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10.11.05
10:42 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zur Oberstufenreform und Schulzeitverkürzung

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 24 – Reform der Oberstufe und Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Schulzeitverkürzung Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende Telefax: 0431/988-1501 von Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 Karl-Martin Hentschel: E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh-gruene.de

Nr. 325.05 / 10.11.2005



Eine Reform für alle SchülerInnen!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
am Anfang eine provokante Frage. Was haben die Ereignisse in Frankreich mit der Schulreform in Schleswig-Holstein zu tun?
Ich denke einiges: Bei allen wichtigen Reformen müssen wir uns fragen, ob die Reform wirklich allen dient, oder ob die Eliten der Gesellschaft nur noch an sich selber denken und die unliebsame Konkurrenz der Immigranten und sozial Schwachen ausgrenzen.
Beginnen wir mit der Schulzeitverkürzung: Da gibt es einmal das Hamburger Modell. Dort erhalten die SchülerInnen der Gymnasien von der 5. bis zur 9. Klasse mehr Unterricht, so dass sie den Stoff in fünf statt bisher sechs Jahren schaffen und nach der 9. Klasse in die Oberstufe kommen. Das kostet in der Umstellungsphase erheblich mehr Geld, da- nach ist es kostenneutral.
Was bedeutet das aber in der Konsequenz? Für einen Zeitraum von acht Jahren werden alle zusätzlichen Ressourcen auf die Gymnasien konzentriert. Und nach Abschluss der Umstellung sind die SchülerInnen der Gymnasien mit 15 Jahren um ein Jahr weiter, wäh- rend die SchülerInnen an Realschulen und Hauptschulen auf ihrem heutigen Niveau bleiben.
Damit wird die himmelschreiende Ungerechtigkeit, die dem deutschen Bildungssystem schon heute bescheinigt wird, noch weiter auf die Spitze getrieben.

1/4 Deshalb lehnen wir Ihre Pläne ab und fordern, die Förderung aller Kinder zu verbessern. Und zwar nicht erst ab der 5. Klasse. Die bessere und individuelle Förderung muss be- reits im Kindergarten und in den Grundschulen beginnen. Wenn wir das Niveau heben, dann muss das allen Kindern zu Gute kommen.
Wenn es uns dann gelingt, zu erreichen, was andere Staaten längst schaffen, dass die Kinder mit 15 Jahren durchschnittlich um ein Schuljahr weiter sind als heute, dann kön- nen sie die mittlere Reife bereits nach der 9. Klasse erreichen.
Dies schafft auch die Möglichkeit, dass die schwächeren SchülerInnen durch ein optiona- les 10. Schuljahr an der Berufsschule oder in der gymnasialen Oberstufe zusätzlich ge- fördert werden.
Meine Damen und Herren, nicht alle SchülerInnen sind gleich – und dieses Problem wird um so wichtiger, wenn wir die Schulzeit verkürzen. Denn nicht alle werden dem größeren Tempo folgen können.
Deswegen schlagen wir eine flexible Oberstufe vor, die so in Halbjahresmodule geglie- dert wird, dass die SchülerInnen selbst entscheiden können, in welchem Tempo sie die Oberstufe durchlaufen wollen. Schwäche SchülerInnen können dann die Oberstufe auf vier Jahre verlängern, um noch Defizite aufzuholen. Stärkere können die Oberstufe auf zwei oder zweieinhalb Jahre verkürzen.
Damit würden wir die Chance eröffnen, dass trotz der generellen Verkürzung schwäche- re SchülerInnen wie bisher 13 Jahre brauchen, aber leistungsstarke SchülerInnen sogar im Extremfall auf elf Jahre verkürzen können.
So können wir erreichen, dass wir die Schulzeit verkürzen, und trotzdem mehr Jugendli- che als heute Abitur machen. Denn wir brauchen in Zukunft alle Begabungen!
Meine Damen und Herren, damit komme ich zum dritten Punkt unseres Antrages – der Reform der Oberstufe.
Sie wollen das Kurssystem in den Oberstufen abschaffen und zum Klassenverband zu- rückkehren. Der Grund ist klar: Schon heute sind viele Oberstufen zu klein, um ein breite Auswahl an Kursen bei ökonomischen Kursgrößen anbieten zu können.
Um bei sinkenden Schülerinnenzahlen an allen Gymnasien eine eigene Oberstufe auf- recht zu erhalten, wollen Sie die Wahlmöglichkeiten für die SchülerInnen abschaffen. Das ist nicht im Interesse der SchülerInnen, sondern dient allein dem Erhalt von beste- henden Strukturen in einer veränderten Welt.
Es gibt dazu klare Alternativen: Man kann entweder mehrere Oberstufen zusammenle- gen, also Oberstufenzentren bilden, wie es in fast allen europäischen Staaten üblich ist. Dort kann dann den SchülerInnen ein breites Angebot an Kursen geboten werden.
Wenn man nicht so weit gehen will, kann man auch Oberstufenverbünde bilden, indem mehrere benachbarte Schulen ihre Oberstufen verbindlich aufeinander abstimmen. Da- bei sollte jede Schule Profilschwerpunkte übernehmen, so dass ein Besuch von be- stimmten Kursen an der Nachbarschule nur in Ausnahmefällen nötig ist. Natürlich sind wir uns bewusst, dass an einigen ländlichen Standorten dies nur schwer möglich ist, und Sonderlösungen gefunden werden müssen, die notfalls durch zusätzli- che Stellen unterstützt werden müssen.
Wer aber die Wahlmöglichkeiten weitgehend abschaffen will, wie es der Philologenver- band gefordert hat, der handelt nicht im Interesse der SchülerInnen, sondern opfert sie seiner Ideologie.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zum vierten Punkt, den zentralen Einheitsprüfungen.
Auch wir wollen einen Leistungsvergleich der Schulen. Wenn wir den Schulen mehr Frei- heit geben und zugleich bessere Ergebnisse anstreben, dann muss es einen kreativen Wettbewerb der Schulen geben.
Dazu gehört eine regelmäßige Evaluation der Schulen ebenso wie regelmäßige Ver- gleichsarbeiten, damit die Schulen, die Eltern und die Kommunen wissen, wo ihre Schule steht.
Dazu brauchen wir aber keine zentralen Prüfungen.
Ich sehe die Gefahr, dass der Schulstoff auf die Themen reduziert wird, die potenziell Prüfungsgegenstand sind, und dass LehrerInnen ihre Klassen nur noch gezielt auf die Prüfung hin trainieren.
Ich sehe die Gefahr, dass SchülerInnen dafür „bestraft“ werden, wenn sie eine schwache LehrerIn haben.
Und es besteht die Gefahr, dass das Engagement in Fächern und Themenbereichen, die nicht prüfungsrelevant sind, zurückgeht. Dies würde gerade Bereiche wie Projektarbeit, Theater und Arbeitsgemeinschaften betreffen, die für die Persönlichkeitsbildung von be- sonderer Bedeutung sind.
Ich finde es schon seltsam, dass ausgerechnet diejenigen, die lautstark einen Feldzug gegen eine angebliche „Einheitsschule“ initiiert haben, nun unbedingt alle Schulen und SchülerInnen vereinheitlichen wollen.
Das lehnen wir ab, denn für uns stehen die Kinder im Mittelpunkt und nicht modische Ideologien.
Meine Damen und Herren, vorige Woche haben wir die Ergebnisse der neuen PISA-Studie für Schleswig-Holstein bekommen. Die Gymnasien und – erstaunlicherweise – auch die schleswig- holsteinischen Gesamtschulen stehen – im Bundesvergleich zumindest – ganz ordentlich da. Aber die Hauptschulen sind noch weiter zurückgefallen.
Die Hamburger CDU hat jetzt endlich die Kehrtwende vorgenommen und diskutiert die Auflösung der Hauptschulen. In Schleswig-Holstein dagegen werden immer noch Kon- zepte von gestern gepredigt, die dazu führen werden, dass der Abstand der Schwachen und der Starken noch größer wird.
Kommen auch Sie zur Vernunft! Wie heißt es doch so schön: Der Koalitionsvertrag ist keine Bibel. Hier geht es nicht um Rechthaberei, hier geht es um die Chancen unserer Kinder, um das wichtigste Kapital unseres Landes.
Ich beantrage die Überweisung unseres Antrages in den Bildungsausschuss, damit die CDU-Fraktion die Chance hat, ihre Positionen zu überprüfen und die Lernprozesse ihrer Hamburger Freunde nach zu vollziehen.


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