Anke Spoorendonk zu TOP 8 - Reform des Föderalismus
PresseinformationKiel, den 25.01.2006 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 8 & 14 Reform des Föderalismus Drs. 16/484; 16/505Der Landtag nimmt sich heute 90 Minuten Zeit, um über den Stand der Föderalismusreform zudebattieren. Das lässt eine tiefere Auseinandersetzung zu. Das Vorhaben, den bundesdeutschenFöderalismus zu reformieren, gehört schließlich zu den zentralen Reformprojekten der neuenBerliner Koalition. Die Reform kann aber nur gelingen, wenn die Blockaden der bundespoliti-schen Entscheidungsstrukturen wirklich aufgebrochen werden und die Landesparlamente ihreursprüngliche Funktion und Macht wiedererlangen. Das wäre dann aber auch eine außerordent-liche historische Leistung der Großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel. Für das Scheiterngilt umgekehrt das Gleiche: sollte die längst fällige Reform zu einem Reförmchen verkommenoder doch wieder an parteipolitischen Spielchen scheitern, wäre eine Chance vertan.Zu den konkret vorliegenden Vorschlägen der Großen Koalition, die als Anlage der Koalitionsver-einbarung beigefügt sind, haben wir uns bezüglich des Strafvollzuges bereits in der letztenLandtagssitzung geäußert. Der SSW hat hier seine Kritik an der vollständigen Verlagerung desStrafvollzuges - einschließlich des Vollzugs der Untersuchungshaft - auf die Länderebene darge-legt. Wir teilen im Übrigen die Haltung der Landesregierung in Bezug auf die Zuständigkeiten beider Landesbeamtenbesoldung, die nach Vorstellungen der Koalition in Berlin ganz auf die einzel- 2nen Länder übergehen soll. So sind wir eigentlich auf einem guten Weg, über die Kompetenzenzu diskutieren. Ich bin davon überzeugt, dass wir dabei bleiben sollten: auch die weiteren Vor-schläge sollten wir auf ihre Auswirkungen auf die Länder und ihre Tragfähigkeit hin kritischüberprüfen.Die Rückführung der Gemeinschaftsaufgaben, die Auflösung der Mischfinanzierung sowie dieReduzierung der Rahmengesetzgebung und damit der zustimmungspflichtigen Gesetze sindgrundsätzlich zu begrüßen. Damit würde Vieles klarer. Dennoch darf aus Sicht des SSW nichtübersehen werden, dass der Bund im Bereich der Bildung weiterhin einer gesamtstaatlichenVerantwortung nachkommen muss. Es muss also möglich sein, auch künftig Hochschulen undSchulen vonseiten des Bundes finanziell zu unterstützen. Nur der Bund konnte zum Beispiel mitdem Programm für die Ganztagsschulen diesen Bereich bundesweit in Bewegung setzen. Dasgleiche gilt für die Förderung von Forschung und Wissenschaft. Auch hier springt zu kurz, wernur die reine Lehre vertritt.Gestatten Sie mir vor diesem Hintergrund einen Hinweis auf ein weiteres potenzielles Aufgaben-feld: Der Bund hat sich in lobenswerter Weise in den letzten Jahren zur Unterstützung der natio-nalen Minderheiten sowie deren Sprachen und Kultur bekannt und die vier anerkannten auto-chthonen Minderheiten über den Bundeshaushalt gefördert. Auch wenn dieser Aspekt bei derFöderalismusreform sicher nicht im Vordergrund steht, so sollte diese - zweifellos gemeinsame -Aufgabe der Länder und des Bundes in diesem Prozess mitbedacht werden. Ich rege daher an,dass sich Schleswig-Holstein gemeinsam mit Sachsen und Brandenburg - den Bundesländern miteiner sorbischen Minderheit - überlegt, wie diese durchaus in Teilen überregionale Aufgabe –Schutz und Förderung der autochthonen Minderheitenkulturen - bei der anstehenden Grundge-setzänderung systemkonform berücksichtigt werden könnte. Die bisher eher zufällige Form derFörderung sollte in eine Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern auf eine solide undverlässliche Grundlage gestellt werden. Die Minderheitenpolitik ist kein zentrales Thema in derFöderalismus, zeigt aber anschaulich, um was es geht: um die zukünftige Verfasstheit Deutsch-lands. 3Vom Detail komme ich nun zum Grundsätzlichen.In Deutschland besteht ein dringender institutioneller Reformbedarf. Die Mütter und Väter desGrundgesetzes haben sich sicherlich nicht träumen lassen, dass aus der Doppelzuständigkeit vonBundesrat und Bundestag eine handfeste Blockademöglichkeit erwachsen würde, die von dereinen oder anderen Volkspartei je nach Gusto missbraucht wird. Ich meine, dass man durchausvon einer latenten Verfassungskrise sprechen kann, wenn man die Lähmung der Politik derletzten Jahre betrachtet.Die letzten großen Föderalismusreformen hat übrigens die letzte Große Koalition Mitte der 60erJahre vorgenommen. Unter anderem wurden Gemeinschaftsaufgaben ins Grundgesetz einge-führt und somit die Mischfinanzierung erheblich ausgeweitet. Auch damals ging man mit denbesten Absichten zu Werke. Die gesellschaftliche Entwicklung erforderte zentralere, einheitliche-re Lösungen unter Beibehaltung der verfassungsmäßig vorgeschriebenen föderalen Ordnung.Die unbeabsichtigte Folge: Der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze wuchs stetig an.Mitte der 70er Jahre kam es durch unterschiedliche parteipolitische Mehrheiten in Bundestagund Bundesrat zu einem sprunghaften Anwachsen der Anrufungen des Vermittlungsausschus-ses - über 100 Anrufungen, überwiegend seitens des Bundesrates.Die damalige Regierung Schmidt hat sich in der Regel durch Zugeständnisse an einzelne odermehrere der unionsgeführten „B-Länder“ die Zustimmung oder den Kompromiss „erkauft“. EinePraxis, die von der Regierung Kohl in den 80ern fortgesetzt wurde. Der Bund setzte sich meistensdurch, aber im doppelten Sinne für einen hohen Preis: einerseits wurden Steuergelder umgelenktund andererseits wurden die Ergebnisse jenseits der Öffentlichkeit im nicht-öffentlichen Ver-mittlungsausschuss ausgehandelt.Die Politikwissenschaft kritisierte diese Tendenzen frühzeitig und sprach von der Politikverflech-tungsfalle: Das Regierungshandeln auf Bundesebene hatte durch die Verflechtung der Zustän-digkeiten und wegen der daraus erforderlichen Abstimmungsprozesse einen erheblichen Effekti- 4vitätsverlust zu verzeichnen. Die Folgen kennen wir: Besitzstandswahrung setzte sich durch, sodass nur Lösungen, bei denen alle mehr bekommen, eine Chance haben. Im Klartext: es werdenimmer teuere Lösungen zu Lasten der Allgemeinheit ausgehandelt.Gleichzeitig geraten die Landesparlamente ins Hintertreffen, weil die Landesvertreter im Bundes-rat Mitglieder der jeweiligen Landesregierungen sind und nicht der Landtage. In den USA werdenzum Beispiel die einzelnen Bundesstaaten im Senat, der zweiten Kammer, durch eigens gewählteSenatoren vertreten, und nicht durch die Gouverneure.Zwanzig Jahre wurde die Diskussion über die Mängel der bundesdeutschen Ordnung hauptsäch-lich in akademischen Fachzirkeln geführt. Die zunehmende Krise der öffentlichen Haushalte imLaufe der 80er und 90er Jahre, die den Spielraum für teure Kompromisspakete zunehmendeinengte, sowie die Deutsche Einheit, die die Zahl der Bundesländer von 11 auf 16 erhöhte, setztedie Reform des Föderalismus ernsthaft auf die politische Tagesordnung.Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Föderalismuskonvent der deutschen Landesparla-mente im März 2003 in Lübeck erinnern, zu dem der damalige schleswig-holsteinische Landtags-präsident Heinz- Werner Arens eingeladen hatte. Dort sind die Probleme und die konkretenHandlungsbedarfe aus Sicht der Landesparlamentarier diskutiert und in der „Lübecker Erklärung“formuliert worden.Hierauf können wir in der aktuellen Diskussion aufbauen. Wir müssen also das Rad nicht neuerfinden. In den Protokollen der letzten Legislaturperiode ist nicht nur nachzulesen, wie dieDebatte damals verlief. Viel wichtiger ist aus Sicht des SSW in Erinnerung zu rufen, dass wir unsin einem fraktionsübergreifenden Antrag dafür stark machten, den Parlamenten ihre Machtzurück zu geben. Daher sollten wir weiter gemeinsam daran arbeiten, für eine Stärkung desFöderalismus dort einzutreten, wo wir als Parlament das Zepter in der Hand haben – z.B. bei denVoten der Landesregierung für den Bundesrat. Die Forderung nach einer dahingehenden Erwei-terung des Artikels 23 des Grundgesetzes ist weiterhin richtig. Die Landesregierung soll in ihrerArbeit nicht behindert werden, aber dennoch sollten wir uns als Parlament von unserer selbstgewählten Bescheidenheit verabschieden. 5Die Reform muss ein neues Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern, Exekutive und Legislati-ve, den großen und den kleinen Ländern sowie zwischen den reichen und den armen Ländernfinden. Das ist eine schwierige Aufgabe. Für den SSW ist klar, dass die Reform vor allem zweiZiele umsetzen muss: eine solide Finanzausstattung der Länder und - wie bereits erwähnt - einestarke sowie effektive demokratische Kontrolle.Der künftigen Ausgestaltung der Finanzhoheit der Länder - einschließlich des Länderfinanzaus-gleichs - kommt bei der Reform eine zentrale Rolle zu. Für den SSW ist klar, dass ein reiner Wett-bewerbsföderalismus die falsche Antwort auf die Herausforderungen ist. Dieser ist nicht mitdem bundesstaatlichen Prinzip vereinbar, da er das solidarische Element des Föderalismus zer-setzt. Die Vielfalt macht den Reiz des Föderalismus aus. Hier liegt das innovative Potenzial fürneue Politikansätze. Der SSW fordert Wettbewerb der besseren Ideen und Ansätze statt ruinöseKonkurrenz unter ungleichen Bedingungen.Den Ländern muss in ihrer jetzigen Form eine ausreichende Finanzgrundlage gesichert werden,die die Strukturschwächen berücksichtigt und gleichzeitig wirtschaftliches Handeln belohnt.„Wer bestellt, muss bezahlen“, ist die stark vereinfachte Fassung unserer Forderung nach klarenfinanziellen Verantwortlichkeiten. Der SSW steht für Konnexität, d.h. die Verknüpfung vonRegelkompetenz und Finanzierungsverantwortung auf einer Ebene. Das gilt nicht nur auf kom-munaler Ebene, sondern auch in der Beziehung zwischen dem Bund und den Ländern.Dazu gehört aber auch mehr Autonomie der Länderebene bei der Gestaltung von Einnahmenund Ausgaben. Wir sollten uns nicht immer reinreden lassen müssen. - Also brauchen wir eineklare Aufgabenteilung.Das fördert auch die demokratische Transparenz. Mit der ist es nämlich nicht gut bestellt. Demo-kratie zeichnet sich dadurch aus, dass politische Macht sachlich und zeitlich beschränkt wird unddie Machtinhaber durch Wahlen demokratisch legitimiert und durch die Öffentlichkeit kontrol-liert werden. Die Vertreter der Länder im Bundesrat besitzen so gesehen keine eigene demokrati- 6sche Legitimation für diese Funktion. Der Vermittlungsausschuss, dessen Entscheidungsprozessfür die Öffentlichkeit vollständig intransparent ist, verflüchtigt zudem die Verantwortung für dieErgebnisse der politischen Aushandlungsprozesse. Die Wählerinnen und Wähler können dasHandeln im Vermittlungsausschuss weder belohnen noch abstrafen, weil sie gar nicht wissen,wer was entschieden hat. Diese Grauzone der demokratischen Kontrolle muss durch die Ent-flechtung der Zuständigkeiten verringert werden.So wie die Landesparlamente die eindeutigen Verlierer der bisherigen Entwicklung des deut-schen Föderalismus sind, so sind die Staatskanzleien der Länder die Gewinner dieser Entwicklunggewesen. Die Macht, die den Ministerpräsidenten über den Bundesrat zuwuchs, verleiht ihnenbundespolitische Bedeutung, Einfluss und Aufmerksamkeit in der Bundesregierung, der Öffent-lichkeit und nicht zuletzt in der eigenen Partei. Dies ist zu verlockend, um es brach liegen zulassen. Kein Politiker kann sich einer solchen effektiven und in weiten Teilen unkontrolliertenEinflussmöglichkeit entziehen. Außerdem kann man gegebenenfalls auch Sonderinteressen desLandes beim Bund durchsetzen, wenn man nur hoch genug pokert. Das mag gut gemeint sein.Die Kosten dieser privilegierten Einflussmöglichkeiten sind aber hoch. Die Bundespolitik kannblockiert werden. Außerdem werden die öffentlichen Haushalte aufgebläht und die Landtageverlieren an Bedeutung.Wie bei jeder ernst gemeinten Reform geht es auch diesmal darum, Macht neu zu verteilen. Imvorliegenden Fall führt das zum Paradox, dass die erforderliche institutionelle Neuverteilung derMacht von der Zustimmung derer abhängt, die Macht an die Landesparlamente und die Bundes-ebene abgeben müssten, nämlich den Ministerpräsidenten der Länder. Und genau daran ist jaauch die Arbeit der letzten Föderalismuskommission gescheitert.Die Föderalismusreform geht uns alle an und gerade wir als Landtag müssen uns in den Prozesseinbringen. Es gilt den Föderalismus zu stärken und zukunftsfähig zu machen, auch um einselbstständiges Schleswig-Holstein im 21. Jahrhundert zu sichern.