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16.06.05
12:28 Uhr
SSW

Lars Harms zum Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung

Presseinformation
Kiel, den 16.06.2005 Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms
TOP 22 2. Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Be- hinderung über die Situation der behinderten Menschen Drs. 16/43 (NEU)

Zuerst möchte auch ich die Gelegenheit nutzen, Herrn Hase und seinem Team für die
geleistete Arbeit zu danken. Im Bericht wird deutlich gemacht, dass die Berücksichtigung
der Belange von behinderten Menschen immer noch keine Selbstverständlichkeit ist.
Und weil dies so ist, ist es auch logisch, dass der Behindertenbeauftragte für gleichartige
Beauftragte oder Beiräte auf kommunaler Ebene wirbt. Wir haben eine Debatte zu die-
sem Thema gerade erst im Kreis Schleswig-Flensburg verfolgen dürfen. Dort gab es die
Idee, einen ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten einzusetzen. Das war sozusagen
die billigste Lösung und wäre zumindest ein Einstieg gewesen. Aber selbst das wurde
von der Mehrheit des dortigen Kreistages und von der Verwaltungsleitung abgelehnt. 2
Für mich ist das keine Kleinigkeit, sondern schlicht und ergreifend unwürdig, wenn ein
solch wichtiges Anliegen nicht berücksichtigt wird. Wenn die Berücksichtigung der Inte-
ressen von Menschen mit Behinderungen nicht auf der kommunalen Ebene berücksich-
tigt wird, wo soll sie dann berücksichtigt werden? Sonst sagen die Kommunen immer, sie
könnten alles vor Ort perfekt regeln, aber wenn dann wichtige Aufgaben in Angriff ge-
nommen werden sollen, taucht man wieder einmal weg. Zum Glück gibt es auch einige
positive Beispiele in den Städten, Kreisen und Kommunen. So hat in Flensburg die Rats-
versammlung auf Initiative des SSW einen Behindertenbeauftragten eingeführt. Dazu
haben wir in zwei Kreisen wir einen Behindertenbeauftragten und wir haben insgesamt
16 Behindertenbeauftragte in den über 1.100 Kommunen in Schleswig-Holstein. Das
heißt 99% der Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein haben immer noch keine
solche Einrichtung für Behinderte. Da hat die kommunale Selbstverwaltung bisher ver-
sagt.


Betrachtet man diese Zahl - 99 % - dann ist klar, warum der Landesbeauftragte immer
wieder feststellt, dass zum Beispiel die verpflichtenden Regelungen zum barrierefreien
Bauen immer noch nicht eingehalten werden. Die Einhaltung dieser Verpflichtungen ist
eher die Ausnahme als die Regel. Wenn niemand da ist, der sich der Einhaltung dieser
Verpflichtungen gegenüber verantwortlich fühlt und wenn auch bei den Genehmi-
gungsbehörden niemand darauf achtet, dann kann es nicht verwundern, dass hier noch
vieles im Argen liegt. Im Bericht wird die Nichtbeachtung der Vorschriften damit erklärt,
dass die gesetzlichen Regelungen oft noch nicht so bekannt sind. Das mag so sein, aber
es ist nur eine Erklärung und keine Entschuldigung für diese Versäumnisse.


Um Maßnahmen zur Barrierefreiheit durchzusetzen, muss man meines Erachtens die
Beteiligten am Geldbeutel packen, damit sie hier entgegenkommender werden. Im 3
Bericht wird gesagt, dass es bisher keine wirkungsvollen Sanktionsmechanismen gibt
und somit die Nicht-Erfüllung der Verpflichtungen zur Barrierefreiheit eigentlich schad-
los ist. Ohne eine Konsequenz fürchten zu müssen, kann man das barrierefreie Bauen
unterlassen. Es geht daher kein Weg daran vorbei, dass wirkungsvolle Sanktionen grei-
fen müssen, wenn nicht barrierefrei gebaut wird. Das heißt, es muss Geldstrafen geben,
wenn diese Auflagen nicht erfüllt werden. Aus dem Geld das hierdurch eingenommen
wird, könnte man im Übrigen dann wieder Maßnahmen zugunsten der Behinderten
fördern.


Aber auch ein anderer Aspekt, der im Bericht angesprochen wird, macht deutlich, dass
Behindertenbeauftragte auch auf kommunaler Ebene und hier vor allem auf Kreisebene
sehr wichtig sind. Aus dem Bericht geht hervor, dass immer mehr Eltern von Schülerin-
nen und Schülern mit einer Behinderung Beratungsangebote suchen. Diesem Personen-
kreis fehlt es oft an umfassender Information über die Rechte und Möglichkeiten, die für
die Integration ihrer Kinder bestehen. Hier ist es dringend notwendig, dass diese Eltern
eine umfassende und ortsnahe Beratung zur Seite gestellt bekommen. In vielen Kreisen
werden zudem Leistungen unterschiedlich gewährt, was dazu führt, dass Leistungen in
einem Kreis gewährt werden und woanders wiederum nicht. Im Interesse der Betroffe-
nen ist hier eine weitere Vernetzung dringend notwendig, damit die Betroffenen vor den
Behörden ihre Rechte besser einfordern können.


In diesem Zusammenhang möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es in den ver-
gangenen Jahren durchaus auch Fortschritte in den rechtlichen Möglichkeiten gab, In-
tegrationsleistungen gewährt zu bekommen. Nach § 35 a SGB VIII haben seelisch behin-
derte Kinder und Jugendliche und Kinder und Jugendliche, die von einer solchen Behin-
derung bedroht sind, Anspruch auf Eingliederungshilfe. Diese Regelung hat bei einer 4
Anzahl von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren dazu geführt, dass sie erst-
malig aus Mitteln der Jugendhilfe eine adäquate Unterstützung erhalten.


Diese Regelung wird immer wieder aus Kostengründen in Frage gestellt, anstatt zu
begrüßen, dass diese Menschen endlich eine entsprechende Unterstützung bekommen.
Das führt dazu, dass je nachdem welche Kommune zuständig ist und wie durchsetzungs-
fähig die betroffenen Eltern sind, mal Leistungen gewährt werden und manches Mal
Leistungen auch vorenthalten werden. Auch werden Leistungen zur schulischen Integra-
tion von Schülerinnen und Schülern beispielsweise von der Klassenstärke abhängig
gemacht und nicht der einzelne Betroffene mit seinem Problem als Maßstab genommen.


Dies führt dazu, dass gleiche Tatbestände höchst unterschiedlich behandelt werden und
irgendwie immer der Versuch der Kosteneinsparung dahinter steckt. Auch in diesem
konkreten Fall wird deutlich, wie wichtig es ist, dass die Betroffenen vor Ort Ansprech-
partner haben, die sie beraten können, damit eine solche Ungleichbehandlung nicht
mehr möglich ist. Hier sparen die Kommunen derzeit auch aufgrund der eingeschränk-
ten Beratungsinfrastruktur. Vielleicht ist auch das der Grund, warum man sich bei der
Einsetzung von Behindertenbeauftragten so schwer tut.


Ich habe dieses Beispiel aber nicht nur gebracht, weil ich meine, dass die Beratung ver-
bessert werden sollte, sondern weil ich auch vom Erfolg und von der Sinnhaftigkeit einer
solchen gesetzlichen Regelung überzeugt bin. Und damit wären wir dann bei der Bun-
destagswahl. Bisher gibt es nämlich das Ansinnen der Unionsparteien, genau diese Rege-
lung des § 35 a KJHG abzuschaffen. Im entsprechenden Gesetzentwurf von CDU und CSU
im Bundestag steht zu lesen, dass es Ziel der geplanten Abschaffung sei, insbesondere
bei einigen kostenträchtigen Leistungen eine weitere Kostenbelastung der Kommunen 5
zu vermeiden oder wenigstens deutlich einzudämmen. Es wird aber nicht vorgeschlagen,
die Kosten auf andere zu verteilen und weiterhin den Betroffenen zu helfen, was ja
möglich gewesen wäre, sondern die Regelung abzuschaffen und die seelisch behinderten
Kinder und Jugendlichen somit schlechter zu stellen.


Bisher wurde dieses Ansinnen immer mit der Mehrheit des Bundestages abgelehnt. Ich
möchte eindringlich schon jetzt an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese Regelung,
seelisch behinderten Kindern und Jugendlichen eine Eingliederungshilfe zu gewähren,
dieser Gruppe von Menschen eine nicht wegzudenkende Hilfestellung ermöglicht. Diese
Regelung gehört daher nicht abgeschafft, sondern sie muss noch umfangreicher im
Sinne der Betroffenen umgesetzt werden.


Sie haben gemerkt, dass es manchmal durchaus notwendig ist, etwas tiefer auf einzelne
Problemstellungen einzugehen, um dann durchaus auch politische Schlüsse ziehen zu
können. Aber selbst die genauesten und ausgefeiltesten Regelungen können immer
noch zu Missverständnissen führen. Auf Seite 94 und 95 des Berichtes wird ein solcher
Fall aufgezeigt. Da werden vor Gericht die Merkzeichen B und H bei Schwerbehinderten
als Indizien dafür gedeutet, dass immer und überall die betreffenden Personen unter
Aufsicht stehen müssen. Man würde sonst seiner Aufsichtspflicht nicht genüge tun, sagt
hierzu ein Urteil aus Flensburg. Wenn dieses gängige Rechtssprechung werden sollte, ist
es dringend notwendig die entsprechenden Rechtsgrundlagen noch einmal zu überar-
beiten.


Die Merkzeichen im Behindertenausweis galten bisher eigentlich nur als Hinweis darauf,
dass die betreffende Person berechtigt ist, Nachteilsausgleiche, die sich aus der Behinde-
rung der Person ergeben, in Anspruch nehmen zu können. Würde die Merkzeichen nun 6
auch so verstanden werden, dass eine ständige Beaufsichtigung dieses Personenkreises
zwingend notwendig wäre, wäre die Bewegungsfreiheit dieses Personenkreises extrem
und ungerechtfertigt eingeschränkt.


Dies würde im Übrigen nicht nur Personen in Wohnheimen oder Behinderteneinrichtun-
gen treffen, sondern natürlich auch Auswirkungen auf die Bewegungsfreiheit von au-
ßerhalb von Einrichtungen lebenden Behinderten haben. Deshalb bin ich dem Landesbe-
auftragten für Behinderte dankbar, dass er sich auf Bundesebene für die Klärung dieses
Falles eingesetzt hat und damit die Diskussion hierzu in Gang hält.


Nach unserer Auffassung muss man in Bezug auf mögliche Aufsichtspflichten den Ein-
zelfall betrachten und man darf auf keinen Fall pauschal die entsprechenden Merkzei-
chen hierfür heranziehen. Es gibt genügend Behinderte, die die Merkzeichen B und H in
ihrem Behindertenausweis haben, die durchaus in der Lage sind selbständig in weiten
Teilen ihr Leben zu gestalten. Und diese Selbständigkeit gilt es zu unterstützen und nicht
zu beeinträchtigen.


Wie ich schon Anfangs sagte, sind kommunale Behindertenbeauftragte oder entspre-
chende Gremien, die sich mit den Fragen der behinderten Menschen befassen, dringend
notwendig. Der Bericht zeigt nun aber auch noch einmal, dass die Institution des Lan-
desbeauftragten für Menschen mit Behinderungen dringend notwendig war und ist.
Und in diesem Sinne möchte ich nochmals dem Landesbeauftragten und seinen Mitar-
beitern für ihre Arbeit und den Bericht danken.