auf der Halbinsel Eiderstedt ein Vogelschutzgebiet ausgewiesen werden soll. Grundlage dafür, so schreibt die EU, ist das Verzeichnis IBA 2002 (Important Bird Areas), in dem Vorschläge für Vogelschutzgebiete in Europa auf Grund des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes verzeichnet sind.
Die Liste IBA 2002 umfasst über 14 Prozent der Landfläche von Schleswig-Holstein. In Schleswig-Holstein sind zurzeit nur etwas über 6 Prozent als Vogelschutzgebiete gemel- det, mit Eiderstedt wären es 8 Prozent. Zum Vergleich: Dänemark hat ganze 15 Prozent ausgewiesen, dass ist ein Maßstab, den die EU möglicherweise auch an uns anlegen wird.
Eiderstedt wird mit etwa zwei Drittel der Wiesen-Fläche aufgeführt. Dabei geht es laut IBA um fünf Arten: Trauerseeschwalbe, Nonnengans, Goldregenpfeifer, Uferschnepfe und den Kiebitz. Die EU legt keineswegs fest, welche Fläche auf Eiderstedt ausgewiesen werden muss. Sie legt lediglich fest, dass geeignete Flächen in der Größenordnung der IBA 2002 für die genannten Vogelarten ausgewiesen werden.
Der Minister will nun einigen Bauern einen Gefallen tun und nur 2800 Hektar ausweisen. Dabei will er nur eine Art, die Trauerseeschwalbe und auch nur 10 Prozent ihres Brut- raums auf der Halbinsel, berücksichtigen. Das wäre möglich, wenn er stattdessen andere gleich gute oder besser geeignete Flächen in Schleswig-Holstein findet, auf denen diese Vögel vorkommen. Aber das kann er nicht: Denn Eiderstedt ist das bedeutendste zu- sammenhängende Feuchtwiesengebiet in Schleswig-Holstein - vergleichbare Flächen gibt es nirgendwo anders.
Der Minister hat die neue Gebietskulisse in einer Arbeitsgruppe mit der Initiative Pro- Eiderstedt und den Gegengutachtern ausgesucht, ohne das LANU und die Naturschutz- verbände zu beteiligen. Was würden Sie sagen, wenn ein Minister eine denkmalpoliti- sche Entscheidung treffen würde, ohne das Landesdenkmalamt zu beteiligen, oder der Wirtschaftsminister die IHK oder der Landwirtschaftsminister die LWK nicht beteiligen würde? Dass das undenkbar wäre, macht deutlich, wie sehr hier einseitige Klientelpolitik ohne Rücksicht auf fachlichen Rat betrieben wird.
Was passiert nun, wenn der Minister so vorgeht, wie angekündigt? Zunächst passiert nichts. Es kann durchaus noch einige Jahre dauern, bis die EU-Kommission mit saftigen Geldstrafen reagiert, wie sie das andernorts bereits bei NATURA 2000-Verfahren ge- macht hat. Bei so was kann das Land durchaus zu sechsstelligen Euro-Beträgen pro Tag Vertragsverletzung verurteilt werden.
Vielleicht spekuliert Herr von Boetticher darauf, dass wir dann längst wieder eine andere Regierung haben oder er dann längst einen anderen Job hat – weil er sich heute im Kampf gegen bedrohte Arten zum Jubel seiner Parteifreunde profiliert hat. Persönlich haften muss nach deutschem Recht nicht er, sondern der Steuerzahler.
Es kann aber auch schon viel kurzfristiger zum Showdown kommen. Wenn nämlich eine Baumaßnahme auf der Halbinsel Eiderstedt beklagt wird. Das könnte z.B. der von den Nordfriesen so sehnlich erwünschte Ausbau der B5 sein. Dann kann diese vom Gericht so lange gestoppt werden, bis eine gültige Meldung schließlich erfolgt ist. So wie wir es bei der Wakenitz-Querung bereits einmal erlebt haben.
Ich möchte zum Schluss noch auf die Legende eingehen, alle Menschen auf Eiderstedt seien gegen ein Vogelschutzgebiet. Ja, es gibt eine hart organisierte Lobby von Partei- freunden, die diese Ansicht vertritt und so weit geht, dass Menschen mit anders lauten- den Meinungen massiv unter Druck gesetzt wurden.
Aber es haben sich im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr LandwirtInnen gefun- den, die sich für den Vogelschutz einsetzen. Sowohl aus Idealismus, aber auch weil sie erkannt haben, dass der Vogelschutz ihnen eine einmalige Chance auf zusätzliche Ein- kommen verschafft. Bereits 75 Landwirte mit über 5000 Hektar Fläche haben sich gemeldet und wollen am Vertragsnaturschutz teilnehmen. Das sind über 25 Prozent der Gründlandfläche der Halbinsel. Nicht mal diese Flächen will der Minister in das Vogelschutzgebiet aufnehmen.
Sie haben den Grünen immer Ideologie vorgeworfen. Tatsache ist: Sie haben bislang keine einzige Meldung an die EU rückgängig gemacht. Im Gegenteil, sie haben sogar schon mehrfach nachbessern müssen, wo wir vor der Wahl zu Kompromissen gezwun- gen worden waren.
Damit haben sie alle Meldungen der Grünen Minister im Nachhinein bestätigt. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Sie machen Politik ohne eine fachliche und rechtliche Grundlage. Sie machen eine hoch ideologische und rein klientelorientierte Politik. Der Landesnatur- schutzbeauftragte hat dazu so deutliche Worte gefunden, dass ich heute auf eine Wie- derholung verzichte.
Diese Art von Politik wird scheitern – nicht nur bei der EU. Auch die Wählerinnen und Wähler werden eine solche Klientelpolitik nicht lange akzeptieren.

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