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06.01.06
12:14 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zur Kormoranverordnung

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de
Kormoranverordnung Nr. 004.06 / 06.01.06 ist reine Lobbypolitik
Zur Kormoranverordnung erklärt der umweltpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Karl-Martin Hentschel:
Der vorliegende Entwurf zur Kormoranverordnung ist fachlich ungeeignet, rechtlich unzu- lässig und steht im Widerspruch zur EU-Vogelschutzrichtlinie. Nach umfassender Prü- fung lehnen wir den Entwurf ab.
Der Umweltminister dokumentiert damit erneut, dass für ihn Naturschutz, Artenschutz und Tierschutz nichts Wert sind, wenn sie Lobby-Interessen von Einzelgruppen, denen sich der Ministerpräsident Carstensen verbunden fühlt, im Wege stehen.
Was beinhaltet die Verordnung?
Die Verordnung ermöglicht: Die Verhinderung der Wiederbesetzung von bestehenden Brutkolonien und der Gründung neuer Kolonien (außerhalb von Naturschutzgebieten und dem Natio- nalpark). Den Abschuss von Kormoranen mit Ausnahme in der Brutzeit und nicht in Natur- schutzgebieten, Nationalparks und den meisten (aber nicht allen) EU- Vogelschutzgebieten.
Damit soll eine pauschale, flächendeckende Verfolgung des Kormorans ohne Rücksicht auf den Bestandserhalt ermöglicht werden. Die bisherige Einzelfallregelung zur Geneh- migung von Vergrämungsmaßnahmen soll damit abgelöst werden.

Fachliche Gründe gegen die Verordnung 1. Verringerung des Bestandes in den letzten Jahren
Kormorane waren in Schleswig-Holstein ausgerottet und haben sich seit 1984 langsam wieder angesiedelt. Die Zahl wuchs bis 1995 auf über 3200 Brutpaare an.
1/4 Seitdem ist die Zahl rückläufig. Im Binnenland hat die Zahl der Brutpaare seit 1995 von zirka 1300 auf etwa 750 Paare abgenommen.
Entscheidend für die rückläufigen Zahlen ist die Wiederansiedlung des Seeadlers, der einige Kolonien aufgelöst hat. Damit existiert eine natürliche Regulierung der Bestände.
Kormorane brüten in wenigen großen Kolonien und sind deshalb sehr leicht zu vergrä- men. In den letzten Jahren hat die Zahl der Kolonien – insbesondere an den großen Seen – abgenommen. Nur eine davon liegt in einem Naturschutzgebiet. Dazu kommt, dass die Kormorane regelmäßig nach einiger Zeit Kolonien aufgeben und neue gründen. Eine systematische Vergrämung mit dem Ziel, die Neugründung und Wiederbesetzung von Kolonien zu verhindern, ist also besonders bestandsgefährdend.

2. Keine Gefährdung anderer Arten
Eine Gefährdung anderer Arten durch Kormorane wurde nie nachgewiesen und auch von niemandem bisher ernsthaft behauptet.

3. Keine erheblichen fischereiwirtschaftlichen Schäden
Erhebliche wirtschaftliche Schäden sind nie nachgewiesen worden. Dies stellt sogar die Begründung des Verordnungsentwurfs dar. Es gab lediglich immer wieder Modellrech- nungen, die aber nie einer kritischen Diskussion standgehalten haben und sich nach gu- tachterlicher Prüfung seitens des Umweltministeriums bzw. des Landesamtes für Natur und Umwelt als falsch und aufgebauscht erwiesen haben. Die neueste Modellrechnung des Amtes für Ländliche Räume Kiel wurde vom Beirat des Landesnaturschutzbeauftrag- ten als „in wesentlichen Teilen nicht korrekt, unzutreffend interpretiert oder falsch kalku- liert“ bezeichnet.
Ein Schaden für die Berufsfischerei auf dem Meer wurde nie festgestellt. Auch für die Binnenseen konnte ein fachlich haltbarer Schadensnachweis nicht erbracht werden. Der Großteil (über 80 Prozent) der Fische, die Kormorane fressen, gehören Arten an, die vom Menschen nicht genutzt werden. Auch die restlichen Fänge führen nach Ansicht der Fachleute nicht notwendig zu Fangausfällen der FischerInnen, sondern verbessern sogar das ökologische Gleichgewicht der Gewässer.
Im Binnenland können Schäden an Fischteichen bei Besatz mit kleineren Fischgrößen auftreten. Dort sind deshalb in der Vergangenheit gezielte Vergrämungen erlaubt wor- den.

Juristische Gründe gegen die Verordnung Da Kormorane eine besonders geschützte Art sind, ist eine Vergrämung oder Jagd nach Paragraf 43 Bundesnaturschutzgesetz nur zulässig, wenn
● erhebliche wirtschaftliche Schäden nachgewiesen werden oder ● andere besonders geschützte Tierarten gefährdet sind und zusätzlich ● der Bestand der Kormorane gesichert ist. 1. Die vorliegende Verordnung ist rechtswidrig
Der wissenschaftliche Dienst des Landtages hat in einem umfangreichen Gutachten auf Grundlage von bestehenden Gerichtsentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, der Verwaltungsgerichtshöfe Baden-Württemberg und Bayern, des Verwaltungsgerichts Regensburg und des Oberverwaltungsgerichts Schleswig festgestellt, dass der beste- hende Entwurf und seine Begründung den hohen Anforderungen, die unter anderem das Oberverwaltungsgerichts Schleswig 1993 an eine solche Verordnung gestellt hat, nicht gerecht wird. Denn keines der drei erforderlichen Kriterien wird durch den Entwurf erfüllt.

2. Nachweis von Schäden ist nicht zu erbringen
Um dies zu heilen, müsste das Ministerium durch entsprechende Untersuchungen die Schäden belegen. Dabei müsste es sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsge- richts von 1998 um Schäden handeln, die erhebliche gemeinwirtschaftliche Ausmaße haben. Es reicht also nicht, wenn einzelne FischerInnen betroffen sind.
Hobby- und Sportfischerei spielen beim Nachweis von Schäden keine Rolle (Verwal- tungsgerichtshof Bayern 2004). Der Nachweis eines Schadens für die Fischer auf der Nord- oder Ostsee ist nie auch nur versucht worden. Damit ist dieser Teil der Verordnung mit Sicherheit rechtswidrig.
Bezüglich der Binnengewässer gibt es keine neuen fachlich haltbaren Untersuchungen seit dem Bericht der Landesregierung von 2001, in dem explizit festgestellt wird, dass Schäden nicht nachzuweisen sind. Schon 1993 hatte das Oberverwaltungsgericht Schleswig in einer Sachentscheidung gesamtwirtschaftliche Schäden verneint. Da seit- dem die Zahl der Brutpaare im Binnenland deutlich abgenommen hat, wird ein Nachweis an Binnenseen jetzt noch weniger zu erbringen sein.

3. Einzelgenehmigung bei Schädigung einzelner FischerInnen
Selbst wenn aber die Grenze gesamtwirtschaftlicher Schäden in der Vergangenheit ü- berschritten gewesen sein sollte, wovon das Ministerium offenbar ausging, rechtfertigt das keine fast flächendeckende Vergrämung oder Tötung. Diese ist zur Abwehr von Schäden nicht erforderlich, gefährdet den Bestand der Kormorane im Binnenland und verstößt damit auch gegen Paragraf 43 Bundesnaturschutzgesetz. Möglich wären ledig- lich Einzelgenehmigungen an einzelnen Gewässern, wie sie in der Vergangenheit erteilt wurden.

4. EU-Vogelschutzrichtlinie fordert Schutz des gesamten Artbestandes
Vergrämungsmaßnahmen wirken sich nicht nur auf die Kormorankolonien aus, sondern haben auch erhebliche Auswirkungen auf andere Arten. Die EU-Vogelschutzrichtlinie fordert in einem Schutzgebiet den Schutz des gesamten Artbestandes in der Brutzeit. Dies würde durch die flächendeckende Erlaubnis der Vergrämung gerade in der Brutzeit konterkariert. 5. Rechtliche Mittel gegen die Verordnung
Gegen die Verordnung sind keine direkten rechtlichen Mittel möglich. Eine Verbandskla- ge käme nur in Betracht, wenn die Verordnung auch Naturschutzgebiete berühren wür- de.
Möglich ist also nur eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht. Diese er- fordert aber ein Drittel der Mitglieder des Landtages.
Da die betreffenden Paragrafen 42 und 43 des Bundesnaturschutzgesetzes EU-Recht umsetzen, besteht außerdem die Möglichkeit, sich an die EU zu wenden. Das kann jede Einzelperson, Partei oder Verband. Ob die EU dann ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, liegt allerdings in ihrem Ermessen.

Position der Grünen Fraktion und weiteres Vorgehen Die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen schließt sich der Bewertung des Lan- desnaturschutzbeauftragten und aller Umweltverbände an und fordert den Umweltminis- ter auf, die Verordnung zurückzuziehen.
Sollte der Minister eine neue Verordnung vorlegen, die im Wege der Einzelfallentschei- dung die bisherige Genehmigungspraxis des Ministeriums in eine Verordnung fasst, dann würde die Fraktion dies akzeptieren
Sollte der Minister bei der angekündigten Überarbeitung an der flächendeckenden Ver- grämung und Bejagung von Kormoranen festhalten, ohne dass neue wissenschaftliche Untersuchungen im Sinne des Oberverwaltungsgerichtsurteils von 1993 vorliegen, dann werden wir in Gesprächen mit den anderen Fraktionen die Möglichkeit einer Normenkon- trollklage beim Bundesverfassungsgericht prüfen.
Sollte der Minister weiterhin an einer Vergrämung oder Bejagung in EU- Vogelschutzgebieten festhalten, dann werden wir gegebenenfalls gemeinsam mit den Umweltverbänden eine Mitteilung an die EU-Kommission vornehmen.
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Weitere Informationen unter: www.kormoran-fakten.de