Karl-Martin Hentschel zur Verwaltungsstrukturreform
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Es gilt das gesprochene Wort! Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel TOP 44 – Zwischenbericht zur Verwaltungsstrukturre- form Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Dazu sagt der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende Mobil: 0172/541 83 53 von Bündnis 90/Die Grünen, E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh-gruene.de Karl-Martin Hentschel: Nr. 315.05 / 09.11.2005Peter Harry Gulliver im Land der ZwergeSehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,NRW hat 350 Kommunen, Dänemark hat nach der Reform 90 Kommunen, aber Schles- wig-Holstein leistet sich tapfer 250 Verwaltungen – die mit Abstand teuersten Kommu- nalverwaltungen in Deutschland.Immer wieder höre ich im Land, wie gering die Kosten unserer Ämter im ländlichen Raum sind. Das stimmt – aber die Amtsverwaltungen sind nur deswegen so billig, weil sie kaum eigene Aufgaben haben. Bauamt, Sozialamt, Jugendamt, Umweltamt, Schulamt usw. – bei allen wesentlichen Aufgaben müssen die Ämter passen und auf die Kreisverwaltung verweisen.Vergleicht man die Verwaltungen in Schleswig-Holstein mit dem Durchschnitt der Länder, dann sind erhebliche Einsparungen möglich. Rechnet man dazu noch die möglichen Ein- sparungen durch die Zusammenlegung der Kreisverwaltungen mit den unteren Landes- behörden hinzu, so kommt man nach meinen Berechnungen mittelfristig auf Einsparpo- tenziale von zirka 200 Mio. Euro pro Jahr. Angesichts der dramatischen Landesfinanzen ein erheblicher Beitrag, um die Handlungsfähigkeit des Landes wieder herzustellen.Aber so, wie die Landesregierung das vorhat, ist bestenfalls noch damit zu rechnen, dass einige Bürgermeisterposten entfallen. Der Aufbau zusätzlicher Regionalverwaltungen un- ter Beibehaltung der Kreise wird alles komplizierter, aber kaum etwas effizienter machen.1/3 Aber meine Damen und Herren, es geht nicht nur um Einsparungen: Wenn wir wollen, dass Schleswig-Holstein nicht immer weiter zurückfällt, dann brauchen wir handlungsfä- hige Gemeinden und Regionen. Wer von den Kommunen und Regionen aktive Wirt- schaftspolitik erwartet, wer sich eine abgestimmte Raumentwicklung wünscht, wer einen leistungsfähigen Nahverkehr, eine effiziente abgestimmte Krankenhausplanung, wer gute lokale Schulstrukturen will, der muss sich für handlungsfähige Kommunalstrukturen ent- scheiden.Vor einem guten halben Jahr hatten wir die Sozialdemokraten davon überzeugt, Nägel mit Köpfen zu machen. Aus 250 Ämtern und Gemeinden sollten zirka 70 handlungsfähi- ge GeGemeinden, Städte und Amtsgemeinden mit BürgermeisterInnen und Gemeinderat entstehen. Die Verwaltungen der Kreise und die unteren Landesbehörden sollten zu vier bis fünf Regionen mit einer eigenen Regionalverwaltung zusammengelegt werden. Damit wäre eine komplette Verwaltungsebene eingespart worden.Meine Damen und Herren, an diesem Konzept muss sich das, was die Regierung nun betreibt, messen lassen. Was Sie hier vorlegen, ist ein Verwaltungschaos.Wenn in Zukunft das Amt Probstei eine wirtschaftspolitische Entscheidung treffen will, dann muss das in 20 Dorf-Gemeindevertretungen, dem Amtsausschuss und der Vertre- tung der unabhängigen Gemeinde Schönberg diskutiert werden.Wie soll so eine vernünftige Schulwicklungsplanung vorgenommen werden, wie eine wirksame Wirtschaftspolitik stattfinden?Und das gleiche Chaos gibt es dann in den Regionen. Anstelle die K.E.R.N.-Region end- lich zusammenzulegen, um eine schlagkräftige Region zu bilden, soll eine neue Verwal- tungsebene unter Beibehaltung sämtlicher bestehender Strukturen gebildet werden. Die vereinigten Kalinkas dieser Welt lassen grüßen!Meine Damen und Herren, immer wieder wird das Wort „bürgerfreundlich“ benutzt. Schauen wir uns das genau an!Was wollen die BürgerInnen? Sie wollen ein Rathaus, wo sie hingehen können und alles – aber auch alles – was sie an Dienstleistungen von der Behörde erwarten, erledigen können. Heute haben sie mal mit der Gemeinde, mal mit dem Amt, mal mit einem Schul- verband, mal mit dem Kreis und mal mit Landesbehörden zu tun. Keine BürgerIn außer- halb der vier kreisfreien Städte hat auch nur halbwegs eine Vorstellung, welche Verwal- tung wann und wo für sie/ihn zuständig ist.Deswegen haben wir eine Mindestgröße von 20 000 Einwohnern vorgeschlagen. Dann gäbe es im Kreis Plön, aus dem ich komme, sechs Rathäuser. Und dort können sie alles erledigen: Ihr Kind in der Schule oder im Kindergarten anmelden, dort bekommen sie Ausweis, Führerschein, Autoanmeldung und stellen ihren Bauantrag – alles was die Bür- gerInnen interessiert, kann dort erledigt werden.Und jedes dieser Rathäuser hat einen gewählten Bürgermeister und wird kontrolliert durch einen Gemeinderat. Das ist demokratisch und bürgerfreundlich. Zusätzlich können dann in den Dörfern Ortsvertretungen mit ehrenamtlichen BürgermeisterInnen gewählt werden, denen die Amtsgemeinde örtliche Aufgaben übertragen kann. Was Sie aber fabrizieren, ist aber in Wirklichkeit eine Zerschlagung der demokratischen Selbstverwaltung. Die Bildung von großen Ämtern ohne eigenen Gemeinderat und ohne gewählte BürgermeisterIn, und die Bildung von Regionen ohne gewählte regionale Ver- tretung, das ist nicht nur strukturpolitischer Unsinn, das ist auch zutiefst undemokratisch.Meine Damen und Herren, landauf und landab mobilisieren die lokalen BürgermeisterInnen ihre Truppen. Das ist nicht verwunderlich. Aber wenn dann am Schluss eine Struktur rauskommt, in der die Zahl der Verwaltungsebenen nicht nur nicht reduziert, sondern sogar noch eine zusätzli- che Ebene geschaffen wird, dann steht das Land vor der Umbenennung in Absurdistan.Und wenn in Zukunft keine Verwaltungsebene mehr eine ihr zugeordnete demokratisch gewählte Selbstverwaltung hat, dann erinnert mich das an den Bau des Rathauses von Schilda, wo die Eingangstür vergessen wurde, weswegen die Schildbürger noch heute sprichwörtlich berühmt sind.Herr Carstensen, die Verwaltungsstrukturreform ist die große und einzige Chance, bei den Strukturen in Schleswig-Holstein ein Stück voranzukommen. Wer die Abenteuer des tapferen Stegner in den Niederungen der holsteinischen Provinzen in den letzten Wo- chen verfolgt hat, der weiß, was dort vor sich geht.Die DorfbürgermeisterInnen der CDU organisieren die Blockade eines modernen Schleswig-Holstein. Und der vorliegende Bericht ist der Entwurf einer Kapitulationserklä- rung!Nun fehlt nur noch der gegen Ende des Jahres mit Spannung erwartete Bericht unseres Helden im Kampf gegen die Bürokratie, Ritter Schlie.Herr Ministerpräsident, haben sie jetzt noch die Kraft, etwas zu bewegen? Oder sind sie schon längst durch ihre Liliputaner gefesselt wie der Scheinriese Gulliver? An dieser Stelle Frage wird sich entscheiden, ob Ihre Regierung die Kraft hat, bei der Lösung der Probleme des Landes voranzukommen, oder ob sie scheitert. ***