Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
30.09.05
12:26 Uhr
CDU

Manfred Ritzek zu TOP 39:Den Sichtkontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern wieder herstellen

Nr. 252/05 29. September 2005


IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN LANDTAG
PRESSEMITTEILUNG Pressesprecher Dirk Hundertmark Landeshaus, 24105 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 E-mail: info@cdu.ltsh.de Internet: http://www.cdu.ltsh.de
Es gilt das gesprochene Wort Europapolitik Manfred Ritzek zu TOP 39: Den Sichtkontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern wieder herstellen
Wenn eine EU-Richtlinie die Produktion des Schleswig-Holsteinischen Katenschinkens be- droht, weil die Richtlinie die Menge des Pökelsalzes bestimmen will oder wenn, wie vor etwa zwei Jahren geschehen, alle Bundesländer unter Androhung einer Geldstrafe von 791.000 Euro verpflichtet wurden, eilig ein Seilbahngesetz zu erlassen oder wenn Markthändler mit jahrzehntelanger Erfahrung plötzlich mit einer 9-seitigen EU-Vorschrift über die Definition und Behandlung von Marmelade, Konfitüre und Gelee belastet wurden, dann kann man nur den Kopf schütteln oder sich in der norddeutschen, seilbahnlosen Tiefebene vor Lachen ku- geln.
Es gibt aber gravierendere EU-Entscheidungen, die uns das Leben schwer machen, weil sie über das Ziel hinausgeschossen sind, wie z.B. die Chemikalien- oder Dienstleistungsrichtli- nie. Deshalb ist dieses Thema „Subsidiarität“ und „Frühwarnsystem“ heute und für die Zu- kunft so wichtig. So wichtig, weil wir Möglichkeiten haben, auf den Entscheidungsprozess der EU einzuwirken. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass sich die Landesregierung und be- sonders Sie, Herr Minister, sich soeben eindringlich und überzeugend zu diesem Thema geäußert haben.
Misstrauen und Verunsicherung gegenüber Europa wachsen, wenn Entscheidungen der EU über den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger hinweg ausgetragen werden. Der Eindruck einer enthemmten Expansions- und Regulierungswut, auch die für Normalbürger völlig un- überblickbare EU-Verfassung, schaffen höchstens eine Zwangsbeglückung, keine Begeiste- rung oder Zustimmung für die EU. Der Sichtkontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern muss wieder hergestellt werden.
Und dafür, meine Damen und Herren, steht unser Antrag zur Mitwirkung bei der Subsidiari- tätskontrolle und zum Aufbau eines „Frühwarnsystems“ durch und in unserem Parlament. Und diesen Sichtkontakt können wir wieder herzustellen durch Beteiligung vor Ort, in unse- rem Landesparlament, an einer Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen, die auch uns in seiner Umsetzung beeinflussen.
Kernstück des europäischen Verfassungsentwurfs ist die erstmalige Einführung einer euro- päischen Kompetenzordnung, die die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten klar abgrenzen soll. Eine solche Kompetenzzuordnung existierte in den Verträgen bisher nicht, sondern die Be- fugnisse der Europäischen Union waren als Einzelregelungen über den EU-Vertrag verteilt, ergänzt um die Grundprinzipien der „Subsidiarität“ und des Prinzips der begrenzten Einzel- ermächtigung. Die Grundprinzipien der Zuständigkeiten gliedern sich in „Ausschließliche Zu- ständigkeit der EU“, in „Geteilte Zuständigkeiten“ und in „Ergänzende Zuständigkeiten“.
Für die Ausübung der Zuständigkeiten gelten die Grundsätze der „Subsidiarität“ und der Verhältnismäßigkeit.
In die ausschließliche Kompetenz der EU fallen die Bereiche Zollunion, Wettbewerbsregeln für den Binnenmarkt, Währungspolitik, Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rah- men der Fischereipolitik, Handelspolitik und bestimmte internationale Übereinkünfte wie ge- meinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
In den in Artikel neun des Verfassungsentwurfs festgelegten Grundprinzipien heißt es: (Zitat) „Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließ- liche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend erreicht werden können, sondern vielmehr wegen des Umfangs oder ihrer Wirkung auf Unionsebene besser erreicht werden können.“ (Zitat Ende).
Die EU hat also – nach dieser Formulierung - ausdrücklich die Möglichkeit, einen Sachbe- reich vollständig an sich zu ziehen und abschließend verbindlich zu regeln.
Um das zu verhindern, müssen wir dann beweisen, dass die lokale oder regionale Ebene einen Sachverhalt genau so gut regeln kann. Und um das zu können, müssen wir rechtzeitig Kenntnis von den Vorhaben der EU haben.
Diese Möglichkeit der Einflussnahme wird uns ermöglicht durch das im Verfassungsentwurf in den Protokollen vorgesehene zweistufige Kontrollsystem. Es dient dazu, dem Unterlaufen des Subsidiaritätsprinzips in der Praxis entgegenzutreten, also nicht alles in die Entschei- dung der EU zu belassen.
In der ersten Stufe wird im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens ein so ge- nanntes „Frühwarnsystem“ eingeführt, mit dem die nationalen und regionalen Parlamente, also auch unser Parlament, über einen „Subsidiaritätsbogen“ von der Kommission über ein neues Rechtssetzungsverfahren informiert werden.
Der Bogen muss ein neues Vorhaben begründen und gleichzeitig erläutern, dass die Einhal- tung der Subsidiaritätskriterien gewährleistet ist. Damit können sich die nationalen und regi- onalen Parlamente ein Bild über die mögliche Beschneidung ihrer Kompetenzen machen.
Innerhalb von sechs Wochen, und das ist sehr kurz – zu kurz – können die nationalen und regionalen Parlamente die neuen Gesetzgebungsvorschläge rügen. Entsprechende Rügen sind von der Union zu „berücksichtigen“. Im Falle der Rüge durch mehr als einem Drittel der Mitgliedstaaten muss die Kommission den Gesetzgebungsvorschlag nochmals überprüfen. Sie kann jedoch nach der Überprüfung an ihrem Vorschlag festhalten.
Es besteht also eine neue Informations-, Beteiligungs- und Berücksichtigungspflicht der nati- onalen Parlamente, aber kein Einspruchsrecht.
Üben wir doch schon mal dieses Verfahren ein. Fordern wir doch – das sollte der Europausschuss tun – schon mal einen „Subsidiaritätsbogen“ an. Vielleicht gibt es ihn ja schon, oder er ist in der Vorbereitung. Es sind ja genug Gesetzgebungs- und Verordnungsverfahren in der Pipeline, mehr als 900. Auf alle Fälle haben wir als Parlament hiermit eine starke Kontrollfunktion. Es ist ja ein er- heblicher Unterschied, ob wir über europäische Gesetzgebungsverfahren nur informiert wer- den oder ob das Parlament offizielle Stellungnahmen mit Rechtswirkungen abgeben kann.
Die 6-Wochenfrist ist zwar sehr kurz, es kommt also künftig stark auf die Organisation dieses Themenbereiches innerhalb des Parlaments und der Ausschüsse an, die betroffen sind.
Verstärkt wird die Kontrollfunktion auch unseres Parlaments durch die Einführung eines ei- genen Klagerechts zum Schutz des Subsidiaritätsprinzips. Deutschland als Mitgliedstaat der EU kann im Namen eines nationalen Länderparlaments über den Bundesrat Klage erheben. Das verstärkt die Kontrolle durch den Bundesrat und damit der Bundesländer.
Das „Frühwarnsystem“ müssen wir in erster Linie als Gestaltungsinstrument betrachten, nicht als Blockade- oder Verhinderungsinstrument instrumentalisieren. Aber schnelles Han- deln zur Gestaltung ist notwendig. Denn Bundestag und Bundesrat erhalten nach dem Sub- sidiaritätskontrollmechanis-mus die Vorschläge der Gesetzgebungsakte. Von dort müssen sofort länderrelevante Vorgänge an die Länderparlamente gegeben werden, um innerhalb der kurzen Frist qualifizierte Prüfungen durchführen zu können.
Es kommt ja zusätzlich darauf an, in diesem 6-Wochenzeitraum auch genügend andere Mit- gliedstaaten von den Gründen einer Subsidiaritätsrüge zu überzeugen, um eine entspre- chende Wirkungsrelevanz von mehr als einem Drittel der Mitglieder zu erhalten.
Eine bedeutende organisatorische Aufgabe liegt vor uns, um unseren Einfluss aktiv zu ges- talten. Wenn wir aber schon zu 80 % von der Gesetzgebung der EU betroffen oder tangiert sind, dann müssen wir unseren Handlungs- und Gestaltungsspielraum gegenüber der EU auch ausreichend wahrnehmen und sichern.
Ich bin überzeugt, dass wir mit unseren Ausschüssen unter Federführung des Europaaus- schusses, mit unserer Verwaltung, mit unserem Hanseoffice, unseren EU-Abgeordneten und mit anderen Landesparlamenten das richtige Gestaltungssystem entwickeln können. Wir sollten auch gleich Mitstreiter ins Boot nehmen, so die norddeutschen Landesparlamente und die Mitglieder im „Parlamentsforum Südliche Ostsee“. Dieses Thema könnte zu einem Schwerpunktthema für das Parlamentsforum im übernächsten Jahr werden.
Unsere Mitwirkung im europäischen Entscheidungsprozess bleibt immer aktuell. Packen wir es an. Ich bitte um Überweisung dieses Themenkomplexes in den Europaausschuss.