Wolfgang Baasch zu TOP 22: Wir brauchen Barrierefreiheit auch in den Köpfen
Sozialdemokratischer Informationsbrief Kiel, 16.06.2005 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 22 – Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit BehinderungWolfgang Baasch:Wir brauchen Barrierefreiheit auch in den Köpfen!„Die Menschen in Schleswig-Holstein sollen sich weiterhin an unabhängige Beauftragte wenden können. Die Aufgaben der Bürgerbeauftragten und des Beauftragten für Men- schen mit Behinderung bleiben in der gegenwärtigen Form erhalten.“ Dieses Zitat stammt aus dem Koalitionsvertrag von CDU und SPD und macht deutlich, dass die Menschen in diesem Land auch weiter Unterstützung und Hilfe brauchen, wenn sie von Behörden al- lein gelassen werden, wenn sie keine Unterstützung und Hilfe bei Problemen finden, wenn die Barrieren, die ihnen im alltäglichen Leben in den Weg gelegt werden, unüber- windbar scheinen.Hier brauchen wir Menschen – Beauftragte –, die den betroffenen Bürgerinnen und Bür- gern zu Seite stehen. Und dass dies dringend auch in Zukunft notwendig ist, beweist der Bericht des Beauftragten für Menschen mit Behinderung sehr eindringlich. Dem Landes- beauftragten für Menschen mit Behinderung Ulrich Hase, Dir lieber Uli, und Deinen Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern ein großes Dankeschön für diesen umfassenden und, wie ich finde, auch schonungslos die Probleme aufzeigenden Bericht!Der Bericht ist gekennzeichnet durch den immer wiederholten Hinweis darauf, dass Bar- rierefreiheit die Voraussetzung zur umfassenden Integration und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft ist. Die Menschen mit Behinderung Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: Internet: pressestelle@spd.ltsh.de www.spd.ltsh.de SPD -2-und ihre Angehörigen brauchen dafür aber ein Beratungsangebot, das sich in den letzten Jahren deutlich verbessert hat, das aber noch intensiver gefördert werden muss. Und Menschen mit Behinderung müssen sich nicht nur um ihre Probleme kümmern, sondern sie müssen auch Gelegenheit haben, im politischen wie im öffentlichen Raum wahrge- nommen zu werden. Politische Teilhabe und Partizipation sind hierfür die Stichworte.In den letzten Jahren haben wir in Schleswig-Holstein eine Politik gestaltet, die wegge- kommen ist von der allumfassenden Fürsorge und hin zu einer Politik, die mehr Selbst- bestimmung und Eigenverantwortung gefördert und die Möglichkeiten geschaffen hat, dass Menschen mit Behinderung besser in unsere Gesellschaft integriert werden. Um diese Ziele nachhaltig zu erreichen, müssen wir die Menschen mit Behinderung dabei un- terstützen, Barrieren aus dem Weg zu räumen, und wir müssen ihnen ermöglichen, ihr Leben selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten.Diese Reformpolitik muss und wird in Schleswig-Holstein fortgesetzt werden und es bleibt eine ständige Aufgabe von uns allen, die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass diese Ziele erreicht werden.Ich will einige Punkte aus dem Bericht des Beauftragten für Menschen mit Behinderung im Detail aufgreifen: Arbeit für Menschen mit Behinderung: Arbeit betrifft Menschen mit Behinderung überproportional, insbesondere ältere Menschen mit Behinderung. Und sehr ernst zu nehmen ist die im Bericht geäußerte Sorge des Landesbeauftragten, dass die Umstrukturierung in den Arbeitsagenturen dazu führen könnte, arbeitslose schwerbehinderte Menschen als eine besondere Zielgruppe der Arbeitsagenturen aus den Augen zu verlieren. Im Bericht wird hier in diesem Zusammenhang eine intensive Zusammenarbeit von -3- Integrationsfachdiensten und Arbeitsagenturen angesprochen. Dass Betriebe ohne Erfahrung mit schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deutlich mehr Vorbehalte gegen die Einstellung haben als solche, die bereits behinderte Men- schen beschäftigen, ist bekannt. Diese Hemmnisse können durch Probebeschäfti- gungen in verschiedenen Formen und durch intensive Beratung durch z. B. Integ- rationsfachdienste beseitigt werden. Diesen Ansatz des Berichts sollten wir in unserer zukünftigen Arbeitsmarktförde- rung berücksichtigen, ebenso auch weiterhin die umfassende Aufklärung gerade in kleinen und mittleren Unternehmen. Integrationsfachdienste, die einzelnen Menschen mit Behinderung bei der Jobsu- che und der Integration in den Arbeitsmarkt helfen, ergänzen in Schleswig-Holstein mittlerweile 15 Integrationsunternehmen. Mit rund 15,4 Millionen Euro Fördermit- teln aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe beim Integrationsamt wurden insge- samt 324 Arbeitsplätze geschaffen, davon 195 für Menschen mit Behinderung. Sowohl hinsichtlich der Vielfältigkeit der Projekte in den unterschiedlichsten Ar- beitsbereichen, als auch hinsichtlich der erfreulichen Anzahl von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung, die in den Integrationsunternehmen geschaffen wer- den konnten, bleibt festzuhalten, dass die Integrationsunternehmen in Schleswig- Holstein ein Erfolgsmodell sind. Dieser Aussage gilt es nur noch hinzufügen: Set- zen wir dieses Erfolgsmodell fort, schaffen wir mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung durch Integrationsunternehmen.Zusammenfassend geht es darum, mit daran zu arbeiten, dass Unternehmen und Perso- nalverantwortliche die Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung sehen und wahrnehmen und den Menschen eine Chance geben, sich entsprechend ihren Fähigkei- ten in die Arbeitswelt einzubringen. -4-Barrierefreiheit schaffen, ist der zentrale Ansatz der Arbeit des Landesbeauftragten und seines vorliegenden Berichts. Wir Sozialpolitiker schlagen deshalb fraktionsübergreifend vor, diesen Bericht in alle Parlamentsausschüsse des Schleswig-Holsteinischen Landta- ges zu überweisen.Denn Barrierefreiheit bedeutet mehr als nur abgesenkte Bordsteinkanten oder Rampen für Rollstuhlfahrer. Barrierefreiheit geht deutlich über den Baubereich hinaus und umfasst auch die Bereiche Verkehr, den Bereich Informations- und Kommunikationsanlagen, das barrierefreie Internet sowie Produkte und Konsumgüter. Und der Landesbeauftragte hält in seinem Bericht ausdrücklich fest: „Verwirklichte Barrierefreiheit stellt somit eine deutli- che Verbesserung für alle Menschen dar und ist keine ausschließliche Notwendigkeit für behinderte Menschen.“ Dass allerdings unter dem Stichwort „Bauen“ ein großes Arbeits- feld für den Beauftragten zur Schaffung von Barrierefreiheit vorgelegen hat und vorliegt, macht der Bericht deutlich.Ein weiterer Schwerpunkt ist die Mobilität und damit auch die Barrierefreiheit im öffentli- chen Personennahverkehr.Ein dritter Schwerpunkt ist der Bereich Tourismus und die Schaffung von barrierefreien Urlaubsbedingungen für Menschen mit Behinderung. Die Kommunikation barrierefrei zu gestalten, ist eine hohe Anforderung an die neuen Technologien und das Internet. Und wie direkt Barrierefreiheit auch mit Politik und politischen Entscheidungen verbunden werden kann, sehen wir an der Einführung von Wahlschablonen für Menschen mit Seh- behinderung oder Blinden, die somit auch die Möglichkeit zur selbstbestimmten Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess bekommen haben.Dass Mädchen und Frauen mit Behinderung eine doppelte bzw. mehrfache Diskriminie- rung erleben, zeigt der Bericht auch sehr deutlich auf. Die gute und zielorientierte Zu- -5-sammenarbeit mit dem Verein „Mixed Pickles e.V.“ wird im Bericht hervorgehoben. Unter dem Stichwort „Mixed Pickles“ ist auch die Ausbildung von Mädchen mit Lernschwierig- keiten zu Jugendgruppenleiterinnen hervorzuheben. Diese Initiative des Vereins „Mixed Pickles“ gemeinsam mit dem Landesjugendring hat nicht nur nationale Beachtung gefun- den, sondern mittlerweile auch Mädchen und den Initiatorinnen Anerkennung und Preise für ihr Engagement auf europäischer Ebene gebracht. Eine Initiative, die die Mädchen uns auch im Landtag vorgestellt haben, ich erinnere nur an ihre schönen Stopp-Schilder mit der Aufschrift „Halt, bitte leichte Sprache“ – eine Aufforderung, der wir uns auch als Politiker immer wieder stellen sollten, denn auch dies ist ein Beitrag zur Barrierefreiheit. Diese Arbeit von Mixed Pickles zu stärken, wäre durch eine Jugend-Bildungsreferentin möglich und ein entsprechender Antrag sollte von uns unterstützt werden.Abschließend will ich noch die im Bericht erwähnte Veranstaltung „Dialog im Dunkeln“ ansprechen. Dialog im Dunkeln, eine Ausstellung im Zentrum der Stadt Rendsburg, die auch mir als Besucher aufgezeigt hat, sozusagen als Selbsterfahrung, die Lebenssituati- on von Menschen mit Behinderung, in dem Fall von Menschen mit Behinderung, die er- blindet sind, selbst zu erfahren. Eine Aktion, die Nachahmung und Fortsetzung braucht.Ich bin fest davon überzeugt, dass der vorliegende Bericht und die Arbeit des Beauftrag- ten für Menschen mit Behinderung dazu beitragen kann, die Chancengleichheit, die Selbstbestimmung und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in unserem Bundes- land zu befördern und stärker in den Mittelpunkt zu rücken.Dazu gehört auch eine enge Zusammenarbeit mit den Interessenvertretungen der Behin- dertenverbände und der Organisationen von Menschen mit Behinderung. Hier gilt ein großes Dankeschön auch all denen, die sich ehrenamtlich in ihren Organisationen bzw. für Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft engagieren. Ohne das Wirken von kommunalen Beauftragten für Menschen mit Behinderung oder die massive Interessen- vertretung von Vereinen wie der „Lebenshilfe“ oder dem „Sozialverband Deutschland“, -6-die hier nur stellvertretend genannt sind, würden unsere Gesellschaft und das Zusam- menleben in unserer Gesellschaft ärmer sein. Sie alle wirken daran mit, dass Chancen- gleichheit, Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung schrittweise in der Alltagspraxis Realität werden. Dies sollten wir mit unseren politischen Entschei- dungen immer befördern und unterstützen.