Lars Harms zu TOP 16/30 - Hartz IV
Presseinformation Kiel, den 9.11.2005 Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 16/30 Ablehnung des 2. SGB II-Änderungsgesetzes –Keine Schlechterstellung der Kommunen bei Hartz IV Drs. 16/298 u. 16/320Der scheidende Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement hat die sogenannten Hartz-Gesetze als die größte Sozialreform der Bundesrepublik Deutschlandbezeichnet. Nach den vielen leider überwiegend negativen Erfahrungen mit dem Hartz IV-Gesetz ist man geneigt zu sagen: es scheint sich viel eher um das größte politische Fiasko derabgewählten rot-grünen Bundesregierung zu handeln.Und dieses Fiasko ist nicht nur im politischen oder moralischen Bereich anzusiedeln. Nein.Auch aus ökonomischer Sicht ist Hartz IV völlig gescheitert. Wie kann man es andersbewerten, wenn die Bundesregierung noch bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 2005mit ca. 14.6 Mrd. Euro Ausgaben gerechnet hat und sich jetzt am Ende des Jahres vermutlichAusgaben in Höhe von sage und schreibe fast 26 Mrd. Euro belaufen werden. 2Durch diese Fakten erweist sich die Bilanz von Hartz IV ein Jahr nach der Einführung alskatastrophal. Mit der Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialhilfe, die der SSW im Prinzipauch heute noch befürwortet, sollten laut Bundesregierung drei Ziele erreicht werden. Zumeinen sollte die Arbeitslosigkeit - und hier insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit - durcheine Vermittlung aus einer Hand markant gesenkt werden. Das Ergebnis der Hartz-IVMaßnahmen zur Senkung der Arbeitslosigkeit ist aber bisher nach Ansicht aller Expertengleich Null.Das liegt natürlich vor allem daran, dass auch das zweite Ziel von Hartz IV; nämlich derBürokratieabbau und die Vereinfachung der Arbeitsvermittlung ebenfalls bisher nicht imEntferntesten erreicht wurden. So hat z. B. die Einführung des Optionsmodells fürKommunen zum Aufbau von Parallel-Bürokratien und zu Zuständigkeitsstreitigkeitenzwischen Kommunen und Arbeitsagentur beigetragen. Dies hat gerade bei der Vermittlungvon Jugendlichen von ALG II-Beziehern zu Problemen geführt. Auch die Ausfüllung des 16Seiten-Antrages für die Bezieher von Arbeitslosengeld II und die Kontrolle der Anträge hatnatürlich zu mehr und nicht zu weniger Bürokratie geführt. Statt die Langzeitarbeitslosenverstärkt zu vermitteln, ist man zurzeit bei der Arbeitsagentur ja schon froh, wenn man dasALG II korrekt auszahlen kann. Das liegt natürlich nicht an den Beschäftigten der Arbeits-agentur, sondern daran, dass Hartz IV viel zu schnell und unüberlegt eingeführt wurden.Auch das dritte Ziel von Hartz IV; nämlich massive Kosteneinsparung für den Staat wurde -wie ich bereits ausgeführt habe - überhaupt nicht erreicht. Selbst wenn man den Anstieg derArbeitslosigkeit berücksichtigt, hat Hartz IV insgesamt zu viel mehr Kosten als vorgesehengeführt. Das liegt vor allem am Anstieg der so genannten Bedarfsgemeinschaften. Anstattwie geplant 2,53 Mio. bekommen bisher 3,71 Mio. Bedarfsgemeinschaften Leistungen durch 3Hartz IV. Auch die Anzahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen liegt mit ca. 5 Mio. weit überden geschätzten 3,45 Mio. Menschen.Vor dem Hintergrund dieser völligen Fehleinschätzung der Bundesregierung muss man dieöffentlichen Äußerungen von Wolfgang Clement über den angeblichen Missbrauch vonHartz IV werten. Ich finde es recht beschämend, wenn ein so erfahrender Politiker seineigenes Versagen mit massiven Angriffen auf sozial Schwache kaschieren will. Ich glaube esist hinreichend deutlich geworden – auch durch meine Vorredner und besonders demAbgeordneten Baasch – dass kein ernsthafter Experte oder Politiker, die angeblicheMissbrauchsquote von 20%, die nach einer Telefonumfrage der Bundesagentur für Arbeitermittelt wurde – für richtig hält. Alle, die etwas davon verstehen - auch unsere Leute vor Ort. haben mir versichert, dass die Missbrauchsquote höchstens bei 1-2% liegt, wie es leider imSozialbereich üblich ist.Richtig ist also viel mehr, dass wir vor dem Paradoxon stehen, dass ein Gesetz, dass wegenseiner sozialen Kälte und für seinen Sozialabbau massiv in der Öffentlichkeit kritisiertworden ist, scheinbar zu Hunderttausenden neuen Bedürftigen geführt hat. Es handelt sichaber eindeutig um noch einen Webfehler des gemeinsam von SPD und CDU getragenenGesetzes und nicht um einen Missbrauch der Bedürftigen. Sie nutzen nur die Möglichkeiten,die ihnen der Staat geschaffen hat.Angesichts der Horrorzahlen bei den Hartz IV-Kosten setzte die alte Bundesregierung indieser Sache noch einen fulminanten Schlusspunkt. Denn die Bundesregierung beschloss,dass sie die im Jahre 2005 gewährten Bundesmittel zur Beteiligung der Unterkunftskostender Kommunen nach dem Hartz IV-Gesetz in Höhe von 29.1% zurück fordern und ab demHaushaltsjahr 2006 nicht mehr gewähren will. Damit bricht der Bund einmal mehr sein 4versprechen, dass die Kommunen durch Hartz IV finanziell mit ca. 2,5 Mrd. Euro entlastenwerden sollen.Durch den damit verbundenen Einnahmeausfall von 29,1%, d.h. in Höhe von ca. 3 Mrd. Euro,entstehen für die betroffenen Kommunen weitere zusätzliche finanzielle Belastungen, diedazu führen werden, dass die kommunalpolitischen Handlungsmöglichkeiten praktischnicht mehr gegeben sind.Der neue Bundestag und der Bundesrat müssen diesem Gesetzentwurf der altenBundesregierung noch zustimmen bevor er in Kraft tritt. Der SSW begrüßt daher, dass sichalle Fraktionen des Landtages auf einen gemeinsamen Antrag in dieser Frage einigenkonnten. Denn der Bund muss sich auch in den kommenden Jahren angemessen an derKostenpflicht für die Unterkunftskosten nach SGB II beteiligen und von der Rückforderungbereits gezahlter Mittel für 2005 absehen.Natürlich ist es in diesem Zusammenhang entscheidend, dass endlich eine seriöse Klärungder tatsächlichen Be- und Entlastungen auf Seiten der Kommunen errechnet wird. Nur habeich noch von keiner Kommune gehört, dass sie durch die Hartz IV- Reform finanziell entlastetworden wäre, sondern nur das Gegenteil: Hartz IV führt zu höheren Kosten - auch für dieKommunen, obwohl sie nur 70,9% der Unterhaltkosten von ALG II-Beziehern tragen undnicht für das Arbeitslosengeld II aufkommen müssen.Wir begrüßen auch, dass die Landesregierung bis zur 10. Tagung einen Bericht über denaktuellen Stand des Revisionsverfahrens von Hartz IV geben soll. Denn die entscheidendeFrage ist ja, wie soll Hartz IV jetzt geändert werden. Was man bisher aus den Koalitionsver-handlungen zu diesem Thema hört, lässt aus Sicht des SSW aber nichts Gutes erahnen. Jetzt 5wollen Union und SPD scheinbar, dass Arbeitslosengeld für Jugendlichen unter 25 massiveinschränken. Künftig sollen wieder die Eltern für den Unterhalt ihrer arbeitslosen Kinderaufkommen, auch wenn diese von zu Hause ausgezogen sind. Dazu gibt es Stimmen, die beider Anrechnung von Vermögen eine noch restriktivere Handhabung als bisher wollen.Dabei spricht keiner der Großkoalitionäre mehr davon, dass den älteren Arbeitslosen, alsodie Gruppe, die seit Jahrzehnten in die Arbeitslosenkasse eingezahlt haben, dasArbeitslosengeld I länger als ein Jahr gezahlt werden soll. Gerade das war ja einer derwichtigsten Kritikpunkte bei der Debatte über Hartz IV. Aus Sicht des SSW ist dies aberweiterhin der entscheidende Punkt bei einer Revision von Hartz IV. Wir müssen breitenBevölkerungsschichten die Angst vor Hartz IV nehmen und das geht nur indem wir fürlangjährige und ältere Beitragszahler mehr Sicherheit schaffen.Wenn man die soziale Sicherheit der Arbeitslosenversicherung nicht völlig ad absurdumführen will, gibt es am Ende nur eine gesicherte Erkenntnis: Gegen die steigenden Kostenvon Hartz IV helfen nur Jobs, Jobs und Jobs. Aber das ist wiederum eine andere Baustelle.Denn eines hat die ganze Misere um die Hartz-Gesetze auch gezeigt: Die Arbeitsmarktpolitikkann nur die Grundlagen dafür schaffen, dass die Arbeitslosen schneller und effektiver aufdem ersten Arbeitsmarkt wieder eingegliedert werden.Neue Arbeitsplätze aber schafft nur eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und obdie Große Koalition in Berlin mit ihren bisherigen Steuerplänen da richtig liegt, wage ich ausSicht des SSW zu bezweifeln. Denn neue Arbeitsplätze werden in der Bundesrepublik nurüber die Wiederbelebung der Binnenkonjunktur möglich sein und wie das mit einermassiven Mehrwertsteuererhöhung ohne gleichzeitigen Lohnnebenkostensenkung undanderen Grausamkeiten geschehen soll, sehe ich nicht.