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24.10.05
14:30 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel und Robert Habeck zur Reform der gymnasialen Oberstufe

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh-gruene.de

Die SchülerInnen im Mittelpunkt: Nr. 295.05 / 24.10.2005
Grüne Alternativen zur Reform der Oberstufe Die Landtagsfraktion und die Landesarbeitsgemeinschaft Bildung von Bündnis 90/Die Grünen haben ein Positionspapier für eine kleine Schulreform zur Zukunft der gymnasia- len Oberstufe und Verkürzung der Schulzeit erarbeitet. Dazu erklären Karl-Martin Hent- schel, bildungspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion und Robert Habeck, Landesvorsitzender:
Die Pläne der Landesregierung stoßen auf heftige und berechtigte Kritik: Wir Grüne wol- len keine Reform der Oberstufe, bei der die bestehenden Wahlmöglichkeiten weitgehend verloren gehen, und kein zentrales Einheitsabitur. Wenn mehr SchülerInnen die Schule mit dem Abitur abschließen sollen, dann müssen wir SchülerInnen mit ausgeprägten Be- gabungen im naturwissenschaftlichen, sprachlichen oder künstlerischen Bereich eine Chance geben.
Die Verkürzung der Schulzeit darf nicht zu einer Konzentration der Ressourcen bei den Gymnasien führen. Schon heute ist die soziale Auslese bei uns größer als in allen ande- ren OECD-Staaten, und die Kosten pro SchülerIn sind in den Gymnasien mit Abstand am höchsten. Jede Reform, die die Chancengleichheit verbessern will, muss sich auf alle Kinder beziehen und insbesondere die schwächeren Kinder fördern.
Unser Leitbild ist eine Schule, in der die SchülerInnen im Mittelpunkt stehen. Die Schüle- rInnen sollen selbständig werden und lernen, Verantwortung zu übernehmen, sich aktiv Wissen anzueignen und Kreativität zu entwickeln. Ausgehend von diesem Leitbild haben wir unser Positionspapier erarbeitet.

Positionspapier für eine „kleine Schulreform“ Wir legen hiermit ein Positionspapier für eine „kleine Schulreform“ vor, das sich vor allem auf die Reform der Oberstufe und die Verkürzung der Schulzeit bezieht. Damit legen wir im Gegensatz zu den Plänen der Landesregierung ein Konzept vor, das auf der aktuellen pädagogischen und bildungspolitischen Diskussion basiert.
1/5 Unser Vorschlag für eine „kleine Schulreform“ ist unabhängig von der Diskussion über das Schulsystem. Auch ohne die Bildung von Gemeinschaftsschulen lässt sich unser Konzept umsetzen. Die Überwindung des fünfgliedrigen Schulsystems hin zu einer neun- jährigen gemeinsamen Schulzeit ist vor allem eine Gerechtigkeitsfrage und bleibt auch weiterhin unser Ziel (siehe hierzu unser Papier „Die neue Schule“ und die Homepage www.9machtklug.de).
Mit der Betonung der Frühförderung bereits im Kindergarten ab dem dritten Lebensjahr, individueller Förderung und stärkerem selbständigen Arbeiten in der Grundschule und der Sekundar-1-Schule ist aber auch diese „kleine Reform“ ein Schritt in diese Richtung.

Ausbau der individuellen Förderung und Verkürzung der Schulzeit
Die Landesregierung plant eine Verkürzung der Schulzeit nach den Modellen anderer Bundesländer durch zusätzlichen Unterricht in der Sekundarstufe I der Gymnasien. Wir wollen statt dessen eine intensivere Förderung für alle Kinder.
In der Konsequenz bedeutet das:
Der Übergang zur fünfjährigen Sekundar-I-Schule und zu einer durchschnittlichen Schulzeit von zwölf Jahren bis zum Abitur soll durch eine intensivere Förderung der Kinder vom Kindergarten bis zur neunten Klasse in allen Schularten erreicht werden.
Alle Schularten sollen die Möglichkeit haben, sowohl den Haupt- wie auch den Real- schulabschluss zu vergeben (auf Basis einer Evaluation und schulartunabhängiger Abschlussprüfungen). Mittelfristig soll dies bereits nach der neunten Klasse möglich sein.
Wenn nach einigen Jahren durch die frühere Förderung erreicht wird, dass der Real- schullabschluss in der Regel nach der neunten Klasse erfolgt, dann entfällt das zehn- te Schuljahr in der Sekundar-1-Stufe und wird als optionales Jahr in die Berufsschu- len und gymnasialen Oberstufen verlagert.

Der Übergang Schule-Berufsschule-Berufsausbildung
Wir streben mittelfristig an, das zehnte Schuljahr an die Berufsschulen zu verlagern, wenn die Regelschulzeit bis zur mittleren Reife von neun Jahren erreicht ist.
Dieses zehnte Schuljahr ist für alle SchülerInnen verpflichtend, die noch keine Be- rufsausbildung begonnen haben und auch keine weiterführende Schule besuchen. An- ders als heute soll auf diese Weise endlich die Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr auch in der Praxis sichergestellt werden.
Das zehnte Schuljahr wird alternativ als allgemeinbildendes Jahr oder als berufsfeldori- entiertes Jahr angeboten. In beiden Fällen gehört es zu den Aufgaben der Berufsschule, die Vermittlung in eine Ausbildung zu unterstützen und gegebenenfalls ein alternatives schulisches Berufsausbildungsangebot sicher zu stellen.
Im allgemeinbildenden Jahr kann gegebenenfalls der Hauptschulabschluss oder der Re- alschulabschluss nachgeholt werden. Das berufsfeldorientierende Jahr soll je nach Kompetenz der SchülerIn unterschiedlich gestaltet werden - mehr praktisch, mehr erzieherisch, mehr allgemeinbildend usw.. Dabei können die Jugendaufbauwerke eine wichtige Rolle spielen.

Die flexible Oberstufe
Je mehr Kinder wir zum Abitur führen wollen, desto unterschiedlicher werden die Vor- aussetzungen der Jugendlichen sein, die nach der neunten oder zehnten Klasse in die gymnasiale Oberstufe kommen. Diese Unterschiede können durch die stärkere individu- elle Förderung in der Grundschule und Sekundarstufe I sogar noch größer werden.
Wir schlagen deshalb das Konzept der flexiblen Oberstufe als Weiterentwicklung des bisherigen Kurssystems vor. Diese Oberstufe soll in zwei bis vier Jahren (oder vier bis acht Semestern) absolviert werden können. Wenn sie später an eine neunjährige Schul- zeit anschließt, wird so im Durchschnitt in zwölf Jahren das Abitur erreicht.
SchülerInnen, die bei Eintritt in die Oberstufe in einigen Fächern noch Nachholbedarf ha- ben, können (anstelle des 10. Schuljahres) ihre fehlenden Kenntnisse in speziellen Auf- baukursen nachholen.
Die Möglichkeit, die Oberstufe in einem unterschiedlichen Tempo zu durchlaufen, ist die Voraussetzung dafür, dass trotz unterschiedlicher Vorkenntnisse möglichst viele Jugend- liche bis zum Abitur geführt werden. Je nach Leistungsfähigkeit und Vorbereitung können SchülerInnen mehr oder weniger Kurse pro Semester belegen und so in ihrem eigenen Tempo die Oberstufe durchlaufen.

Oberstufenverbund statt Abschaffung des Kurssystem
Alle BildungspolitikerInnen sind sich einig, dass dringend nicht nur mehr Mittel in das Bil- dungssystem fließen müsen, sondern auch Ressourcen aus den Oberstufen in die Grundschulen und Sekundar-1-Stufen verlagert werden müssen. Dort werden die Grund- lagen gelegt, dort muss die individuelle Förderung verstärkt werden.
Wir lehnen jedoch die Pläne der Landesregierung, zu diesem Zweck das Kurssystem ab- zuschaffen und zum Klassenverband zurückzukehren, ab. Damit werden für die Schüle- rInnen ohne Not Wahlmöglichkeiten beseitigt und die Chance der individuell unterschied- lichen Profilierung und Entwicklung genommen.
Alternativen zur Abschaffung des Kurssystems sind der Oberstufenverbund und das Oberstufenzentrum: Beim Oberstufenverbund bilden mehrere benachbarte Gymnasien und Gesamtschulen einen Verbund. Bei einem Oberstufenzentrum werden die Oberstufen an einem Schulort zusammengelegt. Die Kommunen sollen entscheiden, welche Form jeweils gewählt wird. In den peripheren Regionen bietet sich die Bildung eines Oberstufenzentrums am Berufsschulort an. In Ausnahmefällen (z.B. Inselgymnasien) muss eine Regelung gefunden werden, die die besondere Situation personell berücksichtigt. Im Rahmen des Oberstufenverbundes werden unterschiedlich Profile festgelegt, die je- weils an einer der beteiligten Schulen angeboten werden. Im Regelfall sollen mindestens ein sprachliches Profil und ein naturwissenschaftliches Profil angeboten werden. In grö- ßeren Verbünden können diese z.B. durch ein wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Profil und/oder ein musisches Profil ergänzt werden. Die SchülerInnen müssen sich für ein Profil entscheiden und wechseln dann gegebenen- falls mit Eintritt in die Oberstufe an die entsprechende Schule. Die Profile bestehen je- weils aus Kernkursen in den Schwerpunktfächern, die in der Regel gemeinsam durchlau- fen werden können. Die SchülerInnen, die gemeinsam die Kernkurse besuchen, bilden eine Kerngruppe mit einer KerngruppenlehrerIn, die für sie Hauptansprechperson ist.
Das über die Kernkurse hinaus gehende Angebot an Kursen wird im Oberstufenverbund so koordiniert, dass ein möglichst breites und flexibles Kursangebot mit akzeptablen Kursgrößen möglich wird. Die SchülerInnen können sowohl Kurse an ihrer Schule, als auch Kurse an jeder anderen der beteiligten Schulen absolvieren.
Die Fachgymnasien der Berufsschulen können in dieses Konzept integriert werden. Die Fachgymnasien haben schon heute den Charakter von Profiloberstufen. Dies ermöglicht dann z.B., dass eine SchülerIn mit einem naturwissenschaftlichen Profil einen techni- schen Kurs im Fachgymnasium belegt, umgekehrt eine FachgymnasiastIn eine Fremd- sprache an einer Schule mit sprachlichem Profil, die an der Berufsschule nicht angebo- ten wird.

Evaluation und Wettbewerb – aber keine zentrale Einheitsprüfung
Mit dem Übergang von der Input-Steuerung zur Output-Steuerung von Schulen - mehr Freiheit, aber auch mehr Evaluation - geht der Trend bundesweit zum Zentralabitur. Ziel ist es, eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse zu sichern. Wir sehen bei der Einführung von zentralen Prüfungen aber drei Probleme:
Es besteht die Gefahr, dass der Schulstoff auf die Themen, die potenziell Prüfungs- gegenstand sind, reduziert wird und LehrerInnen ihre Klassen nur noch gezielt auf die Prüfung hin trainieren.
SchülerInnen werden dafür „bestraft“, wenn sie eine schwache LehrerIn haben.
Es besteht die Gefahr, dass das Engagement in Fächern und Themenbereichen, die nicht prüfungsrelevant sind, zurückgeht. Dies würde gerade Bereiche wie Projektar- beit, Theater und Präsentationen, spezielle Themen in Arbeitsgemeinschaften usw. betreffen, die für die Persönlichkeitsbildung von besonderer Bedeutung sind.
Das angestrebte Ziel – nämlich mehr Vergleichbarkeit - kann aber auch auf andere Wei- se erreicht werden. So arbeitet Schweden z. B. mit regelmäßigen Vergleichstests - quasi „PISA für alle“ - deren Ergebnisse sogar veröffentlicht werden. Dies stellt die Vergleich- barkeit der Ergebnisse her und löst regelmäßig intensive Diskussionen an Schulen aus, die nicht so gut abgeschnitten haben. Das führt zu einem hohen Qualitätsbewusstsein an den Schulen und zu kontinuierlichen Anstrengungen, die Qualität zu steigern bzw. zu er- halten. Deswegen halten wir zentrale Prüfungen nicht für erforderlich.
Sollte es aufgrund der Festlegungen im Koalitionsvertrag trotzdem zu zentralen Prüfun- gen kommen, dann fordern wir:
Die laufenden Noten der Semesterkurse müssen in die Abiturnote weiter mit einbe- zogen werden. Es sollte nur ein Teil der Prüfungen zentral erfolgen, damit die schulspezifischen Kompetenzen und besonderen Angebote der Schule ebenfalls geprüft werden kön- nen.
Es sollten erst ein halbes Jahr vor dem Termin die Themengebiete der Prüfung be- kannt gegeben werden, damit nicht der gesamte Unterrichtsstoff der Oberstufe auf die Prüfung ausgerichtet wird.
Eine zentrale Prüfung muss einhergehen mit einer stärkeren Evaluation der einzel- nen LehrerInnen einschließlich einer Schülerbeurteilung, damit die SchülerInnen nicht die Konsequenzen von schwachen Lehrerleistungen allein tragen müssen.

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