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25.01.06
11:13 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP 8 - Reform des Föderalismus

Presseinformation
Kiel, den 25.01.2006 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 8 & 14 Reform des Föderalismus Drs. 16/484; 16/505

Der Landtag nimmt sich heute 90 Minuten Zeit, um über den Stand der Föderalismusreform zu
debattieren. Das lässt eine tiefere Auseinandersetzung zu. Das Vorhaben, den bundesdeutschen
Föderalismus zu reformieren, gehört schließlich zu den zentralen Reformprojekten der neuen
Berliner Koalition. Die Reform kann aber nur gelingen, wenn die Blockaden der bundespoliti-
schen Entscheidungsstrukturen wirklich aufgebrochen werden und die Landesparlamente ihre
ursprüngliche Funktion und Macht wiedererlangen. Das wäre dann aber auch eine außerordent-
liche historische Leistung der Großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel. Für das Scheitern
gilt umgekehrt das Gleiche: sollte die längst fällige Reform zu einem Reförmchen verkommen
oder doch wieder an parteipolitischen Spielchen scheitern, wäre eine Chance vertan.


Zu den konkret vorliegenden Vorschlägen der Großen Koalition, die als Anlage der Koalitionsver-
einbarung beigefügt sind, haben wir uns bezüglich des Strafvollzuges bereits in der letzten
Landtagssitzung geäußert. Der SSW hat hier seine Kritik an der vollständigen Verlagerung des
Strafvollzuges - einschließlich des Vollzugs der Untersuchungshaft - auf die Länderebene darge-
legt. Wir teilen im Übrigen die Haltung der Landesregierung in Bezug auf die Zuständigkeiten bei
der Landesbeamtenbesoldung, die nach Vorstellungen der Koalition in Berlin ganz auf die einzel- 2

nen Länder übergehen soll. So sind wir eigentlich auf einem guten Weg, über die Kompetenzen
zu diskutieren. Ich bin davon überzeugt, dass wir dabei bleiben sollten: auch die weiteren Vor-
schläge sollten wir auf ihre Auswirkungen auf die Länder und ihre Tragfähigkeit hin kritisch
überprüfen.
Die Rückführung der Gemeinschaftsaufgaben, die Auflösung der Mischfinanzierung sowie die
Reduzierung der Rahmengesetzgebung und damit der zustimmungspflichtigen Gesetze sind
grundsätzlich zu begrüßen. Damit würde Vieles klarer. Dennoch darf aus Sicht des SSW nicht
übersehen werden, dass der Bund im Bereich der Bildung weiterhin einer gesamtstaatlichen
Verantwortung nachkommen muss. Es muss also möglich sein, auch künftig Hochschulen und
Schulen vonseiten des Bundes finanziell zu unterstützen. Nur der Bund konnte zum Beispiel mit
dem Programm für die Ganztagsschulen diesen Bereich bundesweit in Bewegung setzen. Das
gleiche gilt für die Förderung von Forschung und Wissenschaft. Auch hier springt zu kurz, wer
nur die reine Lehre vertritt.



Gestatten Sie mir vor diesem Hintergrund einen Hinweis auf ein weiteres potenzielles Aufgaben-
feld: Der Bund hat sich in lobenswerter Weise in den letzten Jahren zur Unterstützung der natio-
nalen Minderheiten sowie deren Sprachen und Kultur bekannt und die vier anerkannten auto-
chthonen Minderheiten über den Bundeshaushalt gefördert. Auch wenn dieser Aspekt bei der
Föderalismusreform sicher nicht im Vordergrund steht, so sollte diese - zweifellos gemeinsame -
Aufgabe der Länder und des Bundes in diesem Prozess mitbedacht werden. Ich rege daher an,
dass sich Schleswig-Holstein gemeinsam mit Sachsen und Brandenburg - den Bundesländern mit
einer sorbischen Minderheit - überlegt, wie diese durchaus in Teilen überregionale Aufgabe –
Schutz und Förderung der autochthonen Minderheitenkulturen - bei der anstehenden Grundge-
setzänderung systemkonform berücksichtigt werden könnte. Die bisher eher zufällige Form der
Förderung sollte in eine Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern auf eine solide und
verlässliche Grundlage gestellt werden. Die Minderheitenpolitik ist kein zentrales Thema in der
Föderalismus, zeigt aber anschaulich, um was es geht: um die zukünftige Verfasstheit Deutsch-
lands. 3

Vom Detail komme ich nun zum Grundsätzlichen.


In Deutschland besteht ein dringender institutioneller Reformbedarf. Die Mütter und Väter des
Grundgesetzes haben sich sicherlich nicht träumen lassen, dass aus der Doppelzuständigkeit von
Bundesrat und Bundestag eine handfeste Blockademöglichkeit erwachsen würde, die von der
einen oder anderen Volkspartei je nach Gusto missbraucht wird. Ich meine, dass man durchaus
von einer latenten Verfassungskrise sprechen kann, wenn man die Lähmung der Politik der
letzten Jahre betrachtet.


Die letzten großen Föderalismusreformen hat übrigens die letzte Große Koalition Mitte der 60er
Jahre vorgenommen. Unter anderem wurden Gemeinschaftsaufgaben ins Grundgesetz einge-
führt und somit die Mischfinanzierung erheblich ausgeweitet. Auch damals ging man mit den
besten Absichten zu Werke. Die gesellschaftliche Entwicklung erforderte zentralere, einheitliche-
re Lösungen unter Beibehaltung der verfassungsmäßig vorgeschriebenen föderalen Ordnung.


Die unbeabsichtigte Folge: Der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze wuchs stetig an.
Mitte der 70er Jahre kam es durch unterschiedliche parteipolitische Mehrheiten in Bundestag
und Bundesrat zu einem sprunghaften Anwachsen der Anrufungen des Vermittlungsausschus-
ses - über 100 Anrufungen, überwiegend seitens des Bundesrates.


Die damalige Regierung Schmidt hat sich in der Regel durch Zugeständnisse an einzelne oder
mehrere der unionsgeführten „B-Länder“ die Zustimmung oder den Kompromiss „erkauft“. Eine
Praxis, die von der Regierung Kohl in den 80ern fortgesetzt wurde. Der Bund setzte sich meistens
durch, aber im doppelten Sinne für einen hohen Preis: einerseits wurden Steuergelder umgelenkt
und andererseits wurden die Ergebnisse jenseits der Öffentlichkeit im nicht-öffentlichen Ver-
mittlungsausschuss ausgehandelt.


Die Politikwissenschaft kritisierte diese Tendenzen frühzeitig und sprach von der Politikverflech-
tungsfalle: Das Regierungshandeln auf Bundesebene hatte durch die Verflechtung der Zustän-
digkeiten und wegen der daraus erforderlichen Abstimmungsprozesse einen erheblichen Effekti- 4

vitätsverlust zu verzeichnen. Die Folgen kennen wir: Besitzstandswahrung setzte sich durch, so
dass nur Lösungen, bei denen alle mehr bekommen, eine Chance haben. Im Klartext: es werden
immer teuere Lösungen zu Lasten der Allgemeinheit ausgehandelt.


Gleichzeitig geraten die Landesparlamente ins Hintertreffen, weil die Landesvertreter im Bundes-
rat Mitglieder der jeweiligen Landesregierungen sind und nicht der Landtage. In den USA werden
zum Beispiel die einzelnen Bundesstaaten im Senat, der zweiten Kammer, durch eigens gewählte
Senatoren vertreten, und nicht durch die Gouverneure.


Zwanzig Jahre wurde die Diskussion über die Mängel der bundesdeutschen Ordnung hauptsäch-
lich in akademischen Fachzirkeln geführt. Die zunehmende Krise der öffentlichen Haushalte im
Laufe der 80er und 90er Jahre, die den Spielraum für teure Kompromisspakete zunehmend
einengte, sowie die Deutsche Einheit, die die Zahl der Bundesländer von 11 auf 16 erhöhte, setzte
die Reform des Föderalismus ernsthaft auf die politische Tagesordnung.


Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Föderalismuskonvent der deutschen Landesparla-
mente im März 2003 in Lübeck erinnern, zu dem der damalige schleswig-holsteinische Landtags-
präsident Heinz- Werner Arens eingeladen hatte. Dort sind die Probleme und die konkreten
Handlungsbedarfe aus Sicht der Landesparlamentarier diskutiert und in der „Lübecker Erklärung“
formuliert worden.
Hierauf können wir in der aktuellen Diskussion aufbauen. Wir müssen also das Rad nicht neu
erfinden. In den Protokollen der letzten Legislaturperiode ist nicht nur nachzulesen, wie die
Debatte damals verlief. Viel wichtiger ist aus Sicht des SSW in Erinnerung zu rufen, dass wir uns
in einem fraktionsübergreifenden Antrag dafür stark machten, den Parlamenten ihre Macht
zurück zu geben. Daher sollten wir weiter gemeinsam daran arbeiten, für eine Stärkung des
Föderalismus dort einzutreten, wo wir als Parlament das Zepter in der Hand haben – z.B. bei den
Voten der Landesregierung für den Bundesrat. Die Forderung nach einer dahingehenden Erwei-
terung des Artikels 23 des Grundgesetzes ist weiterhin richtig. Die Landesregierung soll in ihrer
Arbeit nicht behindert werden, aber dennoch sollten wir uns als Parlament von unserer selbst
gewählten Bescheidenheit verabschieden. 5



Die Reform muss ein neues Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern, Exekutive und Legislati-
ve, den großen und den kleinen Ländern sowie zwischen den reichen und den armen Ländern
finden. Das ist eine schwierige Aufgabe. Für den SSW ist klar, dass die Reform vor allem zwei
Ziele umsetzen muss: eine solide Finanzausstattung der Länder und - wie bereits erwähnt - eine
starke sowie effektive demokratische Kontrolle.


Der künftigen Ausgestaltung der Finanzhoheit der Länder - einschließlich des Länderfinanzaus-
gleichs - kommt bei der Reform eine zentrale Rolle zu. Für den SSW ist klar, dass ein reiner Wett-
bewerbsföderalismus die falsche Antwort auf die Herausforderungen ist. Dieser ist nicht mit
dem bundesstaatlichen Prinzip vereinbar, da er das solidarische Element des Föderalismus zer-
setzt. Die Vielfalt macht den Reiz des Föderalismus aus. Hier liegt das innovative Potenzial für
neue Politikansätze. Der SSW fordert Wettbewerb der besseren Ideen und Ansätze statt ruinöse
Konkurrenz unter ungleichen Bedingungen.


Den Ländern muss in ihrer jetzigen Form eine ausreichende Finanzgrundlage gesichert werden,
die die Strukturschwächen berücksichtigt und gleichzeitig wirtschaftliches Handeln belohnt.
„Wer bestellt, muss bezahlen“, ist die stark vereinfachte Fassung unserer Forderung nach klaren
finanziellen Verantwortlichkeiten. Der SSW steht für Konnexität, d.h. die Verknüpfung von
Regelkompetenz und Finanzierungsverantwortung auf einer Ebene. Das gilt nicht nur auf kom-
munaler Ebene, sondern auch in der Beziehung zwischen dem Bund und den Ländern.


Dazu gehört aber auch mehr Autonomie der Länderebene bei der Gestaltung von Einnahmen
und Ausgaben. Wir sollten uns nicht immer reinreden lassen müssen. - Also brauchen wir eine
klare Aufgabenteilung.


Das fördert auch die demokratische Transparenz. Mit der ist es nämlich nicht gut bestellt. Demo-
kratie zeichnet sich dadurch aus, dass politische Macht sachlich und zeitlich beschränkt wird und
die Machtinhaber durch Wahlen demokratisch legitimiert und durch die Öffentlichkeit kontrol-
liert werden. Die Vertreter der Länder im Bundesrat besitzen so gesehen keine eigene demokrati- 6

sche Legitimation für diese Funktion. Der Vermittlungsausschuss, dessen Entscheidungsprozess
für die Öffentlichkeit vollständig intransparent ist, verflüchtigt zudem die Verantwortung für die
Ergebnisse der politischen Aushandlungsprozesse. Die Wählerinnen und Wähler können das
Handeln im Vermittlungsausschuss weder belohnen noch abstrafen, weil sie gar nicht wissen,
wer was entschieden hat. Diese Grauzone der demokratischen Kontrolle muss durch die Ent-
flechtung der Zuständigkeiten verringert werden.


So wie die Landesparlamente die eindeutigen Verlierer der bisherigen Entwicklung des deut-
schen Föderalismus sind, so sind die Staatskanzleien der Länder die Gewinner dieser Entwicklung
gewesen. Die Macht, die den Ministerpräsidenten über den Bundesrat zuwuchs, verleiht ihnen
bundespolitische Bedeutung, Einfluss und Aufmerksamkeit in der Bundesregierung, der Öffent-
lichkeit und nicht zuletzt in der eigenen Partei. Dies ist zu verlockend, um es brach liegen zu
lassen. Kein Politiker kann sich einer solchen effektiven und in weiten Teilen unkontrollierten
Einflussmöglichkeit entziehen. Außerdem kann man gegebenenfalls auch Sonderinteressen des
Landes beim Bund durchsetzen, wenn man nur hoch genug pokert. Das mag gut gemeint sein.
Die Kosten dieser privilegierten Einflussmöglichkeiten sind aber hoch. Die Bundespolitik kann
blockiert werden. Außerdem werden die öffentlichen Haushalte aufgebläht und die Landtage
verlieren an Bedeutung.


Wie bei jeder ernst gemeinten Reform geht es auch diesmal darum, Macht neu zu verteilen. Im
vorliegenden Fall führt das zum Paradox, dass die erforderliche institutionelle Neuverteilung der
Macht von der Zustimmung derer abhängt, die Macht an die Landesparlamente und die Bundes-
ebene abgeben müssten, nämlich den Ministerpräsidenten der Länder. Und genau daran ist ja
auch die Arbeit der letzten Föderalismuskommission gescheitert.



Die Föderalismusreform geht uns alle an und gerade wir als Landtag müssen uns in den Prozess
einbringen. Es gilt den Föderalismus zu stärken und zukunftsfähig zu machen, auch um ein
selbstständiges Schleswig-Holstein im 21. Jahrhundert zu sichern.