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30.09.05
12:08 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP 16 - Europäische Identität / Europa der Regionen

Presseinformation
Kiel, den 30.09.2005 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 16 Schleswig- schaf a) Europäische Identität in Schleswig-Holstein schaffen Schleswig- Regio b) Schleswig-Holstein stärkt das „Europa der Regi onen“ Drs. 16/157;16/218

„Europa in der Vertrauenskrise“. Dies war jüngst die Überschrift in einer angesehenen
deutschen Tageszeitung, in der über die aktuelle Krise der Europäischen Union nach den
beiden Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden zur Europäischen Ver-
fassung berichtet wurde. Und in der Tat ist es wohl nicht übertrieben zu sagen, dass die
Verantwortlichen in der EU nach dem Nein zur Verfassung völlig kopflos und hilflos
agieren.


Heute – knapp vier Monate nach den Abstimmungsniederlagen – und auch nach dem
gescheiterten Gipfel zur zukünftigen Finanzierung der EU stehen wir in Brüssel vor ei-
nem Scherbenhaufen. Welchen Kurs die EU in Zukunft einschlagen soll, ist zwischen den
verschiedenen Mitgliedsstaaten und den politischen Führungspersönlichkeiten dieser 2
Staaten höchst umstritten. Das hängt natürlich nicht zuletzt mit der innenpolitischen
Situation in diesen Ländern – in Frankreich, Großbritannien und Deutschland - zusam-
men. Während sich die Führung in Frankreich und Deutschland in einer wirtschaftlichen
und politische Krise befindet und kaum Impulse für den zukünftigen EU-Kurs geben
kann, wird der britische Premierminister Blair von den erbitterten EU-Gegnern im Lande
zu einem harten Kurs in Brüssel gezwungen.


Auch die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Polen am letzten Sonntag, wo eine stark
nationalistische bürgerliche Partei als Sieger hervorging, sind Teil eines europaweiten
Trends, wo man mit populistischen Parolen gegen die europäische Integration auf Stim-
menfang gehen kann. Bei den Streitigkeiten über die zukünftige Entwicklung der EU
geht es sowohl um Fragen der Vertiefung der Zusammenarbeit und über die wichtige
Frage, wo die Grenze der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union ist.


Die britische EU-Präsidentschaft hat die schwere Aufgabe, die verschiedenen Interessen
aufzugreifen und in handlungsfähige Politik umzusetzen. Ob dies in den nächsten Mona-
ten gelingt, ist mehr als zweifelhaft. Zum einen, weil Großbritannien selbst einer der
Hauptakteure bei dem gescheiterten EU-Gipfel im Juni war, und zum anderen, weil die
Vorschläge aus London nicht in allen Ländern der EU Beifall finden.


Sicherlich hat Premierminister Tony Blair im Prinzip Recht, wenn er die Auffassung ver-
tritt, dass die EU nicht in alle Ewigkeit über 40% ihres Budgets für landwirtschaftliche
Subventionen ausgeben kann. Wir müssen in Europa umsteuern und in Zukunft viel
mehr Geld für Bildung, Wissenschaft und Forschung ausgeben, wenn wir im globalen
Wettbewerb mithalten wollen. So weit kann man Großbritannien sicherlich folgen. 3



Aber der Teufel liegt auch hier im Detail. Denn die jetzt geplante Umschichtung für eine
Wachstumsinitiative der britischen Präsidentschaft trifft auch die für Schleswig-Holstein
so wichtige Strukturförderung der EU. Nach Angaben der Landesregierung würden damit
die 250 Millionen Euro für strukturschwache Regionen in Schleswig-Holstein in Gefahr
kommen. Der SSW begrüßt daher die Initiative der Minister Döring und Austermann, die
in einem Brief die noch amtierende Bundesregierung dazu auffordern, dass sie sich ge-
gen den britischen Plan einsetzt.


Allerdings zeigt gerade dieses Beispiel wie schwer es ist, innerhalb der Europäischen
Union auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Die Verteilungskämpfe und Interes-
sengegensätze sind seit dem Beitritt der osteuropäischen Länder noch größer geworden.
Mit der Aufnahme von weiteren neuen Ländern werden die Probleme nicht kleiner wer-
den.


Der dänischen Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen hat Anfang dieser Woche
erklärt, dass er den Verfassungsentwurf in der jetzigen Form für tot hält, und dass er
seine begründeten Zweifel hat, ob die Türkei in die EU aufgenommen werden kann. Dies
hat in Dänemark für großes Aufsehen gesorgt, da der dänische Ministerpräsident als
starker EU-Befürworter gilt. Fogh Rasmussen plädiert für eine Denkpause in der Entwick-
lung der EU und fordert von den Politikerinnen und Politikern, dass sie mit den Bürgerin-
nen und Bürgern ins Gespräch kommen – bevor man neue Beschlüsse trifft. Das ist aber
leichter gesagt als getan. Das wissen wir alle. Von daher begrüßt der SSW, dass sich der
Schleswig-Holsteinische Landtag gleich in zwei Anträgen heute mit dieser wichtigen
Zukunftsfrage beschäftigt. 4
Überall in Europa sind die Menschen besorgt über die Entwicklung und sehen im Mo-
ment kaum noch den Nutzen der europäischen Zusammenarbeit. Deshalb muss es in
Zukunft darauf ankommen, den Menschen in Europa die Vorteile dieser Zusammenar-
beit näher zu bringen. Dabei kommt man nicht umhin, den Grad der Zusammenarbeit
näher zu definieren


Der SSW plädiert dafür, dass man die idealistische Idee eines vereinten Europäischen
Bundesstaates endlich auch offiziell zu den Akten legt und eine pragmatische europäi-
sche Zusammenarbeit zwischen eigenständigen Nationen anstrebt. Wofür Brüssel,
Berlin und die einzelnen Regionen künftig zuständig sein sollen, muss also dringend
geregelt werden. Grundsätzlich unterstützt der SSW daher den Ansatz von CDU und SPD,
dass das Europa der Regionen gestärkt werden muss. Denn nur vor Ort können die Men-
schen von den Vorzügen der europäischen Zusammenarbeit überzeugt werden.


Allerdings haben wir immer noch unsere Zweifel, ob denn der Ausschuss der Regionen,
der ja eine weitere Bürokratisierung der Europäischen Union darstellt, wirklich das ge-
eignete Mittel dafür ist. Aus unserer Sicht wäre es besser, die Regionen zu stärken, z.B.
indem den deutschen Bundesländern wirkliche Gestaltungsmöglichkeiten zurückgege-
ben werden. Der Umweg über den Ausschuss der Regionen ist wenig transparent und
somit ein Teil des Problems und nicht die Lösung.


Ausdrücklich zustimmen kann der SSW Punkt 3 des CDU-SPD-Antrages, wo der Koopera-
tion von Nachbarregionen eine hohe europapolitische Bedeutung beigemessen wird.
Gerade in der Zusammenarbeit mit Dänemark und den Partnern des Parlamentsforums 5
„Südliche Ostsee“ müssen wir konkrete Ergebnisse für die Bürgerinnen und Bürger errei-
chen. Darum geht es doch.


Und deshalb, Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Verzeihen Sie mir, dass
ich mit dem etwas abgehobenen Begriff einer „europäischen Identität“ - die Sie schein-
bar per Antrag in Schleswig-Holstein schaffen wollen - nicht viel anfangen kann. Ich
glaube einfach nicht daran, dass man den Menschen von oben herab eine europäische
Identität aufzwingen kann. Das ist eine zu abstrakte Diskussion, mit der man auch nicht
viele Schülerinnen und Schüler erreichen wird - obwohl es richtig ist, im Unterricht mehr
über die Europäische Union zu lernen.


Übersehen darf man dabei aber nicht, dass man in vielen europäischen Ländern sehr
wohl im positiven Sinne ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein hat und nicht gedenkt,
diese nationale Identität mit einer wie auch immer definierten europäischen Identität
zu tauschen. Diese Tatsache muss man als eine europäische Realität anerkennen, wenn
man die Zusammenarbeit innerhalb der EU voranbringen will. Es muss also darum ge-
hen, dass die Menschen in Europa an ihrem eigenen Leib spüren, was ihnen die europäi-
sche Zusammenarbeit bringt.
Und dabei ist natürlich auch wichtig, wie wir denn das Europa von morgen organisieren
wollen. Aus Sicht des SSW hat ein neoliberalistisches Europa geringe Chancen, die Her-
zen und die Köpfe der Menschen zu erreichen. Wir wollen ein soziales Europa, in dem der
Sozialstaatsgedanke ein tragender Gedanke der europäischen Zusammenarbeit bleibt.
Und wir wollen ein Europa, in den die verschiedenen Nationalitäten, Minderheiten und
Kulturen gleichberechtigt und friedlich neben- und miteinander leben und gedeihen. Das
ist die große Aufgabe, die wir in den nächsten Jahren zu bewältigen haben. Sie umzuset-
zen, wird ganz sicher nicht einfach sein.