Lothar Hay zu TOP 8 + 14: Reform ja, Wettbewerbsföderalismus nein
Sozialdemokratischer Informationsbrief Kiel, 25.01.2006 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 8 und 14 – Reform des Föderalismus (Drucksachen 16/484, 16/505, 16/536)Lothar Hay:Reform ja, Wettbewerbsföderalismus neinBei der Forderung, gleiche Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu schaffen, „habe ich allerdings noch Probleme mit der Föderalismusreform“, führt der Vorsitzende der SPD- Landtagsfraktion in seinem Redebeitrag aus. Für Schleswig-Holstein gelte dies insbe- sondere für die Beibehaltung eines einheitlichen Dienst-, Besoldungs- und Versor- gungsrechts. Denn insbesondere hier bestehe die Gefahr, dass die „reichen“ Länder eigene Standards entwickeln, um sich von anderen Ländern abzugrenzen und sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Situation einen Wettbewerbsvorteil ver- schaffen zu können. „Dann haben die nicht so finanzstarken Länder von vornherein keine Chance, weil der Start zum Wettbewerb aus einer völlig ungleichen Konkurrenz- situation erfolgt“, so Hay. Wenn man jedoch die Forderung nach gleichen Lebensver- hältnissen aufgebe, dann lege man die Axt an die Grundfesten unserer föderalen Struktur, mahnt er. Er spricht sich auch gegen die Verlagerung des Strafvollzugs auf Länderebene aus. „Da es auf europäischer Ebene gerade Bemühungen um eine Vereinheitlichung im Strafvollzug gibt, wäre es geradezu widersinnig, innerhalb Deutschlands jetzt die vor- handene Einheitlichkeit aufzugeben.“ Ähnliche Probleme würde die Übertragung der Zuständigkeit für das Heimrecht auf die Länder haben. Und die Abschaffung der Ge- meinschaftsaufgabe Hochschulbau würde für Schleswig-Holstein mehr Probleme schaffen als lösen, führt Lothar Hay aus. Die Länder Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-müssten mehr eigenständige Gestaltungsbereiche erhalten – aber eben „da, wo es sinnvoll ist“.Die Rede im Wortlaut:In der Bewertung der Föderalismusreform und ihren Auswirkungen auf Schleswig- Holstein sind wir ganz offensichtlich sehr nah beieinander. So heißt es in der Janu- ar/Februar-Ausgabe des DBB-Magazins des Deutschen Beamtenbundes: „Carstensen: Föderalismusreform noch verbesserungsfähig. Der schleswig-holsteinische Ministerprä- sident Peter Harry Carstensen sieht vor einer abschließenden Entscheidung zur Födera- lismusreform noch Klärungsbedarf. Über jede einzelne auf Bundesebene vorgeschlagene Grundgesetzänderung solle erst im Bundesratsverfahren nach sorgfältiger Einzelprüfung und Abwägung, insbesondere hinsichtlich möglicher negativer Auswirkungen auf alle o- der einzelne Länder entschieden werden, sagt Carstensen dem DBB-Magazin. ‚Für Schleswig-Holstein gilt dies insbesondere für die Beibehaltung eines einheitlichen Dienst- , Besoldungs- und Versorgungsrechts’, fügte der CDU-Politiker hinzu.“ Dies ist exakt die Meinung der SPD-Landtagsfraktion! Diese richtige Positionsbestimmung ist das eine, die Möglichkeit der Durchsetzung in Berlin das andere.Die Landtags- und auch die Bundestagsabgeordneten sind gewählt, um die Interessen ihres Landes zu vertreten. Bei den Bundestagsabgeordneten, auch der SPD, steht dieses Ziel im wahrsten Sinne des Wortes ganz vorn. Und das heißt, bei der Föderalismusreform vertreten die Bundestagsabgeordneten aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und auch Nordrhein-Westfalen zunächst einmal die Interessen ihrer Länder und dann die der Bundesrepublik in ihrer Gesamtheit. -3-Und die Interessen der bisherigen Geberländer im Länderfinanzausgleich sind über die Parteigrenzen hinweg gleich. Sie wollen a) weniger zahlen und b) im Rahmen der Fö- deralismusreform neben vielen Punkten, in denen wir übereinstimmen, Wettbewerbsvor- teile für ihr Land. Ich kann das aus der Interessenlage der reicheren Länder heraus nach- vollziehen. Bei der Zielsetzung der Schaffung gleicher Lebensverhältnisse im Bundesge- biet habe ich allerdings noch Probleme mit der Föderalismusreform.In der Diskussion über die Neuordnung des föderativen Systems fordern die so genann- ten reichen Länder einen Wettbewerbsföderalismus. Sie sind zwar auch der Auffassung, dass die Länder mehr Kompetenzen erhalten sollten und die Finanzkraft der Länder durch eigene Steuern gestärkt werden muss, sie wollen aber in ihren Ländern eigene Standards entwickeln, um sich von anderen Ländern abzugrenzen und sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Situation einen Wettbewerbsvorteil verschaffen zu können.Bei dieser Form von Wettbewerbsföderalismus, wie er angedacht ist, haben die nicht so finanzstarken Länder von vornherein keine Chance, weil der Start zum Wettbewerb aus einer völlig ungleichen Konkurrenzsituation erfolgt. Hier von Wettbewerb zu re- den, das ist in etwa so, als würde man beim Start zum 100 m-Lauf einem Teilnehmer ei- nen Rucksack mit 10 Kilo Gewicht aufschnallen.Wir sind uns bewusst, dass - wenn überhaupt - Änderungen nur in ein oder zwei Punk- ten möglich sein werden. Die Frage der Beamtenbesoldung steht für uns ganz vorne. Bereits in der vorigen Legislaturperiode haben wir mehrere Debatten zum Thema Födera- lismusreform geführt und im November 2004 eine Entschließung in Anlehnung an die Münchner Erklärung der Landtagspräsidenten verabschiedet. Bereits in dieser Erklärung hatten wir auf die Festlegung der Beamtenbesoldung als Ländersache bewusst verzich- tet. Das war richtig und bleibt auch heute richtig. -4-Ich erlaube mir, die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen aus den heutigen Geber- ländern in diesem Zusammenhang noch einmal dezent daran zu erinnern, dass bei- spielsweise Baden-Württemberg noch 1988 982 Mio. € aus dem Länderfinanzausgleich erhalten hat, Bayern 1994 noch 342 Mio. € und Hessen noch 1992 942 Mio. €. Bei Nord- rhein-Westfalen liegen die letzten spürbaren Zahlungen als Nehmerland in der Mitte der 70er Jahre.Das heißt doch, die heutigen großen Geberländer haben über Jahrzehnte von den Rege- lungen mit dem Ziel, gleiche Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu schaffen, durchaus erhebliche Vorteile gezogen. Und nachdem dann die östlichen Bundesländer ab 1995 in den Finanzausgleich einbezogen wurden, wurde die Sache für die Geberländer richtig teuer. Wenn wir die Forderung nach gleichen Lebensverhältnissen aufgeben, dann legen wir die Axt an die Grundfesten unserer föderalen Struktur.Ein weiterer Punkt, der uns in die Kleinstaaterei zurückführen würde, ist die Übertragung des Strafvollzugs auf die Länder. Es gibt keine fachlichen Gründe, die für eine Verla- gerung der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder sprechen. Da es auf europäi- scher Ebene gerade Bemühungen um eine Vereinheitlichung im Strafvollzug gibt, wäre es geradezu widersinnig, innerhalb Deutschlands jetzt die vorhandene Einheitlichkeit auf- zugeben.Die Übertragung der Zuständigkeit für das Heimrecht auf die Länder birgt ähnliche Schwierigkeiten wie beim Strafvollzug. Nachdem es seit 1972 intensive Bemühungen der Länder um eine bundeseinheitliche Regelung der Heime gegeben hat, ist 2002 mit Zu- stimmung der Länder ein grundlegend novelliertes Heimrecht in Kraft getreten. Dabei ging es um eine Verbesserung der Rechtsstellung der Heimbewohner, Verbesserung der Eingriffsmöglichkeiten der Heimaufsicht und weitere grundsätzliche Regelungen. Bei un- terschiedlichen Standards in den Ländern besteht die Gefahr eines „Sozialdumpings“, das wir nicht wollen. -5-Auch die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wird für das Land Schleswig-Holstein mehr Probleme schaffen als lösen. In einer Antwort der Bundesregie- rung auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Dezember heißt es: „Die Bundesregierung erwartet, dass die Länder die ihnen nach der angestrebten Föderalismusreform zuste- henden Kompensationsbeträge des Bundes entsprechend ergänzen.“ Und genau darin kann unser Problem liegen. Auf die Schwierigkeiten, die sich für unsere Blaue-Liste- Institute ergeben können, will ich hier nicht eingehen. Die Zeit reicht nicht, um auf weitere Punkte wie Umweltgesetzgebung, Presserecht und Europa-Fragen einzugehen.Die Neuordnung des Föderalismus ist ohne Zweifel eine vordringliche Aufgabe. Es ist gut, dass sie jetzt von der Großen Koalition in Berlin angepackt wird. Gerade die Rolle des Bundesrates ist immer problematischer geworden. Wir brauchen hier Reformen. „Ein verkrustetes System des koordinierenden Föderalismus hemmt Innovationen auf fast allen Gebieten. Der ursprüngliche Gestaltungsföderalismus ist längst zu einem bloßen Beteiligungsföderalismus geworden.“ (Kayenburg 2004)Und genau hier müssen wir ansetzen. Wenn also der Bundestag zukünftig deutlich mehr Gesetze ohne Zustimmung des Bundesrates beschließen können soll, dann müssen die Länder - und hier auch die Landesparlamente – mehr eigenständige Gestaltungsbereiche erhalten. Aber eben da, wo es sinnvoll ist. Eine sinnvolle Entscheidung kann jedoch nur gelingen, wenn die europäische Entwicklung in die Überlegungen mit einbezogen wird.Wir Sozialdemokraten werden die Föderalismusreform unterstützen. Allerdings kommt es uns schon darauf an, Änderungen an einigen Punkten - wie Beamtenrecht und Strafvoll- zug - vorzunehmen. Wir rechnen hier fest mit der Unterstützung unseres Koalitionspart- ners.