Anke Spoorendonk zur EU-Verfassung: Die Bürgerinnen und Bürger mitreden lassen
PresseinformationKiel, den 25.05.2005 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 27 Resolution zur Ratifizierung des Vertrages über eine Verfassung für Europa Drs. 16/84Nach der EU-Osterweiterung ist der Beschluss des Europäischen Rates über die EuropäischeVerfassung ein weiterer historischer Schritt der Europäischen Union. Die Notwendigkeiteiner Neugestaltung der Rahmenbedingungen ergibt sich allein aus der Tatsache, dass einEuropa von 25 oder zukünftig gar 27 Mitgliedstaaten mit den bisherigen Spielregeln der EUnach dem sogenannten Nizza-Vertrag im Grunde unregierbar ist. Man kann über dasErgebnis des Verfassungskonventes im Detail zwar streiten, aber im Prinzip ist es richtig, dieeuropäischen Institutionen zu reformieren. - Und insbesondere, dass das Verhältnis dieserInstitutionen zu den nationalen und regionalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten auf eineneue Grundlage gestellt werden soll.Gleichzeitig ist ein Grundrechtekatalog in die Verfassung integriert worden. Wobei wir, inKlammern bemerkt, weiterhin die Aufnahme eines Gottesbezuges in die Verfassung 2ablehnen. Zwar fehlt aus Sicht des SSW ein konkreter Passus über die Rechte der vielennationalen Minderheiten in Europa, aber immerhin wurde in der Charta der Grundrechte die„Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas“ und einDiskriminierungsverbot wegen „der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit“ mitaufgenommen.Für Schleswig-Holstein als Bundesland war es wichtig, dass die Rolle der Regionen Europasmit der Annahme der Verfassung gestärkt wird. Dies ist mit einer Verbesserung derKompetenzordnung, dem Frühwarnsystem bei der Subsidiaritätskontrolle und denKlagerechten erreicht worden. Gleichwohl vermissen wir, dass kein Mechanismus zurRückverlagerung von Kompetenzen auf die Mitgliedsstaaten und Regionen vorgesehen ist.Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass diese Verfassung nur der Überbau oder derRahmen eines Europas der Nationen sein kann. Um die konkrete Ausgestaltung und um dieInhalte der zukünftigen EU müssen die verschiedenen Regierungen, Parteien,Interessengruppen und die Bevölkerungen Europas weiterhin miteinander ringen. Es gibteinen erheblichen Klärungsbedarf, welches Europa man dann nun will. Will man ein Europades ökonomischen Liberalismus oder will man ein soziales Europa, wo auch derSozialstaatsgedanke weiterhin eine entscheidende Rolle spielt? Gerade aus der ungeklärtenFrage, wohin die Reise der EU in Zukunft gehen soll, speist sich ja das Unbehagen vielerBürgerinnen und Bürger, die z.B. ihre sozialen Errungenschaften in Gefahr sehen. Ob esstimmt oder nicht, ist eine andere Frage, aber man muss die Ängste der Menschen ernstnehmen.Dabei ist es aus Sicht des SSW ein entscheidender Fehler, dass die Mitsprache derBevölkerung bei wichtigen EU-Vertragsänderungen in der Bundesrepublik außer Acht 3gelassen wird. Deshalb hat der SSW von Anfang an einen Volksentscheid über dieeuropäische Verfassung gefordert, denn die wichtigen Fragen der Europapolitik werden inDeutschland seit jeher fernab der Bevölkerung entschieden. Aus unserer Sicht muss das Volkaber mitreden können, wenn das Land Souveränität abgibt, um mit anderen Ländern engzusammenzuarbeiten. Bei der Forderung nach einem Volksentscheid geht es uns also nichtdarum, die Verfassung in Bausch und Bogen abzulehnen, sondern um die demokratischeMitsprache der Bevölkerung bei einem so weitreichenden Projekt. Ein Volksentscheid hättedem Verfassungsvertrag ein größeres Maß an politischer Legitimation verliehen.Natürlich ist eine solche Volksabstimmung ein Risiko für die Regierungen, die diesen Vertragunterschrieben haben. Das zeigt das Beispiel Frankreich, wo man leidenschaftlich über das„Für und Wider“ der Europäischen Verfassung diskutiert, und wo ein großer Teil derBevölkerung dem Vertragswerk auch heute noch, wenige Tage vor der Wahl, ablehnendgegenüber steht. Die gleiche Skepsis gibt es in großen Teilen der Bevölkerung in Ländern wieHolland, Dänemark oder Großbritannien, wo auch Volksabstimmungen durchgeführtwerden.Aber nur, wenn man die EU-Verfassung offensiv mit den Bürgern diskutiert, kann man sieauch überzeugen. In Frankreich hat sogar jeder Haushalt den Vertragstext der Verfassungper Post zugeschickt bekommen. Es ist zwar nicht unerheblich, ob die Bürgerinnen undBürger Frankreichs nun „ja oder nein“ zu dieser Verfassung sagen. Aber aus unserer Sicht istes noch wichtiger, dass es eine demokratische Auseinandersetzung über die Zukunft derEuropäischen Union gibt. Nichts ist schlimmer als ein allgemeines Desinteresse.Eine Auseinandersetzung über die Ziele und Zukunft der EU gibt es bei uns so gut wie garnicht. Die Bürgerinnen und Bürger müssen aber mitreden können, ansonsten bleibt Europafür sie ein Projekt der Mächtigen und der politischen Eliten und nicht ein Projekt der Völker.