Anke Spoorendonk zu TOP 24 - Reform der Oberstufe und Verkürzung der Schulzeit
Presseinformation Kiel, den 10.11.2005 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 24 Reform der Oberstufe und Verkürzung der Schulzeit Drs. 16/313Es ist ja schon längst kein Geheimnis mehr, dass die Große Koalition uns im nächsten Jahr miteiner Änderung des schleswig-holsteinischen Schulgesetzes beglücken wird, die unter anderemeine Reform der gymnasialen Oberstufe und die Verkürzung der Schulzeit am Gymnasium bein-haltet.Bekannt ist auch - der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD sei Dank – dass man in Anleh-nung an das baden-württembergische Modell vorhat, das Kurssystem zu verlassen, um zu einemUnterricht im Klassenverband zurückzukehren. Begleitet wird alles dies von der Neugestaltungder Abiturprüfung. – Gemeint sind ein viertes schriftliches Prüfungsfach und die Einführung desZentralabiturs. Spätestens, wenn die Schulgesetz-Novelle dem Landtag in erster Lesung vorliegt,werden wir Gelegenheit haben, uns im Detail mit den genannten Punkten auseinanderzusetzen.– Wobei ich bezweifle, dass die Landtagsdebatte ähnlich kontrovers ausfallen wird wie die letzteintensivere Diskussion dieses Hohen Hauses zu dem Thema „Reform der gymnasialen Oberstu-fe“. 2Laut Landtagsprotokoll ging es im Dezember 2003 um einen CDU-Antrag zur Neuordnung dergymnasialen Oberstufe. Auf den Vorwurf der Kollegin Eisenberg, dass mit dem Kurssystem dieAbbrecherquote gestiegen sei und die Schüler der gymnasialen Oberstufe somit nicht ausrei-chend auf ein Studium vorbereitet werden, entgegnete die Ministerin, es sei erwiesen, dass dasderzeitige Kurssystem den Wechsel an die Hochschule erleichtere. Der Schlüssel zu besserenSchulleistungen liege in der Verbesserung von Unterrichtsqualität und Lehrerausbildung und derOrientierung an klaren Leistungsstandards. Ohne der Debatte vorgreifen zu wollen, formuliereich für den SSW daher schon jetzt die These, dass die anstehenden Änderungen der Oberstufeweniger mit „Schule“ als mit „Finanzen“ zu tun haben.Vor diesem Hintergrund ist es lobenswert, dass sich die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis90/Die Grünen in ihrem Antrag Gedanken darüber gemacht haben, wie denn die gymnasialeOberstufe als Teil des Gesamtsystems Schule weiter entwickelt werden kann. Das ist aus Sichtdes SSW ein richtiger Ansatz. Nur so erreichen wir, dass die Verteilung der Ressourcen „von untennach oben“ gestoppt wird. Und nur so wird es uns gelingen, die entscheidende Frage nach dergerechten Verteilung von Bildungschancen im Blick zu behalten.Wir unterstützen also das Ansinnen der Grünen - nämlich mehr Schülerinnen und Schülern denZugang zum Abitur zu öffnen. Der SSW ist der Meinung, dass in Schleswig-Holstein weitausmehr junge Menschen in der Lage wären, die Hochschulreife zu erlangen als derzeit. DassSchleswig-Holstein auch im Bundesvergleich eine niedrige Abiturientenquote hat, das hat uns jasogar die neueste Pisa-Studie ins Stammbuch geschrieben. Dreh- und Angelpunkt ist daher auchaus Sicht des SSW der Ausbau der individuellen Förderung, und das möglichst frühzeitig. Das istdie beste Möglichkeit, auch Kindern aus sozial schwächeren Familien das Abitur zu ermöglichen.Die andere Seite dieser Problemstellung ist meines Erachtens die drohende Zweiteilung desAbiturs, denn das klassische Gymnasium scheint weitgehend den höheren Töchtern und Söhnenvorbehalten zu bleiben, während Kinder weniger begüterter Eltern nicht auf dem Gymnasium, 3sondern in einer anderen Schulform das Abitur anstreben; zum Beispiel an den BerufsbildendenSchulen – am Fachgymnasium. Der SSW beobachtet diesen Trend mit großer Besorgnis. Er führtletztlich zu weniger und nicht zu mehr Durchlässigkeit in unserem Schulsystem, und genau daswollen wir nicht.Am gleichen Tag als die grüne Fraktion ihr Modell vorstellte, trat auch der Philologenverband andie Öffentlichkeit: mit seinem Modell der so genannten Profil-Oberstufe. Dieses Modell will dieQuadratur des Kreises: vorgeschriebener Fächerkanon bei gleichzeitiger Wahlfreiheit. Da dasnicht gelingen kann, soll es Profile geben, die die Wahlfreiheit einschränken. Dass es letztlich umdie Vermeidung von Mini-Kursen geht, geben die Initiatoren unumwunden zu. Damit meine ich,dass die Neuordnung der gymnasialen Oberstufen nur dann als „Reform“ wahrgenommen wird,wenn deutlich wird, was der bildungspolitische Mehrwert der Änderungen ist. Und genau daranhapert es.Sicherlich ist es angebracht – wenn es um die Reform des Gymnasiums geht – auch über dieStärkung von Kernkompetenzen nachzudenken. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, dieStärkung bestimmter Kernfächer als Stärkung der Allgemeinbildung zu verkaufen. Denn wiesteht es dabei mit der Sozialkompetenz, die auch von der Wirtschaft immer wieder eingefordertwird? Unterschlagen wird bei solchen Überlegungen auch, dass die für ein Studium notwendigenKenntnisse, Fähigkeiten und Arbeitstechniken grundsätzlich in allen Fächern vermittelt werden.Für ein erfolgreiches Studium sollten die Schülerinnen und Schüler vor allem gelernt haben, dieeigene Arbeit selbständig zu organisieren und sich selbst zu motivieren. Dies kann am bestenerreicht werden, wenn sie ihrer Begabung entsprechende Schwerpunkte setzen können.Der SSW teilt daher die Auffassung der Grünen, dass die Einführung von zentralen Abschlussprü-fungen die Weiterentwicklung des Gymnasiums konterkarieren wird. Es besteht die Gefahr, dassein Zentralabitur den Unterricht steuern wird – und nicht umgekehrt. Überprüft man z.B. dieAbituraufgaben der Länder mit Zentralabitur, stellt man fest, dass sie überwiegend „Wissen“ und„Anwendung“ prüfen. Diese Qualität der Aufgabenstellung ergibt sich zwangsläufig aus der 4zentralen Prüfung. – Oder anders formuliert: Bei unterschiedlichen Lernvoraussetzungen ist derkleinste gemeinsame Nenner reproduzierbares Wissen.Stattdessen müssen wir endlich eine grundlegende Reform der Schule in Angriff nehmen. DerSSW hat dazu seine Vorstellungen klar formuliert: neun gemeinsame Schuljahre sind bei geeig-neten Rahmenbedingungen eine gute Ausgangsbedingung für die weitere Schulkarriere. Indiesen neun Jahren müssen alle Kinder gemäß ihren Fähigkeiten unterstützt werden. So etwasverdient den Namen Reform, weil sich grundlegend etwas ändert. Darüber hinaus schlagen wirvor, das zehnte Schuljahr entweder als Vorbereitung für die Oberstufe zu nutzen oder aber fürden Realschulabschluss. Diese Gemeinschaftsschule räumt mit der frühzeitigen Selektion angeb-lich Leistungsstarker, die doch überwiegend sozial Starke sind, auf. So sieht in meinen Augen derrichtige Weg aus, mit dem die Gradwanderung zwischen Förderung von mehr Schülern beigleichzeitiger Qualitätssicherung gelingen kann.Wir brauchen moderne Lerntechniken statt Abfragewissen. Selbständiges und projektbezogenesArbeiten, fächerübergreifender Unterricht und individuelle Lernleistungen, zum Beispiel in Formvon Wettbewerben, sind nicht nur eine gute Vorbereitung fürs wissenschaftliche Arbeiten imStudium, sondern auch für den beruflichen Alltag. - Ich möchte darauf hinweisen, dass das Abiturbei weitem nicht für alle Abiturienten auch in ein Studium mündet.Im grünen Antrag ist die Rede davon, schwächeren Schülern Aufbaukurse anzubieten. Ich mussgestehen, dass ich erst bei einigem Nachdenken realisiert habe, wie so ein System aussehenkann. In der Konsequenz pendeln Schüler zwischen Kursen verschiedener Semester hin und her,um ihre Fächer abzudecken. Diese neue Struktur ist gut gemeint, verkompliziert aber ein bereitssehr kompliziertes System ohne Not noch mehr. Ich denke nicht nur, dass in einem derartig weitgespannten Netz über zwei bis vier Jahre der eine oder andere Schüler einfach verloren geht,sondern ich bin davon überzeugt, dass Eltern überhaupt keine Chance mehr haben, die Schulkar- 5riere ihrer Sprösslinge ohne größere Anstrengungen verfolgen zu können. So ein System verstehtzum Schluss gar keiner mehr.Ich fasse zusammen:Die Gymnasien, so wie sie jetzt sind, werden den modernen Anforderungen an ein demokrati-sches Schulsystem mit gleichen Teilhabechancen für alle, nicht gerecht. Daher sage ich für denSSW: für uns ist entscheidend, dass das Pferd der gymnasialen Oberstufe nicht von hinten aufge-zäumt wird. Ein Abitur nach 12 Jahren macht nur Sinn, wenn die gesamte Struktur des Gymnasi-ums mit einbezogen wird.Zu den Vorschlägen der Grünen hinsichtlich der Einrichtung von Oberstufenzentren und Ober-stufenverbünden in diesem Zusammenhang nur ein paar Bemerkungen: Aus Sicht des SSW darfso eine Strukturänderung kein Tabuthema sein, denn nur so wird es möglich sein, Ressourcen freizu bekommen für eine echte Reform der Oberstufe. Auch aus dem Grund ist es aus unserer Sichtnotwendig, von einer ganzheitlichen Betrachtung von Schule auszugehen.